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3.

John Kurt.

Konrad Kurt war als fünfzehnjähriger Knabe von Hause fortgelaufen. Länger vermochte er es nicht zu ertragen, seine Mutter mißhandelt zu sehen. Diese Eigentümlichkeit hatte sich in der Familie vererbt. Er war auf einem Schiffe nach Hull geflüchtet, wo ein Bruder seiner Mutter lebte.

Aber Konrad Kurt wurde auf dem Lande erzogen; die Kosten bestritt sein Oheim. Denn der Arzt hatte gesagt, das Nervensystem des Knaben sei nicht das beste. Sollte ein gesunder Mensch aus ihm werden, müsse er in frischer Luft leben, z. B. als Gärtner. Nun war es in dem Geschlecht der Kurts von jeher eine Liebhaberei gewesen, sich mit Gärtnerei zu beschäftigen, und so wurde sie sein Beruf.

Als der Vater starb und er nach Hause zurückkehrte, um für seine arme Mutter und sich selbst zu sorgen, wußte er nicht, was er sonst beginnen sollte. Sein liebenswürdiger Vater nämlich hatte die letzten Waldungen zum vollständigen Niederschlagen, die letzten Schiffsanteile und schließlich die Ziegelei verkauft, und aus dem Erlös sich eine Leibrente geschaffen. Mit einem Worte – er besaß nur noch die Käufer, die Gärten und ein wenig Feld; im übrigen hatte er alles um sich her gewissermaßen aufgezehrt.

Und der Sohn – er konnte ja seinerseits damit beginnen, die Felder zu verkaufen. Sie grenzten unmittelbar an die Stadt und eigneten sich ausgezeichnet zu Baustellen; ebenso die untersten Partien beider Gärten. Aber Konrad Kurt meinte, es sei genug von dem Gut verkauft und nahm ein Anlehen auf, das er dazu verwendete, Felder und Gärten zu drainieren und die Häuser so weit wieder in den Stand zu setzen, daß sie nicht zerfielen. Außerdem erweiterte er das Gewächshaus und baute später noch ein zweites; kurz – er bewies den Leuten, daß er von seinem Besitztum noch leben und namentlich aus seinen Gärten sich einen lohnenden Gewinn verschaffen konnte, und das war zu jener Zeit und in jener Gegend etwas Neues. Anfangs schickte er fast alle Erzeugnisse seiner Gartenkunst mit den Schiffen nach auswärts; aber allmählich wurde auch dies anders.

Er schlief, speiste und schrieb in dem Zimmer, das unmittelbar am Eingang links lag. Es war dasselbe, in welchem der erste Kurt und nach ihm alle die gewohnt, die das Gut besessen. Das daran stoßende Zimmer hatten sie als Schlafgemach benutzt, aber dieses überließ Konrad Kurt seiner Mutter. Sie hatte jetzt ihre glücklichsten Tage.

Die Dienstboten und Arbeiter wirtschafteten in der Küche auf der anderen Seite des breiten Ganges, der das ganze Haus durchschnitt und es in zwei gleiche Hälften teilte. Im übrigen war das Hauptgebäude öde und verlassen. Doch breitete Konrad Kurt im Herbst oft seine Gartenerzeugnisse in den verschiedenen Zimmern und Sälen zum Trocknen aus.

Er war ein heftiger Mann, manchmal wortkarg, manchmal polternd, hatte aber ein gutes Herz. Das Gesinde und die Arbeiter waren ihm zugetan, da er redlich für sie sorgte. Den auf dem Berge wohnenden Seeleuten und Fischern gab er Sämereien und unterwies sie, wie sie Gärten anlegen und deren Erzeugnisse verwerten konnten. Und so bildete sich im Laufe der Zeit um jedes Haus ein Gärtchen, wozu die Leute sich Erde von Kurt holen konnten, wenn sie den wilden Boden durch Vermischung mit besserem Erdreich veredeln wollten. Jeden Sonntag während des Frühlings und Sommers ging Konrad Kurt bei den Leuten umher und half ihnen. Und dieser Gewohnheit blieb er sein ganzes Leben lang treu. Aber dies waren fast die einzigen Fälle, wo man ihn außerhalb seiner Gärten, seines Hauses und seiner Keller zu sehen bekam.

Im Frühjahr und Sommer war er schon morgens vier Uhr draußen und im Herbst und Winter, sobald es hell zu werden anfing. Im Sommer trug er Beinkleider von englischem Leder, einen grauweißen Linnenrock, eine bis auf die Füße herabgehende grüne Schürze und eine Mütze mit großem Schirm; im Winter dieselbe englische Lederhose, eine festzugeknöpfte Matrosenjacke und dieselbe lange Schürze, aber auf dem Kopfe hatte er dann eine Pelzmütze mit breiten Klappen, die stets herabgelassen waren, so daß die losen Enden ihm ins Gesicht schlugen. Nie hatten die Leute ihn anders gekleidet gesehen, außer am Sonntage. Dann sah man ihn mit rasiertem Gesicht, einem gestärkten Hemdenkragen und ohne Schürze.

Er hatte nicht die breite, trotzige Stirn der Kurts; dagegen war die seine ziemlich hoch und schien auffallend weiß zu sein; vielleicht nur deshalb, weil er im übrigen so wettergebräunt war. Aber die unruhigen, wilden Augen des Geschlechts waren auch ihm eigen. Das Gesicht war länger, als man es früher an den Kurts gekannt, und ziemlich mager, die Nase etwas breit.

Die Hausfrauen und Kinder hatten es bald heraus, daß es vorteilhaft war, hinaufzugehen zu dem barschen, oft polternden Mann und dort mit ihm zu handeln, statt in seiner Bude auf dem Markt; denn er war entgegenkommend im geschäftlichen Verkehr; und im Grunde des Herzens ein Kinderfreund. Aber man durfte nicht lange aussuchen, vor allem aber nicht feilschen.

Es ging ihm gut; seine Kühe und Gärten ernährten ihn immer besser. Aber nach einigen Jahren verbreitete sich das Gerücht, seit dem Tode seiner Mutter sitze er Abend für Abend allein und trinke Whisky, bis er betrunken sei. Wolle man wissen, ob es damit seine Richtigkeit habe, so müsse man kurz vor neun hinaufgehen, denn dann begab er sich regelmäßig zu Bett. Und das tat denn auch der eine und andere. Ja, die Sache hat ihre Richtigkeit: Schlag halb neun war er vollständig betrunken. Das Reden wurde ihm dann schwer; aber er geriet leicht ins Weinen.

Das kam dem alten Pastor Green zu Ohren; der hieß schon damals, als er noch ein junger Mann war, der »alte« Pastor, weil bei einem schrecklichen Erlebnis sein Haar ergraut war. Pastor Green gehörte zu denen, welche schon vor langer Zeit in Norwegen gegen die Trunksucht auftraten, – zu denen, welche dieser Sache ihr Leben gewidmet.

Sein Hauptgrundsatz war, daß es nichts nütze, gegen die Trunksucht zu predigen, sondern daß es hier zu handeln gelte, und daß nicht daran zu denken sei, den einzelnen Trinker zu bekehren, wenn man nicht wisse, aus welchem Grunde er sich dem Trunke ergeben. Und immer gibt es einen solchen bestimmten Grund; und nur wenn dieser nicht in einem zu alten Erb- und Familienfehler oder in einer zu tief eingewurzelten Gewohnheit liege, könne die Trunksucht geheilt werden.

Er begab sich zu Konrad Kurt und redete ihm so lange freundlich zu, bis er erfuhr, daß Kurt mit der Frau des Gärtners, bei dem er in England in der Lehre gewesen, ein Liebesverhältnis gehabt. Er hatte ein Kind mit ihr. Sie starb ungefähr zu der Zeit, als er seine Mutter verlor. Er hatte sie so rasend lieb gehabt. Es war ihnen entsetzlich gewesen, ihren Mann zu betrügen. Aber sie hätten nicht anders gekonnt. Und dann begann er zu weinen ... Der Knabe, den sie bekommen – oh, etwas Prächtigeres gab's auf der ganzen Welt nicht! Und der betrunkene Mann schluchzte vor Sehnsucht nach seinem Kinde und klagte sich mit wilden Worten an.

Pastor Green suchte ihn zu bestimmen, dem Gärtner seine Sünde abzubitten und den Knaben zu sich zu nehmen; aber dazu war Konrad Kurt zu feig. Und so blieb denn nichts anderes übrig, als daß Pastor Green sich an andere wandte, und eines Sommerabends kam er mit einem langen schwarzlockigen Knaben von etwa zwölf Jahren herauf zum Gut und fragte nach Kurt, der noch im Garten beschäftigt war. Da hätte man sehen sollen, wie Konrad Kurt sich von einem Beet, auf dem er hockte und grub, erhob und sich die Erde von den Händen zu reiben anfing, – und dann plötzlich mit dieser Beschäftigung aufhörte, unter dem großen Mützenschirm hervor bald den Pastor Green, bald den dunkelhaarigen großen Burschen anstarrte, und dann schließlich die lebhaften wilden Augen, die noch größer waren als die seinen, und die lange, etwas breite Nase und sein mageres Gesicht erkannte! Und unwillkürlich begann er Englisch zu sprechen:

»I beg your pardon; but this lad –?«

Mehr konnte er nicht hervorbringen ... Da mußte Pastor Green das Wort nehmen: ja, es war sein Sohn.

An diesem Abend vergaß Kurt die Whiskyflasche hervorzulangen. Und als er das nächste Mal nach ihr greifen wollte, nahm der Knabe die Flasche und schleuderte sie zum offenen Fenster hinaus gegen einen Stein. Es war ein ausgezeichneter Wurf! Und Glas und Zuckerschale und Teelöffel folgten – alles flog in kunstgerechtem Wurf zum Fenster hinaus.

Pastor Green hatte den Knaben gebeten, darauf zu achten, wenn der Vater seine Whiskyflasche zur Hand nehme, und sie auf gute Art zu entfernen. In dieser Weise hatte der Knabe den Auftrag ausgeführt.

Der Vater stand da und starrte seinen Sohn an – – dann brach er in ein unbändiges Lachen aus.


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