Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Siebentes Kapitel

Die Kameradinnen

Kehren wir um. Wir haben uns, ausschauend nach weiblicher Größe, in ferne Vergangenheiten und in das 6. Jahrhundert v. Chr. zurückverirrt, um eine Dichterin anzutreffen, die in ihrer Art wie ein schönes Wunder ganz isoliert und nicht als Kulturgeschöpf dasteht, sondern selbst Schöpferin für das Kulturleben war, indem sie das noch nicht Dagewesene gab. Gut hundert Jahre später lebte jene Aspasia, die Zeitgenossin des peloponnesischen Krieges, der alle griechischen Kleinstaaten, auch Inselstaaten, erschütterte und durcheinander warf. Was damals Aspasia für das Frauenleben und seine geistige Hebung getan, hat sich, wie wir zunächst noch einmal feststellen, dauernd bewährt.

Suchen wir nach einem großen Namen, der dies bestätigt, so finde ich nur einen. Plato gibt ihn uns. Es ist Diotima, eine Frau, anders als Sappho, aber auch sie genial und eine schöpferische Natur. Fünfzig Jahre früher aber wäre solche Persönlichkeit noch nicht möglich gewesen.

Plato, der Philosoph der Abstraktion, der Ideen- oder geistigen Gestaltenlehre, der sein Leben lang für den Umgang mit Frauen keine Zeit fand,Platos Hetärenepigramme sind zweifelhaften Ursprungs. Sie reden freilich auch von Arkadien, der Heimat Diotimas. er führt diese weise Frau, die aus dem Land der gebirgigen Einsamkeiten, aus Arkadien stammte,Vielleicht aber hat Plato die Seherin nur um des Silberspiels willen als Mantineerin bezeichnet. Diotima war μάντις, war μαντική. im großen philosophischen Redeturnier da ein, 105 wo er den Gipfel der Erkenntnis erklimmen will, und es lohnt, mit ein paar Worten dabei zu verweilen. Woher Diotima ihre überlegene Bildung hatte, sagt Plato uns nicht. Lachend berichtigt sie des Sokrates Meinungen; man liest das in Platos Schrift, die »Das Gastmahl« heißt. Denn sie ist nicht nur Meisterin der logischen Beweisführung; sie ist auch Seherin und kann der Menschheit das Wesen des Eros, der Liebe oder des Liebestriebes, der durchaus nur männlich gedacht wird, und den sittlichen Wert dieses Triebes offenbaren.

Warum kann sie dies und zeigt sich allen Mitunterrednern im »Gastmahl« überlegen? Weil sie Frau ist und das Gebären kennt. Denn alles Lieben, auch die Liebe zum Guten und Schönen, ist ein Zeugungstrieb, und nicht nur der Frauenleib hat seine Geburtswehen, sondern auch der Menschengeist, der nach Erkenntnis verlangt. Daher gehört der Eros nicht etwa zu den Unsterblichen; denn die Liebe ist sterblich; sie stirbt ja in uns nur zu oft. Der Eros ist Entbehren und Verlangen, die Sehnsucht auch nach geistigen Werten, die nach Befriedigung sucht und ringt, so wie im gemeinen Leben der Liebhaber heimatlos durch die Gassen irrt, um, was er braucht, zu finden. Alles Gebären aber ist ein Wunder, also etwas Göttliches, erst recht da, wo es sich um das Keimen und Werden sittlicher Vollkommenheit in uns, um Gotteserkenntnis in uns handelt. Denn der Mensch sucht nach Gott, nach Gottverähnlichung seiner selbst in Erfassung des höchsten Gutes, der Idee des Guten und Schönen, die nichts 106 anderes als Gott selber ist.Vgl. Sympos. p. 212 A: wer die Ideen des Schönen oder Edlen in ihrer Göttlichkeit schaut und so die reine, wahrhaftige Tugend in sich gebiert und nährt, ist gottgeliebt und hat die Unsterblichkeit.Für dies Verlangen prägt Diotima den Ausdruck »Philosophie«; er bedeutet nichts anderes als die Liebe zur Erkenntnis, auch heute noch.

Diese Gedankengänge bis zu Ende zu verfolgen kann hier meine Aufgabe nicht sein. Plato gibt im Dialog das letzte Wort der Diotima. Auch Sokrates selbst ist verstummt und weiß nichts Besseres, als von ihr zu reden; und so ist dies die große Verbeugung, die Plato, der kluge Menschenkenner, vor der Weiblichkeit macht. Sonst spielen immer nur denkende Männer in seinen Dramen. Nur der Frauenmund aber kann uns das Höchste sagen. Die intelligente Frau, von seherischem Geist erfaßt, spricht Offenbarungen, die die Seele erlösen.

Neben dieser lehrenden Gestalt steht sonst nur die lernende Weiblichkeit, und von ihr ist wenig zu sagen. Zeitgenosse des Plato war Antisthenes, in dem sich die Stoa vorbereitete; er forderte damals ausdrücklich vom Manne die völlige Gleichstellung der Frauen. Eine Idealgestalt der denkenden Frau aber hat weder er noch die Stoa literarisch vorgeführt noch auch Platos Nachfolger Aristoteles,Über ihn s. »Alexander der Große« S. 286 ff. der nun endlich die gleichwertige schulmäßige Erziehung des weiblichen Geschlechts zum Gesetz erhebt.s. Aristoteles' Politik p. 1260 B und 1269 B.

So begegnen uns Frauen in Männerberufen denn jetzt auch häufiger. Es sind nicht nur solche, die philosophisch interessiert sind, auch Malerinnen und Dichterinnen. Den Pinsel führende Künstlerinnen werden uns mehrere genannt,Vgl. Plinius n. h. 35, 147. und wir sehen sie überdies mit Augen; denn an den 107 Stubenwänden Pompejis hat man sie in ihrer Tätigkeit abgebildet gefunden. Es sind da nur Tafelgemälde, die diese Frauen herstellen; die Wandgemälde überlassen sie als zu unbequem den Männern.

Zwei Namen guten Klanges seien noch genannt. Eine verständnisvolle Gönnerin der Plastik war die Königin Artemisia, die zweite dieses Namens, die in Karien das berühmte Grabmal ihres Gatten Mausolos vollenden und mit seinem wertvollen Standbild sowie mit reichen Friesen im Relief schmücken ließ. Es war jenes Weltwunder der Kunst, nach dem sich heute noch alle Mausoleen nennen.

Dazu kommt die liebenswürdige Anyte. Sie war Dichterin. Bescheiden und fein zeigt sie sich uns in den Proben ihrer Kleinkunst, die wir besitzen.s. »Das Humanistische Gymnasium« 1927 S. 142 f. Im Geist der hellenistischen Zeit begnügte sie sich mit Miniatur in der Form des Epigramms, und es ist gewiß nichts Weltbewegendes, was sie uns sagt, wie in der rührenden Klage um den Tod ihres Lieblingshundes. Man scherze immerhin, ich sei in meiner Darstellung auf den Hund gekommen, aber doch auf die Hündin einer Dichterin. Diese hier vorzuführen kann ich mich nicht enthalten:

Maira, meine Hündin, tot! mein braves Tier!
Im Gestrüpp, dem wurzelreichen, starbst du mir.
Stets die schnellste du der Schnellen,
Und wie lieb war mir dein Bellen!
Die buntfarbige Schlange aber war's gewiß,
Die dich giftig in das flinke Füßchen biß.

Wer sieht da nicht die liebe Frau in ihrem Kummer und das einst so muntere Tier, das nun 108 verendet ist! Jedenfalls tragen die Sachen der Anyte den Stempel des Klassischen, der Meisterschaft, jener Vollkommenheit im kleinen, die uns auch schon Sappho gezeigt hat.

Wir haben uns bisher nach Möglichkeit in den gut bürgerlichen Kreisen gehalten und von den Vertreterinnen der freien Liebe abgesehen. Aber ohne sie, die sogenannten Hetären, ist kein Griechentum denkbar, und eine neue Seite des Gesellschaftslebens tut sich, indem wir bei ihnen verweilen, auf. Wir tun dabei einen Sprung in das außereheliche Liebesleben der Antike, das dem Leichtsinn und den gesetzlosen Trieben der Herren der Schöpfung diente. Gewiß hat Demokrit, der lachende Philosoph, bei allem Stirnrunzeln, wenn er dem zusah, eine gewisse Munterkeit gewahrt. Parallelen mit Zuständen der Gegenwart ziehe ich nicht; sie stellen sich von selbst heraus. Jene Kameradinnen von Beruf haben aber doch auch, so verächtlich die große Masse von ihnen war, als Trägerinnen der Bildung auf die Männerwelt und auf die Gesamtkultur vielfach wertvollen Einfluß gewonnen.

Dieser Stand der Hetären ist eine speziell griechische gesellschaftliche Erscheinung gewesen, den Ehefrauen natürlich verhaßt, aber von den Philosophen und Moralisten, wie wir schon sahen, geduldet.s. oben S. 71 u. 72. Der Römer lehnte sie anfangs ausdrücklich ab;Daher das wegwerfende Wort pergraecari. aber auch den Persern war sie fremd, denen zur sexuellen Befriedigung ihr Harem bereit stand.

Etwa seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. tritt die Erscheinung in unseren Gesichtskreis; sie mag 109 von den Griechinnen Kleinasiens ausgegangen sein.

Über die Frivolität und Verworfenheit jener Weiber, die oft ins schamlos Freche ging, ließen sich Bände reden. Für Geld wird die Nacht gewährt, mit den Männern der Tag beim Wein verjubelt. Das Geld listet der Jüngling dem Vater ab; denn die Mutter gibt es nicht; der Vater aber treibt es oft noch ärger als der Sohn. So unergiebig die Nachrichten der Alten für die Ehefrau sind, so geschwätzig sind sie hier und nennen uns tausend hübsche Namen. Das Normale ist eben uninteressant, weil es das Alltägliche ist. Man braucht doch schließlich auch etwas Abenteuer, etwas krumme Wege im Lebensgang, und nur von der Bohème und der Venus vulgivaga lohnte es sich zu reden, wobei sich in den Berichten das kitzelnde Wohlgefühl verrät, das eintritt, wo sich mit dem ehrlichen Entsetzen das kaustische Vergnügen mischt. Mit vollständigen Biographien dieser Personen halten sich die Berichte natürlich nicht auf. Nur allemal provozierende Einzelheiten werden uns aufgetischt.

Man muß aber Unterschiede machen, wie sich von selbst versteht. Es waren sehr verschiedene Sorten, die man Kameradinnen nannte. Vor allem fallen hier die eigentlich Prostituierten, die die Kuppler verhandelten, ganz fort.So betont Anaxilas bei Athen. p. 572 B den Unterschied der πόρνη von der ἑταίρα. Die Personen, von denen ich handeln will, waren oftmals Mädchen aus bester Kinderstube,Die Schicksale und das Auftreten einer Hetäre habe ich in meinem »Menedem der Ungläubige« sowie in der Novelle »Am Hof des Thyrannen« (in »Von Haß und Liebe«) eingehend geschildert. die sich zu Hause langweilten und überflüssig fühlten; es waren eben der Töchter zu viel im Haus, und sie konnten nicht alle heiraten. Sie fanden einen Freund, 110 mit dem sich etwas wagen ließ; am besten, wenn er reich war. Man konnte da mit Eleganz Karriere machen und den Verehrer abstoßen, wenn man wollte. So waren sie in der Lage, ein eigenes Haus mit Dienerschaft zu machen, oder sie mieteten sich doch ein paar Stuben, womöglich zu ebener Erde, um zu empfangen. Nur wirklich hübsche Damen von gesellschaftlichen Talenten und verfeinertem Geschmack konnten freilich solche Laufbahn riskieren.

Vor allem die Schönheit. Das war der Phrynen erste Tugend. »Erblindet die Sonne nicht,« so hören wir rufen, »wenn du den Glanz ihres Leibes siehst?«Plaut. Most 183. »Um eine wie die Laïs könnte, wie um Helena, die schönste der Schönen, ein Krieg entstehen.«Anthol. Pal. VII 218 und so auch Propez II 3, 32 f. Dazu kommen aber auch die feinen Manieren, und es wird gerühmt, wie appetitlich sie essen; gibt es Braten, da pflücken sie vom Fleisch immer nur ein kleines Stückchen ab;Athen. p. 571 E. denn man aß im klassischen Altertum bekanntlich nur mit den Fingern; Messer und Gabel gehören den Epigonen.

Aber das Personal rekrutierte sich auch aus ganz anderen Schichten der Bevölkerung. Da sind die Mütter, die in Armut leben; der Mann fehlt, der die Familie versorgt, und sie geben ihre Tochter dahin, damit sie das tägliche Geld ins Haus bringt. Was kostet die Nacht? Die Tochter aber gehorcht mit Freuden. Sie kann nun etwas erleben und braucht nicht mehr zu hungern.Lucian, Hetärengespräche 8.

So bauen sich diese ehelosen jungen Weiber selbst flott ihr Leben auf, nur zu oft ein Liebesleben ohne Liebe; der Männerfang das tägliche 111 Brot; sich selbst zu verlieben war unpraktisch. Ihre geschmeidige Schönheit, ihr lachender Witz war das Kapital, das sie einzusetzen hatten.

Und nur keine Verschämtheit! Man muß die Reize spielen lassen. Die gepflegteren Frauen mieden zwar den Sonnenbrand, um stets weiße Haut zu haben, und von einer Nacktkultur konnte nicht die Rede sein. Braungebrannt der Männerleib, schneeweiß, dem Schwanen gleich, die Frau, war das Dogma und die betonte Antithese der Antike, und das künstliche Kaffeebraun unserer modernen sportelnden Aphroditen hätte damals als völlig pervers gegolten. Wozu dem Bauernweib gleichen, das auf den Bergen die Ziegen melkt?

Um so wirksamer aber war in geschlossenen Räumen bei künstlicher Beleuchtung die teilweise Entblößung. So kamen zu den Gastgelagen der jungen Männer die Hetären verführerisch mit offenen Armen, Nacken und Brüsten, dazu schön frisiert; Spangen und klirrendes Schmuckgehänge hoben die Reize. Dazu das Parfümieren, der Myrrhenduft. Die Klügsten freilich parfümierten sich nicht; denn es heißt: »Das Mädchen riecht am schönsten, das nach gar nichts riecht.«Plaut, Most. 273. Dauerwellen gab es noch nicht, und sie mußten sich das Haar immer neu aufbauen vor jedem Ausgang. Gelegentlich läßt man ihnen darum sagen: »Schnelligkeit erwünscht! einfache Frisur genügt!«Vgl. »Horaz' Lieder«, Heft 2, S. 22. Über das Parfü-mieren mit Myrrhen ebenda Heft 1, S. 48. Endlich mußten sie sich auch auf das Trinken verstehen – es gab Wein in Wasser –, und das fiel ihnen nicht schwer. Die antiken Frauen, auch die ehrbarsten, haben dem Wein stets so 112 zugesprochen, wenn sie dursteten, da es sonst keine trinkbaren Genußmittel gab.

Auf der Straße traten die Hetären dagegen nur voll bekleidet auf, das war selbstverständlich, so auch, wenn es Landpartien der Jugend gab, wo man naturschwärmte und wo sie nicht fehlen durften. Da war die muntere Gesellschaft gleichsam Staffage in der wundervollen griechischen Landschaft, und die Göttin Venus konnte vom Himmel her an dem Bild ihre Freude haben.

Alles das ist das ewig Gestrige, man kann auch sagen, das ewig Heutige. Es wäre müßig, wollte ich noch von Umarmungen und von Küssen reden, die übrigens gar nicht oft erwähnt werden, und es bleibt nur noch hinzuzufügen, daß es auch Magdalenen gab oder daß auch die Verführung damals wie zu allen Zeiten ihre tragische Rolle spielte; es sind die Geschichten vom gefallenen Mädchen, das ehrlich dem Treuversprechen geglaubt hat, bestimmt auf Heirat hofft und enttäuscht unter Tränen in die Halbwelt hinabgleitet, da sie sich dem Treulosen gutgläubig hingegeben hatte. Sie kann nicht mehr zurück. Dies war ein schönes Thema für das bürgerliche Familiendrama, wie wir es bei Menander wirkungsvoll verwendet finden.

Aber auch Rettungen gab es, und dies betraf die Prostituierten, die der Mädchenhändler oder Kuppler als Ware lieferte. Auch solche Wesen waren oft guter Herkunft und nur durch Mißgeschick in des Menschen Hände gekommen. Der Liebhaber befreit sie; er kauft sie dem Kuppler ab. Es ist die empta amica,Plaut. Most. 160. und sie hat es nun 113 doch zeitweilig gut, wenn der Freund nicht abspringt. Es kam sogar vor, daß solches Verhältnis im Ehestand endete, und eine Verworfene dieser Art wird in Syrakus sogar Königin.Athen. p. 577 A über die Peitho, die Gattin des Hieronymus. Leider sind solche Rettungen zumeist vergeblich, und wir erfahren nicht, ob die Ehe, die da der hohe Herr gewagt hat, glücklich verlief.

Glück und Unglück, es ist verschieden verteilt, auch in diesen Kreisen. Vielen ging es nur allzu kläglich. Es waren die schäbig gemeinen Freudenmädchen der Großstadt, die nicht nur im Dunkeln, sondern am hellen Tag durch die Gassen auf den »Strich« gingen oder auf den Brücken, wo enge Passage ist, lockend standen und lauerten, um Männer zu fangen: ein Flüstern, ein lüsternes Liedchen, ein Zerren am Rock. Mitunter trugen sie dabei (denn man muß erfinderisch sein) Schuhe mit Nägeln unter der Sohle; die Nägel hatten Buchstabenform. Die Buchstaben prägten sich ab, und die Männerwelt konnte so im Sande lesen: »Komm' mit.« Solch ein Schuh ist wirklich aus der Antike erhalten.Vgl. R. E. VIII 2 S. 1345.

Kraß ist der Gegensatz, wenn wir nun von den großen Damen, den erfolggekrönten Kameradinnen lesen, die man die »hochbezahlten« nannte,Die μεγαλόμισϑοι Athen. p. 567 ff. die sich in der Plutokratie festgesetzt hatten und die, solange sie jung, wie die Fürstinnen leben konnten, so daß ihr Ruhm weit über die Lande ging. Die Bewerber überbieten sich. Wer hat nicht von der Phryne und Laïs gehört? Man nennt uns die Preise, die sie forderten. Laïs verlangte vom großen Redner Demosthenes, dem sie einleuchtete und der zu den Großkapitalisten 114 gehörte, rund 10 000 Drachmen. Aber er besann sich doch und sagte: »So teuer kaufe ich die Reue nicht«.Gellius I 8, 5.

Elegant und herausfordernd üppig ist ihre Haushaltung; Sauberkeit verstand sich von selbst. Wehe aber dem tollen Verliebten, dem armen Reichen, den sie geknechtet hatten; den ganzen Hausstand hatte er auf dem Rücken.Vgl. K. Schneider, R. E. VIII S. 1346, dessen reiche Ausführungen ich gern benutzt habe. Ihre Methode ist die bekannte, sich kostbar zu machen, d. h. so lange sich frostig zu versagen, bis der Bewerber vor ihrem Hochmut in die Knie sinkt und seine ganze Börse öffnet. Der Portier oder die Zofe sagt: unsere Herrin empfängt heute nicht; sie ist nicht wohl; sie badet; sie will eben abreisen. Es gibt immer Ausreden genug. Nicht die Axt, nur das Gold öffnet solche Türen. Mit welchen Mitteln sie im übrigen operierten, setzte der Lustspieldichter Alexis von der Bühne herab den Athenern mit Wohlbehagen und auf das ausführlichste auseinander, was auf uns den Eindruck erweckt, daß das breitere Publikum selbst von diesem Treiben damals noch wenig Kenntnis hatte.Athen. p. 568 A.

Immer auffälliger trat dies Getriebe dann aber in den Vordergrund des Lebens, und wir lernen nun die Stars und eigentlichen Größen dieser Halbwelt kennen. Hunderte von Namen werden uns mit Wichtigkeit registriert; denn alles redete jetzt von ihnen. Kein erheblicher Mann, ob Ehemann oder Junggesell, war mehr ohne solche interessante Freundin zu denken, und das Publikum freute sich daran, ihnen verherrlichende oder auch ironische Spitznamen zu geben. Die 115 eine hieß die Sardelle, weil sie so schlank war, die andere die Axt, weil sie mit jeder Forderung durchdrang, die dritte die Lampe; denn die antiken Öllampen brauchten immer neuen Aufguß; so die Person immer neuen Zuschuß usf.

Frei und sehr unverlegen war aber auch ihr eigener Redeton. Ist es ein älterer Herr, der noch Zärtlichkeit will, so redet sie ihn »Väterchen« an; ist er jung, heißt es »mein kleiner Liebling«.Athen. p. 569 C. Das klingt noch lustig und ließ sich hinnehmen. Frecher schon, wenn sie sagt: »Der Mensch hat Geld; er ist der Fisch, den man kochen muß, solang' er noch frisch ist,« d. h. noch bei Geld ist.Plaut. Asin. 177 f. Die meisten Hetärenwitze und schnöden Redewendungen, die man mit Begierde sammelte oder auch hinzuerfand, sind von Anstand so weit entfernt, daß man selbst Anstand nehmen muß, sie wiederzugeben.

Gnathaina hieß die vielgesuchte und immerhin geistreiche Person, die da mitsamt ihrer Tochter in solchen Wendungen exzellierte. Sogar einen erhabenen Vers aus des Sophokles Tragödien sehen wir da wortgetreu, aber so verwendet, als redete Sophokles von obszönen Dingen.Sophokl. Elektra v. 2. Man ersieht aber daraus: diese Weiber kannten die Tragödien, lernten Stellen daraus auswendig; sie beherrschten zu gewissem Grade die Literatur.

Dafür, daß ihre Gespräche auch in feinerem Sinn geistreich verliefen, sei ein Beispiel noch hinzugefügt. Man trank den Wein nur mit Wasser vermischt. Zuerst kam das Wasser in den Becher. Nun hat der Jüngling seiner Freundin zum Wasser ein gar zu kleines Quantum Wein geschüttet; dazu sagt er wichtig: »Alter Jahrgang, 116 sechzehnjährig!« »Sechzehnjährig und noch so klein?« ist ihre erstaunte Antwort.Athen. p. 584 B.

So gab es nun unter den Hetären auch Personen edler Haltung und braver Gesinnung, und alles Frivole scheint da wie ausgemerzt. Im Perserkrieg waren es in Korinth, der Stadt, die sonst für das sündigste Leben berüchtigt war, die Hetären, die sich, da die Unterjochung drohte, patriotisch zusammentaten und im Heiligtum der Aphrodite, der Göttin, die sonst vom Krieg nichts wußte, für ganz Hellas um Rettung beteten. Ihr Gebet hatte Erfolg, und die dankbare Stadt stellte ein Verzeichnis ihrer sämtlichen Namen inschriftlich im Tempel auf; für jene Zeit eine seltene Ehrung.Athen. p. 573 D.

Alkibiades, der Vorkämpfer Athens, ist auf der Flucht; sein Lebenswerk ist gescheitert. Timandra, seine Geliebte, aber begleitete ihn in Treue in jeder Gefahr, auch da nichts mehr zu hoffen war, erlebte seinen Tod, und der geniale Mann, der Stolz Athens, hatte im fremden Land nur sie, die ihm eine würdige Bestattung mit ehrendem Denkstein bereitete. Nach Jahrhunderten noch hat der römische Kaiser Hadrian, der Griechenschwärmer, dies Grab mit Teilnahme aufgesucht.

Im LustspielTerenz' Eunuch. wird uns Thaïs, die Hetäre, vorgeführt, die als Weltdame in aller Vornehmheit die verwickelte Handlung leitet und, indem sie schützend für ein braves Mädchen die Fürsorge auf sich nimmt, für sie sogar das Beglückende, die Ehe, ermöglicht und in die Wege leitet. Sie scheint da die beste der Guten.

117 Gewiß gibt es solcher Beispiele mehr. Hier sei nur noch an die Danae erinnert. Die Sache spielt im syrischen Königreich. Laodike war die üble Königin Syriens um das Jahr 250 v. Chr.; ihr Gatte war der trunksüchtige König Antiochus II. Dieser stirbt im Jahre 245, und Laodike hat ihn vergiftet. Jetzt will sie auch den Statthalter Sophron in Ephesus aus irgendwelchen Gründen zu Tode bringen. Danae aber ist Sophrons Geliebte. Auch ihr droht, wenn sie eingreift, der Tod; aber sie unternimmt es, Sophron zu warnen; es gelingt ihr, ihn zu retten, und Laodikes Rache folgt. Auf ihren Befehl wird Danae vom Felsen herabgestürzt. Die Geschichtsschreibung hat das nicht vergessen; sie hat uns auch ihr letztes Wort aufbewahrt. Danae rief, in ihrem Gottesglauben erschüttert: »So dankt mir die Gottheit! Von ihr wird Laodike, die den Gatten mordete, der königlichen Ehren gewürdigt, und ich muß dies mein Schicksal erleiden dafür, daß ich den geliebten Mann errettet habe.«Athen. p. 593 C; dazu R. E. I S. 2457.

So wollen wir nun aber auch andere Verdienste nicht vergessen, die diese Verfechterinnen der freien Liebe in ganz anderer Hinsicht sich erwarben. Ich denke an die, die wie Aspasia mit aufgeschlossenem Sinn das Geistesleben ihrer Zeit mitmachten und förderten, und an die anderen, die, ohne selbst zu schaffen, bei allem Leichtsinn und Übermut und allein schon durch ihr Dasein in der Kunst Epoche machten. Es müssen hier, so bedeutsam der Gegenstand scheint, einige Andeutungen genügen.

Was wären ohne sie die Philosophen jener Zeit 118 gewesen, die Denker, die ganz in ihr Lebenswerk versunken, auf ein Eheleben verzichteten? Sie brauchten statt dessen einen freieren Verkehr; sie konnten die seelische Anregung, die Wonne am Weibe nicht entbehren. War es nicht viel, daß diese Arbeiter Kameradinnen fanden, die ihnen Erfrischung, Ausspannung, Beruhigung und auch Verständnis brachten? Nur einige Namen seien genannt. Laïs, die vielgewandte, war es, der Aristipp, der Philosoph der Lebensfreude, eine seiner Schriften widmen konnte, und für Epikur ist Leontion der Trost und die vertraute Freundin bis in sein hohes Lebensalter gewesen. Sie lebte mit ihm und in ihm und teilte seine friedevolle Gedankenwelt. Auch schriftstellerisch ist sie für Epikurs Philosophie in gewandtester Schreibweise eingetreten. So hat aber auch Aristoteles noch, als er Witwer geworden, die Wohltat solcher Freundin gefunden. Für den Gedankenarbeiter, der intensiv seiner Sache lebt, ist die Nähe und die Freundschaft sympathischer und intelligenter Frauen – das wissen wir auch heute –, eine Hilfe, deren Wert unschätzbar; denn sie halten die Seele des Mannes in wohligem Gleichgewicht und für das Leben offen und befruchten sie, da sie elastisch nicht nur Verständnis für sein Werk zeigen, sondern den Kontakt sichern mit dem Pulsschlag der Außenwelt.

Und nun das Leben in der Kunst. Was wäre die Kunst, die nach Geist und nach Schönheit strebt, ohne die Frauen? Das erste, was wir bemerken, und das begreiflichste ist da, daß diese flotten Damen lebendiges Interesse für das 119 Theater zeigten. Sie zeigten nicht nur Interesse für das Theater, sondern das Theater auch für sie. Auffallend und schön und in siegreicher Haltung erschienen sie da, selbst wie eine agierende Person, im offenen Rund der Zuschauersitze in luxuriöser Aufmachung, von der Sonne beschienen zur festlichen Frühlingszeit. Denn das Theater hatte kein Dach. Das gab Sensation, und alles spähte, wenn sie in buntgestickter GewandungÜber die gestickten Luxuskleider der Hetären s. Diodor 12, 21; Athen. p. 521 B; Plaut. Poen. 283. ihren Platz in der Menge suchten. Melissa erhielt davon ihren Spitznamen »der Theaterrührlöffel«,Athen. p. 157 A. und allein schon dies Wort gibt uns Anschauung. Das Publikum war gleichsam ein umgerührter KuchenteigSo wird auch bei Aristophanes der tanzende Chor im Theater mit einem Kuchenbrei verglichen; s. »Schaubauten der Griechen« (Berlin 1931) S. 89. und blieb nicht auf seinen Sitzen. Man schob sich hinter ihr her, um sie von nahem zu sehen, und das Spiel auf der Bühne selbst mußte aussetzen.

Aber auch den Theaterdichtern traten sie nahe, gewiß ein Gewinn für die Dichter selbst. Zwei führende Lustspieldichter nenne ich, Menander und Diphilus. Glykera gewann Menanders intime Freundschaft; jedes Erscheinen seiner Werke war ihr ein Ereignis, und sie schlich zitternd hinter die Kulissen, um den Erfolg zu erleben. Ohne sie ist dieses Dichters Dichten nicht denkbar. Er, der so oft in seinen Stücken Hetären auftreten ließ, sollte von ihr nicht angeregt worden sein?

Bestimmter läßt sich diese Frage für Diphilus bejahen. Ihm stand zeitweilig die witzige Gnathaina, die ich schon nannte, zur Seite. Sie kontrollierte mit Sorgfalt und zugleich mit Besorgnis seine Dramen und suchte zu verhindern, da er ihre 120 Lebensweise kannte, daß er schlimme Dinge, die sie selbst erlebte, auf die Bühne brachte,Dies folgt daraus, daß Gnathaina es vor Diphilos verbarg, wenn ein Verehrer sie geringschätzig behandelt hatte; sie wollte nicht, daß er dies als Motiv verwendete; s. Athen. p. 580 E. übte aber, was wertvoller war, auch Kritik an seinen Stücken; nicht seine Lustspiele selbst tadelte sie; diese aber wurden vom Dichter mit obligaten Einführungen oder Prologen eröffnet, die sich augenscheinlich in ihrer Einförmigkeit bemängeln ließen, und so sagte sie zu ihm, ausfällig, wie sie war: »Die Prologe, die du da schreibst, sind frostiger als mein Weinkühler.«Athen. p. 578 F. Was ist für den literarischen Produzenten nützlicher als ein kluges Weib, das er liebt und das an den Werken, die entstehen, die Mängel feststellt, je drastischer, je besser?

Von derselben Gnathaina gab es übrigens ein Büchlein »Über das Benehmen bei Tische«. Nach den Regeln, die sie da aufstellte, mußten die, die bei ihr und bei ihrer Tochter ein- und ausgingen, sich richten.Die Schrift hieß νόμος συσσιτικός. Von dem Philologen Kallimachus wurde das Büchlein, so klein es war, für wert gefunden, in dem Bücherkatalog der großen alexandrinischen Bibliothek mit verzeichnet zu werden. Der Gelehrte zählte sogar die Zeilen ab; es waren nur 323 Zeilen.Auch andere Hetären haben sich literarisch betätigt; aber es ist besser, davon abzusehen. Ich denke vor allem an die Elephantis, die ein Werk über den Beischlaf hinterließ ; es war mit Bildern illustriert; s. »Die Buchrolle in der Kunst« S. 284. Eine Ehrenrettung der Hetäre Philainis περὶ ἀφροδισίων steht bei Athen. p. 335 C.

Ganz anders nun aber und tief einschneidend ist der Einfluß der Hetären auf die bildende Kunst gewesen. Ich nannte ihn epochemachend. Sie haben nicht etwa selbst gemalt und gemeißelt, aber sie wirkten durch ihre Existenz; denn sie standen Modell.

Es ist das große Ereignis – man mag es feiern oder verdammen – des Siegs der Nacktheit in der Plastik und Malerei. Da tönt uns der Name der Phryne entgegen, der beispiellos schönen. Das 121 Antlitz war das geringste; es handelt sich um die Körperschöne. Phryne war die Geliebte und Beherrscherin des Meisters Praxiteles. Praxiteles wagte es, in der Großplastik zum erstenmal ein Weib nackt herzustellen. Es war die Aphrodite, jene Venus von Knidos, die man im Tempel der genannten Insel aufstellte, zu der dann die Welt jahrhundertelang gewallfahrtet ist und deren antike Repliken im Vatikan oder in der Münchener Glyptothek oder in Dresden noch heute als der Sieg idealer Frauenschönheit empfunden werden. Aber man müßte Zeitgenosse jener Zeiten sein, um das Ereignis, das alt-feststehende Anschauungen entwurzelte, mitzuerleben. Phryne stand ohne Scheu dem Meister dazu Modell, ein Opfer, das sie dem Hochtrieb der Kunst und gewiß ohne viel Sträuben brachte. Ihr Anblick, den sie dem Künstler frei gestattete, hat ihn zu dieser Großtat angeregt.

Und sofort bog die Künstlerschaft ein auf die neue Bahn, die sich aufgetan hatte. Nackte Jünglinge zu bilden, das war seit langem üblich; der Sportboden, wo sie sich so zeigten, hatte dazu den Weg gewiesen, und solche Bildwerke gaben bisher, was man als ideal empfand. Jetzt wollte man auch die Frauen so sehen, Frauen in ewiger Jugend. Vom Freibad wurde das Motiv hergenommen. Der Maler Apelles durfte sehen, wie dieselbe Phryne sich im Meer badete, und malte danach sein Meisterwerk, die Anadyomene, die meergeborene Aphrodite, die wunderbar aus der See sich hebt. Alle Scheu war geschwunden. Ein Schritt weiter, und die »Kallipygos« entstand.Über die Kallipygos Athen. p. 554 E. Sie zeigt 122 uns das Weib, das sich an ihrer eigenen Wohlgestalt weidet.

Auch das Publikum lebte sich rasch ein, in dem Grade, daß, als Phryne, der Gottlosigkeit angeklagt, vor Gericht erscheinen muß, der Anwalt, der sie verteidigt, schließlich ihr Gewand herunterreißt, und die Richter stehen geblendet und sprechen sie frei.Es war nur eine Entblößung der Brüste; s. Hyperides frg. 178 ed. Blass. Und so wirkte die Tendenz dann folgerecht weiter; auch die Iphigenie in Aulis, die der Göttin Artemis geopfert werden soll, wird jetzt nackend von den Opferdienern zum Altar geschleppt. Solche Bilder häufen sich.

In der Kleinkunst der Vasenmalerei aber sieht man nun auch die Hetären selbst in ihrem Treiben ebenso entblößt und frei enthüllten Leibes, die zu den Männern gesellt auf den Polstern lagern. Diese so bemalten Gefäße stellte man in die Gräber; auch die Toten sollten daran noch sich freuen. Die ideale Frau war jetzt die nackte Frau, die Frau an sich: Eva im Paradiese. Das hat fortan die ganze Antike beherrscht; die Renaissance nahm es wieder auf, und es wirkt bis heute. Woher das alles? Es war das Verdienst der Phryne.

Begreiflich danach aber, daß in diesen Frauen selbst der Kunstsinn und Kunstverstand wach wurden. Auch hiervon hören wir. Die Kapitalistinnen unter ihnen oder die »Hochbezahlten« lassen sich herbei, ihrerseits Stiftungen großen Stils zu machen, und eine gewisse Lamia baut eine Schmuckhalle für das Publikum in der Stadt Sikyon; Glykera erwirbt die Erosstatue des Praxiteles und bringt sie als Schenkung zur 123 Aufstellung in Thesbiä. Eine Porträtstatue der Phryne selbst von desselben Praxiteles Hand wird in Delphi vergoldet auf marmornem Sockel aufgestellt. Dieselbe Phryne hatte sich erboten, die Stadt Theben, die Alexander der Große soeben zerstört hatte, wieder aufzubauen mit der prahlenden Inschrift: »Zerstört durch Alexander, wieder hergestellt durch Phryne, die Hetäre.« Dies nicht allzu bescheidene Anerbieten wurde freilich abgelehnt. Das Ultra war wohl das monumentale Grabgebäude, das der Millionenräuber Harpagus, der üble Finanzmann Alexanders des Großen, seiner üppigen Geliebten Pythionike in Babylon errichtet hat. Die Sache wirkte wie ein Skandal, und Pythionike hatte daran kein anderes Verdienst, als daß sie rechtzeitig starb, um den Künstlern, die sich zu überbieten suchten, eine neue, große Aufgabe zu stellen.

Man wird sich nun nicht wundern, und dies ist das Letzte, daß die großen Kurtisanen an den Königshöfen der Nachfolger Alexanders auch auf die Politik Einfluß gewannen. Ebenbürtige Vorgängerinnen der Pompadour und Maintenon fehlten nicht; es gab deren wohl nur zu viele, aber ihr Einfluß ist gewiß zumeist ein ungünstiger gewesen. Ich weiß von keinem Beispiel des Gegenteils, aber verweile nicht hierbei. Wichtiger und bedenklicher ist die Wahrnehmung, daß in den Zeiten des Hellenismus das Junggesellentum, die Sucht nach freier Liebe, die Kameradschaftsehe auf Kündigung und ohne Bindung, immer weitere Kreise zog in der sogenannten gebildeten Welt oder in den höheren Ständen.Vgl. »Das Kulturleben der Griechen und Römer« S. 189 f. Viele 124 Beispiele dafür sind schon gegeben. Die Dirne lacht, die Ehefrau weint: diesen Kontrast, der für diese Zeiten typisch war, stellte schon Praxiteles in zwei Statuen dar, die er sich gegenüber stellte.Vgl. Plinius n. h. 34, 70. Das war zeitgemäß.

Und so wurden die Hetären auch an den Königshöfen zu einer Macht. Es waren herrliche, willensstarke Männer mazedonischen Blutes, die als Erben Alexanders Mazedonien übernahmen und die Königreiche Syrien, Ägypten und Pergamon gründeten. Aber ihr Blut entartete durch freie Sitten im Lauf der Zeiten. Für das Haus der Ptolemäer in Ägypten erhalten wir darüber die ausschweifendsten Nachrichten. Kanobus hieß da der Freudenort, wo Rausch und Lüsternheit sich ergingen. Agathokleia, die Hetäre, zu nennen, genüge hier; sie richtete unter dem vierten Ptolemäer das ganze Königreich zugrunde.Athen. p. 576 F. Diese Herrscher hatten einst den Harem der Perser im fernen Asien kennen und schätzen gelernt; aber die Schönen lebten an ihrem Hofe freier und ungebundener als jene Perserinnen. Es wurde zum Schönheitskultus. Man vergöttlichte solche Personen positiv und offiziell, schlug ihr Bild sogar auf die Münzen, und so gingen sie im Volk der Untertanen, das sie verachteten, um, und die sittsamen Hausfrauen mußten solches Hetärengeld zusammensparen, um ihren Hausstand zu bestreiten.

Das Geld ein Segen, das Geld ein Fluch. Schlimm war es, wenn es diesen Phrynen endlich selber ausging, wenn es nicht mehr im Kasten klang, wenn sie verarmten. Sie wußten 125 nicht zu sparen. Das Alter drohte. Sie fürchteten sich davor, wie man sich vor der Schlange im Dunkeln fürchtet. Die Runzeln sind da; das Haar fällt aus, wohl auch die Zähne. Keine Schminke hilft mehr, ob Purpurschminke, ob Bleiweiß. Der Spiegel wird weggetan; sie mögen sich nicht mehr sehen.Anthol. Pal. VI 1 Und so scheint es angesichts dieser trüben Tatsache an der Zeit, endlich unsrerseits von ihnen Abschied zu nehmen. Es ist fast Mitleid, das wir empfinden. Ganz anders dagegen die griechische Männerwelt. Die hatte nur Hohn. Diese Personen glichen dem Piratenschiff, das auf Raub ausgeht;Plaut. Men. 442. jetzt war es gekentert. Oder es heißt: Sie sind wie die Adler. Wenn die Adler jung sind, fangen sie sich Schafe und Hasen, soviel sie wollen; wenn sie alt, da sitzen sie hungernd auf den Tempeldächern, um sich vom Opferaltar in der Not den letzten Bissen zu stehlen. Solch hungernder Adler war auch die Laïs, als es mit ihr zu Ende ging.Athen. p. 570 C. Es war die Laïs aus Korinth, auf deren Grabstein stand: »Ganz Hellas war von ihr geknechtet.«Athen. p. 589 D. 126

 


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