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Beim Hochheimer

Das Weggehen der Bauern war erwartet worden. Kaum hatten sie den Pavillon verlassen, als eine Frauengestalt vom Hause her nahte, Beata. Die ländliche Anna hatte Recht: – Beata war von überraschender Schönheit. Ihr kräftiger und dennoch schlanker Wuchs war natürlich und keine erzwungene Folge corsettischer Einschnürung. In freundliche Farben, aber einfach gekleidet, trug sie um die Hüften einen Gürtel, an dem ein ledernes Täschchen und ein Bund kleiner Schlüssel hingen; denn Beatas Umsicht und Thätigkeit war der engere Haushalt überlassen. Mit angeborenem Verständnisse und seltenem Scharfblick schaltete sie in ihrem Berufskreise. Was Strenge und Zank über das weibliche Hausgesinde nicht vermocht hätten, das bewirkte Beatas Güte und rücksichtsvolle Mahnung. Die Mägde verehrten und liebten sie und vollzogen frohen Muthes die Aufgaben, um ja nicht das pünktliche Fräulein zu kränken. Und so nahm das vielverzweigte Hauswesen seinen ordnungsmäßigen Lauf, wie es Herr Ottfried wünschte, welcher die vorzüglichen Eigenschaften seiner Ziehtochter würdigte und sie väterlich liebte.

Beata trug einen Brief in der Hand, den sie Edel übergab.

»Ein Brief von Heinrich!« sprach sie.

Walther blickte von der Zeitung auf und las in den feinen Zügen des Mädchens eine eigenthümliche Bewegung, deren Grund und Bedeutung er zu verstehen schien; denn es glitt ein sanftes Lächeln durch sein Mienenspiel.

Während Edel den Umschlag öffnete und den Brief entfaltete, machte Beata eine halbe Bewegung zum Weggehen, obwohl sie gerne geblieben wäre, aus dem für sie höchst anziehenden Schreiben etwas zu erfahren. Aber in ihrer Gemüthserregung fand sie augenblicklich keinen schicklichen Grund zum Dableiben, und that nun den ersten zögernden Schritt nach dem Ausgang. Da kam ihr Walther zu Hilfe.

»Beata, wie steht es im Hühnerhofe? Wie viele Eier haben heute Deine verschiedenen Völker gelegt?«

»Fünf und vierzig.«

»Eine hübsche Zahl! Nicht wahr, Du bist so gütig, mir bei der Köchin für heute Abend einen Eierkuchen zu bestellen? Dazu etwas Kopfsalat, – es geht nichts über solide Nahrung.«

»Darum sind auch Deine Ansprüche an die Küche so erstaunlich,« neckte sie. »Fast könnte man glauben, Du gehörest zum Bunde der Kräuteresser; denn keine Fleischspeisen, nicht einmal Truthahn und Kapaun, finden Deine Beachtung.«

Fast erschrocken hielt sie inne und blickte zu dem Lesenden hinüber, in dessen Hand das Papier knisterte und über dessen Angesicht eine düstere Wolke lagerte.

»Zum genannten Bunde gehöre ich zwar nicht,« versetzte Walther. »Dagegen habe ich einen Bund mit meiner Vernunft geschlossen, dem Gaumen Alles zu versagen, was den Magen kränkt und den Geist beschwert.«

»Beata, bringe den Brief der Mutter!« gebot Edels rauh klingende Stimme.

Eiligen Schrittes entfernte sich die Briefträgerin.

»Darf ich fragen, was Heinrich schreibt?«

»Ueber das alte Thema in allen möglichen Variationen!« antwortete der trübe gestimmte Vater. »Er preist wieder die Hoheit der deutschen Wissenschaft, die allein verdiene, Trägerin moderner Cultur zu sein. Die Studien für seine Promotion seien nahezu vollendet, und der Universitätsprofessor Dr. Uebel, ein Fixstern erster Größe am glänzenden Himmel der Wissenschaft, habe seine Arbeiten wesentlich gefördert. Anfangs August werde er doktoriren und dann uns hier besuchen, – aber nicht allein, sondern mit Dr. Uebel und dessen Tochter, die ein hochgebildetes, liebenswürdiges Fräulein und ihm nicht gleichgültig sei. – Dies ungefähr ist der Inhalt des Briefes.«

Walther blickte schweigend vor sich hin.

»Den Dr. Uebel kennt ja die ganze Welt!« hob Edel wieder an. »Er steht an der Spitze der ungläubigen Richtung und betreibt mit Vorliebe die Vermenschlichung des Affen, oder vielmehr die Verthierung des Menschen. Und dieser Mann leitet die Studien Heinrichs, auf den er augenscheinlich einen bestimmenden Einfluß übt! – – Droht etwa auch mir das herbe Geschick, meinen Sohn als radikalen Freidenker wieder zu sehen, den ich als frommgläubigen Jüngling der Hochschule anvertraute? Es ist schrecklich! – Grollen möchte ich Deiner Mutter; denn sie allein verschuldet dieses wahrscheinliche Unglück!«

Er sprang empor und verließ stürmischen Schrittes den Garten.

Walther blieb unbeweglich sitzen, gedankenvoll in die Ferne schauend. Nicht den Raum, sondern die Zeit schien sein klares Auge zu durchdringen und tiefes Wehe legte sich über das Angesicht des jungen Mannes.

»Ich sehe es kommen, das jammerreiche Wirrsal!« sprach er leise vor sich hin. »Arme Mutter, – unglücklicher Vater, – verlorener Bruder, – beklagenswerthe Beata! – – Sie liebt ihn so innig, und er weiß das nicht einmal. Er schwärmt für eine Professorstochter, deren Kniffe und Künste den unerfahrenen Jungen umgarnten. Wird mir eine hübsche Stadtmamsell sein, – vielleicht gar ein Blaustrumpf! »Ein hochgebildetes Fräulein,« – jawohl, das geistig überlegen herabsieht auf die dumme Gläubigkeit der Bauern vom Edelhofe, und das sich gnädig herabläßt, diese ultramontanen Leute zu besuchen. – – Und Beata, dieses herrliche Mädchen, geistig und körperlich eine Zierde ihres Geschlechtes, hört eben meine freudig erregte Mutter den Brief vorlesen, darin so schreckliche Worte stehen! Für Beatas Gemüthstiefe können die Folgen der Hoffnungslosigkeit furchtbar, selbst tödlich sein. Ich kenne aus tausend Wahrnehmungen die Macht ihrer heimlichen Liebe zu meinem Bruder und würde den Jungen um dieses seltene Kleinod beneiden, hätte mir Gott, der Herr, nicht Augen gegeben, vor denen alle Dinge dieser Erde in ihrer Nichtigkeit und Eitelkeit erscheinen. Trägt ja doch alles irdisch Schöne den Keim des Todes in sich, – was heute blüht, verwelkt morgen, und nur das Ewige hat einen Werth. – – Obwohl nicht erkannt, nicht gewürdigt und bei Seite geschoben, wird Beata meinen Bruder dennoch lieben. Sie wird dulden, in heimlichem Liebesgram sich verzehren; denn

Kein Wasser so tief, kein Feuer so heiß,
Als heimliche Lieb', von der Niemand was weiß!

Und was meiner Mutter bevorsteht, dieser zwar kurzsichtigen aber frommen Seele, – was ihr bevorsteht, durch den Abfall ihres Lieblings vom Höchsten, darüber möchte ich die Augen schließen. – – Doch, nein, die Augen offen, Walther! Thatloses Klagen geziemt nicht dem Manne. Ich sehe das Ungeheuer auftauchen aus der Tiefe und will es bekämpfen. Widerstand will ich leisten den Unholden, welche dieses alte Haus zu überfallen und seinen Frieden zu stören trachten.«

Unternehmend erhob er sich, schob das Taschenbuch ein und schritt nach dem Hause. Als er durch den Garten ging, sah er Beata an einem Fenster stehen, weiß wie eine Lilie.

Beata hatte den Brief Frau Edel überbracht, einer wohlbeleibten, gutmüthigen, aber nervös reizbaren Dame. Ihren Sohn Heinrich zu geachteter und gefeierter Lebensstellung emporsteigen zu sehen, war der sehnlichste Wunsch des eiteln Mutterherzens. Jetzt las sie mit Entzücken den vielverheißenden Brief, und ihre Stimme bebte vor freudiger Erregung. Beata stand neben der Sitzenden, und jedes Wort des Geliebten belauschte sie mit fast athemloser Spannung. Als jedoch das »hochgebildete, liebenswürdige und ihm nicht gleichgültige Fräulein«, zur Sprache kam, »das sich mit ihrem Vater, dem weltberühmten Gelehrten würdige, beim Beginn der Herbstferien im August den Edelhof zu besuchen,« – da öffneten sich weit Beatas Augen, mit dem Ausdrucke eines jähen, unsäglichen Schmerzes. Sie wurde leichenblaß und leises Beben schüttelte ihre Glieder. Sie vernahm kein weiteres Wort der Vorleserin und stand starr, wie eine Bildsäule.

»Welche Freudenbotschaft!« rief Frau Edel, ohne Beatas Veränderung zu bemerken. »Ich wußte es ja, – Heinrichs hohe geistige Anlagen berufen ihn zu einer hervorragenden Stellung. Der berühmte Universitätsprofessor Dr. Uebel schätzt ihn, fördert sein wissenschaftliches Streben und gewiß auch seine Carriere. Noch mehr, – offenbar hat sich zwischen Heinrich und der hochgebildeten Tochter des berühmten Mannes ein zartes, die Ehe einleitendes Verhältniß gebildet; denn er schreibt ja – –«

Während Frau Edel die betreffende Stelle im Briefe suchte, verschwand Beata. Sie durchschritt das nächste Zimmer und blieb im zweiten stehen, in der Haltung eines Menschen, den ein ganz unerwarteter Schlag des Unglücks betäubte. Dann lenkte sie ein unwillkürlicher Drang nach frischer Luft zu dem offenen Fenster, wo sie ihre Geisteskräfte gegen den jähen Sturm ihres Innern zu sammeln strebte. – Walther trat ein. Vor einem Tische ließ er sich nieder.

»Beata, ich habe wieder meine trübe Stunde!« hob er an. »Bitte, besorge mir eine Flasche Hochheimer. Der Schaumwein wirkt immer heilsam und erheiternd auf mein Gemüthsleiden.«

Schweigend verließ sie das Zimmer.

»Mein Gott, welche jähe Entstellung ihres Aeußeren!« sprach Walther besorgt vor sich hin. »Die Rosenblüthen ihrer Wangen verweht, – die strahlenden Lichter ihrer Augen ausgelöscht! Welche Schmerzen mögen dieses Herz zerreißen! – – Jetzt spiele ich die Rolle des barmherzigen Samariters: – gieße das Oel des Trostes in die Wunde, verbinde sie mit Gründen der Vernunft und überlasse die Heilung Beatas sittlich starker Natur.«

Mit einer Flasche und einem Glase auf silbernem Präsentirteller kehrte Beata zurück.

»Aber, Schwesterchen, wo ist das zweite Glas?«

»Ich danke, Walther!«

»Nein, Kind, – ich bitte, verlasse mich nicht in meiner Noth, – sei mein Trinkgenosse!«

Sie kannte Walthers Gemüthsleiden und auch dessen edles Herz, das sich ihr vertrauensvoll zu öffnen pflegte. Ihm zugethan in schwesterlicher Liebe, vollzog sie jetzt ohne Widerspruch dessen Wunsch. Die geheime Absicht des jungen Mannes, ihr selbst in schwerer Stunde einen erheiternden Labetrunk zu bieten, ahnte sie nicht. Der Propfen knallte, die hellgelbe Flüssigkeit füllte schäumend die Gläser. Und er ruhte nicht, bis sie das erste Glas zur Neige getrunken.

»Es ist Regel bei wackeren Trinkgesellen, mit einander gleichen Schritt zu halten,« sprach er. »Bei Jesus Sirach am XXXI. Kapitel heißt es: ›Was für ein Leben hat der, welchem der Wein fehlt? Zur Freude ist der Wein erschaffen. Wonne der Seele und des Herzens ist der Wein, – mäßig getrunken.‹ – Wenn aber Zwei zusammen eine Flasche trinken, so bleiben sie strenge in den Schranken der Mäßigkeit. – Ja, Schwesterchen, – Wonne der Seele und des Herzens ist der Wein! Zur Freude und Tröstung hat ihn Gott erschaffen, – Wahrheiten, die ich oft schon erprobte und auch jetzt wieder bestätigt finde; denn schon beginnen die Geister der Schwermuth zu weichen. – – Darf ich das zweite Gläschen füllen?«

Sie ließ ihn gewähren.

»Will Dir nun auch sagen, Beata, was mich heute einer so traurigen Stimmung überliefert hat,« fuhr er fort. »Da kamen die zwei ehrenwerthesten Männer in Faulheim, nämlich der Großvater im Dreispitz und sein Enkel Ehrlich, um ›die wichtigst' Sach', wie es 'ne wichtigere gar nicht mehr gibt auf Erden,‹ – nach ihrer Versicherung, – dem Vater zu deklariren.«

Ausführlich erzählte er den Vorgang und zwar in so anziehender Form, daß Beata mit Interesse lauschte und die entsetzliche Enthüllung des Briefes flüchtig vergaß. Er bemerkte mit Vergnügen ihre ausschließliche Theilnahme für den Gegenstand, auch die zurückgekehrte Lebensfrische ihres schönen Angesichtes, und freute sich. Zum Schlusse des Berichtes gekommen, machte er plötzlich eine Wendung, um das drohende Unheil mit kluger Berechnung in der Wurzel anzugreifen.

»Das ist ›die größt' und wichtigst' Sach',‹ nach Ansicht der beiden Ehrlich, – und sie haben vollkommen Recht. Wichtigeres und Folgenschwereres kann es ja gar nichts geben auf Erden, als jene Dinge und Fragen, die mit der ewigen Bestimmung des Menschen in unmittelbarer Beziehung stehen. Wäre ich Publicist, oder gar ein gern gelesener Schriftsteller, unablässig würde ich in allen möglichen Formen diese höchsten Angelegenheiten der Mitwelt zum Nachdenken vorlegen und sie für das Höchste zu gewinnen suchen. Was thun jedoch unsere Schriftsteller und Dichter? In Novellen, Romanen und Gedichten reiten sie ohne Ende das Steckenpferd oft sehr anstößiger Liebesgeschichten. Sie verderben den Geschmack durch süßliche Liebesduselei, – sie erregen die Leidenschaften, entkräften den Willen und verflachen den Geist. Wohl bildet die Liebe eine Macht im Menschenleben und zwar eine berechtigte, aber nur jene Liebe, welche der Schöpfer will, – eine wahrhafte, im Geiste des Christenthums wurzelnde Liebe. Neigungen hingegen, lediglich beruhend auf sinnlichem Reiz, nicht auf ethischen Werthen und Vorzügen der Person, sind eitel, hinfällig und gefährlich. Die Tagesgeschichte beweist dies ja. Auf die Flitterwochen folgt Gleichgültigkeit, – dann Zank und Krieg, bis zur Trennung und Scheidung.«

Beata folgte aufmerksam der Rede. Vor sich hinblickend und das Haupt etwas gebeugt, drehte sie beständig das Glas zwischen den Fingern.

»Ich bin überzeugt, Stephan Ehrlich würde keine Fürstin lieben und heirathen, welche in ›der größt' und wichtigst' Sach'‹ ihm feindselig gegenüber träte.«

»Wenn er sie aber geliebt hätte, im Glauben an ihr christlich frommes Herz?« entgegnete Beata, ohne den Blick zu erheben.

»Dann würde er sie meiden, sobald er die Täuschung inne geworden.«

»Ja, – wenn seine Liebe nur Verstandessache gewesen,« warf sie ein. »Aber die Liebe besteht dem Verstande zum Trotze, weil sie nicht in ihm, sondern im Herzen lebt.«

»Ohne Einschränkung muß ich das bestreiten,« versetzte in mildem Ernst der junge Mann. »Ich gebe zu, die zärtliche Neigung lebt im Herzen, – gut! Wie kann aber das reine Herz eine Person lieben, welche ihm der Verstand als sittlich häßliche und lasterhafte bezeichnet? Nimmermehr! Geschähe es dennoch, dann wäre das Herz nicht mehr rein, nicht mehr von Abscheu gegen das Böse und Gottentfremdete erfüllt. Nehmen wir einen bestimmten Fall. Angenommen, ich liebe ein Mädchen, – meinethalben sogar leidenschaftlich, weil es körperlich schön und geistig ohne Tadel. Später wird mir die entsetzliche Wahrnehmung, daß meine Geliebte religiös ungläubig, durch ihre Läugnung Gottes und aller geoffenbarten Wahrheiten von mir geschieden ist. Ich mache ihr Vorstellungen und versuche, für meinen Standpunkt sie zu gewinnen. Vergebens. Hartnäckig beharrt sie im modernen Heidenthum. – Was muß ich nun thun?«

»Ihr entsagen, – das ist keine Frage!« antwortete sie ernst. »Lieben wirst Du sie aber dennoch.«

»Vorläufig, – ja! Bis mit Gottes Hilfe mir gelang, eine verkehrte oder zum Verkehrten hingerichtete Neigung auszurotten. Bedeutende Mühe dürfte dies wohl kosten, und ohne Herzwehe ging die Sache nicht ab. Arge Verblendung wäre es aber und schwere Pflichtverletzung, den Kampf nicht durchzuführen, meine Freiheit nicht zu erringen einer Person gegenüber, die meiner Liebe unwürdig und meiner Seele höchst gefährlich wäre. – – Oder nicht, Beata?« frug er, als sie schweigend niedersah.

»Doch, mein Bruder! Dein Verfahren wäre das einzig richtige,« antwortete sie und zwar mit einem solchen Maße von Ernst und Selbstüberwindung, als gelte ihr selbst der Spruch.

Die Thüre öffnete sich. Frau Edel trat ein, den Brief in der Hand und hohe Freude im Gesichte.

»Hast Du Heinrichs Brief schon gelesen, Walther?«

»Nein!«

»Nimm und lies, – ein sehr viel verheißendes Schreiben! – – Du zeigst wenig Interesse für Heinrich,« wandte sich die Dame an Beata. »Ich wollte über die frohen Nachrichten mit Dir sprechen, warst jedoch plötzlich verschwunden.«

»Du hattest die Freundlichkeit, den Brief mir vorzulesen, gute Mutter, – und ich hörte zu bis an's Ende.«

»Dies wohl! Hat man jedoch Interesse, so fühlt man das Bedürfniß, über die Sache eingehend zu sprechen.«

»Das nennst Du ein sehr viel verheißendes Schreiben, liebe Mutter?« sagte Walther, den gelesenen Brief zurückgebend. »Ich finde das Gegentheil, – nämlich die Möglichkeit düsterer Aussichten und drohenden Unheiles.«

Sie blickte ihren Sohn verwundert an.

»Ich verstehe Dich nicht, Walther!«

»Aus meines Bruders Schreiben geht hervor, daß er in nahen Beziehungen zu Professor Dr. Uebel steht, den Rathschlägen dieses Mannes folgt, sogar von dessen Tochter in der schmeichelhaftesten Weise spricht, – in einer Weise, die ein beginnendes engeres Verhältniß vermuthen läßt.«

»Das ist es ja gerade, was uns mit Stolz erfüllen muß, was zu den größten Hoffnungen berechtigt!« rief triumphirend Frau Edel.

»Du übersiehst einen sehr bedenklichen Umstand, liebe Mutter, – nämlich des Professors ausgesprochenen Unglauben, seine rastlose Feindseligkeit gegen die Religion. Dr. Uebel marschirt an der Spitze jener Richtung, welche Gottes Persönlichkeit leugnet, die Kirche heftig befehdet, und an die Stelle der bildenden und erziehenden Macht der Religion die Wissenschaft setzen möchte. Und weil dieser Geist des Unglaubens herrscht in den Hörsälen, darum verlieren viele, man darf beinahe sagen, die meisten jungen Männer den religiösen Glauben an den Universitäten.«

Unruhe beschlich Frau Edel bei diesen Worten. Sie war eine strenggläubige Katholikin und wußte die entscheidende Bedeutung der Religion für Zeit und Ewigkeit sehr wohl zu würdigen.

»Für Heinrich besteht keine Gefahr,« sagte sie. »Er ist christlich erzogen, war immer ein gutes, frommes Kind und wird mit Abscheu jede Versuchung zum Unglauben abweisen.«

»Genau dasselbe konnte manche Mutter von ihrem Sohne sagen, den sie frommgläubig auf die Universität schickte und später als Freigeist wieder sah.«

»Heinrich ein Freigeist? Schäme Dich, Walther! Du sollst von Deinem Bruder nicht das Aergste denken, – nicht einmal die Möglichkeit dazu annehmen. Auch Du hast drei Jahre lang die Universität besucht, ohne am Glauben Schaden zu leiden.«

»Weil für mich ganz andere Vorbedingungen und Verhältnisse bestanden. Acht Jahre hindurch studierte ich bei den Jesuiten in Feldkirch, bin also Jesuitenzögling, durch die gelehrten Väter wohl ausgerüstet, alle Angriffe des ungläubigen Zeitgeistes abzuwehren. Zur gemeinten Ausrüstung gehörte, neben dem Schwerte wissenschaftlicher Klarheit, auch der Schild des Gebetes. Täglich betete ich auf der Universität gar inbrünstig: »Erlöse uns von dem Uebel!« So blieb ich bewahrt vor jeder näheren Berührung mit dem Professor Uebel. Heinrich aber ist des Uebels Hausgenosse, steht sogar unter Leitung und Protektion des Uebels, – und das ist sehr gefährlich.«

»Wie seltsam Du sprichst!« entgegnete mit erzwungenem Lächeln die Mutter. »Dr. Uebel ist ein hochberühmter Mann, nicht aber das Uebel im Vaterunser.«

»Doch, Mutter, doch! Du kennst diese Rasse nicht. Hast von Bosheit und Gotteshaß dieser Jugendverführer keine Ahnung. Ich will Dich einen Blick in ihr satanisches Wesen thun lassen,« fuhr er fort, sein Taschenbuch hervorziehend. »Hier ist ein Preislied an den Satan, – gedichtet von dem Gesinnungsgenossen und Amtscollegen Uebels, nämlich von dem Professor Carducci. Höre einmal!«

Und er las aus dem Taschenbuche:

»Ein Sturmwind, zieht er
Heran mit Getose.
Er ist's, ihr Völker,
Satan, der Große

Heilspendend läßt er
Einher sich tragen
Auf ungezügeltem,
Feurigem Wagen

Heil Dir, o Satan,
Und Deiner Zunft,
Siegreiche, rächende
Macht der Vernunft!

Dankopfernd sei Dir
Der Weihrauch geschwungen;
Du hast den Jehova
Der Priester bezwungen!«

»Das ist ja entsetzlich!« rief die erbleichende Mutter.

»Ja, entsetzlich und verderblich sind die Lehren und der Umgang mit Verehrern des Satans!« sprach sehr ernst der junge Mann.

Die runden, weißen Hände der Dame lagen gefaltet und leise bebend auf dem Tische, während sich Schrecken in ihren Zügen malte.

»Mein Gott, mit solchen Männern verkehrt Heinrich? Sie rühmt er und nennt sie Freunde? Welche Gefahren! Heinrichs Abfall vom Glauben wäre mein Tod; denn ich hätte ihn ursprünglich verschuldet.«

»Den Abfall müssen wir verhüten, liebe Mutter! Aus diesem Grunde war ich verpflichtet, die Gefahr Dir zu zeigen. Niemand vermag wirkungsvoller dem möglichen Verderben zu wehren, als Du. Heinrich liebt Dich eben so innig, wie Du ihn. Die Vorstellungen, Bitten und Mahnungen der Mutter werden auf ihn die tiefsten Eindrücke hervorbringen. Also schreibe an ihn einen Brief, wie das geängstigte Mutterherz ihn diktirt.«

Thränen rollten über ihre Wangen.

»Mein armes, gefährdetes Kind!« schluchzte sie. »Ja, – ich will ihm schreiben, – – sogleich will ich ihm schreiben!«

Sie erhob sich und verließ in großer Unruhe das Zimmer.

Beata war dem Gegenstande mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Jetzt richtete sie den sorgenvollen Blick auf Walther.

»Hältst Du Heinrichs religiösen Standpunkt für ernstlich gefährdet?«

»Mehr, als ich der Mutter zu gestehen wagte. Die innigen Beziehungen zur Familie Uebel lassen das Schlimmste befürchten, – ebenso der Ehrgeiz meines Bruders, außerordentlicher Professor an der philosophischen Fakultät zu werden. Das Professorencollegium dieser Fakultät erklärte wiederholt, einen religiös gläubigen Lehrer, der unter dem Zwange des Dogmas stehe und darum der freien Wissenschaft nicht angehören könnte, in ihren Kreis niemals aufzunehmen. Trotzdem findet mein Bruder eine solche Stellung für sich geeignet, – also! – – Erschrick nicht und blicke nicht so trostlos, Beata! Wir haben noch keinen Abtrünnigen zu beweinen! Freilich, die Zeiten sind verkehrt, und die Gottesfurcht ist nicht der Anfang neudeutscher Weisheit. Was jedoch geschehen möge, wir bleiben im altdeutschen Hause des christlichen Glaubens, – nicht wahr, Beata?«

»Ja, Walther! Gott und dem Väterglauben treu bis in den Tod!« antwortete sie mit bewegter Stimme.



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