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War das ein Wetter! Massenhaft wurde der kalte Regen mit Schneeflocken untermischt herabgeschleudert; er stürzte mit Gewalt gegen die Fensterscheiben, drängte sich zwischen die Dachziegel und verfolgte den heulenden Hofhund bis in den hintersten Winkel seiner elenden Hütte.
Rendant Grimmel blickte aus seiner behaglich warmen Stube trübselig in den düsteren Novembermorgen hinaus. »Daß ich mir bei dem Wetter meinen alten Rheumatismus wiederhole, ist selbstverständlich,« dachte er und seufzte. Die Stunde, wo er sich nach dem Bureau begeben mußte, war gekommen, und er wäre gern von seiner lieben Frau noch ein wenig beklagt worden.
Aber Frau Rosine hatte keine Zeit zum Beklagen. Sie trat jetzt an der Seite eines langen, hageren Herrn mit ergrautem Haar und vornehmer Haltung in die niedrige Stube. Sein Blick war zerstreut wie der eines Mannes, der gewohnt ist, viel geistig zu arbeiten und nachzudenken, der aber auf die Außenwelt wenig achtet. Es war der Verwalter Uslar, der seit einem halben Jahre im Hause des Rendanten Grimmel bei Tarnowitz in Oberschlesien wohnte. Heute sollte er das Haus verlassen und seine Amtswohnung beziehen, die auf der andern Seite des großen Hofes lag; er erwartete an diesem Abend seine Kinder, und Frau Rosine, eine brave tüchtige Frau, hatte es übernommen, ihm die Wohnung einzurichten.
Sie setzte ihm mit vielen Worten auseinander, daß sie von dem Gelde, das er ihr zu diesem Zweck übergeben hatte, nur einige Mark habe sparen können.
Die Auseinandersetzung interessierte Herrn Uslar durchaus nicht, er war kein praktischer Mann, doch fühlte er sich der Frau sehr verpflichtet, daß sie ihm diese unerfreuliche Arbeit abgenommen hatte.
»Da haben Sie gar noch Ersparnisse gemacht, Frau Rendant?« rief er herzlich und drückte ihr warm die Hand. »Ich hatte erwartet, daß Sie mit dem Gelde nicht reichen würden. Ich bin Ihnen großen Dank schuldig und hoffe, meine Kinder werden Ihnen ihre Dankbarkeit auch zu beweisen wissen.«
»Ich will blutende Wunden nicht aufreißen,« meinte die gute Frau gerührt. »Aber was ich für Ihre Kinder tun kann, das tue ich; ich will die mutterlosen Waisen wie eine Mutter lieben, und sie werden mich auch wiederlieben, Herr Uslar. Kinder wissen recht gut, wer für sie ein Herz hat. Und verlieren Sie nur nicht den Mut. Sie sind ein tüchtiger Mann, und Sie müssen noch einmal unser Direktor werden.«
»Aber, liebe Frau ... –« der Rendant wollte bescheiden etwas einwenden.
Frau Rosine ließ sich nicht abhalten. »Ich bin zwischen Hochöfen und Dampfessen aufgewachsen, und was zu einem richtigen Direktor gehört, das weiß ich. Unser Direktor Karling aber versteht nur gut zu essen und zu trinken ...«
»Sinchen! Sinchen!« mahnte ihr Ehemann.
»Wenn er mehr versteht, Grimmel, kannst du's ja sagen.«
Da schlug die Uhr acht und schloß der eifernden Frau den Mund. Die Herren mußten fort. Sie brachte Herrn Uslar den von ihm vergeblich gesuchten Regenschirm, half ihrem Manne den Überzieher anlegen und beklagte dazwischen pflichtschuldigst, daß sie bei diesem so abscheulichen Wetter das Haus verlassen müßten.
Herrn Uslar hatten schwere Unglücksfälle betroffen; die Spuren des Kummers waren in seinen Zügen noch nicht verwischt. Kaum zwei Jahre früher war er ein reicher, angesehener und vielbeneideter Mann. Einem der größten Hüttenwerke am Rhein stand er als technischer Direktor vor und lebte mit seiner Familie auf einem sehr großen Fuße. Frau Uslar, die Tochter des Senatspräsidenten von Cronitz, war an einen vornehmen Haushalt gewöhnt und erzog ihre Kinder gleichfalls im Luxus.
Trotz der anerkannt vorzüglichen Leitung Herrn Uslars wurde die Aktiengesellschaft, der die Hüttenwerke gehörten, durch eine Krisis bankrott, und Herr Uslar verlor nicht nur seine Stellung, sondern bald darauf auch seine von ihm angebetete Frau; sie war zu zart und zu verwöhnt, um den schweren Schlag zu ertragen.
Die Generalin von Cronitz, eine Verwandte des verstorbenen Präsidenten, nahm die verwaisten Kinder in ihr Haus. Herr Uslar aber, ein rechtschaffener, tüchtiger Mann, der seine Frau nur zu sehr geliebt hatte, verkaufte seine glänzende Einrichtung, um seine etwaigen Schulden abzutragen, und als er hörte, daß die Stellung eines Verwalters bei den königlichen Werken zu Friedrichshütte bei Tarnowitz frei geworden sei, bewarb er sich darum und erhielt sie. Freilich entsprach sie seinen Fähigkeiten und Ansprüchen nicht, aber er wollte nicht müßig auf eine bessere Stellung warten, und die Aussicht, später eine solche zu erlangen, blieb ihm ja offen.
Kaum hatten sich die beiden Herren entfernt, da band Frau Rosine ein dickes Tuch über, spannte den baumwollenen Regenschirm auf und schickte sich an, quer durch den Hof nach Herrn Uslars Amtswohnung zu schreiten. Ihre Magd Anuscha, wie die für Uslar gemietete Maruschka – beide Mädchen waren polnischer Abkunft – folgten mit einem wohlverwahrten Korbe, der unter andern guten Sachen einen von Frau Rosine gebackenen Napfkuchen barg.
Die Mägde sprangen lachend über die Pfützen und fragten nicht nach Wind und Wetter, Frau Rosine aber kam nicht so glücklich hinüber. Erst kippte der Sturm ihren Schirm um, und zugleich geriet einer ihrer Pantoffeln in einen Regenfluß, worin er untertauchte; doch endlich erreichte sie das schützende Dach, schloß auf und trat mit den Mägden ein.
Sie wollte die letzte Hand an das große Werk legen. Noch einmal sollte alles gekehrt und abgestäubt werden. Es gab viel zu tun; sobald sie aber den Rücken wendete, hörte Anuscha zu kehren auf und Maruschka bewunderte mit offenem Munde die neue Einrichtung. Anuscha fand nichts daran zu bewundern. Sie wußte, was zu einer »nobeln« Einrichtung gehört, denn sie war drüben in Direktor Karlings Hause, das in demselben Hofe lag, bekannt. Sie sprach nur von Kronleuchtern mit Glasbummeln, von samtnen Sesseln und von Spiegeln, in denen man sich vom Kopf bis zu den Füßen ansehen konnte.
Als Frau Rosine gegen abend ihren lieben Mann, dem das Haus früher zu betreten nicht erlaubt war, darin umherführte, war sie voll Stolz und Freude.
»Sieh nur,« sagte sie und beleuchtete in dem Wohnzimmer das Tapetenmuster, »Rosenbuketts auf blauen Arabesken. Macht sich das nicht fein?«
Grimmel stimmte zu.
Frau Rosine breitete ein rotbaumwollenes Tuch über den kreisrunden Tisch aus und setzte den Napfkuchen sowie Tassen auf; eine davon hielt sie ihrem Manne, der kurzsichtig war, unter die Nase. »Rosen und Vergißmeinnicht: na, sind die Tassen nicht apart? Und die habe ich für ein Spottgeld in einer Auktion gekauft, auch die Ampeln aus Schmelzperlen an den Fenstern. Wenn Direktors hereingucken – und neugierig sind sie wie die Elstern – da sollen sie nicht sagen, daß es bei Uslars »power« aussähe. – Merkst du's auch, Grimmel? das ganze Meublement, alles Kirschbaumholz! Man muß schon Rücksicht darauf nehmen, daß die Uslars es vornehm gewöhnt sind.«
»Sehr schön – sehr schön,« der Rendant drehte sich mit der Lorgnette im Kreise, um jedes Stück in Augenschein zu nehmen. »Aber, Sinchen, ich glaube, Kirschbaum ist man nicht mehr ganz modern.«
»Laß dir doch nichts weismachen, Grimmel! In Möbeln gibt's keine Mode. Das wäre noch schöner! Möbel werden von Vater auf Kind vererbt.«
»Nun, du verstehst das man besser, Sinchen,« beruhigte der friedliebende Rendant.
»Immer nur praktisch, Grimmel! Die Verhältnisse muß man im Auge behalten. Darum habe ich das Sofa mit Ledertuch überziehen lassen.«
»Etwas kühl,« bemerkte der Rendant.
»Aber ich bitte dich, wie's hier zugehen wird, wo keine Mutter achtgibt! – Hast du schon die blauen Vasen mit den künstlichen Blumen auf dem Glasschrank bemerkt? Sehen sie nicht wie frische Blumen aus?«
»Sind man von frischen nicht zu unterscheiden.« Der Rendant war zwar nur einmal in seinem Leben und nur für eine Woche in Berlin gewesen, seit dieser Zeit aber wendete er das »man« wie der eingefleischteste Märker an.
»Jetzt koche ich noch ein gutes Warmbier,« meinte Frau Rosine, »und dann mögen sie nur kommen – ich bin parat.«
Grimmel hätte gern dem Empfange und dem freudigen Erstaunen der »mutterlosen Waisen« beigewohnt, da ihn aber seine Frau nicht zum Bleiben nötigte, drückte er sich und kehrte mit Anuscha in sein Häuschen zurück.