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VII

Die Schmuggelfahrt brachte dem Rektor etwas mehr als zwölftausend Reales ein, ausserdem aber die Anerkennung der gesamten Strandbevölkerung. Der Streich mit dem Zollkutter, der tatsächlich zur Columbreta gefahren war, imponierte ihr ungemein.

Die von Dolores gut verwahrten Ersparnisse hinzugerechnet, besass er jetzt eine schöne, runde Summe, mit der man schon etwas anfangen konnte.

Und dieses »Etwas« lag für ihn selbstverständlich auf dem Meer.

An Schmuggel dachte er nicht. Einmal war es gut gegangen, – gerade wie beim Spiel, das immer den Anfänger begünstigt – aber man soll den Teufel nicht auf die Probe stellen. Für ihn passte nur eins: die Fischerei, doch nun mit eigenen Mitteln.

Sogar nachts erwog er das Für und Wider seiner Idee. Unruhig wälzte er sich zwischen seinen Laken und wurde seiner Dolores, ohne deren Zustimmung er niemals etwas unternahm, lästig, bis er endlich zu dem Entschluss kam, sein Kapital in einer Bark anzulegen. Aber nicht in einer xbeliebigen! Es sollte die beste aller Barken werden und als Wahrzeichen seiner Würde der höchste Mast in Cabañal vor seinem Hause stehen!

Die Gevatterinnen besprachen eifrig diese Neuigkeiten.

»Wisst ihr es schon? Der Rektor baut ein eigenes Boot, und wenn die schöne Dolores in Zukunft überhaupt noch zur Markthalle fährt, wird sie nur seine Fische verkaufen.«

Kamen sie am Gaskanal vorüber, so blieben sie ein Weilchen stehen, um neidisch nach dem Rektor hinzuschauen, der, die ewige Zigarre im Munde, vom Morgen bis zum Abend bei den Zimmerleuten weilte, die aus frischem, saftigem Holz – von ihm selbst ausgesucht – Bretter aller Art, dicke und dünne, gerade und leicht gekrümmte, schnitten oder glatt hobelten.

Die Arbeit ging ohne Hast vor sich. Nur keine Überstürzung, keine Fehler! Man hatte Zeit genug.

Und während Pascualo sich seinem Schiffsbau mit Leib und Seele hingab, führte Tonet mit seiner, dank der Gutmütigkeit seines Bruders sehr reichlich ausgefallenen Prämie ein Herrenleben.

Nur bei Rosario merkte man nichts von der glücklich verlaufenen Fahrt. Wie bisher schleppte sie frühmorgens ihre Fischkörbe nach Valencia, häufig auch nach Torrente oder Bétera, wo schon die ersten Sommerfrischler auftauchten. Den Rest des Tages war sie allein in ihrem düsteren Loch, denn ihr Tonet, mit einem neuen Anzug und einer Handvoll Duros in der Tasche, zog es vor, in Begleitung seiner Spiessgesellen nach Valencia zu fahren, um seine Pesetas in den Spielhäusern zu riskieren.

Spät nachts kehrte er dann übler Laune heim und beantwortete den sanftesten Vorwurf Rosarios mit Schlägen. Bisweilen vergingen auch zwei oder drei Tage, ohne dass sie ihn zu Gesicht bekam. Um so häufiger jedoch besuchte er das Haus seines Bruders, sass bei Dolores in der Küche und hörte mit fügsamer Miene ihre Vorhaltungen wegen seiner schlechten Führung an. Trat Pascualo zufällig bei einer dieser Strafpredigten ein, so war der gutmütige Dicke ganz gerührt über seine prächtige Frau, die sich ihres Schwagers gütig wie eine Mutter annahm.

Je mehr Tonets Geld zu Ende ging, desto öfter hockte er bei Dolores, begleitete auch bisweilen seinen Bruder nach dem Schiffsbauschuppen und heuchelte Interesse an dem grossen Holzskelett, dessen Flanken sich allmählich bekleideten und kühn geschwungene Linien zeigten unter all den Hämmern, Sägen und Äxten, die unaufhörlich an ihm herumarbeiteten.

So kam der Sommer und brachte dem Strand ein munteres Leben. Die Hitze trieb ganz Valencia nach diesem lockenden Sand, auf dem über Nacht eine improvisierte Stadt emporwuchs. Die längs des Wassers in gerader Linie ausgerichteten und beflaggten Badehäuschen mit ihren Rohrdächern und Wänden aus bemalter Leinwand trugen die extravagantesten Namen. Um jeden Irrtum zu verhüten, unterschieden sie sich ausserdem noch durch Puppen, Schiffchen, Hampelmänner und andere groteske, auf dem First thronende Embleme.

In weiser Voraussicht des durch die Seeluft gesteigerten Appetits breiteten sich hinter ihnen eine Menge kleiner Gasthäuser aus, denen Terrassen und Freitreppen, gebrechlich wie Theaterdekorationen, ein anspruchsvolles Äusseres gaben. Für ihre baufällige Konstruktion und mysteriöse Küche entschädigten sie den Gast durch pompöse Benennungen, wie zum Beispiel: »Restaurant Paris« oder »Hotel zum verwöhnten Geschmack«. Zwischen diesen Feinschmeckerlokalen schossen die einheimischen Bodegas wie Pilze aus dem Boden: Sonnendächer aus Schilfmatten, ein paar wackelige Tische mit einem Becher in der Mitte und ein Herd unter freiem Himmel; dazu ein Riesenschild, dessen Inschrift ausnahmslos eine ergötzliche Orthographie aufwies. Und von San Juan bis September kaprizierten sie sich darauf, jeden Tag »Schnecken mit Kräutersauce« als Spezialität anzupreisen.

Quer durch dieses Städtchen, das bei der ersten Windsbraut im Oktober Hals über Kopf verschwand, rollten Strassenbahnwagen, die es nie unterliessen, erst zu läuten, bevor sie Menschen überfuhren, und zweirädrige Zeltwagen mit flatternden roten Vorhängen.

Bis tief in die Nacht dauerte der konfuse Lärm. Ambulante Händlerinnen riefen ihr Backwerk aus, Leierkasten wimmerten, Kastagnetten klapperten, Guitarren schmachteten – alles übertönt von dem spröden Näseln der Ziehharmonika.

Überall tanzten galante Burschen mit Schmachtlocken, angenehme Herrschaften in weisser Bluse, die nur ein innerliches Bad nahmen – auch bei diesem hassten sie das Wasser – und nach Valencia in der richtigen Verfassung zurückkehrten, blindlings ihre Navaja spielen zu lassen oder den ersten besten Guardia municipal anzurempeln.

Den Einheimischen benagte das fröhliche Treiben. Je mehr sich die Städter amüsierten, desto besser, denn die Badesaison bedeutete für Cabañal eine Kuh, die ordentlich gemolken werden musste, damit man bis zum nächsten Sommer durchhalten konnte.

Anfang August wurde des Rektors Bark fertig. Sie konnte sich sehen lassen! Der Mast war stark und spiegelglatt; der Rumpf ein wenig breit, um den Schlagwellen besser Widerstand leisten zu können, aber mit einem Bug – messerscharf! Das schwarz geölte Deck glänzte wie ein neuer Lackschuh, und die Seiten leuchteten weisser als der Bauch eines Aals.

Es fehlten nur noch Tauwerk und Netze, doch die besten Seiler der Gegend arbeiteten fieberhaft, damit die Bark sich am 15. August schön wie eine Braut präsentieren könnte.

»Hoffentlich wird alles rechtzeitig fertig,« meinte der Rektor, der Mutter und Geschwister zum Abendbrot eingeladen hatte und mit der ganzen Familie vor der Haustür sass. Tonet klimperte, an einen Olivenbaum gelehnt, leise auf seiner Guitarre und schaute träumerisch zum Mond, in Pose und Miene ganz der Troubadour eines billigen Buntdrucks. Etwas abseits brutzelte auf einem niedrigen, aus Lehm gebauten Herde eine ungeheure Pfanne mit Fisch.

Siña Tona hatte sich sehr verändert, hatte, wie sie es nannte, den Sprung gemacht. Mitleidslos zeigte das klare Mondlicht ihr dünn gewordenes, vollkommen ergrautes Haar, und die einst so begehrten, schwarzen Augen blickten müde und traurig in einem runzeligen Gesicht mit welken Hängebacken.

Ihre Kneipe brachte fast nichts mehr ein, so dass Roseta in der Zigarettenfabrik arbeiten musste. Tagaus, tagein trabte sie um fünf Uhr morgens nach dem ehemaligen Zollgebäude in Valencia, dessen von Tabakstaub durchsetzte Luft zu ständigem Niesen reizte.

Ein hübsches Mädchen war sie geworden, diese Roseta, mit ihrer widerspenstigen, blonden Mähne, den rätselhaften Augen und einem rosigen Teint, dem Sonne und Wind nichts anhaben konnten! Ein Röschen wie ihr Name!

Nachdenklich blickte sie von ihrer schönen Schwägerin zu dem Spieler am Baum, und als der Rektor ihn lobte, weil er auf das gute Zureden von Dolores hin die Kneipen mied, zog ein kleines, sarkastisches Lächeln um ihren Mund.

O diese Männer … Nein, sie wollte nichts mit ihnen zu tun haben, und zur Verwunderung von ganz Cabañal lehnte sie jeden Antrag ab.

»Beim Cura bin ich auch schon gewesen,« erzählte ihr Bruder zufrieden. »Er wird nachmittags zum Strand kommen, um die Bark zu segnen. Aber – Teufel auch! Etwas fehlt ja noch! … Dass ich daran noch nicht gedacht habe! Der Name fehlt ja … Wie wollen wir sie nennen?«

Dieses unerwartete Problem brachte den ganzen Kreis in Aufregung. Sogar Tonet legte seine Guitarre auf den Boden und versank in Nachdenken.

»Ich hab's,« fuhr er hoch. Seine kriegerischen Neigungen und die Erinnerungen an die Königliche Marine hatten ihm die Idee gegeben. »Sie soll Eisenspucker heissen. Gefällt euch das?«

Der Rektor war voll und ganz einverstanden mit dem martialischen Namen und sah sein Boot schon die Wogen mit der großspurigen Arroganz einer portugiesischen Feluke zerteilen.

Doch die Frauen widersprachen.

»Ein verrückter Name! Alle Welt wird sich über uns lustig machen. Spuckt eine Fischerbark vielleicht Eisen aus?«

Siña Tona hatte einen anderen Vorschlag.

»Nennt sie Möve, wie das Boot eures Vaters.«

Allgemeiner Protest. Das musste Unglück bringen!

Dolores kam mit einem besseren Einfall. »Wie gefällt euch Seerose?«

»Famos!« rief Pascualo. »Meine Frau hat doch stets den besten Geschmack. Aber da fällt mir ein, dass ein anderes Boot schon so heisst. Schade, zu schade … Jetzt bist du an der Reihe, Roseta.«

»Ich bin für Flor de Mayo. Dann denkt jeder gleich an das schöne Bildchen.«

Mit dem Bildchen meinte Roseta die Fabrikmarke auf dem geschmuggelten Tabak, die eine fesche Tänzerin in weissem Röckchen, Rosen in der Hand, darstellte.

Ihr Bruder war begeistert.

»Cuerpo de Cristo! Recht hast du! Ich nenne sie Flor de Mayo. Das verlangt schon die Gerechtigkeit, denn ohne all die schönen Pakete mit dem lustigen Fräulein hätte ich die Bark nicht bauen lassen können … Sieh einer das Talent unserer Roseta! Aber jetzt zu Tisch, Señoras y Caballeros, und auf Flor de Mayo angestossen!«

Am 15. August herrschte in ganz Cabañal Feiertagsstimmung – solche seltenen Feste mussten wahrgenommen werden. Als Pate figurierte kein Geringerer als der reiche Señor Mariano, der sonst die Tasche zuhielt, aber dieses Mal, seinem Neffen zuliebe, ein gehöriges Stück Geld springen lassen wollte.

Um drei Uhr nachmittags marschierte der Rektor mit der neuen Mannschaft der Flor de Mayo zum Pfarrhaus, um den Cura Don Santiago feierlich abzuholen. Der alte Priester empfing ihn mit dem wohlwollenden Lächeln, mit dem nur gute Pfarrkinder ausgezeichnet werden.

»Wie, ist es schon Zeit? Dann sagt dem Sakristan, dass er Weihwasserkessel und Wedel bringt. Ich bin sofort bereit, brauche nur noch das Chorhemd anzulegen.«

»Das Chorhemd? …« protestierte Pascualo unwillig. »Nein, Hochwürden, heute den ganzen Ornat! Die Taufe meiner Bark ist keine kleine Sache. Und seien Sie ohne Sorge – ich zahle extra.«

Don Santiago war entgegenkommend.

»Gut! Eigentlich ist der Ornat ja nicht am Platze, aber ich mache eine Ausnahme, weil du ein guter Christ bist.«

Der Zug verliess das Pfarrhaus; voran der Sakristan mit dem Wedel und dem heiligen Kesselchen, hinter ihm, umringt von seiner Matroseneskorte, Don Santiago. In einer Hand hielt er sein Gebetbuch, die andere raffte vorsichtig den verschlissenen Ornat mit den verblassten, in der Sonne grünlich schimmernden Goldstickereien.

Unterwegs rannten die Dorfkinder herbei, um ihre kleine Rotznase auf seiner heiligen Hand zu reiben. Auch die Frauen grüssten devot den »guten Herrn Kaplan«, der manchmal sehr grob werden konnte, es jedoch verstand, sich den Sitten seiner Herde anzupassen, und nicht erstaunte, wenn er von einer Fischhändlerin auf der Strasse angehalten wurde mit der Bitte, ihre Körbe zu segnen – aber auch die Wage, um nicht von den Marktaufsehern in Valencia mit den um ein weniges zu leichten Gewichten ertappt zu werden.

Sobald der Zug den Strand erreichte, begannen die Kirchenglocken das leise Rauschen der Wogen mit fröhlichem Klang zu begleiten. Das ganze Dorf war gekommen, und der Rektor hatte Mühe, dem Cura einen Weg zur Flor de Mayo zu bahnen, an deren Mastspitze das Wahrzeichen jeder neuen Bark steckte: ein künstlicher Blumenstrauss, der dort oben blieb, bis ihn die Seewinde zerpflückten.

Am Heck standen die Paten, Siña Tona in Mantilla und neuem Kleid, neben ihr der Señor Mariano mit Zylinder und Schossrock, seiner Galatracht für die Besuche beim Gouverneur. Dolores, ganz in Rosa, prunkte mit blitzenden Ringen, und Tonet stolzierte, die Mütze schräg auf dem Ohr, in einer funkelnagelneuen Jacke auf dem Deck umher und fand es äusserst angenehm, an diesem exponierten Platz den bewundernden Blicken der jungen Mädchen ausgesetzt zu sein. Mit Roseta war auch Rosario gekommen, die angesichts der Feierlichkeit des Ereignisses für heute mit Dolores Frieden gemacht hatte. Und der Rektor? Er behauptete, sich ganz als Engländer zu fühlen in seinem von einem befreundeten Maschinisten in Glasgow besorgten Jackettanzug aus blauer Wolle. Der frischgebackene Patron schwitzte beträchtlich in diesem schönen Winteranzug und musste obendrein noch ständig Ellenbogenstösse austeilen, damit die Leute sich nicht zu dicht an den Herrn Kaplan drängten.

»Bitte, meine Herren, etwas Ruhe! Eine Schiffstaufe ist nichts zum Lachen. Nachher ist Zeit genug, um ausgelassen zu sein.«

Und um dem respektlosen Volk ein gutes Beispiel zu geben, setzte er ein andächtiges Gesicht auf und zog die Mütze, während der unter seinem Ornat nicht minder schwitzende Cura in seinem Buch das »Propitiare, Domine, supplicationibus nostris, et benedic navem istam …« aufschlug.

Mit ernster Miene schauten die Paten zu Boden, der Sakristan passte scharf auf, um rechtzeitig Amen zu antworten, und die endlich still gewordene Menge lauschte, den Kopf entblösst, in der Erwartung von etwas Ungewöhnlichem.

Don Santiago kannte sein Publikum. Langsam und ausdrucksvoll, bisweilen feierliche Pausen machend, las er das einfache Gebet vor, das der Rektor, der vor Aufregung ganz aus dem Häuschen war, mit heftigem Kopfnicken begleitete, als gäbe er zu jedem dieser auf lateinisch an die Flor de Mayo gerichteten Worte seine Zustimmung.

Das einzige, was er aufgriff, war: »Arcam Noe ambulantem in diluvio,« und er platzte beinahe vor Hochmut, dass man seine Flor de Mayo mit dem berühmtesten Schiff der Christenheit verglich und zwischen ihm und dem fröhlichen Patriarchen, dem allerersten Seemann auf Erden, ein enges Verhältnis hergestellt wurde.

Jetzt griff der Cura zum Wedel:

»Asperges …«

Ein Weihwasserregen sprühte auf das Heck und lief in winzigen Tröpfchen von den geölten Brettern ab. Dann umschritt er unter Vorantritt des Rektors, verfolgt von dem Amen des Sakristans, die ganze Bark, um sie mit Latein und Wedel zu einem christlichen Schiff zu machen …

Zeichnung: A. J. Welti

Jetzt griff der Cura zum Wedel: »Asperges …«

Doch Pascualo konnte nicht glauben, dass die feierliche Handlung schon vorüber wäre. Musste man nicht auch das Deck und den Schiffsraum segnen?

»Bitte, Don Santiago, noch eine kleine Anstrengung. Sie wissen, dass ich erkenntlich bin.«

Und der gute Cura, dem die flehende Miene des Patrons ein Lächeln entlockte, kletterte langsam die schmale Leiter hinauf, arg behindert durch den in der Sonne funkelnden Ornat, der aus der Ferne wie die Flügeldecken eines an der Bark hochkletternden Goldkäfers aussah.

Als alles den Segen – und zwar reichlich – erhalten hatte, verschwand Don Santiago, dieses Mal nur von seinem Sakristan begleitet, und sofort stürmte die Menge vorwärts.

Endlich war der ersehnte Moment gekommen. Die ganze Kinderwelt von Cabañal schrie unisono:

»Mandeln und Konfekt! Mandeln und Konfekt! …«

Der allmächtige Señor Mariano lachte wohlwollend vom Deck herunter. Jetzt sollte man etwas erleben! Eine Unze Gold kostete ihn das Vergnügen, seinem Neffen gefällig zu sein. Er bückte sich und versenkte beide Hände in die Körbe zu seinen Füssen.

»Aufgepasst!«

Die erste Ladung Konfekt prasselte auf das unten tobende Völkchen, das sich johlend gegenseitig die Leckereien wegzuschnappen suchte.

Derweile zog Tonet die Geneverkruken auf und lud mit einer Miene ein, als zahlte er das ganze Fest. Gut, dass noch diverse Fässchen mit Zuckerrohrschnaps parat standen, denn alles strömte herbei, mitzutrinken: Zollwächter mit umgehängtem Gewehr, würdige Schiffspatrone und barfüssige Matrosen, auch die nirgends fehlenden Schiffsjungen, schrecklich lange Messer im Gürtel.

Das Deck der Flor de Mayo hallte wider von fröhlichem Stampfen wie der Fussboden eines Tanzsaals, und durch das lustige Treiben angezogen, stieg Dolores die Leiter hinauf, wobei sie auf jeder Sprosse die Schiffsjungen ausschelten musste, die im Sande mit der sträflichen Absicht kauerten, die roten Strümpfe der schönen Frau von unten zu sehen.

Dort oben war ihr Triumph vollständig. Eigene Schiffsplanken unter den Füssen, bewundert von all diesen Männern, deren Blicke sie lüstern streichelten, beneidet von Hunderten von Frauen unter ihr! Ah, was mochte ihre Schwägerin Rosario jetzt wohl empfinden?

Pascualo wich nicht von der Seite seiner Mutter. An diesem so lange ersehnten Tage erwachte in ihm die alte Kindesliebe.

»Besitzer einer Bark! … Mutter, wer hätte das gedacht! Freust du dich nicht?«

Er umarmte die Alte und küsste ihre tränenfeuchten Augen, denn dieses Fest liess in Siña Tona die Erinnerung an das unselige Ende ihres Mannes wieder aufleben.

»Junge! Lieber, lieber Junge! Ich habe Angst um dich,« schluchzte sie. »Auch dein Vater ist ein tüchtiger Seemann gewesen; auch er lachte, wenn man von Gefahren sprach. Und trotzdem … Ach, mein Herz sagt es mir, dass das Meer auch der neuen Bark Unheil bringen wird.«

»Nein, zum Teufel! Das wird es nicht!« rief Pascualo unwillig. »Übrigens eine nette Unterhaltung an solchem Freudentage … Wenn man alt wird, sieht man alles schwarz, und dann verspürst du heute wohl Gewissensbisse, weil du den Vater die ganzen Jahre über vergessen hast. Steck' lieber eine dicke Kerze für die Seele des Verstorbenen an, falls sie noch im Fegefeuer sitzt. Und jetzt Schluss mit diesen Leichenreden. Mir soll keiner schlecht vom Meer sprechen, das uns alle ernährt … Hallo, Tonet, ein Glas für mich! Wir wollen Flor de Mayo taufen, wie's sich gehört.«

Während er trank, fuhr seine Mutter fort zu seufzen, den Blick auf die andere Barke gerichtet, die ihren Kindern als Wiege gedient hatte. Doch jetzt wurde ihr Sohn ärgerlich.

»Willst du überhaupt nicht mehr mit Jammern aufhören? Auch eine Art, gerade heute an die schlechten Spässe der See zu erinnern! Sollte ich vielleicht Bischof werden, um ohne Gefahr durchs Leben zu gehen? … Menschen, die hier geboren werden, können ihr Brot nur auf der See verdienen. Deshalb heisst es eben hinzunehmen, was sie gibt: mal Sturm, mal guten Fang. Irgend jemand muss sich doch schliesslich der Gefahr aussetzen, damit die Leute in der Stadt Fisch essen können … Und jetzt, por Dios, schweig' still! … Angestossen, Caballeros! Es lebe die Flor de Mayo! Ich hoffe, dass ihr mich nicht allein trinken lasst.«

Dieser Appell war nicht vergeblich. Um Mitternacht schnarchte die ganze Gesellschaft schwerbezecht im Sande.


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