Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Achtes Kapitel

Mazedonische Fürstinnen

Es nähert sich und vollendet sich, während im Orient der Hellenismus sich auslebt, im 3.–1. Jahrhundert v. Chr. das Eingreifen Roms, und um unsrer Aufgabe zu genügen, ist es nötig kurz hierbei zu verweilen. Denn die Gestalten, nach denen wir fragen, treten auf die Bühne der Weltgeschichte und brauchen die Andeutung des Hintergrundes, aus dem sie hervortreten.

Jene Könige, die ich nannte, lagen untereinander in steter Fehde. Eine geschlossene Front bildeten sie nicht. Man balgte sich um größere oder kleinere Fetzen Land. Die Werbetrommel ging um. Immer neue Söldnerheere, immer neue Kriegsflotten wurden verbraucht. Mochten sie draufgehen. Die Landeskultur wurde trotz allem planvoll geschont, keine Stadt in Asche gelegt, und der Reichtum blühte im Orient allüberall lockend für Rom.

Ägypten, räumlich ein so schmächtiges Land, aber das beneidete Land des Reichtums, drängte immer wieder gegen den korpulenten Nachbar Syrien vor, das Reich, dessen Grenzen nach allen Seiten offen und das stets um seine Integrität zu kämpfen hatte. Das große Geschlecht der Seleuziden geht an dieser Aufgabe zugrunde. Auf dem Umland des alten Troja baute gegen Syrien das pergamenische Reich sich auf. Lysimachus, einer 127 der großen Paladine Alexanders des Großen, machte sich zum König von Thrazien; dies Königtum hatte indes nur kurze Dauer, während in Mazedonien, dem Stammland Alexanders, aus dem auch alle jene Könige mit ihren Königinnen sich herleiteten, die Nachkommen des Demetrius Poliorketes ihre Kraft verbrauchten, um sich über das kleine Griechenland, von dem einst alle Herrlichkeit ausgegangen war, die Hegemonie zu sichern. Im Westen dagegen reckte sich beängstigend die Macht der ewig kämpfenden, ewig siegreichen und immer noch mit sich einigen Republik Rom, die beutegierig wie ein enormer Vielfüßler alles niedertretend schon Karthago niederrang, auf Sizilien, Tunesien, Spanien, Südfrankreich und auch schon auf die Balkanhalbinsel den Fuß gesetzt hatte. Was aber versprach mehr Beute als der Orient? Die Methode der Römer war, sich als Bundesgenosse in die Händel einzumischen, und wehe dem Bundesgenossen, dem Rom half! Mitten im Jubel der Dankbarkeit war er schon geknechtet, zugleich der gemeinsame Feind in seiner Kraft erschüttert. So geschah es wieder und wieder: die Gesandten Roms traten in den Residenzen des Morgenlands wie die Könige auf; jedes Wort offene oder versteckte Drohung.

Der Orient war in der Defensive. Welcher der Könige würde aggressiv Rom zu bändigen versuchen? Oder sollte gar eine Frau es tun?

Die Degeneration der Königshäuser, von denen ich sprach, setzte erst später ein. Es waren ritterliche und starkblütige Geschlechter, die stolzen 128 Erben Alexanders und seiner Kriegskunst. Aber auch Frauen spielten in jenem blutigen und verschlagenen Spiel des politischen Lebens mit. Der Schatten der Pheretime von Kyrene steigt wieder vor uns auf. Viele Namen ließen sich nennen.Vgl. »Alexander der Große«³ S. 251.

Da sind schon gleich die Frauen, die das bunte Liebesleben und Fechterleben Demetrius des Schönen interessant machten. Es ist jener Kriegsheld Demetrius, den man den Städtebedränger, Poliorketes, nannte. Der Mensch des frohen Augenblicks, auf den die ganze Welt wie geblendet blickte; die Schlacht sein Sport; ein Großmeister des Belagerungswesens und des Blockierens; Alexander das Vorbild seines Ehrgeizes; die Jagd nach Kronen füllte sein Leben aus. Aber er hat vielleicht mehr Frauenherzen als Städte geknickt. Unstet und tollkühn in jeder Gefahr, dabei pomphaft und überheblich im Schenken und Rauben, nahm er als Soldat und Heerführer seine Siege und Niederlagen wie ergötzliche Abenteuer hin, ebenso aber auch die Anbetung pikanter Weiber jeder Herkunft. Hetären sein Gefolge; er brauchte ihre Schmeicheleien. Nur eine von diesen unterjochte ihn; er verfiel ihr ganz: eine griechische Person aus Ägypten, Flötenbläserin von Beruf. Er fand sie in der Beute, die er dem ägyptischen Ptolemäus in der Schlacht bei Zypern abnahm. Lamia hieß sie. Die Person war älter als er und reichlich verblüht, aber mondän in Aufputz und Geste und immer lustig und riß ihn allein durch ihr Raffinement zu den tollsten Huldigungen hin. Lysimachus, der König Thraziens, als er dem zusah, sagte höhnisch: »Eine Dirne führst du auf 129 die tragische Bühne der Weltgeschichte!« Demetrius erwiderte: »Sie ist anständiger als deine Quasi-Penelope, die du zu Hause sitzen hast.« Es schien paradox, daß er Phila, die Gattin, weil sie zu alt war, vernachlässigte und an dieser Lamia unterwürfig festhielt. Beim Gelage blies sie virtuos die Flöte, und er verlangte, daß man sie bewunderte. Aber man nannte sie nur höhnisch die alte Schachtel. Begreiflich. Man denke sich nur die Welkgewordene mit den aufgeblasenen Backen und der leidigen Doppelflöte zwischen den Zähnen. Es muß kein lieblicher Anblick gewesen sein. Aber da war auch eine Königin mazedonischen Blutes, eine junge Schönheit, frisch-verwegen wie so viele dieser Damen. Sie war schon Witwe. Nach ihren Erfolgen nannte sie sich Kratesipolis, d. h. die Stadtbezwingerin.Ihren wirklichen Eigennamen erfahren wir nicht. Ihr Vater hatte ihr eine kleine Armee in die Hand gespielt; damit eroberte sie kühn und selbst in Waffen die schöne Stadt Sikyon im Peloponnes. Bürger dieser Stadt hatten nämlich ihren jungen Gatten ermordet; zum Entgelt ließ sie dort dreißig Männer greifen und kreuzigenIm Jahre 314 v. Chr. und herrschte in Sikyon eine Zeitlang klug und sicher. Auch noch das nahe Korinth, die reiche Handelstadt, eine Kapitaljagdbeute, fiel ihr durch ihren Vater zu. Dann aber wurde ihr das Regieren langweilig. Sie übergab beide Städte großmächtig wie eine Schenkung an den König von Ägypten, ein übermütiger Stoß in die große Politik; ein Zankapfel war damit unter die Könige geworfen. Welch Vergnügen für sie, als sie sich gemächlich in Patras niederließ, um dort ein munteres Privatleben zu führen. Es 130 war das Jahr 307. Da hört sie von Demetrius, dem schönen, der eben um die Stadt Megara kämpfte, übrigens damals in Athen als König und Königssohn mit gotteslästerlichem Aufwand sich feiern ließ. Die Neugier war gegenseitig; auch er hatte schon von ihr gehört, und er besuchte sie.

Das königliche Rendezvous sollte aber durchaus geheim bleiben, und so ließ er in der Nähe auf offenem Land ein Zelt aufschlagen. Da waren sie unbeobachtet. Nicht einmal Bewaffnete hatte er zu ihrem Schutz aufgestellt. Aber dies rächte sich. Feindliche Leute aus Megara überfielen im Dunkel ihr Zelt, und beide huschten nach rechts und links, mutmaßlich auf Nimmerwiedersehen, davon.Vgl. Plutarch Demetr. 9. Das Ganze höchst romantisch, aber wie eine Operettenszene der Weltgeschichte.

*

Von all seinen Abenteuern, den großen und kleinen, erfuhr seine edle Gemahlin Phila nur aus der Ferne. Es war seine Penelope, die er auf seiner Laufbahn hinter sich ließ. Sie war schon Witwe, als er als junger Mensch und eben flügge, sie heiraten mußte.Dies geschah noch vor dem Jahr 319. Verweilen wir auch bei ihr.

Auch sie war vornehmen Blutes, die Tochter des alten Haudegen Antipater, den Alexander der Große zum Statthalter seines mazedonischen Landes gemacht hatte.

Dem Demetrius schien es genug, daß Phila ihm zwei Kinder gegeben hatte. Für einen Thronerben war damit gesorgt, und es fehlte nur noch die Krone. Sie hatte die Wonne erlebt, den schönsten Jüngling ritterlicher Art in ihren Armen zu 131 halten. Er aber: was sollte sie ihm noch? So ist sie die tragische Figur, die einsam und fast unbeachtet im Hintergrund der großen Dinge steht, und es bleibt uns überlassen, ihre Gefühle zu erraten. Sie verübelte ihm nichts, war stolz auf ihn und litt mit ihm, wo er zu leiden schien. Mochte sein Ehrgeiz ihn an der Spitze seiner Söldnerscharen von Schlachtfeld zu Schlachtfeld bis zum Euphrat jagen, als Admiral mit den mächtigen Galeeren von Küste zu Küste des Mittelmeers: ihre Bewunderung folgte ihm. Mochte er mit seinen Hetären öffentlich sich zeigen: dafür hatte sie Verzeihung. Schlimmer war, daß er bei Philas Lebzeiten auch andere Ehen einging, als existierte sie nicht, wie mit der Schwester des Königs Pyrrhus. Auf der Insel Korfu war es die Fürstin Lanassa. Demetrius wollte auf Korfu herrschen; also heiratete er die Lanassa mit der Insel. Das waren Geschäftsehen und nicht auf lange Sicht.

Ein heller Lichtblick mußte es für die so einsam Gelassene sein, als Seleukus, der Großkönig Syriens, ihre Tochter Stratonike zur Ehe begehrte. In großem Aufzug führte Demetrius zunächst allein die Tochter dem Seleukus zu. Aber die Mutter war zur Übergabe der Tochter doch unentbehrlich; auch Phila erschien also zum Akt der Vermählung. Aber es war eine kurze Freude des Wiedersehens. Demetrius trennte sich gleich wieder von ihr, und sie war nun ganz allein gelassen, ohne Tochter und auch ohne den Sohn Antigonus, der längst draußen im Leben und im Waffendienst seines Vaters stand.

Dann trug Demetrius den Krieg gegen Philas 132 Bruder Kassander, und so blieb auch ein Herzenskonflikt ihr nicht erspart. Kassander war der König Mazedoniens. Wie würden die Kämpfe enden zwischen Bruder und Gatten, und wem sollte sie den Sieg wünschen?

Da entsann sich Demetrius wieder einmal seiner Phila. Er rief sie, wo sie ihm nützen konnte, und sie durfte persönlich einen Ausgleich mit Kassander vermitteln.

Aber es sollte für sie kein Glück geben. Der Ausgleich war da, aber Kassander starb. Mit leichtem Griff eroberte sich jetzt Demetrius das Reich; aber er nahm auch jetzt Phila nicht zu sich. In allem Pomp begann er in Mazedonien zu regieren; aber es waren nur sechs Jahre; denn der großartige Abenteurer verstand kein Friedensregiment zu führen. Der junge König Pyrrhus rückt von Epirus gegen ihn vor; seine Madezonen verlassen ihn, und der große Mann hat weder Thron noch Heer und schleicht heimlich über die Grenze aus seinem Reich davon (i. J. 287 v. Chr.). Es war der Anfang seines Endes.

Wohin? Jetzt endlich kam er zu ihr; er kam zur Phila. Sie lebte still in Potidäa im nahen Thrazien.Diese Stadt hieß damals Kassandreia nach jenem Kassander. Geächtet, als Flüchtling sah sie ihn, der ihr so herrlich dünkte. Es kam zu plötzlich. Da überwältigte sie die Trauer, und sie nahm Gift.

Mit den dürftigsten Worten wird uns dies berichtet; aber sie sind vielsagend; sie lassen uns tief nachempfinden, wie diese Frau, zu dauerndem Verzicht verdammt, gelebt und gelitten hatte, zugleich aber, daß es für sie des Leidens genug war. Ihr Weitblick sagte ihr, was kommen würde, 133 und sie wollte es nicht erleben. So hat sie den enttäuschenden Niedergang und Ausgang des Mannes nicht erlebt,Über des Demetrius Ende s. »Alexander der Große«³ S. 256 f. der zwanzig Jahre und länger in jenen Kämpfen um das Erbe Alexanders des Großen die glänzendste Erscheinung gewesen war. Er starb als Gefangener des Seleukus, 54jährig.

*

Aber Phila hatte doch nicht umsonst gelebt. Ihr Sohn Antigonus hatte sich längst als herrschfähig bewährt und erwarb sich dauernd und auch für seine Nachkommen das Königtum in Mazedonien, und ihre schöne Tochter Stratonike war die Königin Syriens, des Reiches geworden, das im Orient damals das ausgedehnteste und großmächtigste war. So teilten sich Philas beide Kinder in die Welt, um die der Vater umsonst gefochten hatte.

Es fragte sich nur, welchem Gatten die junge Königin Stratonike im syrischen Herrscherhause gehören sollte. Die Ehe war zwar mit Seleukus, wie wir sahen, geschlossen, aber ein Konflikt bestand, der lange Zeit denkwürdig schien. Lassen wir uns auch hiervon erzählen; es liest sich, als wäre es einem Roman entnommen.Ich kann nicht umhin, hier zu wiederholen, was ich schon einmal anderen Ortes vorgetragen habe.

Der König Seleukus war Witwer und 50jährig, als er des Demetrius junge Tochter als Frau nach Antiochien führte. Aus erster Ehe hatte er einen Sohn Antiochus, und es geschah, daß der Sohn erkrankte. Der Kranke hüllt sich in Stummheit und will nicht genesen. Man weiß nicht, was ihm geschehen ist; der Vater in 134 höchster Sorge. Der Arzt Erasistratus aber errät, daß hier nichts anderes als Verliebtheit im Spiele. Es war dies der berühmte Psychoanalytiker und Pathologe unter den Ärzten jener Zeiten. Wen liebte der Sohn? Vielleicht war ihm, wenn man die Person feststellte, zu helfen. Also verließ der Arzt das Zimmer des Kranken nicht, beobachtete dessen Verhalten, sein Antlitz, seine Augen, sein Zucken in den Händen beim Ab- und Zugehen jugendlicher Personen. Es zeigte sich nichts. Als aber die Stiefmutter Stratonike, die holdselige, herzutrat, waren plötzlich alle Symptome der Liebe da. Welch peinlich bedrohliche Entdeckung! und was sollte geschehen?

Seleukus, der König, liebte seinen Sohn. So beschloß Erasistratus, zu ihm zu gehen, und sagte: »Ich habe das Leiden erkannt; dein Sohn liebt, aber hoffnungslos.« »Wen liebt er?« Der Arzt versetzte klug: »Er liebt meine Frau.« Seleukos darauf: »So trenne dich von ihr und gib sie ihm hin; denn du siehst, wie wir unglücklich sind.«

»Nein,« rief der andere; »das würdest auch du nicht tun, wenn Antiochus etwa dein Weib, wenn er Stratonike liebte.« Da sagte der König lebhaft und unter Tränen: »O Freund, möchte ein Gott oder irgendein Sterblicher seine Leidenschaft ablenken, da ich sogar mein KönigtumDas betreffende griechische Wort bei Plutarch läßt sich als »Königtum«, läßt sich auch als »Königin« deuten. Diese Zweideutigkeit scheint Absicht; es paßt beides. hingeben würde, wenn Antiochus mich bäte!« Da ergriff der Arzt des Königs Rechte und sagte: »Wohlan, ich bin hier nicht nötig; denn der Vater selbst, des Weibes Gatte, der König ist hier der beste Hausarzt, der die Heilung bringt.« Seleukus verstand, trennte sich großherzig von seinem Weib 135 und gab es dem Sohne. Er hat den Sohn gleichzeitig zum Teilhaber der Regierung erhoben, und Stratonike wurde die Stammutter des großen Seleuzidenhauses.Die Schwester dieses Antiochus hieß Phila ebenso wie Stratonikes Mutter und wurde dem Bruder der letzteren, dem Sohn der Phila, Antigonus in die Ehe gegeben; s. R. E. I S. 2453.

*

Solche Szene vergegenwärtigt uns flüchtig das Leben und den Lebenston an den Höfen jener Zeiten. Hörten wir nur mehr der Art! Es wäre schön, ein Bilderbuch griechischer Königinnen zu geben, die nicht nur in Antiochien und am Orontes, sondern auch am Nil und in Alexandrien zu finden waren. Jedes der folgenden Jahrhunderte bringt uns ihre Namen. Dasselbe Alexandrien war es, wo auch Kleopatra, die Geliebte Julius Cäsars, residierte, die letzte und die bedeutendste von ihnen allen. Wenden wir uns denn endlich Ägypten zu.

Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. zeigten sich auf der Balkanhalbinsel Roms Legionen; schon im 2. Jahrhundert lieferten sie den Seleuziden in Kleinasien Schlachten, wurde Mazedonien, wurde auch Pergamum römisch. Im 1. Jahrhundert sammelte der gefürchtete Sultan Mithridates vom Pontus her noch einmal den ganzen griechischen Orient zum Aufstand gegen Rom. Sulla, Lukull, Pompejus besiegten ihn nacheinander, und Roms Herrschaft in Asien war danach endgültig gesichert. Nur Ägypten allein, das Ägypten der Ptolemäer, hielt sich immer noch selbständig; es wußte zu lavieren, und die Römer fanden nicht Anlaß ihre Legionen auf diese letzte Beute zu hetzen.

136 Es nimmt sich aus wie ein Wunder; denn es gibt wohl keine Dynastie, die sich mit reinem Blut in ununterbrochener Nachfolge vom Vater zum Sohn so lange gehalten hat wie diese, von Ptolemäus I., dem einstigen Feldherren Alexanders des Großen, bis zu Ptolemäus XIII., dem zweiten der Brüder Kleopatras. Kleopatra war die letzte, die die Krone trug; mit ihr endet das Herrscherhaus. Aber sie war auch die genialste von allen. Eins der größten Dramen der römischen Weltgeschichte spielte sich ab durch sie und kraft ihres Willens. Das Weib, das über Herrscher herrscht, kann alles wagen. Die Hälfte der »Welt« – ich meine der damaligen Welt – mußte vor ihr sich beugen; aber sie wollte mehr. So hat sie den letzten großen Zweikampf des Orients wider den Okzident geführt. Ränke, Liebeszauber, Heroismus, Gewissenlosigkeit und Leichtsinn, alles das genügte noch nicht; die Größe des Ziels mußte hinzukommen.

Zum Verständnis Kleopatras, die hier als Schlußfigur vor uns sich ausleben soll (denn wir wissen viel von ihr), wird es dienlich sein, zuvor an ein paar andere Frauen derselben Rasse zu erinnern, ägyptische Königinnen, die ihr voraufgingen. Denn Art läßt nicht von Art.

Ich denke vor allem an Arsinoe, die an Ehrgeiz ihr glich, wennschon sie keinen Weltkrieg geführt hat. Diese Arsinoe war des ersten Ptolemäus Tochter. Die junge Prinzessin sollte früh heiraten, eine Heirat im Dienst der Politik des Vaters, und so wurde sie ohne Wahl mit Lysimachus, dem König von Thrazien, einem älteren 137 Witwer, vermählt. Als Realistin grämte sie sich nicht, im Gegenteil, sie hatte Kinder von ihm, beherrschte den Herrscher, und schon setzte die Intrige ein; denn Lysimachus hatte auch einen Sohn erster Ehe. Der steht ihren Kindern im Wege; sie verleumdet ihn, er plane Böses, und der Vater läßt seinen Sohn hinrichten.

Aber sie hat sich verrechnet. Lysimachus gerät mit dem Syrer Seleukus in Krieg, verliert dabei Land und Leben, und Arsinoe muß fliehen. Aber sie hat nun das Herrschen gelernt und kämpft für ihre Söhne. Eine neue Heirat braucht sie. Vielleicht kann sie Königin Mazedoniens werden; denn in Mazedonien herrscht eben ihr Stiefbruder Ptolemäus Keraunos. Werbend nähert sie sich dem unheimlichen Menschen. Er verspricht ihr alles, und die Hochzeit geschieht. Aber der Arge hat sie planvoll betrogen. Sie sieht ihre Söhne sterben; er ließ sie umbringen, und sie ist wieder selbst bedroht. Abermals muß sie flüchten, hilflos, mittellos sich auf ein Schiff werfen. Aber die Herzen dieser Weiber sind hart, und sie trauerte um die Söhne nicht lange.

Nach Ägypten kehrt sie zurück, woher sie stammte. Da herrscht König Ptolemäus II. Philadelphos, ihr leiblicher Bruder, und sie hatte sich diesmal nicht verrechnet. Rasch führte ihre Energie sie jetzt auf die Höhe des Lebens. Der Bruder ist vermählt. Das war kein Hindernis. Sie bewirkt die Ehescheidung, verdrängt die Frau und heiratet selbst ihren Bruder. König und Königin in Geschwisterehe! Das war allerdings etwas Neues, Unerhörtes; Blutschande im Auge der 138 griechischen Welt. Ein Sohn war da, ein Sohn erster Ehe, der künftige Thronfolger; der aber zeigte sich gefügig, und zum Bruch mit ihm kam es nicht.

Gewiß ist nicht der König selbst der Urheber dieses Handels gewesen, sondern allein der Ehrgeiz Arsinoes. Sie konnte daran erinnern, daß ja auch bei den alten Pharaonen Geschwisterehe gebräuchlich gewesen: wozu herrschen wir in Ägypten? Nachfolger sind wir der Pharaonen. Also halten wir es wie sie.

Und die Sache wurde zum Vorbild. Solche Ehen haben sich im Ptolemäerhause wiederholt.

Kein Zweifel, daß sie, Arsinoe, den Gatten völlig beherrscht hat. Er war feinsinnig, aber kränklich, schwächlich, ganz unsoldatisch. Mochte er seinen ästhetischen und gelehrten Interessen leben, eine Gelehrtenakademie gründen, eine Bibliothek schaffen, die alsbald der Weltruhm seiner Hauptstadt war: Arsinoe regierte, und als Machtfaktor im Orient wäre Ägypten ohne sie damals nichts gewesen. Der Brudergemahl erkannte dies auch öffentlich und in extremster Weise an, indem er sein Weib bei Lebzeiten zur Göttin erhob und ihr Tempel baute. Auch solche Vergöttlichung königlicher Personen war altägyptischer Brauch. Ein Tempelfries ist erhalten, auf dem man sie heut noch so dargestellt sieht: Arsinoe die Gottheit; Ptolemäus der anbetend Huldigende.

Ein starker Geist großen Ausmaßes muß diese Frau gewesen sein. Der absolute Herrscher, der, durch Söldner gesichert, in Palästen wohnt, ist für 139 das Volk der Untertanen der Spender alles Segens und Unsegens. Er ist also ein Mittler der Gottheit; er gleicht der Gottheit; sie stellt sich in ihm dar. Denn auch die Götter geben wie er Gutes und Böses und sind launisch wie das Wetter für den Landmann. Daher also das Gottmenschentum der Könige; ein Wandeln des Göttlichen im Fleische. Die Religiosität des Hellenismus war es, die diese Vorstellungen, die uns in den verschiedensten Formen entgegentreten, ausgebildet hat. Auch Kleopatras Geschichte wird uns das zeigen, und die Göttlichkeit der Kaiser Roms ist davon die Fortsetzung gewesen.

Verblaßter als dies Erinnerungsbild ist leider das der Berenike. Ich meine die Gemahlin des dritten Ptolemäus. Viele Frauen dieser Familie trugen übrigens diesen Namen, der echt mazedonischen Klang hat.

Sie stammte aus Kyrene. Über das Königreich der Kyrenaïka, das Nachbarland Ägyptens, herrschten in diesen Zeiten die Ptolemäer; das Land wahrte aber eine gewisse Unabhängigkeit und wurde von Anverwandten des Hauses selbständig regiert. Von dort also stammte diese Berenike und war die rechte Kusine oder »Schwester« zweiten Grades ihres Mannes. Ihr Name aber hat sublimen Klang; denn er steht sozusagen am Himmel geschrieben, und unseren Astronomen ist er geläufig; denn es gibt ein Sternbild, das die Haarlocke der Berenike heißt.

Ihr Haar hatte die junge Königin abgeschnitten und im Tempel geweiht mit dem Gebet um 140 Rettung und Sieg des Königs, ihres Gatten, der in den Krieg gezogen. Das Gebet fand Erhörung, der Sieg wurde erfochten und die Locke dann durch ein Wunder (so dichtete man) zum Himmel erhoben.

Den energischen Typ, der ihrer Rasse eigen war, trug auch diese Frau, aber, wie es scheint, in gelinderen und weiblicheren Formen. Nur einmal tritt sie uns so charaktervoll entgegen. Der König ließ sich, als er Würfel spielte, eine Liste von Sträflingen vorlesen, über deren Hinrichtung oder Begnadigung er entscheiden sollte. Da riß sie dem Vorleser das Buch mit den Worten aus der Hand: »Beim Spiel entscheidet man nicht über Tod und Leben.« Das klingt gewiß lobenswert. Sie selbst aber fand ein blutiges Ende. Als ihr Mann starb, galt es den Nachfolger zu bestimmen. Zwei Söhne hatte sie geboren; der ältere erwies sich ihr als völlig untauglich; da ermordete er sie, der Sohn die Mutter, weil sie dem jüngeren die Nachfolge sichern wollte. So kam zum Unsegen für das Reich Ptolemäus IV. ans Regiment.

Gleichwohl hat dieser Sohn alsdann die Mutter, die er mordete, zur Göttin erhoben. Das war obligat, und es war immerhin für Berenike erfreulicher, tot und Göttin zu sein, als mit solchem Sohn zu leben.

Vergöttlichung auch schon bei Lebzeiten, Inzucht bis zur Geschwisterehe, aber auch der Neid und die Herrschgier, die bis zur Tötung der nächsten Blutsverwandten sich durchsetzt, alles dies hat sich auf die Königin Kleopatra, die letzte ihres Stammes, vererbt. Wir werden es sehen. Sie 141 schlug nicht aus der Art, wenn sie Dinge beging, die den humanen Durchschnittseuropäer mit begreiflichem Entsetzen erfüllen.

So nähern wir uns dem Duell Kleopatras mit Rom. Ihre Biographie wird sich uns zu einem Kapitel der Weltgeschichte gestalten. 142

 


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