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Wir unterscheiden Frauen der Dichtkunst und Frauen der Wirklichkeit. Wer sich die Griechen im Sinn Schillers und Goethes vorstellt, denkt sich alles in Schönheit getaucht, so also auch das Weib der Griechen. Es wirkt wie Verklärung; Helena das Symbol. In der Tat haben uns im Altertum nur die Griechen, wenn auch nicht in der Helena, so doch in ihren Alcesten und Antigonen Ideale der Weiblichkeit in durchgeführter Zeichnung gegeben; nur die Griechen, nicht Rom, auch nicht das Alte und Neue Testament. Man wundere sich also nicht, daß ich zu Anfang bei ihnen verweile. Und nicht nur die Dichtkunst gab uns diese Bilder; die Grabsteine, die uns im Relief die Bürgerin, die verstorbene, zeigen, haben den Eindruck wundervoll bestätigt. Hier wie dort sehen wir Griechinnen idealisiert, das heißt nach künstlerischer Idee gestaltet, aber aus der Wirklichkeit konzipiert. Die kriegerische Ilias gibt uns die Andromache, die junge Mutter, die dem Hektor das erste Kind geboren und deren Seelenangst, da er dem Speer Achills entgegenrennt, uns ergreift und rührt; die Odyssee jene Penelope, die in Tränen nach dem seit langem verschollenen Gatten ohne Ablassen liebend sich sehnt, aber voll erfinderischer List die Bewerber hinhält, die sie wild bedrängen, und das Äußerste auf sich 13 nimmt, um dem Einen die eheliche Treue zu halten; dazu aber auch Nausikaa, die heitere, junge Fürstentochter, die in aller Lieblichkeit auf der Wiese mit den Mägden Ball spielt, sich geschäftig zeigt im Dienst der Brüder, deren linnene Kleider es zu waschen gilt, und in reizender Feinheit und Verständigkeit den fremden, verstürmten Helden, der plötzlich erschreckend vor sie hintritt, begrüßt, ihn willkommen heißt, ihm hilft, da er Hilfe braucht, und ihn doch von sich fern hält, obwohl unausgesprochene Liebe, ein erstes Liebesahnen ihr Herz befallen.
Daneben die Antigone des Sophokles, auch sie mädchenhaft in erster Jugend, aber so anders; die kühn und tapfer und ihre Liebe preisgebend das Leben einsetzt für die Ihren, an die sie die Pflicht bindet. Der Bruder ist verfemt, dann auch ihr Vater. Des Bruders Leiche soll vor die Hunde; der geblendete Vater wird vor die Stadt gestoßen; den geleitet sie ehrfürchtig als wehrlose Wanderin in das fremde Land und wagt es auf Tod und Leben, dem Bruder die Bestattung zu verschaffen, die ihm der Staatswille verweigert.
Das interne Familienleben, wie es wirklich gewesen, ist uns sonst fast völlig zugedeckt. Nur die Dichtkunst gibt uns solche Bilder, aber sie sucht dabei nur den Konflikt. In solchem Konflikt steht auch Elektra; es ist des ermordeten Agamemnon Tochter, auch sie so jung. Aber sie ist härter, streitbar, aggressiv, fanatisch, und auch das ist echt; denn es gilt den Mord zu rächen. Elektra ist es, die in wilder Rede die sündige Mutter straft, den Bruder Orest aufhetzt zum Stoß der Rache. Sie 14 hätte, in der Not allein gelassen, auch ohne ihn die Tat vollführt; groß im Haß wie in der Liebe; denn auch die jauchzende Liebe zum Bruder findet in dem Elektraschauspiel die schönsten Töne.
Die Geschwisterliebe war etwas Großes bei den Alten. Die Schwestern sind es auch sonst, die, wo andere Hilfe fehlt, den gefallenen Brüdern das Begräbnis bereiten, ohne das ihre Seelen im Totenreich keine Ruhe fänden. Diese Liebe stand in der Wertung der Antike höher als die erotische, die das Weib zum Manne zieht.Vgl. »Von Homer bis Sokrates« S. 451 Anm. 51 und »Kulturleben der Griechen und Römer« S. 430 Anm. 64.
Und nun die Grabsteine! Zeitgenossinnen des Sophokles, der die Antigone schuf, sind wohl manche dieser Steinbilder, die man aus den verschütteten, berühmten Friedhöfen Athens ans Licht gezogen und die uns, jedes anders, die Athenerinnen, ob Jungfrau, ob Matrone, zeigen, um die die Familie trauert. Gestalten im Relief; der Meißel redet da seine stille Marmorsprache.
Auch diese Frauen tragen den Adel der Schönheit; es sind solche der höheren Stände, schlicht und vornehm in der Haltung, und wir müssen sie lieben und bewundern. Auch dies eine Idealisierung; denn sie alle sind nur in ihrer Jugend dargestellt, als kennten sie kein Alter. Es ist so, als wäre nie eine Greisin gestorben,Die Grabstelen der Männer zeigen dagegen auch Greise oder doch Hochbetagte. als hätte der Tod nur die Jugend geliebt und keine Ahne, keine Großmutter hätte je den Nachen des Charon bestiegen. Der Tod versöhnt alles, und da ist keine, auf die die Abgelebtheit, die Sorge oder die böse Leidenschaft ihre unliebsamen Spuren geprägt hätte.
Soweit die Menschen in der Kunst. Aber auch 15 die Götter dürfen wir heranholen, die Homer geschaffen. Denn auch diese Götter sind nichts anderes als Griechen mit Götterblut, die den Tod nicht kennen.
Was ist Athene, die Lieblingstochter Gottes, des Zeus? Das Ideal der Königstochter, die dauernd so geblieben, wie es die griechische Jungfrau vor der Vermählung war, das Ideal des hochintelligenten und zugleich furchtlos streitbaren Mädchens, das nicht an sich, sondern das nur für andere denkt, denen ihr Herz gehört. So tritt sie, auf Hilfe sinnend, bewaffnet in die Schlacht, springt auf den Streitwagen, aber nicht um selbst zu fechten, sondern den gefährdeten Kämpfern, denen sie wohl will, Rat zu geben und sie durch Zuruf zu stärken. Gewiß haben so auch die Schwestern im Griechenvolk ihren Brüdern, die ins Gefecht für Haus und Herd zogen, Mut zugesprochen, wie die Göttin es tut, wenn sie den Odysseus oder Diomedes verzagt sieht. Aber nicht nur das; auch ein Griechenweib in Waffen, wie die Göttin, werden wir kennenlernen, wenn wir von Schlachten reden werden.
Ganz anders Hera, die Juno der Römer. Ein zweites homerisches Charakterbild. Sie ist das göttliche Modell der Ehefrau in höchst realistischer Zeichnung, strotzend von Eifersucht, die höchst berechtigt ist bei der ausschweifenden Gesinnung des Gatten, von tödlichem Haß erfüllt gegen die Bastardkinder, die sie nicht geboren. Dieselbe Himmelskönigin zeigt uns aber auch noch, wie sorgfältig die Griechin Toilette machte, um den Gatten zur zärtlichen Stunde zu verlocken: nicht 16 etwa durch Enthüllung ihrer Reize (mit tiefem Rückenausschnitt oder was sonst unsere klugen Frauen für nötig halten und was ähnlich schon in ältester Zeit den Frauen auf Kreta geläufig war); vielmehr soll die schönste Kleiderpracht die Sinne des Zeus erregen; Vollgewandung; der Gürtel darf nicht fehlen, auch die wertvollen Ohrringe nicht, die die Wange umrahmen.
Und nun gar Aphrodite, die Göttin der Liebe. Sie ist vermählt, aber die Ehebrecherin im Olymp, die, selbst jung und schön, einen alten garstigen Mann hat, der dazu noch Banause und Techniker ist und als Schmied für Kundschaft arbeitet. Begreiflich, daß sie vorzieht, mit einem jungen Quasioffizier oder Haudegen das Bett zu besteigen. Alles das ist aus dem gemeinen Leben genommen, aber vom Dichter in den Himmel projiziert, und der junge Offizier ist der Kriegsgott Ares. Alle andern Götter aber lachen, als der betrogene Gatte das Paar in flagranti ertappt; denn »die Sonne« brachte es an den Tag. So ist Aphroditens Spezialität denn auch bei Homer, den Ehebruch bei den Sterblichen zu stiften und zu beschönigen; dem Paris, der die vermählte Helena entführt hat, ist sie hold gesinnt; die sozusagen legale Liebe dagegen fördert sie nirgends in den Epen Homers, dieses Kenners der Liebhabereien der Götterwelt.
Für das Griechenvolk sind die Geschichten, die ihm Homer gegeben, das klassische Buch von nahezu biblischem Wert gewesen. Man lernte sie auswendig, ließ sie an heiligen Festen von Rhapsoden vortragen, machte sie, hoffentlich mit Auswahl, 17 zur Schullektüre. Inzwischen hatten sich im Volk die Vorstellungen von Gott oder den Göttern völlig verändert; sie waren Staatsgötter geworden in überirdischer Stille und Hoheit, die keine Händel so irdischen Stils mehr suchen und nicht mehr unter sich intrigieren und sündigen. Aber der Sinn der Griechen war konziliant und voll Nachsicht, und sie freuten sich, in jenen Göttern, wie Homer sie gab, sich selbst wiederzufinden. 18