Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Zehntes Kapitel

Römische Kaiserinnen

Die Weltgeschichte geht weiter, und wir suchen jetzt die Frauen Roms. Sie werden uns indes nicht viel Neues bringen. Die Weltzentrale hatte sich nur aus dem Osten nach Westen verschoben; Rom aber, das neue Weltzentrum, war längst hellenistisch, alexandrinisch stark beeinflußt, und was folgt, ist nichts weiter als die Fortsetzung des schon Gegebenen, eine Fortsetzung mit Variationen.

Mit der Republik war es zu Ende, und das Königtum nach dem Vorbild der Ptolemäer setzte sich fest in Rom. Octavian, den die Geschichte Augustus nennt, hat es zunächst in liberale Formen zu verkleiden gesucht, und das Wort »Freiheit« sollte noch gelten. Aber das Wort hatte hohlen Klang, und die Verkleidung war vergebens. Nur das Wort »König« wurde vermieden; an seine Stelle trat Cäsars Eigenname in dauernder Vererbung; er wurde zum Titel, der alle Zeit überdauert hat und großmächtig im Russischen als Zar, bei uns Deutschen als Kaiser weiterlebt.

Kleopatras ehrgeizig phantastischer Wunsch hatte sich also überraschend in anderer Weise erfüllt; denn jenen Cäsar hatte sie einst beherrscht, hatte selbst sein Königtum gewollt, hatte als seine Königin seine Dynastie begründen wollen. Aber 201 noch mehr: die Zeit sollte kommen, wo ihre kühnste Forderung sich erfüllte und ein hochfahrendes Griechenweib, gleichsam sie selbst in verwandelter Gestalt, als Herrscherin in Rom einzog; eine Schmach für Rom. Die Angst vor ihr war nicht umsonst gewesen.

Der Prozeß dauerte eineinhalb Jahrhunderte, und Rom wehrte sich lange. Es ist spannend, den Hergang zu verfolgen, und dies gibt uns Anlaß, nach den römischen Kaiserinnen uns umzusehen und die Geschichte des Kaisertums im Fluge zu durchblättern.

Das julische Kaiserhaus, das von Augustus ausging, starb schon mit Nero aus; kurzlebiger noch war die flavische Kaiserfamilie. Die Dynastien degenerierten noch schneller in Rom als in den hellenistischen Reichen. So erblicken wir den Höhepunkt des römischen Kaisertums erst in den Herrschern von Trajan bis Mark Aurel, Männern, die unter sich nicht blutsverwandt, durch freie Wahl ihres Vorgängers auf den Thron berufen wurden. In all diesen Zeiten aber war Rom betont römisch, so römisch es damals noch sein konnte; die Herrscher selbst suchten die alten nationalen Werte nach Möglichkeit noch zu retten und zu steigern; schon Augustus ging damit voran.

Nur Caligula, der verrückte, des Tiberius Nachfolger, hat eine seltsame Ausnahme gemacht. Er war von Ägyptomanie ergriffen, als stünde Kleopatras Geist hinter ihm, machte den Isisdienst zur kaiserlichen Religion, verbot die Erinnerungsfeiern an die Schlacht bei Actium und heiratete gar nach ägyptischem Vorbild seine 202 Schwester Drusilla, die unselige, die von Grauen erschüttert alsbald schwer erkrankte und wegstarb.

Diese Episode blieb vorläufig ohne Nachwirkung, und so vollendete sich die klassische römische Dichtkunst, um nur sie zu nennen, die auch noch die nächste Zeit ausfüllte, von Vergil bis hin zum Tacitus. Denn auch Tacitus, den Historiker, müssen wir zu den großen römischen Dichtern zählen. Was wäre Rom ohne diese klassische Dichtkunst? Die Kaiserinnen aber hatten bei alledem nicht viel zu bedeuten; zum Teil außerordentliche Frauengestalten, gewiß; aber ohne erhebliche politische Begabung, machten sie nur in der Hofgeschichte, nicht in der Weltgeschichte Figur.

Da ist Livia, die vielgepriesene, scheelsüchtige Gattin des Augustus, einst eine Modellschönheit. Sie war zuvor Gattin eines Claudiers gewesen und trat in schwangerem Zustand mit Augustus in die Ehe. Diesem selbst gebar sie einen Knaben, der schon in den Windeln starb.s. Sueton Aug. 62; es war ein Knabe, der als infans, d. h. als er noch nicht sprechen konnte, starb. Dabei blieb es, obschon sie sehr gesund war.Erst im Jahre 22 n. Chr. erkrankte Livia schwer. Wozu noch Söhne? Sie hatte ja aus ihrer ersten Ehe den Tiberius und Drusus; sie schonte sich also und überlebte klug und zähe den so langlebigen kaiserlichen Gatten noch erheblich. Eine Verbrecherin unter der Maske der Tugend, trieb sie zeitlebens nur Familienpolitik, saß im Palast fleißig als Musterfrau und spann und webte mit ihrem Gesinde, beaufsichtigte dabei aufmerksam die römische Gesellschaft und den eigenen Gatten, und ihre einzige Großtat war, daß es ihr gelang, ihren Erstling, den Sohn Tiberius, der dem Blute nach gar nicht zur Kaiserfamilie gehörte, auf den Thron 203 zu bringen. Tiberius wurde Kaiser durch sie. Ohne ein planvolles und fortgesetztes Sterben der sonstigen nächsten Verwandten war dies nicht möglich. Livia aber verstand es, sich völlig im Dunkeln zu halten.An Livia's Intrigen gegen alle Personen, die der Thronfolge des Tiberius im Wege standen, ist nicht zu zweifeln; vgl. jetzt auch R. Zimmermann im Rhein. Mus. 81 S. 272. Gift im Wein war damals immer bereit; uns werden fünf Todesarten aufgezählt, die ein Römer zu fürchten hatte: im Krieg, auf der Seefahrt, beim Volksaufstand, beim Hausbrand und wenn jemand Gift in den Wein schüttete (Properz II 27). Diese bedeutsame Zusammenstellung darf man nicht vergessen; sie dient auch zum Verständnis des Verdachtes, der sich an den Tod des Germanicus knüpft. Wer weiß, wie oft Hausbrände in Rom vorkamen, kann sich demnach auch von der Häufigkeit der Giftmorde eine Vorstellung machen. An den Leichen den Nachweis zu führen, war damals in den meisten Fällen ausgeschlossen. Der Zufall hatte das alles getan, und vor den Augen der Welt stand sie unschuldig da und unantastbar. Steinalt noch empfing sie in ihrem Palasthof thronend die Angeber und Horcher; es gab unter Tiberius die Majestätsprozesse, und ihr Einfluß darauf war gefürchtet.

Berühmter noch Messalinas Name, der wollüstig Schönen; aber für das Staatsleben hat sie nichts bedeutet. Die Gattin war sie des närrischen Kaisers Claudius; aber wir hören fast nur von den Abenteuern ihres Schlafgemachs. Ihre Großtat war, daß sie das noch nicht Dagewesene, daß sie als Weib die Doppelehe wagte. Bei Lebzeiten des Kaisers ging sie eine zweite Heirat ein. Der Kaiser war ratlos; der erste seiner Hausdiener aber half und sandte die Mörder aus, die in den Lukullischen Gärten die Schutzlose überfielen und niederstachen. Der Staat verlor nichts mit ihr.

Ganz anders Agrippina, die Mutter Neros, ein außerordentliches Weib großen Ausmaßes, skrupellos, herrschsüchtig, machthungrig und mit dem unbeugsamen Willen, sich durchzusetzen; kein Mittel zu arg, um zum Ziel zu gelangen. Es war, als würde das Leben am Hof der Ptolemäer in Rom fortgesetzt. Sie war des Kaisers Claudius Nichte, des viel gehänselten Kaisers mit dem Wackelkopf, drängte sich ihm zur Ehe auf, war so als Kaiserin Nachfolgerin Messalinas und 204 zwang den Schwachköpfigen nun, sie offiziell vor der Welt als seine Mitregentin anzuerkennen. Als socia imperiiTacitus Ann. 12, 37. hatte sie ihre eigene Leibwache, eine Person, hart wie Granit, kalt wie eine Eisscholle.

Erhebliches ist von ihrem politischen Wirken gleichwohl nicht zu melden; denn ihr fehlten die großen Ziele, und der griechische Hausminister Narziß ist es vielmehr gewesen, der damals die Reichsverwaltung in der Hand behielt. Jedenfalls wußte sie glänzend zu repräsentieren und thronte auf einer besonderen Tribüne, in Goldstoff gekleidet wie eine schillernde Schlange, wenn es galt, Gesandte oder einen kriegsgefangenen Barbarenhäuptling zu empfangen oder eine Truppenschau abzunehmen.Cass. Dio 60, 33, 7.

Denkwürdig immerhin, daß diese Agrippina die Gründung unserer Stadt Köln am Rhein persönlich veranlaßt hat; sie wollte dort ein dauerndes Denkmal haben, wo sie im Heerlager, als ihr Vater Germanicus gegen die Germanen im Felde stand, geboren war. Die Stadt hieß also nach ihr die Colonia Agrippinensium. Übrigens hören wir, daß sie gönnerhaft nahe Beziehungen zu den Königen Judäas unterhielt; sie scheint sich auch zugunsten der Judenschaft der Stadt Alexandrien in die Verhandlungen eingemischt zu haben, als die Alexandriner vor dem Kaiser in Rom ihre Beschwerde über die Juden erhoben.Vgl. v. Premerstein im Hermes 67 S. 190 f.

Schließlich kam es zum Gattenmord; sie vergiftete den Claudius beim Essen. Auch den Narziß ließ sie töten, um ihren Sohn Nero auf den Thron zu bringen, und wollte nun erst recht als 205 Mitregentin die Führung im Reich neben dem Sohn behalten, der erst siebzehn Jahre zählte. Aber sie ging an diesem Sohn zugrunde. Nero lebte in Angst vor ihr, bis er sie umbrachte. Gattenmord, Muttermord. Es war der Dank des Nero, der feiger und darum noch fürchterlicher als seine Mutter war. Grauenvolle Instinkte offenbarten sich da; man kann sagen: das vererbte Böse schlägt nach seinem Ursprung.

Es war genug. Die Ereignisse unter Claudius und Nero hatten mehr als abschreckend gewirkt, und die Kaiser wurden klüger. Sie machten Schicht, und die Kaiserfrauen verschwinden nahezu für uns durch ein volles Jahrhundert. Es herrschte die Messalinen- und Agrippinenfurcht. Vespasian war zum Glück Witwer, als er zur Herrschaft kam, und liebte sein frisches, freies und fröhliches Witwertum; aber auch seine Söhne lebten im Palast nahezu wie die Junggesellen. Des Trajan Weib blieb kinderlos; Kinder wurden freundlichst verbeten. Dabei war diese Frau Philosophin und lebte zufrieden als eine der Stillen im Lande.Über Plotina, Trajans Gattin, »Röm. Charakterköpfe«, S. 271. Kinderlos auch die Sabina des Hadrian, aber nicht nur ohne Kinder, sondern auch scheinbar ohne Eigenschaften und die ödeste der öden, eine saure Gurke (mit Verlaub zu sagen), die allmählich austrocknete und die in dem feinfühligen Eheherrn, dem Mann mit der immer suchenden Seele, den Geschmack am Ewigweiblichen oder auch nur am zeitlich Weiblichen früh ertötet hat.Voll Verehrung freilich war er für eine ältere Frau, die erwähnte Plotina.

Da war es eine Wohltat, daß durch Mark Aurel wieder frisches Leben einzog in den morosen Kaiserpalast; denn er heiratete die muntere 206 und liebreizende Faustina in früher Jugendehe, und gleich stellten sich auch Kinder ein, ein ganzes zwitscherndes »Kindernest«.Von diesem »Kindernest« redet Fronto p. 94 ed. Naber; auch nach Plautus Truc. 908 werden Säuglinge wie die Vögel großgezogen. Für das Stadtvolk in Rom, das auf dem Forum herumstand und zum Palatin, dem Palastberg hinaufsah, war das ein Ereignis; denn unter keinem der fünfzehn voraufgehenden Kaiser hatte man dort Ähnliches erlebt und die Ammen so oft ein- und ausgehen sehen. Noch heut steht am Forum der Faustinatempel mit den mächtigen sechs Granitsäulen. Er sichert auch heut noch für den Römer den Namen der Kaiserin.

Hernach hat die liebe Frau den ernsten Mann, als er Kaiser geworden, mit Lieblichkeit und Lebenslust umgeben; sie hat ihm sein Leben, so flatterhaft ihr reges Herz auch sein mochte (auf der Theaterbühne in Rom hörte man allerlei Anspielungen), gleichwohl mit weicher Hand hegend und pflegend bis an ihr Lebensende verschönt. Während Mark Aurel seine Kriege im Böhmerland bis hinein nach Schlesien führte, hielt sie, ob Sommer, ob Winter, wacker mit ihm im wechselnden Quartier aus, war auch bei der Truppe selbst beliebt und hieß die Mutter der Heerlager. Aber mit Politik gab sie sich nicht ab; dazu war sie zu sehr Weib und dachte: wozu ward dem Mann die Weisheit? Was er tut, das ist wohlgetan!

In der Tat sind die Zustände im weiten Reiche nie glücklicher als unter den zuletzt genannten Kaisern gewesen, und es floß auch immer noch gut römisches Blut in diesen Männern und in ihren Frauen. Es war immer noch ein Stolz, Römer zu sein.

207 Aber schon hatte der Orient gedroht, ich meine das Griechentum Asiens, und der Schatten Kleopatras regte sich zum zweiten Male. Es war unter Titus, der i. J. 70 nach Chr., als er noch nicht Kaiser war, Jerusalem belagerte. Da war es die Prinzessin Berenike, die ihn in seinem Feldlager besuchte. Sie war die Schwester des Judenkönigs Agrippa, älter als Titus, aber eine reife Schönheit und routiniert. Sie kam von ihrem Landsitz aus den Zedernwäldern des Libanon und bestrickte den simplen jungen Feldherrn völlig, indem sie die Königin von Saba spielte und ihn mit ihrem Zauber und dem berauschenden Luxus der morgenländischen Sultaninnen umgab.

Jerusalem fiel. Als Sieger zog Titus ohne Berenike in Rom ein und wurde Kaiser als Sozius oder Mitregent seines Vaters Vespasian. Da kam sie ihm nach; sie kam nach Rom (die Weiber sind vordringlicher als die Männer, so meinten schon die AltenVgl. oben S. 8.), gewiß schimmernd in Edelsteinen und klirrenden Ketten und mit dem üblichen bunten Gefolge von Pagen und Kastraten. Es war just so, wie einst auch Kleopatra in Rom einzog, um Cäsar zu suchen. Sie wollte ihren Fang nicht lassen. War es nicht des Werbens wert, durch Titus Kaiserin Roms zu werden? Und sie siegte; er gab sich ihrem Verkehr ganz hin, und es schien der Bürgerschaft ein ausschweifendes Leben. Man hörte davon, daß er der Berenike die Ehe versprochen. Die römische Gesellschaft war ehrlich entsetzt und fürchtete das Schlimmste: die Asiatin, die nur griechisch sprach, 208 Kaiserin? Eine Beleidigung für die Frauen Roms! und wie würde mit ihr das Regiment sich gestalten? Da kam die Rettung. Titus hörte auf die warnenden Stimmen, die zu ihm drangen, bezwang sich endlich (es war gewiß kein leichter Kampf) und hieß die Frau ziehen (invitus invitam). Daß Titus Jerusalem eroberte, war nicht genug; Jerusalem gelang es nicht, ihn zu erobern, und kein Zweifel: man hat ihm auch dies gedankt.

Berenike war längst vergessen, als Kaiser Mark Aurel i. J. 180 n. Chr. in Wien starb. Eine neue Dynastie zu gründen, war diesem trefflichsten der Monarchen nicht beschieden.Die kurze Regierungszeit des Commodus kommt hier nicht in Betracht. Da kam das Schicksal wirklich über Rom; es erfüllte sich endlich, was Kleopatra gewollt hatte, und griechische Weiber setzten sich fest im Kaiserpalast und beherrschten die Stadt und das Reich. Kleopatra vervielfältigte sich in ihnen. Es waren die syrischen Kaiserinnen, die Zeit 200–235 n. Chr.

Rom verlor sich, verwandelte sich. Es wurde damals orientalisiert von oben her und von unten. Den Isisdienst hatte schon Kaiser Caligula in Rom sanktioniert mit dem Tempel auf dem Campus; dann kam das griechische Christentum: aus dem Judenviertel drang es vor und hatte schon breite Kreise gezogen bis ins kaiserliche Hofgesinde hinein. Der Bibeltext sprach griechisch, die römischen Bischöfe auch; also stand es mit der Gemeinde nicht anders. Nun war auch am Hofe das Latein zur Fremdsprache geworden.

Es war die große Wendung. Septimius Severus, der Afrikaner, usurpierte gewaltsam die 209 Herrschaft (i. J. 193); er überzog dabei das so friedliche Reich mit dem blutigsten Krieg und suchte nach einer Kaiserin, und siehe: aus Syrien kam Julia Domna zu ihm, die Basianustochter, aber nicht sie allein; sie brachte gleich ihre Schwester und ihre zwei Nichten mit; diese hießen Mäsa, Soämias und Mamäa. Sie stammten aus üppigem Hause, vom Hohenpriester des Sonnendienstes in Emesa, und religiöse Interessen waren ihnen anerzogen, vollsemitisch, breitspurig, agil, durch grenzenlosen Reichtum verwöhnt und so scheinbar zu allem fähig. Aber sie versprachen Gutes, vor allem Julia Domna selbst, und nur Soämias steckte wie in einer Wolke des Lasters. Sie war die liederliche Mutter des Heliogabalus. Dieser Buhlknabe im Purpur, schön wie die aufgehende Sonne, und sein Kaisertum war die größte Schändung, die der Palast der Cäsaren und das einst so tugendstolze Rom je erlebt hat.

Geistig interessiert waren diese Damen, aber nur für das Modernste. Das Klassische galt als abgestanden und gehörte in die Rumpelkammer, die Götterpuppen Homers nur noch gut für die Kinderstube. Eine neue, flott geschriebene Geschichte Roms schien nötig; der Senator Cassius Dio schrieb sie, gewaltigen Umfangs, von der Gründung Roms bis zur herrlichen Gegenwart, aber natürlich griechisch; das Werk war bestimmt, den alten lateinischen Livius tot zu machen.

Übrigens wollte man Vertiefung, religiöse Aufklärung, eine Neubegründung der Tugendlehre, und es gab unter den wortreichen Griechen eine Fülle von Wohlrednern, die über solche Themen 210 klangvoll und mit Eleganz sprachen und schrieben. Das liebten diese geistigen Frauen; besonders Philostrat war am Hof freundlichst zugelassen und verfaßte in ihrem Dienst u. a. das Leben des Appollonius von Tyana, des frommen orientalischen Sonderlings, die letzte große Neuheit auf dem Büchermarkt des Heidentums. Die christlichen Evangelien schienen schlecht lesbar, ihre Sprache zu lokal gefärbt und ungepflegt. So etwas konnte man nicht lesen. Hochfein war dagegen das Religionsbuch des Philostrat und dazu so inhaltreich und staunenswert; denn Apollonius tat wie Christus Wunder, und er predigte auch den reinen Gott, der nur einer ist und der keine Brandopfer will. Wer das las, stand auf der Höhe der Zeit. Es galt, die Welt damit auf ein neues Niveau zu heben, und diese Frauen waren dazu berufen. Der Apollonius führte freilich auch allerlei Sonderbares, ja Albernes im Munde; aber das störte nicht; es wirkte erholend bei all der Heiligkeit, und man muß auch einmal lachen können. Aber die Frauen meinten es ernst, verbreiteten eine Atmosphäre bequemer und heiterer Religiosität um sich und glaubten ohne die vulgäre Agitation, wie die Christen sie trieben, allein schon durch die Macht ihrer erhabenen Stellung in den maßgebenden Kreisen hinlänglich für die nötige Aufklärung wirken zu können.Da Julia Domna dieWidmung des Werkes über Apollonius von Tyana annahm, übernahm sie damit auch das Patronat oder die Verpflichtung, für möglichste Verbreitung desselben zu sorgen. Daß dies die Bedeutung von Bücherwidmungen an hochgestellte Personen war, habe ich wiederholt ausgeführt.

Frauen in Macht, ja, in Allmacht: sie dünkten sich vor allen Sterblichen zur Freude geboren. Aber ihr Schicksalsgang war erschreckend und ein Schauspiel von unheimlicher Tragik. Nur Mäsa starb natürlichen Todes, und das Unglück 211 dieser Frauen waren ihre Söhne. Die Söhne von Kaiserinnen mißraten; dies lehrt die römische Geschichte; es traf auch hier zu, und am Hof ist die Erziehung von Kindern, ihre Vorbildung zum Leben doppelt schwer.

Mit Julia Domna begann es. Sie hatte zwei Söhne, Caracalla und Geta; aber die Söhne haßten sich tödlich. Woher diese gräßlichen Instinkte? Als sie Witwe geworden, mordete Caracalla den jüngeren Bruder; er schickte die Mörder; es geschah in Gegenwart der Mutter. Das Blut Geta's spritzte an ihr hoch; ja, der Hieb traf auch sie mit, und sie trug die Wunde durch ihr Leben.

Caracalla aber als Kaiser Roms zeigte sich blutgierig und feige zugleich, indem er den Kriegsfürsten und den Tyrannen spielte, und erntete den Haß und die Verachtung seiner Truppen. Einer seiner Offiziere schlug ihn nieder auf offenem Felde. Was sollte die Mutter noch? Beide Söhne ihr durch Mord entrissen! Sie beschloß denselben Weg zu gehen, aber tapferer; sie tötete sich selber.

Die Dynastie schien damit erledigt, und das Heer erhob den Macrinus zum Kaiser. Aber nein! Da waren noch zwei Knaben, die Söhne der Soämias und der Mamäa, Elagabal und Alexander. Warum verzichten? Es galt zu handeln. Die Frauen, Mäsa voran, fürchteten sich nicht vor Schlacht, Waffenlärm und Kriegsgeschrei. Sie standen in Syrien, in Emesa, und begannen für die Knaben die laute Propaganda mit klingendem Gelde. Ein Heerlager war in der Nähe; das Militär war rasch gewonnen. Auch des Macrinus 212 Legionen gingen zu den Frauen über. Das Spiel war gelungen, und der 15jährige Laffe Elagabal, gemeinhin Heliogabalus genannt, zog prangend als Kaiser in Rom ein; Eunuchen und jene Mannweiber sein Gefolge, mit denen angeblich schon Kleopatra Rom bedroht hatte. Er selbst war der gelehrige Schüler dieser Leute, ging als Asiat in weiten purpurnen Hosen einher, den Goldreif mit Juwelen um die Stirne, und begann gleich sein freches, cinädisch sündiges Gebaren. Vier Jahre nur, da war es genug, und er wurde massakriert von der Kaisergarde der Prätorianer. Soämias, seine Mutter, hatte gewagt, sich mit ihm zu zeigen; sie wurde mit ihm umgebracht – es war ein Aufräumen – und beide Leichen mit Hallo durch die Straßen geschleift, damit auch der Janhagel seine Freude habe.

Mäsa, die alte, tröstete sich; denn der Knabe Alexander war noch übrig. Dieser wurde jetzt mit Zustimmung der Soldateska zum Kaiser gemacht und hieß als solcher Alexander Severus. Er war durchaus gutartig und strebsam, und man war gewiß, es werde nun alles gut gehen. Mamäa, seine Mutter, hütete ihn in strenger Zucht, und er parierte und blieb zahm gefügig wie ein Kind; dabei eine nach Büchern hungernde Gelehrtennatur und überfüttert von Ethik und platonischer Tugendlehre. Vergebens suchte ihn die Mutter zu körperlichen Übungen anzuhalten. Ihre Erziehungsart aber war falsch; ihre Bevormundung, die nicht nachließ, zerbrach ihm völlig das Rückgrat der eigenen Willenskraft, und das sollte sich rächen. 213 Denn Mamäa war herrschsüchtig, aber auch herrschfähig; ja, sie steht in der Galerie der Kaiserinnen, die wir durchschreiten, einzig groß da. Die Zeit ihrer Regierung wird uns mit Jubel gepriesen; es waltete die sichere Hand einer Friedensfürstin, und Rom fühlte sich glücklich. Eine Majestät, scheinbar in schlichtester Aufmachung, war sie energisch, entschlußfähig und grenzenlos fleißig, als Finanzgröße und Vorsteherin aller Büros rechnend und disponierend, und hätte heut spielend ein Großwarenhaus mit hundert Filialen oder ein Dutzend Petroleumkonzerne geleitet.

War sie also mehr als Kleopatra? und hätte Kleopatra als Herrscherin Roms dasselbe geleistet?

Auch die religiösen Interessen ruhten in Mamäa nicht, und die Christen der Stadt nahmen das wahr. Zwei Bischöfe standen in Rom in Hader und bestritten sich ihr Amt, Papst und Gegenpapst; vertrauensvoll wandte der eine sich an die Kaiserin, und sie wußte sein Vertrauen zu schätzen, aber verhielt sich zurückhaltend. Denn sie war der reinen Lichtreligion und dem Sonnendienst treu, den sie aus Emesa überkommen hatte.

Gleichwohl gab sie acht und beschied, um sich ein Urteil zu bilden, als sie im Orient reiste, den größten christlichen Dogmatiker jener Zeit, den Origenes, aus Alexandrien zu sich, der ihr die seltsame Glaubenslehre von Christus, über die er die vielen Bücher schrieb, mündlich darlegen und begründen mußte. Es war ein 214 Religionsgespräch der weltlichen Macht mit dem ersten Führer der jungen Kirche, eine erste bedeutsame Fühlungnahme beider heterogener Instanzen, die freilich ergebnislos und ohne Folgen blieb. Das war begreiflich. Die zentrale Kaisermacht des Reichs mußte erst völlig zerbrochen werden, damit das Christentum in der Rüstung der Kirche politisch erstarken und fordernd auftreten konnte.

Schon aber zerbrach sie, die Kaisermacht. Denn Mamäa starb – es kam überraschend schnell – und ihr Untergang ist dazu die Ursache gewesen.

Der Krieg kam; das Heer aber war wenig kriegsbereit. Alexander, der Sohn, wußte vom Militärwesen nichts; er hatte sich auch aus der Stadt nie in die Provinzen, wo ein schärferer Wind wehte, hinausgewagt.

Von den Persern her kam der Angriff, dann von den Germanen. Die Mutter, die fleißige Frau, raffte sich zur Abwehr; aber sie war kein Stratege. Sie sammelte ein Heer, schleppte ihren Sohn mit vor die Front. Es war am Rhein. Gegen die Germanen wollte sie es wagen. Aber der Sohn war eine Memme; er weinte, als seine Soldaten murrten. Das Heer wollte einen besseren Kaiser, und Maximinus, von den Truppen erwählt, zog schon als Gegenkaiser heran. Mamäa war wehrlos; sie wurde in ihrem Kaiserzelt überfallen, sah, wie man den Alexander niederschlug, und wurde selbst von der wilden Horde zu Tode gebracht; es ging ihr nicht besser als ihrer Schwester Soämias. Das Hohngelächter der 215 eigenen Truppen und der Todesschrei ihres Sohnes war das letzte, was sie hörte.

Das war das Ende der syrischen Kaiserinnen. Mamäa war die bedeutendste unter ihnen. Wohl ließ sich manches an ihr bemängeln wie ihr Geiz und ihre Habsucht. Welcher Mensch wäre tadellos? Aber man hätte ihr ein freundlicheres Lebensende gegönnt. Ihr Weiterleben wäre ein Segen gewesen, hätte sie einen echten Cäsar zum Sohn gehabt. Ihr Verschwinden wirkte verhängnisvoll; es brachte endgültig die Wende, es brachte den Knick in die Geschichte des römischen Weltreichs, dessen Auseinanderfall und Zerbröckelung sofort begann, wie wenn eine Rieseneisscholle, die Ozeane bedeckt hatte, plötzlich zerkracht und auseinanderbirst. Denn die letzte Kaiserdynastie war nun aufgebraucht, und es folgen die Reichswirren, die Soldatenkaiser, die unzähligen, die immer nur in Teilen des Reiches zur Geltung kamen. Das Griechische aber, das aus dem Orient sich vorgedrängt, weicht jetzt wieder und für immer aus Rom zurück; auch das Christentum Roms lernt jetzt die lateinische Sprache, und das lateinische Westeuropa löst sich dauernd vom griechischen Osten, von der östlichen Reichshälfte, die sich gleichfalls auf sich selbst besinnt.

Und schon tauchen vor mir Karawanen auf und Palmenwälder, Palmyra, die Wüstenstadt, und noch ein Frauenname. Ich wollte abbrechen; denn man kann auch an Kaiserinnen ermüden. Aber der Name springt von selbst aufs Papier: Zenobia mein' ich, die phantastische Frau, nicht Kaiserin, aber doch Königin.

216 Eigentlich Großhändlerstochter. Palmyra war die reiche Stadt, die den Transit der Waren Indiens zum Mittelmeer allein in Händen hatte, und alle Palmyrener waren wie die Fürsten. Sie aber ist es gewesen, die damals einen neuen Freiheitskampf des Orients brachte: los von Rom! Asien den Asiaten! Es war noch dasselbe 3. Jahrhundert, in dem Mamäa ihr Ende fand und in dem die nun folgende Episode spielt. In Zenobia regte sich wieder die Tendenz des Mithridates und der Kleopatra.

Sie war Witwe, wie es einst Semiramis gewesen, leitete auch kühn ihr Geschlecht von Semiramis her und schuf rasch ausgreifendGenauer auf Grund der Eroberungen ihres Vaters Odänatos; s. »Charakterbilder Spätroms« S. 117. für ihren Sohn ein selbständiges Königreich, das Syrien, Nordarabien, Palästina, Mesopotamien umfaßte. Es war bestürzend und wie ein Wunder, sie selbst ein Phänomen, Philosophin, die den Plato las, aber Reiterin und im Gefecht ihr eigener Feldherr.

Es war indes eine kurze Herrlichkeit, wie ein prasselndes Feuerwerk, das plötzlich erlischt. Als sie sich auch in Kleinasien auszubreiten wagte, da regte es sich in Rom. Die Legionen Westeuropas waren den Asiaten immer noch überlegen. Kaiser Aurelian fing das schöne Weib, als sie auf dem Kamel durch die Wüste floh, und schleppte sie nach Rom als sehenswerte Beute. Ihr Werk war mißlungen. Sie nahm es demütig hin. Rom aber war immer noch Siegerin geblieben.

Dann aber geschah durch Kaiser Diocletian die erste planvolle Teilung des Römerreichs, die sich 217 bewährte. Es war die Teilung, die einst schon, wie wir uns erinnern, das Ziel der Politik des Mark Anton gewesen war: Ein zweites Rom, ein Rom griechischer Zunge entstand in Byzanz, das sich Konstantinopel nannte, und die Trennung in Orient und Okzident war endgültig. Im alten Rom am Tiber thronte nun auch kein Kaiser mehr, sondern der Papst, der nach ehrwürdigem Ritus von den Frommen den Fußkuß entgegennahm. Dazu gab Konstantinopel ein übles Gegenbild; denn dort thronte im 6. Jahrhundert Theodora, die Kaiserin. Es war die Theaterperson, Kurtisane und Nackttänzerin, die Justinian zur Kaiserin gemacht hatte. Sie war seitdem sittsam und fromm geworden, dazu die allmächtige Patronin der orthodoxen Kirche, und streckte, wenn sie Audienz gab, ihre beiden Füße hin (so überbot sie das katholische Kirchenhaupt), um sich die Pantoffeln küssen zu lassen.

Aber genug des fremden Blutes. Kehren wir endlich zu den Römerinnen zurück und in das Leben, das sie schufen. 218

 


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