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Epistel an meinen Freund Pezzl,

von Gastein im Salzburgischen.

O Freund, dem ich dies Blatt aus einer Gegend schicke,
Die zwanzigmal dem Himmel näher ist,
Als ach! der Menschenpfuhl, worin ich dich erblicke,
O höre doch, wenn du nicht ganz gehörlos bist,
Die Stimme, die aus dieser Wüste
Dir zuruft: Wenn du auch im Schlamm der Lüste
Der Wienerwelt versenkt, und reif zur Hölle bist,
So zieh' hieher und werd' ein frommer Christ!
O glaube mir, auf keinem Fleck auf Erden
Ist es so leicht, ein Heiliger zu werden,
Als hier; es sterben hier in diesem Grab
Die Sünden uns, nicht wir den Sünden ab,
So leicht, als ob sie nie gelebet hätten;
Dies machte die Anachoreten
Der Vorzeit einst so heilig, daß
Der Fliegen, der Heuschrecken fraß,
Und jener gar mit seinem heil'gen Hintern
In einem Ameishaufen saß,
Um d'rin andächtiglich zu überwintern,
Kurz, was du siehst und hörst in dieser Einsamkeit,
Ist lauter Stoff – zur Seligkeit!

Wir wohnen hier an einer Felsenwand,
Die hinter uns empor zum Himmel steiget,
Und vorn uns einen Abgrund zeiget,
Der, weil ihn rund herum ein schwarz Gebirg umschließt,
Ganz ähnlich einem Kessel ist.
In diesen Kessel gießen die Najaden –
Sonst Wäschernymphen von Gastein –
Ihr heiß und rauchend Wasser stets hinein,
Um gastfrei hier die Fremdlinge zu baden.
Noch reißt durch diesen Kessel, fürchterlich,
Ein ungeheurer großer Waldstrom sich,
Der schäumend über gräßliche Kaskaden
Durch die von ihm gespaltne Felsenwand
Wildbrausend selbst sich einen Weg gebahnt,
Und hier im Kampf mit großen Felsendämmen,
Die seinem Laufe sich entgegenstemmen,
Stets himmelan sein schäumend Wasser treibt,
Das Auge netzt und das Gehör betäubt.
Und doch bei allem diesem hätte
Man diesen Wasserfall zu Wien
In eurer schönen Welt, ich wette,
Daß mancher Große da für ihn
Ein halbes Milliönchen böte.

Ein Dutzend kleiner Bauernhütten
Sind rund herum an Felsen angeklebt,
Als schwebten sie in Luft, und mitten
Auf einem breiten Felsen hebt
Ein Haus, das einer Scheune ähnlich sähe,
Wär's nicht mit Steinen zugedeckt,
Sein hölzern Haupt stolzirend in die Höhe,
Das sammt dem Felsen, der es trägt,
Beim Wasserfall sich stets bewegt,
Und allen, die darinnen wohnen,
Die nichtige Vergänglichkeit der Welt
Nachdrücklich stets vor Augen hält.
O Freund, was für ein weites Feld
Zu schönen Meditationen!

Das Haus von innen, tritt mit dir nun fein
Zugleich ein Ochs und Eselein hinein,
Gleicht auf ein Haar dem heil'gen Stalle
Zu Bethlehem, die Fenster alle.
Mit Scheiben wie ein Thaler klein,
Steh'n mit dem Wind Jahr aus Jahr ein,
Dein Anseh'n nach, in förmlichen Traktaten,
Ihm stets den Durchzug zu gestatten.
Und an des Hauses Utensilien
Lernst du Genügsamkeit im höchsten Grade;
Denn da ist nichts im ganzen Bade
Von Kasten oder Canapé'n,
Auch ist kein Vorhang da, ihn vorzuziehen;
Denn außer Ziegen oder Kühen
Wird dir gewiß kein Aug' ins Zimmer sehn.
Doch dafür sind die Zimmer groß und schön,
Und fast so hoch, als eure steinernen;
Denn wiss', man nahm das Maß zu diesen Kabineten
Nach eines Erzbischofs damastenen Tapeten,
Der einst hier für das Zipperlein
Dies warme Heilbad brauchen sollte,
Und dessen Eminenz hier in Gastein
So wie in Salzburg residiren wollte. –
Der Weg hieher in diese Gegenden
Ist recht vom Himmel auserseh'n,
Die Sünden all' durch Stoßen und durch Rütteln
Dir sammt und sonders aus dem Leib zu schütteln,
Und lehrt daher selbst die gemächlichsten
Bischöfe so wie die Apostel geh'n;
Denn ach, sie zögen nicht sechs Schimmel
Den steilen Pfad. Kurz, Freund! beim Licht besehn,
Ist dies der wahre Weg zum Himmel,
Den nur die Auserwählten gehn.

Die Berge bieten hier den Alexandern
Und Hannibalen Trotz, und liegen seit
Der unvordenklichen Gigantenzeit
Noch immer einer auf dem andern:
Sie schließen um und um dich ein,
Und machen dir den Horizont so klein,
Daß selbst die Sonne (wie uns hier die Sage
Belehrt) an manchem Wintertage
Die steilen Wände bis hinan
Zum Gipfel nicht erklettern kann.
Im Sommer reißen oft bei Regengüssen
Die ungeheuersten Massen Stein
Sich los und sperren hier dich ein,
Und lassen dich von aller Welt nichts wissen.
Im Winter bist du Wochenlang verschneit,
Bedenke, Freund! welche eine Einsamkeit!

Ganz ungestört kannst du in diesen öden Gauen
Der Allmacht Wunder täglich schauen.
Der kalte Winter mit schneeweißem Haupt,
Der warme Sommer grün umlaubt,
Die liegen hier in keuschen Liebesflammen
So wie manch Ehepaar bei euch – beisammen,
Und zeugen dann in ihrer ehelichen
Umarmung den, ach, für uns arme Sünder
Gefahrenvollen Lenz, und Florens eitle Kinder,
Allein zum Glücke nicht für diese Gegenden;
Ein Zephyr trägt sie fort in Zonen,
Wo Menschen schon der Hölle näher wohnen.

Und o das Klima, Freund, ist, wie in Wien
Die Schönen, launenhaft und voller Eigensinn,
Und recht gemacht, um dich in der Geduld zu üben;
Denn bald hüllt sich in einen trüben
Und dichten Schlei'r der ganze Himmel ein,
Um ganze Wochen zu boudiren,
Bald macht ein bischen Sonnenschein
Dich schwitzen, bald ein Regen frieren,
Bald heizt man hier im Julius noch ein.
Und um die Scene noch mehr zu variiren,
Sieh' so geriethen neulich gar
Der Sommer und der Winter sich ins Haar,
Und gaben uns von bösen Ehen
Ein recht erbaulich Bild zu sehen.
Frau Sommer fing mit heißen Thränen an;
Allein ihr kalter, trotz'ger Mann
Ward toll und schüttelte die eisige Perücke,
Und hauchte sie so grimmig an.
Daß, ach, in einem Augenblicke
Die arme Frau vom Scheitel bis zur Zeh'
Ganz überschneit sich sah. Darob ereiferte
Sich dann Madam, und fing zum Gegenstücke
Auf ihren alten Grobian
Zu donnern und zu blitzen an.
Und so, Freund, sahen wir, wie mitten
Im Junius der Schnee mit Blüthen,
Die Sommerlüftchen mit Dezembereis,
Der Blätter frisches Grün mit Weiß,
Und Blitze, die den Schnee versengten,
Recht kunterbunt sich durcheinander mengten.

Das Volk ist gut und fromm, so wie es Schafen ziemt,
Die unter einem Hirtenstabe werden,
Der geistlich ist, und küßt darum mit Freuden
Die Hand, die ihm die Wolle nimmt.
Ja, Freund! in dieser Bergbewohner Hütten
Herrscht noch die Einfalt alter Sitten;
Allein nicht die, die Geßner uns beschreibt.
Die Sennerin, die, von der Welt geschieden,
Den ganzen Sommer durch auf ihrer Alpe bleibt,
Ist von der Ziege, die sie melkt und treibt,
Nur höchstens darin unterschieden.
Daß ihre Brust ein bischen schwärzer ist.
Auch liegt auf ihren schönen Händen,
Die ihr Damötas, wenn sein Herz zerfließt,
Mit schmalzbeträuften Lippen küßt,
Von so viel Jahren Schmutz und Mist,
Als Schnee hier aus den höchsten Felsenwänden;
Und will der Schäfer erst recht artig sein,
So geht er hin und fängt mit eig'nen Händen
Der Schönen einen Vogel? – nein!
Er fängt ihr einen jungen Bären,
Um ihr damit ein Möpschen zu verehren:
Und läßt er sie, um recht galant zu sein,
Ein Lied auf seiner Pfeife hören,
So ist es ihrem Kropf und dicken Wanst zu Ehren.

Kurz, Freund, und brennte Mark und Bein
Dir von der bösen Lust, zieh' nur hieher, ich wette,
Die Flamm' erlischt, als ob sie nie gebrennet hätte.
Zum mind'sten ist – und kröch'st du auch ins Bette
Zu einer solchen Lalage hinein –
Die Sünde, die du dann begehst, sehr klein.
Um für ein ganzes Dutzend solcher Sünden
Dich in dem Beichtstuhl abzufinden,
Hast du an einem Kreuzer schon
Genug, so wohlfeil ist die Absolution.
Doch dafür ist mit Recht der Pfleger strenger,
Denn der bestraft die Sünd', die so ein Bärenfänger
Mit seinem Ziegenliebchen oft begeht,
Als eine wahre Bestialität.

Man hat noch manche sonderbare Weise:
Voressen nennt man hier die dritte Speise,
Und einen Hengsten ein verschnitten Pferd;
D'rum, Freund, war' es ja wohl der Mühe Werth,
Daß Mancher, den die Sünde schon kastrirte,
In diese Gegend her sich retirirte,
Wo Jeder, dem man schon zwei Drittel subtrahirt,
Noch immerhin für voll passirt.

So viel von dieses Landes Seltenheiten.
Du frägst nun auch nach unsern Lustbarkeiten?
Ja, lieber Freund, die Lustbarkeit
Ist eben hier die größte Seltenheit.
Die Jagd ist hier ein Casus reservatus,
Ein wahres Jus Episcopatus,
Weil, wie man sagt, seit undenkbarer Zeit
In allen bischöflichen Landen
Das Wildpret insgesammt – gerade so
Wie wir uns ex contractu tacito
Einmüthiglich sich einverstanden,
Nur aus des Bischofs Hand, die niemals Blut vergießt,
Mit wahrem christlichem Verlangen
Die heil'ge Bluttauf' zu empfangen.
Darum weh dem, der einen Hasen schießt!
Weh dem sogar, der einen ißt!
Denn zehnmal eh' wird jener losgesprochen,
Der alle Freitag Rindfleisch frißt,
Als der an einem Hasen nur gerochen.
Ja, jeder, der sich nur vermißt,
Ein Federchen auf seinem Hut zu tragen,
Kann sicher sein, daß er in wenig Tagen
Für seine Eitelkeit im Kerker büßt!
Das Tanzen, wie du weißt, ist vieler Sünden Zunder,
Drum nimmt es, Lieber, mich nicht Wunder,
Daß hier sich jeder tanzbegier'ge Fuß
Vom Pfleger die Licenz erkaufen muß.

Im Bade selbst kann unser Leben
Dir ein frappantes Bild vom Himmel geben;
Denn, Freund, so wie im Himmelreich,
Ist hier ein Tag dem andern völlig gleich.
Man badet, ißt und legt sich nieder,
Man ißt und schläft und badet wieder,
Und so schleicht jeder Tag dahin.
Die Unterhaltung mit den Badegästen
Sieht mager aus! denn aus den allerbesten
Ist nicht einmal ein Ridikül zu ziehn.
Ein läppisch Thier von einem Bader
Läßt manchesmal wohl unsern Witz zur Ader,
Doch von der dicken Haut, die ihm der Himmel gab,
Prallt von zehn Bolzen stets die Hälfte ab.
Kurz, Freund, was Riesbeck auch von diesen Bergen schwärmte, Briefe eines reisenden Franzosen. Erster Theil. 15ter Brief.
Es zeigt in diesem weiten Grab
Sich keine Seele dir, die leuchtet, oder wärmte.
Ja selbst dein Zwillingsbrüderchen,
Faustin, käm' er in diese Gegenden,
Erführe bald – in diesen öden Gauen,
In dieser unfruchtbaren Welt von Stein,
Und bei so kargem Sonnenschein
Sei wenig Menschenglück zu bauen,
Und predigte dann statt Philosophie
Hier höchstens – Mineralogie.

Doch gerne, Freund! will ich in diesen Gegenden,
Wo man, statt dem Spazierengehn
Spazierenklettert, und anstatt dem Summen
Der Bienen höchstens Bären brummen,
Und, statt der Nachtigall, nur Schafe blöcken hört,
Gern will ich hier noch länger eingesperrt
Verweilen, wenn mir nur die gütige Najade
Von diesem sonst so wundervollen Bade
Die Heilung meines Freund's gewährt.
Gern will ich dann mein Täfelchen
Ex voto ihr zum Opfer bringen,
Und diese wüsten Gegenden
Gleich einem Paradies besingen.

*


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