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Herr Ottfried besuchte heute jenen Theil seiner Güter, die von der westlich hinziehenden Landstraße durchschnitten wurden. Tauchte in der Ferne ein daherfahrender Wagen auf, so betrachtete er ihn genau, bis er sich überzeugt, daß es nicht der Wagen des Käsehändlers Oswald sei. Die Sorge um die Angelegenheit seines Neffen beschäftigte ihn so lebhaft, daß er sogar den viel verheißenden Stand der Saatfelder übersah, und fast beständig in die Ferne spähte.
Endlich erschien der längst erwartete, mit einem Tuche bedeckte und leicht kenntliche Wagen Oswalds, von einem ungewöhnlich starken und sauber gehaltenen Pferde gezogen. Allerlei Schmuck zierte das hoch emporstehende Kummet, blankgeputzte Messingringe und Plättchen. Vor der Brust des Pferdes hing sogar eine Sonne mit blitzenden Strahlen und über derselben ein klingendes Glöcklein. Oswald schritt neben dem Rosse her, ein vollendeter, wetterharter Fuhrmann. Seine gedrungene, breitschulterige Gestalt kleidete eine blaue Blouse, an Halsöffnung und Brust mit allerlei Schnörkelwerk in schreiend rother Stickerei geziert. Die Stiefel reichten bis über die Kniee und ihr schwerer Tritt begleitete das Klingen des Glöckleins. Auf dem Kopfe saß ein brauner Filzhut, unter dem ein breites Gesicht hervorsah, umrahmt von einem rothen Vollbart. Achtungsvoll grüßte er jetzt Herrn Ottfried und hielt, auf dessen Wink, mit seinem Wagen zur Stelle.
»Ihre Anna hat mir vorgestern schon gesagt, daß Sie heute kommen. Wie steht es mit dem Käsehandel?«
»Danke der Nachfrage, Herr Edel, – ziemlich gut!« antwortete eine rauhe Stimme. »Hab' wieder ein hübsches Stück Geld verdient.«
»Ich hätte in einer wichtigen Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, Oswald! Wollen Sie die Gefälligkeit haben, zu mir auf den Hof zu kommen?«
»Warum nicht? Recht gern, Herr Edel! Wann soll's sein?«
»Gut, – in einer Stunde bin ich auf dem Edelhof!«
Er zog den Hut und fuhr weiter, nicht wenig überrascht über das Ersuchen des reichsten Mannes im Lande. Die Neugierde trieb ihn auf den Wagensitz, und in raschem Trabe fuhr er nach Faulheim.
Edel beugte von der Landstraße ab und ging aus einem kürzeren Pfade nach Hause. Im Gange des Erdgeschosses, der zu den Vorrathskammern führte, begegnete ihm die geschäftige Beata.
»Wie geht es, mein Kind?«
»Gut, Vater!« entgegnete sie, den Ernst ihres schönen Angesichtes durch ein Lächeln verscheuchend.
»Sind die Knechte aus dem Grünthal schon zurück?«
»Noch nicht. Sie fuhren mit zehn Pflügen aus, – die Arbeit scheint bedeutend zu sein.«
»Das ist sie, – zwölf Tagwerke für Tabak sind dort zu stürzen und zu eggen. – Giebt, es im Gebiete des Schweizers keine Neuigkeit?«
»Ja, – es ist glücklich überstanden. Die beiden Kühe kamen ohne Schaden davon. Alt und Jung sind vergnügt.«
Die Kunde trieb den besorgten Hausherrn nach den Stallungen, wo einige vierzig prachtvolle Milchkühe einen nothwendigen Bestand des ausgedehnten Grundbesitzes bildeten. Nachdem er sich von dem pünktlichen Vollzuge aller Maßregeln in solchen Fällen überzeugt, durchschritt er prüfenden Blickes jene Ställe, wo Ochsen, Rinder und Mastvieh in langen Reihen standen. Darauf kehrte er in das Haus zurück und gebot seinem Kammerdiener, Oswald bei dessen Erscheinen in das östliche Erkerzimmer zu führen. Dann betrat er ein großes, helles Gemach, wo er seine Gattin mit zwei Büglerinnen bei blüthenweißer Wasche thätig wußte, sprach einige liebevolle Worte zu ihr und ging nach dem Erkerzimmer. Dieses lag am östlichen Ende des Hauses, war mit zierlich geschnitztem und eingelegtem Hausrath längst vergangener Jahrhunderte bestellt und wurde selten von den Familiengliedern betreten. Als er durch die runden, in Blei gefaßten Fensterscheiben nach dem Dorfe hinüberspähte, sah er Oswald mit großen Schritten herankommen. Er hatte seinen besten Staat für den Besuch angelegt, Gesicht und Hände sauber gewaschen, vom Staube Haupthaar und Bart gereinigt, und letzteren mit dem Kamme dermaßen bearbeitet, daß der Feuerrothe wie Flammen um das Gesicht schlug. Freundlich empfing ihn Herr Ottfried.
»Sie waren schnell, Oswald, – ich danke Ihnen! Sprechen wir kurzweg von einer Sache, welche das Glück Ihrer Tochter und auch Ihr Glück, weniger das zeitliche, als das ewige betrifft. Mein Neffe Friedrich ist nämlich gesonnen, Ihre Tochter zu heirathen.«
Der Eindruck der letzten Worte auf Oswald war ungeheuer. Er starrte aus weitgeöffneten Augen den Gutsherrn an, während seine derben Züge eine fast wilde Freude ausdrückten.
»Herr Edel, – ist's möglich?« stieß er hervor.
»Wie ich sagte!« versetzte ruhig der Onkel. »Meinerseits habe ich gegen diese Wahl meines Neffen nichts einzuwenden, – im Gegentheil, ich wünsche sie; denn Annas vorzügliche Eigenschaften werden Fritz die Wahl niemals bereuen lassen. Außerdem lieben sich Beide innig und wahr, Beide sind christlich gesinnt und tüchtig, somit alle Bedingungen für ein glückliches Eheleben vorhanden.«
»Ah, – jetzt versteh' ich's, – jetzt begreif' ich's!« rief der von Vaterglück fast trunkene Oswald. »Als ich daheim sagte, ich müsse zu Ihnen, Sie hätten in einer wichtigen Sach' mit mir zu reden, – da wurde Anna wie von Sinnen. Bald wurde sie weiß, bald roth und that Alles verkehrt. Sie brachte es nicht einmal fertig, meine Festtagskleider zurecht zu legen.«
»Diese Verwirrung entsprang wohl Annas tödtlicher Angst um ihr bedrohtes Lebensglück,« entgegnete Edel. »Es besteht nämlich ein sehr ernstes Hinderniß, – die uneheliche Geburt Ihrer Tochter.«
Bei dieser plötzlichen Wendung sah Oswald betroffen zu Boden, räusperte sich und rückte in peinlicher Verlegenheit auf dem Sitze.
»Wir müssen von dieser Sache sprechen, Oswald! Ich bitte, meine Worte nicht als Kränkung, sondern als Ausdruck wohlwollender Gesinnung aufzufassen.«
»Reden Sie nur, Herr Edel, – ich nehme es Ihnen nicht übel!« sagte der Mann, ohne den Blick zu erheben.
»Sie werden begreifen,« fuhr Edel fort, »daß ein Glied meiner Familie eine solche Verbindung nicht eingehen kann. Glücklicherweise giebt es jedoch einen Ausweg, nämlich Ihre kirchliche Trauung mit Annas Mutter, wodurch alle Ihre Kinder legitimirt würden. Es fragt sich nun, ob Sie mit dieser nachträglichen Copulation einverstanden sind?«
Herr Ottfried schwieg und harrte einer Antwort, jedoch vergebens. Mit Oswald war eine rasche Veränderung vorgegangen. Er saß unbeweglich, starrte vor sich hin und seine Züge wurden trotzig. Dann bedeckte Zornesgluth sein Gesicht, die blauen Augen fingen zu blitzen an und seine plumpen Hände zogen sich in dicke Fäuste zusammen.
»Herr Edel, – Sie sollen von mir nicht schlecht denken!« hob er nach einer Weile an. »Ich will Ihnen Alles erzählen, wie das gekommen ist, – weßhalb ich nicht getraut bin und nicht getraut werden kann. – – Vor fünf und zwanzig Jahren war ich Soldat und wurde mit Laufzettel heimgeschickt, wegen eines geringen Vergehens. Beim Militär sind eben geringe Vergehen manchmal Verbrechen, – und umgekehrt. Wenn zwei Civilisten mit einander Händel kriegen und der Eine schlägt den Anderen todt, so ist er dem Gesetz verfallen und muß büßen. Wenn aber zwei Offiziere Händel kriegen, und der Eine sticht den Anderen im Zweikampf todt, so hält man ihn für einen rechten Mann, der seine Ehre gewahrt hat. Darum geschieht ihm auch wenig, oder nichts, – höchstens geht er für das Todtstechen einige Monate auf den Festungswällen spazieren. So ist's beim Militär. – Mit Schimpf und Laufzettel wurde ich also fortgejagt. Wie ich nun heimkam und meine Bekanntschaft heirathen will, da sagte der Bürgermeister: »Das geht nicht! Es ist ein Rescript vom Amt gegen Dich eingelaufen. Du bist beim Militär bestraft und ich darf Dich nicht copuliren, – ich darf den Civilakt nicht machen.« – Darauf ging ich zum Pfarrer; der sagte: »Ich darf nicht copuliren ohne Civilakt des Bürgermeisters. Thue ich es dennoch dann werde ich eingesteckt und mit Geld hart gestraft.« – Sie können sich meine Lage denken, Herr Edel! Mir war ganz gruselich zu Muth. Wohl zehnmal war ich beim Pfarrer und Bürgermeister, ich bat und jammerte, daß sich ein Stein hätte erbarmen mögen, – es half Alles nichts. Ich ließ Eingaben an das Amt, sogar an die Regierung schreiben, – Alles umsonst. Ich machte mir allerlei Gedanken und glaubte, es geschehe mir das größte Unrecht. Es wollte mir gar nicht in den Sinn, daß man einen Menschen verhindern könne, zu heirathen und rechtschaffen mit dem angetrauten Weibe zu leben, wie ein Christ. Es war aber doch so. Da sagte ein Mann zu mir: ›Narr, was hetzest Du Dich ab, – Du kriegst die Erlaubniß doch nicht! Kannst Du den Civilakt des Bürgermeisters und den Segen des Pfarrers nicht haben, dann brauchst Du beide nicht. Kannst Du Deine Sanne nicht als Frau kriegen, so nimm sie als Magd. Setze Dich mit ihr zusammen und Hause, – Du wirst sehen, es geht ganz gut. Andere machen's ebenso.‹ – Verzweifelt und verbost, wie ich war, that ich, wie der Mann sagte. Anfänglich gab's im Dorf' ein Gered' und Lachen, das ging jedoch bald vorüber. – – Meine Sanne war jedoch nicht zufrieden mit dem Zustand, und ich auch nicht. – – Nach etwa zehn Jahren starb der alte Bürgermeister und ich hoffte, der neue werde den Akt machen. Ich ging also zu ihm mit meinem Anliegen. Der aber sagte: ›Was mein Vorgänger im Amt' nicht thun durfte, das darf ich auch nicht. Wozu auch? Ihr lebt seit vielen Jahren zusammen und kein Mensch denkt mehr daran. Darum laßt's beim Alten und macht kein Geschrei.‹ – Ich dachte: Der Bürgermeister hat Recht und ich kann's nicht ändern. – – So vergingen wieder einige Jahre. Meine Sanne hatte großes Herzeleid. Sie klagte mir beständig und weinte oft, leben zu müssen, wie es vor Gott nicht erlaubt ist. Ich tröstete sie zwar und sagte, wir hätten ja den besten Willen, uns copuliren zu lassen, hätten auch alle Mühe angewendet, getraut zu werden, – es gehe aber nicht. Und weil ich das Elend und den Jammer meiner Sanne nicht sehen kann, darum bin ich selten zu Hause und fahre beständig mit meinen Käsen in der Welt herum. Viel lieber blieb ich daheim bei Weib und Kindern, und bauete meine Aecker. Doch, wie gesagt, ich kann die Klagen meiner armen Sanne nicht hören und ihre Thränen brennen mir auf der Seele.«
Er hielt inne und wischte an den Augen. – Mit inniger Theilnahme betrachtete Edel den erschütterten Mann.
»Aber es kam noch ärger, – ich sollte ganz und gar verderben,« hob Oswald wieder an. »Ein Advokat sagte mir, zur kirchlichen Trauung bedürfte es weiter nichts, als die Erklärung vor dem Ortspfarrer, in Gegenwart von zwei Zeugen, daß wir Eheleute seien. Der Pfarrer habe dabei gar nichts weiter zu thun. – Nun, dachte ich, das wird der Pfarrer doch gestatten können, und ging vor etwa sechs Jahren zum gegenwärtigen Pfarrer Streber. Kaum hatte ich mein Anliegen vorgebracht, als er mit beiden Händen abwehrte. Dabei redete er viel gelehrtes Zeug und lateinische Brocken, von denen ich nichts verstand. Kurz und gut, er sagte, das könne nicht sein, er käme in Strafe. Ich dachte an meine unglückliche Sanne und sagte: – Ja, Herr Pfarrer, liegt Ihnen denn gar nichts daran, wenn zwei arme Seelen zu Grunde gehen? Ich meine, Sie könnten doch wenigstens die Erklärung anhören, – Sie thun ja gar nichts, was strafbar wäre. ›Das verstehen Sie nicht!‹ rief er. ›Schon das Anhören ist strafwürdig. Wenn der Bürgermeister den Akt nicht machen will, so kann ich nicht helfen.‹ – – Erbittert ging ich fort und dachte: ein hübscher Seelsorger! Wenn man ewig verdammt wird, so bedeutet dies wenig, wenn nur das Gesetz beobachtet wird. Und weil ich gerade nicht auf den Kopf gefallen bin und in der Welt Manches gesehen und erfahren hab', darum dachte ich weiter und kam schließlich auf den Einfall, daß es überhaupt mit der Religion nichts ist. Die Pfarrer sind nicht von Gott angestellt, um die Leute nach dem Evangelium zu führen und die Gebote Gottes in's Werk zu setzen, – nein, die Pfarrer sind nur Staatsbeamte in schwarzen Kleidern, – weiter nichts. In der Schrift heißt es freilich: der gute Hirt läßt sein Leben für seine Schafe, – aber dies gilt heute nicht mehr. Wir haben keine guten Hirten, die sich vor dem Wolfe nicht fürchten, sondern nur geistliche Beamten, die thun, was im Gesetz steht, nicht aber was die Bibel vorschreibt. – Solche Gedanken gingen mir im Kopf herum, wenn ich auf der Landstraße dahin fuhr, und zuletzt glaubte ich gar nichts mehr von Religion. Ich wußte ja aus eigener Erfahrung, daß die Geistlichen selber nicht an das glauben können, was sie predigen, sonst müßten sie Gott mehr gehorchen, der befiehlt, die Seelen zu retten, sogar mit Lebensgefahr zu retten, als den Gesetzen des Staates, welche verbieten, die Sakramente auszuspenden. Solcherlei dachte, ich, und daraus können Sie sehen, wie man verdirbt. – – Mein Unglaube hilft zwar mir selbst über Manches hinweg, nicht aber meiner Sanne, die immer weniger wird und sich gar zu Tode härmt. Sie ist nur noch ein Schatten und kann nicht lange mehr leben. Immer klagt sie: ›Wenn ich nur einmal noch beichten und das Abendmahl empfangen könnt'! Ach Gott, muß ich denn ewig verdammt werden!‹ – Was ich durchzumachen habe, Herr Edel, kann ich Ihnen gar nicht beschreiben! Bliebe ich daheim und sähe den Jammer, ich käme geradeso herunter, wie meine arme Sanne.«
Er schwieg, und dermaßen hatte die Schilderung den Mann ergriffen, daß alle Lebensfrische aus seinem Gesichte geschwunden war.
»Das ist ein trauriges Geschick und das Schlimmste von Allem, Ihr Abfall vom Glauben,« sagte Edel. »Allerdings giebt es leider Geistliche, die ihre Pflichten nicht erfüllen, aber diese dürfen uns im religiösen Glauben ebensowenig irre machen, als der Verräther Judas Iskariot. Die guten, die heiligen Priester seien unsere Vorbilder, nicht die schlechten. Ein so verständiger Mann, wie Sie, sollte dies wohl einsehen.«
»Ich sehe es auch ein«, gestand er. »Nichtsnutzige Staatspfaffen, die nur auf einträgliche Stellen spekuliren und darum der Regierung gefallen und dienen wollen, können ja von der Heiligkeit der Religion nichts hinwegnehmen. Das leuchtet mir Alles ein. Im Grunde ist mein Unglaube auch nicht so ernst gemeint, sondern mehr ein Nothbehelf, eine Abwehr gegen die Gewissensvorwürfe. Wer die Hölle fürchten muß, der sträubt sich, an dieselbe zu glauben.«
»Fassen Sie Muth, Oswald! Mit Gottes Hilfe wird noch Alles einen glücklichen Verlauf nehmen. – Wären Sie also bereit, sich kirchlich trauen zu lassen?«
»Von Herzen gern, – aber Sie hörten ja, ich konnte mit aller Mühe nicht dazu kommen.«
»Ueberlassen Sie das mir! Schweigen Sie vorläufig über die Sache und warten zu Hause den Erfolg meiner Bemühungen ab.«
»Ich verspreche Ihnen Alles, Herr Edel! Setzen Sie die Sache durch, dann bin ich ein glücklicher Mensch. Ich stelle meinen Handel ein und bleibe für immer daheim.«
Mit einem warmen Händedruck entließ Herr Ottfried den Unglücklichen.
Kaum hatte sich Oswald entfernt, als Walther im Erkerzimmer erschien, zu nicht geringer Ueberraschung seines Vaters. An die verschlossene Art des Sohnes gewöhnt, der für nichts Theilnahme zeigte, nur in seinen Ideenkreisen lebte, zuweilen gestellte Fragen nicht einmal beantwortete, – gewahrte jetzt Herr Ottfried mit freudigem Staunen Walthers völlig verändertes Wesen und reges Interesse. Seit Ehrlichs Klage über Schofels Verwüstungen unter den Kindern und Heinrichs letztem Briefe, schien über den jungen Mann ein anderer Geist gekommen zu sein, ein Geist, der ihn aus dumpfem Hinbrüten aufrüttelte und zum Handeln spornte.
»Nun, Vater, was sagt Oswald? Will er sich trauen lassen?«
»Friedrich vertraute mir gestern Abend seine brennende Herzensangelegenheit. Ich verwunderte mich dabei über die Macht der Liebe, welche blind macht für häßliche Dinge, die zwar nicht der Geliebten ankleben, wohl aber in deren Nähe liegen.«
»Die Wahl Deines Vetters findet meine Billigung; denn Anna ist ein ganz ausgezeichnetes Mädchen und ihr Vater lange nicht der Sünder, für den man ihn halten könnte. Unbegreifliche Gesetze und hartes Verfahren haben den Mann in das Unglück hineingetrieben.«
Herr Ottfried wiederholte Oswalds Erzählung. Walther wurde hiebei immer erregter und jetzt brannte heller Zorn in seinen Augen.
»Da sieht man wieder die Teufelskrallen eines gottentfremdeten Elementes innerhalb der Kirche!« rief er entrüstet, nachdem Edel zum Schlusse gekommen. »Das Gesetz verbietet die eheliche Verbindung, kann es aber nicht hindern, daß die Leute in unsittlichen Verhältnissen zusammen leben. Der altdeutsche Staat verfuhr umgekehrt: – er förderte die seelsorgliche Wirksamkeit der Kirche und stellte die Sittenlosen an den Pranger. Christus herrschte und waltete im altdeutschen Reiche, und darum blühte es und bestand tausend Jahre, – ein Schauspiel großartiger Entwickelung für die ganze Weltgeschichte. Der neudeutsche Geist hingegen tritt überall hemmend der Kirche in den Weg, bindet bei jedem Schritte ihre Wirksamkeit, knechtet ihre Freiheit und fesselt ihre Thätigkeit, – er züchtet ein schaales, pflichtvergessenes Staatspfaffenthum, verhindert sogar die Ausspendung der heiligen Sakramente. Himmelschreiend und verderblich ist das! Gott wird diese Unterdrückung und Verstaatlichung seiner Kirche nicht hinnehmen!«
Der Vater lauschte mit staunendem Entzücken. War dies Walther, der verschlossene, für Alles apathische Walther?
»Ernst und folgenschwer ist der entbrannte Kampf!« rief der junge Mann. »Wer Hände hat, darf sie nicht müßig in den Schooß legen, – einstehen muß er für Recht und Wahrheit und Gewissensfreiheit!«
»Ganz Deiner Ansicht, Walther! Ich werde all' mein Können aufbieten, zur Beseitigung der Hindernisse, welche dem Glücke Deines Vetters entgegen stehen.«
»Blos darum handelt es sich hier nicht, Vater! Oswald hat Dir geschildert, wie man verdirbt, – Ehrlichs Vorstellungen haben gezeigt, wie eine ganze Gemeinde zu Grunde geht. Du aber hast wenig Theilnahme bewiesen für die erschütternden Klagen eines Vaters, der seine Kinder von einem Elenden nicht verderben lassen will, – Du hast den hilflosen Mann einfach an den Amtmann gewiesen.«
»Du weißt, ich mische mich niemals in Gemeindeangelegenheiten,« versetzte Herr Ottfried.
»Warum nicht? Weil jene lange Reihe dürrer Nußbäume Dich stets an erlittene Kränkungen erinnert. Dieser hartnäckige Groll ist ebenso unvereinbar mit christlicher Gesinnung, wie mit Deinem edlen Charakter. Ich weiß, wie sehr Du leidest in diesen Banden der Unversöhnlichkeit. Laß die Bäume ausgraben, und reiße mit ihnen die letzte Wurzel des Grolles aus Deinem Herzen. Hätte Deine starke Hand leitend eingegriffen in Faulheim, die Gemeinde wäre materiell nicht ruinirt und sittlich in den Abgrund gesunken. Und nicht auf jenes Dorf hätte sich Deine Wirksamkeit beschränken sollen, sie hätte sich erstrecken müssen auf die Angelegenheiten des ganzen Landes. Ein Sitz in der Ständekammer hängt nur von Deinem Willen ab. In Zeiten schwerer Kämpfe um die höchsten Interessen darf Niemand müßig auf dem Markte stehen, der zum Handeln berufen ist.«
»Ei, Walther, woher dieses plötzliche Erwachen, – diese Begeisterung für den Lauf der Dinge? In sechs Jahren habe ich aus Deinem Munde nicht so geharnischte Worte vernommen, wie eben jetzt. Dein freudig überraschter Vater dankt Dir von ganzem Herzen für die unbestreitbaren Wahrheiten.«
»Verzeihung, lieber Vater, wenn Unmuth zu weit mich fortgerissen und die Schranken kindlicher Ehrfurcht überschritten hat!« bat weich und demüthig der Sohn.
»Ich habe Dir gar nichts zu verzeihen, mein guter Junge! Im Gegentheil, ich danke für Deinen wohlmeinenden, ächt christlicher Gesinnung und kindlicher Liebe entsprungenen Freimuth. Wahr, – ich ließ den Dingen ihren Lauf. Thatlos stehe ich bei Seite, obwohl ringsum die Waffen laut zusammen schlagen. Andringenden Feinden nicht widerstehen, die heiligsten Güter ihnen zur Vernichtung preisgeben, – das ist schwere Pflichtverletzung, die kein streitbarer Mann vor Gott verantworten kann. Ich bekenne mich schuldig und bin sehr beschämt, in Folge persönlicher Empfindlichkeit ein Pflichtvergessener geworden zu sein. Dies wird und muß sich ändern, – obwohl es sehr schwer fällt, einen Stachel auszureißen, der seit zwanzig Jahren fest sitzt, – unendlich schwer, seine Feinde zu lieben durch die That. Mit Gottes Beistand wird es gelingen. – – Vorläufig beschäftigt uns Friedrichs und Oswalds Angelegenheit. Jedenfalls dürfte zunächst Pfarrer Streber in der Sache anzugehen sein.«
Beide erwogen und beriethen. Das Ergebniß war, daß am folgenden Tage Friedrich den Ortspfarrer um die Trauung Oswalds ersuche.