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Prinz Hippolyt

Wer hat ihn denn gekannt, der schon Legende war, als er noch unter uns lebte? Man möchte sagen, er war verborgen gewesen in seinem Scheine, so ganz unverbindlich zu leben, war ihm wesentliches Bedürfnis, so sehr demütig in das Ganze sich einzuordnen, war seine bestimmende Artung. Faktum und Fatum haben, wie man sagt, eine gemeinsame Wurzel, und es ist mir dies in keines anderen Menschen Leben so sichtbar deutlich geworden wie in dem des Prinzen. Da Männer, die der Verstand meist dumm macht, und die bestenfalls im höhern Alter eine Weisheit erreichen, deren Wert eine anstürmende Jugend belächelt, und welches Alter darum gut tut, zu schweigen wie der alte und gar nicht närrische Nietzsche – Hippolyt war zwanzig und hundert Jahre alt und beides immer zugleich. Vielleicht war er so glücklich, mit hundert Jahren auf die Welt zu kommen und ganz jung zu sterben. So was soll vorkommen. Ich denke an Kierkegaard, der als Jüngling seltsam Asche war und als alter Mann ein loderndes Feuer.

Die Legende vom Leben des Prinzen Hippolyt wäre nach dem leitenden Motiv: nichts ist wichtig, weil alles wichtig ist, und alles ist wichtig, weil nichts wichtig ist, zu erzählen. Der Respekt vor dem, was ist, muß grenzenlos sein, denn ohne ihn können wir auch den Widerstand des Bösen und Schlechten nicht ertragen, geschweige überwinden. Nur im Affekt haben wir ein Recht auf das Unrecht. Aber es war die Meditation vielleicht des Prinzen natürlicher Zustand, jedenfalls seine Predilektion. Von katholischer Rasse, war er katholischer, als er es selber glaubte, jedenfalls mehr, als er es sagte, und noch mehr, als er es merken ließ. In die katholische Rasse des aufdringlichen Betbruders setzte er Zweifel, wenn auch nicht in dessen Glauben, der ihm aber als ein Erschwitztes, Erlittenes, ja fast Erschlichenes verdächtig war: er rutscht eine ihm unerreichbare Welt mit haßverhärteten Knien erbärmlich zuschanden, sagte er einmal, war aber damit gar nicht der Ansicht Nietzsches, welche das Christentum aus dem Ressentiment ableitet. Er meinte bloß, daß viel Ressentiment im Christentum einen Unterschlupf gefunden habe und finde, wodurch im Lauf der Zeiten ein übler geistiger Armer-Leutgeruch in der Kirche haftengeblieben sei, die weder ein Seelenspital noch ein Altersasyl, sondern eine schöne fröhliche Sache sei. Der gute Kirchengesang sei für kräftige Lungen gesetzt, nicht für Bresthafte. Um Gott wohlgefällig und würdig zu dienen, müsse man eine robuste Gesundheit Körpers und der Seele und des Hirnes haben, denn der liebe Gott sei ein großer Herr und kein Kurpfuscher im Seelenbereiche wie ein Dr. Johannes Müller, der eine »Kirche« mit Hotelbetrieb und Liegestühlen führe.

Aus der Lernzeit seines Lebens hatte der Prinz eine Lustigkeit behalten, die den meisten verbarg, daß darunter eine sehr reine Trauer ruhte. Wie ein Gewand der Scham lag diese Lustigkeit über seiner Trauer, oft ein schamloses Gewand, aber lieber dieses als die Blöße, wie man das leicht aus den Aufzeichnungen des Prinzen merken kann, wenn man die guten Augen hat. Diese Scham wird man merken und auch die Angst vor der Lächerlichkeit und dem Düpiertwerden, vor und von sich selber natürlich, nicht vor und von der Welt. Diese Angst ersetzte ihm vielleicht im gewissen Sinne die Liebe zur Wahrheit. So kann es gewesen sein: seine Bescheidenheit verbarg sich hinter Schamlosigkeit, und seine gute metaphysische Trauer wurde ihm Stärke und Kraft seines Lebens, da er über sie die galante Lustigkeit und weltliche Unbekümmertheit warf wie eine venezianische Maske. Eine Maske, unter der er nicht erstarrte, wie es so der Maskenverleiher Leben von seiner Kundschaft, die wir alle sind, verlangt, damit die Masken keinen Schaden leiden. Herr von Hofmannsthal sagte einmal, von einem bestimmten Alter ab müsse man ein fixiertes Profil haben. Der Prinz tat den aus Bequemlichkeit Formelsüchtigen den Gefallen nicht und verharrte bei den Profilen. Er sagte: »Das Gefühl, Ich zu sein, hat nur eine ganz gemeine Bedeutung im Alltagsleben der Paß- und Meldevorschriften. Diese simple Praxis hat man als Subjekt-Objekt höchst pompös in die Philosophie hineingeschwindelt, die nun ihr Dasein von einem Gegensatz lebt, den es nicht gibt; denn in Wahrheit bin ich Alles und ist alles Ich.«

So, wie er war, konnten ihn nur ein paar Freunde wirklich lieben, alle andern mußten ihn hassen, fürchten oder verachten. Er forderte zuviel von jenem, der sich auf des Prinzen eigentümlichem Terrain gut bewegen wollte; so zogen die Mehreren vor, dies Terrain unsicher zu finden, nicht den eignen Gang. Eine bezaubernde Liebenswürdigkeit und der anmutigste Ton, in dem nicht die leiseste Bosheit mitschwang, machte es den Abgeneigten, Feindlichen und Hassenden sehr schwer, ihre Gefühle zu Dritten ungebrochen zu äußern, wie es solche Menschen lieben, da sie in solcher Äußerung solcher Gefühle erst den kleinen Stolz produzieren, der ihnen zum Genuß ihrer Gefühle nötig ist – und diese Schwierigkeit ließ die einzelnen das Besondre und Distinkte ihres Gefühls aufgeben, und alle trafen sich dann in so etwas wie einem Urteil, etwa der Prinz sei nicht ernst zu nehmen, oder es sei ihm die Leidenschaft fremd, oder ganz vereinfacht: es sei ihm nichts heilig. Um die Situation nicht zu verstellen, muß ich gleich sagen, daß solches Reden gewissermaßen die Peripherie von des Prinzen Kreis absteckte, dessen Radius klein war. Diese Peripherie drückt sozusagen das politische Verhalten der Zeitgenossen zu Hippolyt aus, eine drollig positive Form der Nichtzugehörigkeit, die als von sich ausgehend gelten wollte. Aber wir wissen ja, wie vieler Menschen, ja der meisten Denken und Leben aus nichts sonst besteht, als Wortzusammensetzungen zu repetieren, und die es darum als einen Angriff auf ihr Leben auffassen und parieren müssen, wenn einer diese Zusammensetzungen auch nur dissoziiert. Ich erinnere mich der Verstimmung, die Hippolyt bei mehreren Zuhörern auslöste, als er einmal bei einer Bemerkung, irgendeiner sei ehrlich von irgend was überzeugt, sagte: »Ist er ein Narr? Nur Verrückte werfen ihre ehrliche Überzeugung immer in die Waagschale des Urteilens. Sagt jemand, was er glaubt, so ist er mutig und kann von sich sagen, daß er mutig ist, nicht aber, daß er ehrlich sei. Die immer mit der Ehrlichkeit ihrer Überzeugung beweisen wollen, wollen damit die Dummheit ihrer Überzeugung gutmachen – dumm, aber ehrlich. Ich möchte nicht in einem Staatswesen leben, das von ehrlich überzeugten Schafsköpfen regiert wird. Diese ehrlich Überzeugten haben sich in das Gefängnis einer Idee eingesperrt und den Schlüssel zum Fenster hinausgeworfen. Die geistige Gesundheit verlangt aber auch Spazierengehen und riskante Abenteuer. Eine Idee haben? Alle Ideen muß man haben. Die Faulheit des Geistes und eines gestockten Blutes geben sich die Maske der Ehrlichkeit. Wo eine Überzeugung anfängt einem ehrlich zu werden, wird sie sehr verdächtig, nichts sonst zu dienen als der Bequemlichkeit. Eine solche Überzeugung muß man als sauberer, tapferer und sozusagen anständiger Mensch sofort aufgeben. Das ist etwas für Staatsbeamte in Pension, Generale außer Dienst und Abgeordnete in Parlamenten.«

Der Prinz und die Frauen? Man soll Umfang und Bedeutung dieses Kapitels im Leben des Hippolyt nicht überschätzen, wie dies ein rasch fertiges Urteil tat, das ihn zu einem Erotiker machte, der er weiß Gott nicht im mindesten war, jedenfalls nicht in dem besonderen Sinn, den die heutige Zeit mit einem auf das Schmutzige eingestellten Riechorgan diesem Begriffe gibt. Er war es vielleicht im Sinne Platons, wo der Eros zum geringsten auf die Frau oder gar das Sexuelle bezogen ist. Er war im Umgange mit den Frauen charmant, ohne je einen geläufigen Enthusiasmus für sie von einem Tee zum andern zu tragen; er war gütig und nachsichtig, manchmal etwas gönnerhaft. Seine Freundin Cölestina Tucher, die ihn boshaft einmal eine Kreuzung aus Pascal und Brillat-Savarin – einen Brillat-Savarin des Spirituellen – nannte, hat wohl aus ihrer Kenntnis Hippolyts das Folgende aufgeschrieben: »Die Schmuckstücke ihrer Schönheit in den Dienst der Erkenntnis des menschlichen Geistes zu stellen, ist die Mission der Frau. Um zu jener zelebralen Exaltation zu gelangen, die man gewöhnlich Enthusiasmus nennt, ist alles erlaubt, ob dieser Enthusiasmus sich nun sexuellen, sentimentalen oder religiösen Problemen zuwendet.« Und dann noch: »Die Lust der Liebe identifiziert sich mit der Trauer des Denkens, und die Indezenz drückt das Mitleid der allgemeinen Ideen aus, den Sinn des Absoluten, den göttlichen Schrecken der Welt.«

An dem Tage, da der Prinz sechzig Jahre alt geworden war, schrieb er einem Freunde, der ihm gratuliert hatte, zu einigen Dankesworten auch dieses: »Als ich jung war, freute ich mich auf das Alter, darauf, daß dann doch so manches vorbei sein müßte, was die Jugend beschwerlich mache und man diese geruhige Einsicht in die Dinge des Lebens bekäme, die nicht tröstet, weil man ja keine schmerzenden Erfahrungen kennt, die aber wohltut wie ein laues Bad nach einem heißen Ritt. Und sonderbar: nun da ich alt werde – oder schon bin? – muß ich immer häufiger meiner Jugend nachdenken, und wie sich da voll verborgenen Sinnes alles fügte, was mir damals zumeist ohne allen Sinn und Bezug erschienen war. So will das ordnungliebende Alter sich die vergangene Zeit ordnen, die doch in sichern Keimen anlegte, was nun zu kurioser später Frucht gedieh.« Prinz Hippolyt war siebenzig, als er ein Leben beschloß, von dem die Zeitungen in ihren Nekrologen nicht mehr zu sagen wußten, als daß es das eines Sonderlings gewesen sei. Wohl, das Leben des Prinzen entbehrte jenen Reichtum an äußern Geschehnissen, welche die Freude des populären Biographen sind, und doch war es in seiner Art bedeutungsvoller und wirkungsreicher als das vieler anderer, auf deren Taten und Katastrophen man die Mühe umfangreicher Beschreibungen verschwendet. Doch unsere Zeit ist so gut geworden, daß sie das Leben des Prinzen schon als eine Legende und nicht mehr als das Besondere ansehn kann, welches es zur Zeit, da die Öffentlichkeit des Prinzen eine größere war, wohl gewesen ist. Wendet man die vergilbten Blätter, welche damals – um 1900 herum – die öffentliche Meinung zu sein vorgaben, so trifft man manchmal auf Urteile über den Prinzen, das heißt mehr Worte wie Ästhet, Amateur und ähnliches, deren naive Sinnlosigkeit eine Zeit unterhielt, die, kritisch noch weniger begabt als künstlerisch, einen Geist nicht ertragen zu können schien, der Leichtes und Schweres gleich hinnahm, der Laune so folgte wie der Leidenschaft, die inbrünstige Frommheit ebenso in seinem Blicke hatte, wie auf den Lippen ein skeptisches Lächeln der Scham; von Tristan und Isolde als der »sublimen Operette« sprach. Vielleicht ging der Prinz ohne Maske und galt daher einer Maskenwelt als der allein Maskierte. Oder: er verbrauchte den ganzen Bestand in verblüffendem Wechsel, denn: er wollte nichts repräsentieren, keine Verpflichtung zum Urteil der andern über sich geben, wollte Inkognito und bei sich bleiben durchaus. Er sagte: »Weshalb soll ich der Meinung des Herrn N., der mich einen Zyniker nennt, mehr Aufmerksamkeit schenken als dem Schimpfwort, das ein betrunkener Proletarier mir in den Wagen ruft? Beides ist genau dasselbe, das letzte, weil elementarer, entschuldbar.« Jenes papiernen Zeitalters Wasserzeichen war die Schamlosigkeit, dem Dünkel, dem Lügentum und der Unbildung gesellt. Jede neue Formel, die man für des Prinzen Wesen zur Abwehr seiner Größe sich erfand, war ihm recht, alle Vielheiten, in die man ihn zerlegte, waren ihm besten Falles Steigerung der Freude an seiner Einheit, die unverwirrt zu besitzen er so nur noch sicherer war, da man sie ihm absprach – mit seiner gern verführenden Nachhilfe. Denn er meinte: »Das Böse dieser Zeit muß man durchaus gewähren und in seinen Trägern sich auswirken lassen, denn es wird diese zerstören. Ja, besser ist es, dieses Böse in den Bösen noch zu fördern, damit das Gift in ihnen rascher wirke.«

Doch ich will in größerer Ordnung ein Porträt des Prinzen Hippolyt versuchen, von dem ich wünschte, es entspräche seine Ähnlichkeit nur etwas meinem Eifer danach; und dieses nicht so sehr zum Zwecke eigener Zufriedenheit mit der bescheidenen Kunst als in Hinsicht auf die Moral: die Zeit, die wir leben, an eine Person zu erinnern, die es vermochte, in der Ausbildung eigener Art und im Ableben ihrer Natur auch der Artung dieser Zeit zu helfen. Dieses ist das Höchsterreichbare menschlichen Tuns: daß sich stärkstes Leben der Persönlichkeit nicht gegen die Umgebung und die Zeit, sondern mit ihnen, und sie durchaus fördernd, entfalte. Man sagt, daß der geniale Mensch gegen seine Zeit sich durchsetze, daß eine spätere ihm erst folge. Das Glück, die Glückseligkeit des Unzwiespältigen, wird diesem Eigenwilligen eine Illusion, ein hypothetischer Genuß sein, den er in Träumen, doch nicht im Leben erlebt. Glückseligkeit aber ist Freude an jeder Stunde. Und dies wurde dem Prinzen zuteil, und um dieses willen wäre sein Leben schon erzählenswert, wenn nicht der bedeutendere Umstand dazu veranlaßte, daß er vor allen es war, der oft mit Willen, meist in natürlicher Entfaltung seiner Art, den Deutschen zu jenem Leben geselliger Kultur verhalf, das wir heute nach etlichen fünfzig Jahren eines barbarischen Interregnums im geheimen besitzen.

Der Prinz erlebte wie alle Kinder, und die der Vornehmen am meisten, seine Kindheit als eine Tragödie, die sie einmal für den begabten Menschen sein zu müssen scheint. Die guten Absichten der Eltern und Erzieher, deren »Tu dies« und »Dies tu nicht« die tägliche unverstandene Qual des Kindes sind, das von bösen Absichten nichts weiß und doch immer danach behandelt wird, das wohl die Freiheit kennt, aber noch nicht erfahren konnte, welche Beschränkung die Freiheit der andern seiner Freiheit auflegt – diese letzte Sorge wurde auch dem jungen Hippolyt zu dieser Tyrannei, ohne deren Erfahrnis der Mensch ein Fremder in seiner Zeit bliebe. Die Tradition des fürstlichen Hauses übte im Erziehungswerke, so weit und umfassend es auch betrieben wurde, noch eine besonders strenge Zucht, die ein Ahne einmal an dem Kurfürsten bewundert und für die Seinen angenommen hatte. Und war das Fürstentum auch schon seit zwei Geschlechtern mediatisiert, so wurde doch Erziehung und Unterricht weiter getrieben, als ob es noch zu regieren und den Untertanen ein gutes Beispiel zu zeigen gäbe. Aufgeklärte Bildung und konservative Zucht waren wie im achtzehnten so auch im späten neunzehnten Jahrhundert Hausgesetze der fürstlichen Familie. Daß Hippolyt, als er seinen Lehrmeistern entwachsen war, seine Freiheit wie eine schöne Trunkenheit genoß, daran war wohl die frühere harte Zucht schuld; aber ihr Erfolg war auch dies, daß der Prinz in aller Ausschweifung nie auch nur eine Stunde verlorener Würde und Beherrschung zu bereuen hatte. Er blieb in der ärgsten Debauche mit einer solchen naiven Sicherheit der Adelige, daß seine weniger tüchtige Gesellschaft ihn oft talentlos zur Unmoral nannte und die Meinung gewann, er sei »blasiert«. Es fehlte den jungen Leuten von damals die Fähigkeit, das Leben als ein Unteilbares zu empfinden und sich selber als zum Leben gehörig, eine intuitive Erkenntnis, die den antiken Menschen sicher, denen der Renaissance wahrscheinlich in hohem Maße zuteil und in diesen Tagen der Partikularismen und falschen Würden fast verloren war, wie die damals üblichen Wendungen »alles zu seiner Zeit« oder »sich ausleben« zeigen. Es war diese außerordentliche und durch die Traditionen seines Hauses geförderte Fähigkeit des Prinzen, daß er an das Leben nicht den Maßstab des »Bedeutenden« und »Unbedeutenden« legte, sondern in die Tatsache des Lebens sich mit einer ruhigen Intensität begab, einmal aus dieser Sicherheit des wahren Menschen heraus, der seine Adeligkeit nie verlieren kann, was immer er auch treibt, und dann, weil er allen diesen Wertungen mißtraute, die nichts sind als Hilfsmittel eines Bedeutenwollens.

Der Prinz blieb unverheiratet, und man hat dies oberflächlich und schnell damit erklären wollen, daß es seiner Neigung zum verliebten Abenteuer besser so gepaßt und daß es ihm an jener Leidenschaftlichkeit in der Liebe gefehlt habe, die sich das eine Weib für immer verlangt. Ich hörte ihn einmal einer älteren Dame sagen: »Even gibt es ja genug, die einem den Apfel reichen, aber Paradiese sind keine mehr da«, und das war nicht nur ein Scherzwort. Sonst einmal: »Ich kann allenfalls mein eigenes Leben verantworten, aber auch die Verantwortung für das Leben einer Frau zu übernehmen, weil sie meine Frau ist, für die ich verantwortlich bin, das ist heute zuviel. Und dann erst die Verantwortung für die Kinder! Man sollte heute überhaupt etwas mit dem Heiraten pausieren, um sich zu besinnen, daß es mehr bedeutet, als Tisch, Bett und Brut miteinander haben.« Oder: »Der kunstvolle Garten, den wir uns mit einer Frau im Ehestande errichten, bedarf zu seiner Künstlichkeit alle Zeit der Pflege, wenn er nicht bald eine Wildnis der Lüge und Launen werden soll. Und um ihn als Paradies zu erhalten, darf man nicht müßig über die Mauern in die Welt, ja nicht einmal still auf seinen Nabel schauen, welche Versenkung unsereiner doch liebt. Dann kommen die andern, die gerade nicht versunken sind und Zeit haben, kommen helfen bei der Gartenpflege, und was Privatgarten war, wird öffentliche Anlage mit dem Gatten als der drolligen Figur des invaliden Wächters.« Der Prinz sprach weder in der Jugend noch in spätem Jahren über seine Verhältnisse mit den Frauen. Wohl nicht nur in natürlichem Feingefühl, sondern auch aus jener zynischen Gleichgültigkeit heraus, die jenem eigentümlich ist, dessen Liebe Sentiments nicht kennt, oder wenigstens nicht in den Formeln der Worte kennt. Es ist nicht ganz mit Bestimmtheit zu sagen, aber ich glaube, dem Prinzen war selbst jene naive Poesie fremd, mit welcher der Jüngling seine erste Liebe zu schmücken pflegt. Er war ein feiner Beobachter und Genießer aller weiblichen Reize, aber zu der Sublime »das Weib« sich zu steigern, dazu besaß er zu klare Instinkte und eine zu starke Abneigung gegen die Verarmung, die in allen Verallgemeinerungen liegt, die, wenn er sie wie jedermann im Reden gebrauchte, gewissermaßen vom Spiel seiner Lippen aufgehoben wurden. Er sagte einmal: »Eine Frau sei noch so tugendhaft, einem Kompliment darüber wird sie eine etwas pikierte Antwort geben, die etwa den Sinn hat: wissen Sie das auch so bestimmt?« Einer Beobachtung erinnere ich mich: »Ich hörte neben mir zwei magere, unschöne Frauen über eine dritte Dame sich unterhalten, über deren schlechten Lebenswandel, Leichtsinn, Liebhaber sie mit viel Entrüstung sich aussprachen, aber in dem Ganzen vernahm ich immer diesen Nebenton, der war, als ob die Liebhaber, der Leichtsinn, der schlechte Lebenswandel eigentlich ihnen, den beiden Häßlichen gehörten und die andere dies ihnen frech gestohlen habe.« In einem Briefe des Prinzen aus Paris finde ich diesen Satz: »Das Schönste in den Konzerten sind die Frauen. Die, neben denen der Gatte sitzt, oder die ihn zu Hause gelassen oder sonst verloren haben, die Frauen mit den schönen und schlimmen Erfahrungen der Leidenschaft. Diesen treibt die Musik alles inwendig Verschlossene, heimlich Bewahrte an die Oberfläche des Körpers, den so unter der Wirkung der Musik beben zu sehen zu den sinnlichsten Genüssen gehört, die ich kenne. Da ist keine Bewegung des Armes, keine Veränderung in den Augen, kein Spiel der Gesichtsmuskeln, das nicht, von der Musik gelöst, erzählte. Die jungen Mädchen, die nur eine illusionäre Erfahrung von höchstens dem honetten Bräutigam haben, geben weniger; ihre Verzückung ist allgemein; ein gleichförmiges, schwärmerisches Schafsgesicht die Regel. Die ganz jungen Mädchen geben gar nichts. Die lernen noch Klavier, und das Gesicht sagt höchstens: Kann ich das spielen? Werd' ich das spielen können? Aber die Frauen! Die Frauen! Die Musik, nota bene die nicht moderne, ist der einzige Verführer, der den Frauen die ganze Wahrheit entlockt, die wir andern ja doch nie erfahren.«

Man möchte aus solchen Äußerungen, und daß der Prinz die sogenannte seriöse Liebe nicht zu kennen vorgab, zu glauben sich versucht fühlen, er sei zu einem wenn auch zarten, so doch überlegenen Spott im Verkehr mit Frauen geneigt gewesen, was aber ein Irrtum ist. In der Jugend war er zurückhaltend auch jenen Frauen gegenüber, deren Namen man nicht oder nur zur einen Hälfte kennt. Später suchte er gern die älteren Damen der Gesellschaft auf, deren offene Rede und liebenswürdige Erinnerungen er mochte; den jüngeren sagte er gewählte Worte über ihre Schönheit, und die häßlichen mied er, soweit dies die Höflichkeit erlaubte, weil sie, wie er sagte, von schlechtem Charakter wären. Dies konnte man auch sonst in seinem Urteile über Menschen bemerken, daß er alles, was man das Seelische zu nennen sich entschieden hat, wie Zustände des Körpers besprach und Worte von starker Konkretheit dafür brauchte.

Ein Freund hat von ihm einmal gesagt, er sei ein Amateur der Liebe, ein Wort, das hier nicht ganz so unrecht ist wie da, wo es Fernstehende auf des Prinzen andere Tätigkeiten anwandten, deren häufiger Wechsel in jüngeren Jahren ihm das Urteil einbrachten, er sei ein Dilettant, und es fehle ihm die Ernsthaftigkeit. Und doch hatte ihn gerade seine Ernsthaftigkeit in seinen Entschlüssen bestimmt, und zeigte sich gerade darin der Mangel alles Dilettantischen, daß er selber seinem Tun prüfend nachging und keinem gültigen Einwand sich verschloß – was alles dem Dilettanten nicht eigentümlich ist.

Wirkung ging von diesen früheren Tätigkeiten Hippolyts wohl nur auf eine kleine Zahl seiner Zeitgenossen, für die er in schönen Büchern jene Schriften druckte, die der damalige Zeitgeschmack entweder ganz vergessen hatte oder verachtete oder einer pedantischen Gelehrsamkeit der Universitätsseminare überließ. Die Bedeutung, die es gewann, und die Wirkung, die es übte, daß der Prinz etwa Hölderlins Schriften, Klopstocks Oden, Goethes Natürliche Tochter und den Westöstlichen Diwan, einen Horaz und die Komödien Molières druckte, dies ist nicht jetzt mehr zu bestimmen. Die Bücherfreunde werden auch jene Bändchen als kleine Schätze zeigen, die des Prinzen eigene Versuche enthalten, in denen seine Jugend anmutig sich vorstellt. Denn es fallen diese Versuche alle in die ersten zwanziger Jahre des Prinzen. Was ihn veranlaßt haben mochte, mit dem Anfang seiner künstlerischen Bemühungen ein so schnelles Ende zu verbinden – welcher rasche Entschluß sicher einer Überlegung entsprang –, war wohl, daß es seine Art mehr war, in den Künsten zu empfangen als zu geben, und daß er ganz unromantisch die Vollendung nicht schon im persönlichen Befolg der Laune sah, die meint, ihr Recht und ihre Berechtigung als Ausdruck völlig in sich selber zu finden. Die stark impressionable Natur des Prinzen bildete nicht sehr starke Widerstände aus, und sie kam so immer leicht in Gefahr, allen Lockungen sich hinzugeben (denn in seiner Fähigkeit zum Genuß sah er keine Grenzen, die ihn auf Sparsamkeit damit gewiesen hätten) und mehr aufzunehmen, als zu erwerben möglich ist. Beschränkung ist der Jugend nicht gegeben. Seltener aber noch ist die Schätzung eigenen Könnens, wie sie Hippolyt besaß. Er übte das Talent künstlerischen Schaffens wie das des Reitens oder Jagens, als eine nun einmal vorhandene Fähigkeit, die, ungeübt gelassen, irgendwo als ein Übel zum Vorschein gekommen wäre. Doch als Letztgeborener einer in den höchsten Geschäften des Lebens durch Jahrhunderte tätigen und in Pflichten gegen sich gezüchteten Familie hatte er ein Erbe menschlicher Kultur im Blute, das sein Leben in Breite und Tiefe groß bestimmte, ihm aber jenes Eigentümliche versagte, was den Künstler bestimmt: er konnte Menschliches zu Menschlichem erwerben und zum Höchsten bilden, aber das Göttliche war ihm versagt, das sich der Eigensinn zum Mittelpunkt schafft, das etwas vom Bornierten, etwas vom Gemeinen, aber Anfang und Ende vom Gott hat. Als ihm dies deutlich wurde, stand auch schon sein Verzicht fest: die Zahl der Dichter ihrer Laune und der Selbstgenüge in der Mitteilung ihres ganz Privaten wollte er nicht noch um einen vermehren und die Verwirrung vergrößern, die in jener Zeit über den Dichtern war, als welchen man nur den romantisch-subjektiven gelten ließ, um übrigens jeden Zeitungsschreiber, der ein Stück verfertigte, einen Dichter zu nennen, um die Scham zu beruhigen, die man darüber empfand, daß er einem gefiel. In spätem Jahren entfernte sich der Prinz auch darin ganz von den Dichtern seiner Zeit, daß er sie nie las und, wenn darauf die Rede kam, sie als die moralisch sicher schwächsten Energien der Zeit etwas verachtete. Er sagte einmal: »Alles Große, was wir vom Dichter sagen – glauben Sie, wir sagten es, kennten wir nur das Beispiel der heutigen Dichter, so sehr ich auch anzunehmen bereit bin, daß sie tun, was sie nur können –? Das Talent ist etwas Vulgäres. Wir sagen: Alles was von einer Welt übrigbleibt, sind nur Werke der Kunst – wie Hohes müssen wir da von der Kunst verlangen, um das von einer Welt zu sagen! Ich glaube, eine Zeit, die keine rechten Heiligen hat, die hat auch nicht die Gegner der Heiligen, nämlich Dichter.«

So merkwürdig diese dreißig Jahre, die auf die deutschen Siege 70/71 folgten, für den Kulturbeschreiber sind, so barbarisch waren sie für den, der sie unbeteiligt erlebte. Die Moral christlicher Art, vom Religiösen verlassen und in einem evangelischen Verein müßig konserviert, erfuhr ihre letzte Anstrengung zur Bedeutung im Sozialismus, und diese mit einer solchen obstinaten Brutalität des Normalen, daß es die Geduld der Zögernden erschöpfte, und diese nun laut und förmlich die andere Artung ihrer moralischen Gefühle ausriefen, wobei sie sich einer dubiösen literarischen Antike bedienten, um einem übel verstandenen Individualismus die den Deutschen so teure historische Grundlage zu geben. Und da man sich immer noch für das Volk der Denker hielt, auch ohne Denker, so passierte es, daß sich alles einem wortreichen Gedankenkampfe hingab, wovon ein ruhiger Zuschauer den Eindruck bekommen mußte, daß hier eine Nation in Irrung und Verwirrung einen pathetisch-lächerlichen Selbstmord begehe. Nichts, was man nicht mit irgendwelchem Denken aus seiner Ruhe brachte, nichts, was man nicht reformieren zu müssen wähnte. Dieser andere Furor teutonicus schien zeitweilig sogar Stammesgenossen mit stärkerem Kulturgefühl und sicherer Tradition, als die Preußen sie besitzen, wie die Wiener und die Schweizer, zu ergreifen, wenn auch das meiste sich umsonst mühte, die guten Traditionen zu unterbrechen. Moralische Werte wurden ästhetisch bestritten, ästhetische Werte moralisch widerlegt, religiöse Dinge wurden zu naturwissenschaftlichen und das Genie eine Angelegenheit des Arztes. Wissen aller Art fiel in alltäglich dreimal erscheinenden Zeitungen über den Armen her, dessen Geist eine populäre Enzyklopädie wurde. Nichts war gefestigt, alles vogelfrei, einem jeden ausgeliefert. Alle Form und Sitte war gelöst, aller Sinn für das Leben verloren. Das Übel einer wie über Nacht gekommenen kapitalistischen Wirtschaft vermehrte mit einem Heer von Emporkömmlingen, die sich kraft ihres Reichtums auf die Stühle der Bildung setzten, diese allgemeine Verrottung, als welche der Zustand Deutschlands war, dreißig Jahre nach dem Kriege, nun, da der neue Staat nicht mehr zur Festung und Fügung die Arbeit aller brauchte, ein freies entbundenes Wettspiel jeden einzelnen zu sichern schien. In den Jahren jenes Krieges stand alles unter einer Idee. Nun ging jeder seine meist wilden Wege. Der Luxus, der bald auf den bürgerlichen Wohlstand folgte, verlangte wieder nach der durch das politische Staaterbauen lahmgelegten Kraft des Künstlers, und diese war unsicher geworden, diente brutal, gemacht und laut einem auf das Brutale, Vordringliche gestellten Ungeschmack. Andere wieder wurden zu Virtuosen ihrer Manier, und die meisten, die sich den Künsten hingegeben hatten, fanden nun, da sie sie nutzen wollten, in sich nichts, aber bei den Fremden, die sie nachahmten. Wenige waren und blieben einsam: man gab ihnen üble Namen und sagte ihnen, was man für das Schlimmste hielt: sie seien lebensfremd. Sie aber mißbilligten nur oder konnten nicht das Leben ihrer meisten Zeitgenossen leben. Diese Unsicherheit und Verwahrlosung in den Künsten stehe nur als ein Beispiel für die gleichen Erscheinungen, welche allenthalben in der Gesellschaft dieser Zeit herrschend waren. Wie dort nur die Geschicklichkeiten oder der Schwindel sich mühten, so hatte auch hier die Sicherheit in Form und Gehaben, in Anschauung und Überzeugung einem problematischen Verhalten Platz gemacht, das einmal die Willkür guthieß und alle wohlerworbene Form und Sitte verlachte, das andere Mal nichts weiter hervorbrachte als das mühsam zusammengeputzte Requisit einer verlebten Mode. Man tat dies und jenes aus Mode, die von kürzestem Bestand war, da sie keinem Zustand seelischer oder intellektueller Spannung, sondern einer Laune ihr Dasein dankte. Man übte eine Form, weil man für eine Weile sich so gefiel, dann wieder zerstörte man am andern Orte alle Form und lehrte die Formlosigkeit als den neuen Geist. Man konnte so und zugleich auch immer anders sein: so voraussetzungslos lebte und dachte man, wofür man ein Recht auf die Individualität aussprach, das jedem zukam. Trat ein Neues auf, so gab man sich keine Mühe, es zu beherrschen, was nur durch die Form möglich ist, sondern nahm es, verschlang es als einen Zufall des Tages, voll hysterischer Neugier auf den Zufall des nächsten. Jeder zeigte »Interessen für alles« und lief atemlos den Dingen nach; keiner dachte daran, mit dem Neuen zu leben, nur es rasch zu erleben, war man begierig. So gaben viele das geringe aber doch eigentümliche Leben hin für fremdes, mit dem sie sich zu vertiefen meinten, da sie sich nur schlecht damit ausschmückten und ihre Oberfläche brüchig und rissig machten. Keiner fragte sich mehr, was ihm eigen sei, sondern nur, was ihm fehle, und nahm ohne Wahl alles an sich ohne jeden Sinn für Wohlbekommen und Gesundheit. Daher kam es, daß man in dieser Zeit so wenig Erwachsene, Vollendete traf, so wenige, deren Gegenwart man spürte; jeder war zu jeder Zeit anders: ewige Neugeborene. Und jeder war zu jeder Zeit unterwegs, im »Fortschritt«, in dessen »Zeichen« man ins Ungewisse rannte. Alle Haltung war geschwunden, da alle Ruhe und Bescheidung fehlten. Keiner vermochte eine feste Bildung gegen einen Eindruck zu setzen: die Lust an der andern Sensation hatte die Erregbarkeit zu einer Sensibilität gesteigert, die ein fortwährendes Beben war und nichts mehr anzeigte als die Schwäche ihres Trägers.

Den Künstlern war in dieser kunstfeindlichsten Zeit Deutschlands die Aufgabe gewachsen, in eine bessere Zeit mehr als die Kunst zu retten, nämlich auch den Sinn des Lebens, und sie mußten es oft mit allen Übertreibungen und vielem Dändismus tun (was den Künsten fremd und hier nur aus der größern Aufgabe erklärlich ist), und dem ist es zu danken, daß wir das Schloß in den Pyrenäen nicht verloren haben. So unerträglich und pervers damals die Hartnäckigkeit der Künstler den meisten auch erschienen ist, so war sie nötig und natürlich, denn es war ein Mehr, das sie wollten und mußten, als Gedicht oder Bildwerk, und nun ist das Unerträgliche von damals ein schönes Ergötzen und guter Kultus geworden, nun, da die Deutschen wieder einige Ruhe und Besonnenheit gewonnen hatten, Masse waren und nicht mehr »Individualitäten«, die nicht mehr über die Stile und Richtungen sich ereifern wie damals, als man so viel schrieb und nicht schreiben konnte, als man so viele Ideen hatte und keine heitern Einfälle, Feste repräsentierte und nicht feiern konnte, und als eine durch den wirren Lärm und das Unvermögen verursachte barbarische Falschschätzung der Künste uns diese und alles zu vernichten drohte. Die Überzeugung der Künstler, daß eine Neubildung der geselligen Formen einzig von ihnen aus erreichbar sei, ist, da Kunst auch Ordnung bedeutet, nicht merkwürdig in einer Zeit, die den Heiligen, den andern Ordner, nicht mehr hervorbringt. Aber die gleiche Meinung erfaßte auch die Laien, die Außenstehenden, die den Zufall des Genusses (und nur dies ist ihnen von der Kunst zugänglich) zur Permanenz zwingen zu müssen glaubten, indem sie oft alle ernste, wenn auch bescheidene Lebensführung aufgaben, um als eine Art geistiger Bohême dem Kunstenthusiasmus zu obliegen. Die Täuschung jener Zeit war so vollkommen, daß ihr alles sinnliche Wirken nur durch das Medium der Kunst möglich schien, die man an alles Erreichbare applizierte, an Mensch und Ding. Es wurde sogar unter den Frauen der Typus häufig, der in dem Erotischen kein Temperament offenbarte, sondern Literatur; Romanlektüre gab ein Beispiel zum Ehebruch, Theaterstücke gaben psychischen Defekt, und überzeugte Emanzipation veranlaßte Damen der Gesellschaft, sich uneheliche Kinder zeugen zu lassen.

Es waren keine Zeichen dafür da, daß der sogenannte Kunstgenuß die ihm eigentümliche Wirkung hervorgebracht hätte, nämlich eine Steigerung des Lebensgefühles und eine Festigung der Haltung. Die Menge, die den Künsten und deren Surrogaten sich hingab, tat dies aus Schwäche und Erschöpfung; zwischen ihr, die am Tage den Berufen mit Hast und ins Materielle gebannt oblag und nach dem Tage den Künsten sich hingab oder sonst in den Pausen einer an den Gelderwerb geketteten Existenz; zwischen ihr und der Kunst fehlte jene sichere Brücke der guten Wahl und der guten Vorbereitung, die nur dann vorhanden ist, wenn der Wert des eigenen Lebens gehoben ist von der Lebensführung aller, wenn ein der Berechnung unzugänglicher Sinn des Lebens feststeht und von der Konvention gehalten wird: gütige Formen und Heiterkeit, Liebe zum Kleinsten und zur Stunde, die auch ein Geringes nur zu gewähren braucht, Sicherheit der Gefühle, Bescheidung und ein weises Maß des Übeln und Guten für die Erhaltung des Lebens und dessen höchste Nützung im Sinne des Ganzen. An Stelle all dessen war kein Heute, sondern ein Übermorgen, das man zu versäumen sich ängstete, wenn man auch nicht wußte, was es enthalten wird, und wieder ein Warten auf einen Erlöser von hysterischer Langeweile, die sich ohne Besinnen in ein Vergnügen warf, das für alle angerichtet war.

Es war das neuere Theater ja nie in starkem Maße eine Freude des gebildeten Mannes gewesen, aber zu keiner andern Zeit als dieser offenbarte es so stark seine Beziehung zur Menge, die weder Volk noch Hof, sondern Publikum auf Grund bezahlter Eintritte war, an dessen dumpfe Instinkte, Dummheit, schlechte Leidenschaften und niedere Anschauungen es sich wendet, um zu bestehn. Die künstlerische Unmoral, die darin liegt, einer unbekannten, vielartigen, in sich zerspaltenen und verfeindeten Menge ein Werk der Kunst zu übergeben, wurde darin deutlich, daß man vom Dichter absah und den Mimen und Regisseur schalten ließ, um deren »Auffassung« die Köpfe sich erhitzten. Das so an den wenigen Stellen, wo man den Dichter noch nicht ganz überwunden hatte und glaubte, man brauche ihn noch: über welches Vorurteil die meisten Theater weg waren.

Man erinnert sich vielleicht noch des Theaters, das der Prinz in seinem Wiener Palais spielen ließ. An zwei Abenden in der Woche, oder im Sommer vormittags im Parke fanden sich da die Gäste ein, um sich einem Vergnügen hinzugeben, in dem alles Schwere, für sich Bestehende, das die Künste haben, in einer heiteren Geselligkeit gelöst war, die des Spieles auf der Bühne nur als eines Anlasses bedurfte, der Gebundenes entband und voller Wirkung auf die eigene Schönheit diese steigerte. Der Takt des Prinzen machte die Gesellschaft, die sich bei ihm traf, sicher und vertrauend. Alle Neugierde verlor sich bald, wenn sie etwa mitgebracht wurde, denn nichts war auf ein Verblüffen abgesehen. Alles entsprach der Vorbereitung eines jeden, ohne daß er es merkte, und indem er die angenehme Täuschung gewann, er sei nicht Teilnehmender, sondern Mitwirkender, was auch wirklich so wurde, als der Prinz die Spiele seltener werden und ganz aufhören ließ. Jeder gab sich die leichte Mühe zu Haltung und Form, lebte in dem Ganzen mit intensiverem Genuß seiner selbst. Was gespielt wurde, ist hier nicht weiter zu erwähnen oder gar zu untersuchen; wohl Altes und Neues, Gutes und weniger Gutes, Heiteres und Trauriges. Das Ballett hatte einen großen Platz in den Programmen, wie Shakespeares Lustspiele und Molière. Dann auch die alten französischen Singspiele und Offenbach. Daß er sich der sogenannten großen Oper völlig enthielt, braucht nicht gesagt zu werden. Von neueren erinnere ich mich, Otto Vrieslanders »Scaramuccia auf Naxos«, eine Pantomime von Debussy und ein Ballett von Ensor zum erstenmal auf dem prinzlichen Theater gesehn zu haben.

Dies vermag keiner: daß er seine Zeit aus der Barbarei in die Kultur höbe – die Absicht auf ein solches Unternehmen würde in abstrakten Ideen und Plänen sich ausgeben, in Büchern und Wohlmeinungen; denn die Absicht ist ja selber nichts weiter als eine solche vom Lebendigen entfernte Idee, die von außen stoßen und bilden möchte, was Trieb und Bildung von innen sein muß, soll es zu guter Frucht gedeihen. Doch ist es in Zeiten der Umbildung und Änderung glücklichen Naturen gegeben, daß sie durch ihre Lebensführung wie ein Vorbild wirken, daß sich Zögerndes an ihrem Beispiel entschließt, Schwankendes sich festigt und Suchendes den guten Fund begrüßt. Der Name des Prinzen hatte ihn schon im Beginne an einen hellen Ort gestellt; äußerliche Anerkennung war ihm durch Geburt und Reichtum leicht gemacht und im voraus gewiß. Aber er führte sein Leben mit einer solchen Sicherheit, daß das, was er tat und wie er es tat, von den Bereiten als ein durchaus natürliches, selbstverständliches gefühlt wurde; so sehr verschieden es auch vom Gewohnten sein mochte, es machte sich nie als eine Ausnahme deutlich. Ja, man fühlte an seinem Beispiele eben dieses Gewohnte als sinnlose willkürliche Ausnahme und seine Art als rechte Regel. Nun kam zu mählicher Frucht, was in den neuen Zeiten die Blüte nicht verloren hatte. Nicht schüchtern und ohne sichtbares Wollen begann es, wie etwas Selbstverständliches wurde es, nicht mit dem lauten Lärm der Manier und geilen Aneignung, die bis jetzt nachäffend, kläffend und verderbend verfolgt hatte, was der Tag an einzelnen Versuchen brachte. Es klingt sonderbar, aber: es gab auf einmal keinen Snobism mehr. Dies bezeugt, daß es nicht ein Einfall des Prinzen war, sein Leben gerade so zu führen, sondern, daß er nichts weiter tat, als der eigenen Art ihren Weg zu lassen und seine Moralität dabei nicht auszuschalten. Er liebte die Geselligkeit und wußte sie als erste Voraussetzung jedes gesteigerten Gemeinschaftslebens, doch mußte mehr an ihr beteiligt sein als Gäste, Diner und Theaterspiel; es mußte intensiveres Leben in ihr sein, nicht ein Erholen vom Leben und Ausruhen von einer Mühe, es mußte Leben der Menschen in ihr sein und nicht Würde der Repräsentanten, ein Sein und nicht ein Scheinen, kein Spiel der kleinen Worte oder dieser Meinungsaustausch über Dinge, die in den Zeitungen stehn; nein, nicht Meinungen, sondern Gedanken äußerten diese Menschen, und nicht bloß so, daß die Gedanken interessieren, sondern auch der, der sie hat. Hippolyt ging seinen Gästen, denen, die es noch nötig hatten, vielleicht mit seinem Beispiel voran, daß er nicht nur seinen Witz freiließ und was ihm einfiel, sondern daß er vielmehr nichts von seinem Menschtume versteckte und mit seinem Leben alle Form erfüllte. Nie hatte man bei stärkerer Würde größere Freiheit darin gesehen, daß jeder die Art seines Lebens betonen konnte, wie immer diese auch war; daß ein ungeschriebenes Zeremoniell des Verkehrs wohl dessen Formen bestimmte und äußere Gleichheiten schuf, die nur um so stärker die schönen Verschiedenheiten der einzelnen zum Vorschein brachten.

Es ist kaum bestimmbar, auf welchen Wegen Hippolyts Beispiel in seine Zeit ging. Es wird so sein, daß die Zeit ihm wohl entgegenkam, und er dem, was so werden mußte, durch die Bedeutung seiner Persönlichkeit, die nichts mit dem sogenannten Individuellen von 1890 gemein hatte, zu dem rascheren Werden verhalf, daß dieses nicht in Irrtümern schwankend sein Ziel solang verfehle, bis es ermüdet das Ziel aufgebe. Es wird nicht mehr nötig sein, dieses Ziel in Worten zu beschreiben, die, seien sie wie immer, schon eine Kritik enthalten, wenn auch eine preisende, wie es hier der Fall sein müßte. Festhalten wollen, was nur in der Bewegtheit ist, hieße vom Feuer wollen, daß es nicht brenne, vom Winde, daß er nicht wehe. Käme ein Wesen von einer andern Welt, fremd uns und wir ihm fremd, und könnte dieses Wesen in unsere Art ganz sich verkleiden, ohne daß es die eigene aufgäbe, so möchte wohl ein solches Wesen fähig sein, uns das Wort über uns selber zu sagen, das unser Tun richtet und ihm die Weihe der endgültigen Wertung gibt. Menschliche Weisheit aber liegt in der Beschränkung, und unsere Wahrheiten sind glücklich, wenn sie den Tag ihrer Geburt ausleben und nicht mehr und wir ihnen nur unsern ganzen Glauben ohne Zögern und Zweifeln schenken.

Die Stimme des großen, vielarmigen und einköpfigen Tieres unter den Fenstern ruft, unsere Kultur sei das Gebilde einer Kaste, nicht des Volkes. Sie nähme aus dem Volke, doch gäbe sie ihm nichts. Ist es so, so sei es auch so. Besser die Kultur einer Kaste als die Barbarei aller. Und muß es sein, daß das gesamte Leben der wenigen durch die Sklaverei der vielen sich behaupte, so ist das Mögliche eben nicht anders als durch dieses Mittel erreichbar gewesen, und wir lassen den vielen den Kopf, darüber nachzudenken, wie dies zu ihren Gunsten zu ändern sei, und mögen sie auch mit den Fäusten nachdenken und eine Idee erzeugen, stark genug, einer Revolution das Leben zu schenken. Keine Idee ist es aber, der unsern die bloße Negation entgegenzustellen. Wir nennen Gegenwart, was wir mit unserer Energie und Lust am Leben an Zeit fassen können, und wissen wohl, daß es nur Vergangenes gibt, sofern wir es erinnern, und Künftiges, sofern wir es glauben, und daß alles ein Vergehen ist, am Einzelleben gemessen. Aber die Kraft unserer Täuschung, die uns Gegenwart sagen läßt, ist stärker und fruchttragender als einer vernünftigen Erkenntnis lähmende Gewißheit. Solange bei den Sklaven die unterordnende Sklavenmeinung geltend ist, daß die äußeren Bedingungen den Menschen bestimmen, und was der Mensch tun könne nichts sonst sei, als sich so erträglich wie für ihn möglich in diese Bedingungen zu finden, solange wird in den Sklaven keine Kraft sein: Meutereien werden sie in die Gassen treiben, aber eine Revolution werden sie nicht vermögen. Inzwischen wollen wir, wir Kaste, uns mit dem letztgebliebenen Rest eines alten Gedankens behaupten und den nicht aufgeben, auch wenn man ihm seine Gerechtigkeit abspricht. Daß wir ihn noch leben können, beweist sein Recht. Das ist genug.

Als der Prinz älter wurde – (der Leser möge entschuldigen, daß ich Hippolyts Lebensgeschichte so beschleunige und fast ein Jahrzehnt daraus übergehe, das der Prinz in einer Versuchung hinbrachte, die ich hier nur kurz erzählen kann, wo es mir nicht um die Darstellung eines Einzellebens, sondern um eine Beziehung zur Zeit zu tun ist: Der Prinz ging auf Reisen und blieb verschollen. Er erzählte nie von dieser Zeit, die er in einem Kloster auf Malorca verbracht hat, als er sich auf einmal vor der Not des innern Menschen fand und nicht mehr die Worte sprechen konnte. Allgemein nahm man an, und ich glaube, es wurde sogar öffentlich bekanntgegeben, er sei auf Java verstorben, als er – acht Jahre waren inzwischen vergangen – wieder in Wien erschien und sein Leben weiterführte, als ob die acht Jahre nur der Ausflug eines Tages gewesen wären. Der Prinz übersah auch im Gespräche diese Zeit völlig und sagte »unlängst«, wenn er etwas meinte, was vor elf Jahren geschehn war. Wenn man ihn direkt fragte, so sprach er von der Tigerjagd in den Dschungeln, aber auf eine so fabulante Weise, daß jeder lachend merkte, der Prinz habe nie in den Dschungeln nach Tigern gejagt. Man versteht, weshalb ich bei dieser Zeit nicht länger verweile.) Als der Prinz älter wurde, und reifes Leben, das sich dem Ende zuneigt, der Beschaulichkeit mehr zugewandt ist als dem brüsken Auftreten der Ereignisse, da mochten sich wohl seine Freunde manchmal bei ihm beklagen, daß er sich selten mache. »Wenn man alt wird«, meinte er dann, »bekommt man so seine Krankheit: man neigt leicht dazu, sich in Sentenzen zu verlieren und damit langweilig oder in anderer Weise unartig zu werden, durch Schweigen oder sonst zu beleidigen und aufzufallen. Man gewöhnt sich Liebhabereien an und lebt nicht mehr so richtig im Ganzen. Man rekapituliert, macht Bilanzen, zählt Summen, wird zur falschen Zeit schläfrig oder munter, der Magen macht Geschichten – lauter ganz ungesellige Dinge. Alter und Häßlichkeit mögen sich selber am besten in der Einsamkeit genießen.« Diese versah sich Hippolyt mit Musik, worin er die alten Italiener und Mozart am meisten liebte. Sein Quartett Musikanten mußte ihm vorspielen, wenn er las. Und er las die alten Chinesen, die deutschen Mystiker, Vergil und Horaz. Von neueren – so nannte er sie – Goethesche Prosa, Kierkegaard und den Philosophen Richard Avenarius, dessen Art, reichste und feinste Kenntnis des Lebens und alle dessen subtilsten Gestaltungen in eine starre Mechanik zu zwingen, ihn immer wieder anzog. Von den Dichtern seiner Jugend blieb er George, Hofmannsthal und Rudolf Borchardt treu, Gide und Paul Claudel, Samuel Butler und Swinburne. Der Prinz erkannte, wie naturgemäß das Alter, vom Leben allmählich ausgeschlossen, auf keine andere Tätigkeit als die des Gehirnes gewiesen wird, und »mit der Eigenart unserer Gedanken, ich bitt Sie! Was macht sich eine junge Dame daraus! Man bekommt die Lorbeeren, und man hat noch den Geschmack auf der Zunge von dem viel bessern Gemüse, das einem einstmals von zarten blonden Dingern in den Mund geschoben wurde.« Soviel auch der Prinz in dieser Zeit mit den moralischen Dingen sich beschäftigte und sich zum Leben mehr als ein Zuschauer stellte, so erklärte er dies doch immer für eine Alterserscheinung, die nicht eben von irgendwelchem Werte sei, wenn nicht von diesem vielleicht, daß sie den Abschied vom Leben erleichtere, indem die – leider – kühlere Betrachtung dieses Leben entfärbe. »Man hat seine Erinnerungen, aber wie Blumen in einem Herbarium geben sie keinen rechten Geruch mehr, und da beginnt man sie halt zu klassifizieren – ein schwacher Trost, wenn es nach dem eigenen System geschieht.«

Es würde die Meinung, die der Prinz selber von seinem Leben hatte, schlecht treffen und vom Zwecke dieser Studie abziehen, verweilte ich bei dem Ende dieses Lebens, das nun nach innen ging, ausführlicher, so gerne ich auch von manchen der weisen und schönen Ansichten des Prinzen Kenntnis geben möchte und ausführen, wie in gütiger Harmonie hier ein Leben verging, von dem der Prinz auf dem Sterbebette sagte, er würde es nie anders zu leben wünschen, wenn es ihm auch noch zehnmal gegeben würde. Doch dies wäre eine andere Geschichte, die, in der einen erzählt, die Meinung und die Absicht dieser verdunkeln würde, welche Absicht keine sonst war, als von der beiläufigen Art eines Menschen unserer wiedererworbenen Kultur eine Silhouette aus dem Papiere zu schneiden.

Daß ich sechs Jahre später dem Bedürfnis nachgebe, diesem Erinnerungsblatte aus dem Jahre 1901 noch einiges hinzuzufügen, möge man aus der Liebe zu meinem Freunde begreifen – ich bin doch immer mit ihm gewesen, nicht wahr? – und weil mich heute dünkt, als ob der eine und andere Zug der Silhouette bestimmter hätte sein können. Es seien also auf den schwarzen Schattenriß noch einige Lichter gesetzt, die moralische Idee, deren Geste der Prinz war, deutlicher zu machen. Das Unlaute in Hippolyts Art, und weil ihm ein Glauben eignete, daß auch die entgegengesetzten Meinungen das versöhnende Element einer gemeinsamen heimlichen Wahrheit besitzen, ließ ihn dem oberflächlichen Zuschauer als einen Skeptiker erscheinen, der das Que scais-je? des in seiner Indifferenz als Zuschauer amüsierten Montaigne zu seinem Wahlspruch erkoren und in einem bequemen Hedonismus sein Leben verbracht hat. Das ist ein falsches Urteil. Denn des Prinzen tiefer Zweifel war ihm etwas wie eine religiöse Pflicht, da er unter der Einheit Gottes stand und die Mannigfaltigkeit menschlichen Wesens nicht als letzte Erkenntnis ansprechen und billigen konnte. Des Prinzen Wesen stand dem Mönchischen in der Tat viel näher als irgendwelchen Lustplätzen Epikurs. Er war ein Platoniker in der zwiefachen Überlieferung: er besaß eine Vision der Wahrheit, wie sie in der intuitiven Sicherheit ruht, und er ließ messend und wägend das Urteil in der akademischen Schwebe. So war er ein Mystiker, wie Plotinus etwa, und ein Spötter, wie Lukian etwa, in einem. Das erste gab dem Skeptiker die Güte, die Skepsis wieder ließ die Schatten des Parmenides nicht starr und schwarz werden. Er forcierte nichts und ließ alles seinen eigenen Weg gehn, denn er glaubte, die Wahrheit müsse sich immer durch einen Akt der Gnade offenbaren, die eine Wahrheit, an die er unbeirrbar glaubte als das einzige, was alles erst wirklich mache. Er lauerte dieser Wahrheit auf, er ging sie suchen in allen Dingen, und sein Zögern, seine Skepsis, das war, weil ihr Fund schwer ist in den Verstecktheiten ihrer irdischen Verwirklichungen. Mit des Glaukon Worten ist seine moralische Haltung gut zu bezeichnen: »Wohl, für den Weisen ist jedenfalls die Zeit, die er dem Besprechen solcher Dinge zu geben hat, die Zeit seines ganzen Lebens.« Ja, das ganze Leben ist ein Gespräch mit unserm unsichtbaren Gefährten, wissend, daß jede Antwort eine neue Frage ist, und wissend aber auch, daß eine letzte Antwort ist.

Die Einheit und die Vielheit trafen sich in des Prinzen Verhalten zum Leben wie Gleiche, denn er war ein zu intensiver Leber des Lebens und Liebhaber der Künste, als daß er sich hätte mit einer Abstraktion zufrieden geben können, und war doch immer eine Einheit in seiner Vielheit verlangend. Daher seine Liebe für geschlossene Kulturen, und daher seine Kraft, so Außerordentliches zur Bildung einer Kultur beizutragen, wo alle Interessen der intellektuellen Welt, Kunst und Dichtung, Philosophie und Religion, Geselligkeit und Tun, sich alle in einem vollkommenen Typus allgemeiner Kultur kombinieren.

Deshalb schaltete er nichts aus der Welt aus, da alles zum Ganzen und Einen gehört und kein Platz anderswo als wieder nur in der Welt ist, das aus ihr Geschaltete hinzutun. Der Prinz war nichts speziell und nie auf einer Seite: er war alles und in und mit allem. Mit Zögern, vielleicht auch mit Skrupeln, sicher aber im Gefühl größter Verantwortung ging er suchend seinen Weg nach der Einheit, die nicht in Streit noch in Behauptung zu finden ist.


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