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Niß Muchels.

An einem sonnighellen Herbstnachmittage – es war noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts – wallte das Meer in fast unabsehbar breiten, wenig erhobenen Wogen langsam an dem ausgedehnten westlichen Strande der langgestreckten Halbinsel Hörnum, der südlichen Landzunge der Insel Sylt. Ein feiner, kaum bemerklicher Streifen weißen Schaumes säumte den Rand der Wellen, die mit leisem Murmeln gleichsam träumend dem Ufer zutrieben. Kaum hatten sie es mit ihren schlüpfrigen Zungen genetzt, so sanken sie müde in das Meer zurück. Das heitere Wetter, der gelind wehende Wind hatten die Schwärme der gefiederten Strand- und Dünenbewohner weit hinaus gelockt in die See. Schon waren die Eier ausgebrütet, die mehrere Wochen alten Jungen übten sich bereits mit den erfahrenen Alten im Fliegen; die kunstlosen Nester im feinkörnigen Dünensande dienten den Vögeln nur noch zu nächtlichen Ruheplätzen. Die Möven schwangen sich mit ihren säbelförmigen Flügeln bunt durch einander. Bald schossen sie, einem beutegierigen Falken gleich, aus der Höhe senkrecht hinunter in die Tiefe, um einen Fisch, der sich zu sehr der Oberfläche des Wassers genähert hatte, oder eine Muschel, die unbesorgt auf den Wellen schwamm, zu erhaschen, bald flogen sie in horizontaler Lage sanften Fluges über die Wogen und tauchten Kopf und Brust und die langen Schwungfedern in die Fluth, um sich zu weiterem Fortfliegen zu stärken. Hoch über ihnen kreiste der Reiher und wiegte sich behaglich im ungewöhnlich warmen Sonnenstrahl, neckisch umflatterte ihn ein Heer zudringlicher Kibitze, welche die Luft mit ihrem schnarrenden Gekrächze erfüllten. Auf den Wogen selbst schaukelten sich unzählige Schaaren von wilden Gänsen, Enten und Tauchern, die in lustigen Sprüngen, sobald sie ein schwimmendes Weichthier erblickten, vornüber stürzten, so daß nur der zugespitzte Schwanz aus dem Wasser ragte, während der ganze übrige Körper unter der wallenden Oberfläche verborgen war. Am breiten, mit trockenem Seetang besäumten Strande hielten hochbeinige Strandläufer eine lärmende Versammlung; gleich einem Heer von Soldaten, die eben von einem anstrengenden Manöver feiern, schritten sie auf dem feuchten Sande einher.

Es war ein seltener Anblick, dieses friedliche, nur wenig bewegte Meer, das weithin sein kräftiges Aroma verbreitete, jenen feuchten, schon in meilenweiter Entfernung am Festlande zu spürenden Duft, der dem, welcher ihn zuerst einathmet, nicht angenehm vorkommt. Aber je mehr er die Lungen füllt, desto freier, frischer und freudiger hebt sich die Brust. Wie Manchem, dessen zerrüttete Nerven das kräftige Seebad nicht mehr ertragen konnten, hat schon allein das Einathmen der herrlichen Seeluft die verlorene Gesundheit wiedergegeben.

Wer hätte gedacht, daß diese weite, stille, schöne See, dieser menschenleere einsame Strand in kurzer Zeit der Wahlplatz eines schauerlichen Kampfes der Elemente und eines nicht minder schauerlichen menschlicher Leidenschaften werden sollte. Und doch geschah es also!

Auf dem breiten Gipfel der höchsten Düne, welche hier trotzig ihren Fuß in's Meer vorstreckt, stand, vom herbstlichen Sonnenlicht hell beschienen, ein hoher, starkknochiger Mann. Um das dunkelgebräunte Antlitz wallte ein schneeweißer Bart, das kahle Haupt bedeckte ein breitrandiger Lederhut mit niedrigem Kopfstück, eine bis an die Hüften reichende Jacke aus grobhaarigem Wollenzeuge mit weiten Aermeln umschloß den breiten Oberkörper. Statt des Gürtels trug er einen derben Strick um den Leib geschlungen, darin eine scharfgeschliffene Axt mit mäßig langem Stiel steckte. Die Beine in plumpe Stiefel gehüllt, welche bis über die Kniee reichten, hatte er den rechten Fuß vorgestreckt und indem er die linke Hand vor der Stirne hielt, den Sonnenstrahlen zu wehren, welche ihn an der Aussicht nach Westen hinderten, spähte er angestrengten Blickes hinaus auf das Meer.

Neben ihm lehnte, auf einem langen Stabe mit eiserner Spitze und Widerhaken gestützt, eine andere, noch seltsamere Gestalt. Hoch von Wuchs war sie doch kleiner als der Alte, doch nicht weniger breitschulterig als dieser. Sie trug die Tracht eines friesischen Weibes, rothe Strümpfe, einen Rock aus Schaffellen, der bis über die Kniee herabfiel, eine weiße leinene Schürze. Aber über Brust und Schultern hatte sie eine zottige Matrosenjacke angelegt und auf das blonde, lose herabwallende Haupthaar einen abgetragenen Seemannshut gedrückt, dessen breite Krämpe das Gesicht beschattete. Es war Maren, die mannweibliche Tochter des greisen Strandvogts Niß Muchels, die Hüterin des tauben Alten, die stete Gefährtin seiner Streifzüge wider die Strandräuber, die mehr als einmal schon im Kampfe mit jenen durch Entschlossenheit und Geistesgegenwart dem Vater das Leben gerettet hatte.

Der Alte, der bereits nahe an 80 Jahre zählte, von denen er mehr denn 50 dem Amte eines Strandvogts gewidmet hatte, sah um so schärfer, als der Sinn seines Gehörs erstorben war. Am hellen Tage reichte sein Blick in meilenweite Entfernung, bei Nacht durchdrang er die dichteste Finsterniß. Auch jetzt gewahrte er am fernen Horizonte mehrere Segel und an der Stellung derselben erkannte er nicht bloß die Größe der Schiffe, denen sie angehörten, sondern auch die Richtung, welche diese verfolgten.

»Es ist ein Schooner in Sicht,« sprach er, »der diesen Küsten zusteuert. Vor Mitternacht, fürchte ich, steckt er im Sande.«

»Und mehr als ein Boot unserer beutegierigen Burschen,« fuhr er fort, als seine Tochter schwieg, »umschwärmt den keine Gefahr ahnenden Kauffahrer.«

»Soll ich die Laterne holen, Vater?« fragte das Mädchen.

»Es hat noch Zeit!« erwiderte der Greis. »Aber gehe nach Haus und rüste die Abendkost zu. Wir müssen die Nacht am Strande Wache halten.«

Die Tochter ging schweigend. Noch lange schaute der Alte nach den Schiffen, die vor der frischen Brise sich der Küste mehr und mehr näherten. Namentlich war es der Schooner, welcher, dicht in Leinwand gehüllt, den übrigen voraus zu sein und den Kurs nach der Eidermündung einzuhalten schien. Für ihn fürchtete der kundige Greis daher am meisten, denn schon glaubte er zu bemerken, daß er einige Striche zu weit nördlich steuerte. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er hierin sich nicht täusche, stieg er die Düne hinab, untersuchte das auf der nächst gelegenen, aus Brettern aufgeführte, Häuschen, welches Schiffbrüchigen zur Zufluchtsstätte dienen sollte, und als er dort Matratzen, Decken und Lebensmittel in hinreichender Menge und Ordnung vorfand, hob er die Laterne am Giebel aus und begab sich ebenfalls nach seiner Wohnung.

Für den Unkundigen freilich sah das Wetter nichts weniger als bedenklich aus. Der heitere Sonnenschein ließ kein Unwetter erwarten. Aber Niß Muchels, der erfahrene Seemann, hatte sich nicht geirrt. Ueber der Sonne schwebte am blauen Himmel ein feines weißes Wölkchen, das in stets gleicher Entfernung der Sonne folgte und je tiefer diese im Westen sank, desto mehr an Durchsichtigkeit verlor, anfangs nur grau, allmählig aber fast pechschwarz wurde. Lange noch lag es still und unbeweglich wie ein dunkler Flecken auf dem glühenden Schein des Abendrothes, welches den fernen Meereshorizont erhellte.

Als dieses verglommen war, als gegenüber am östlichen Nachthimmel die ersten Sterne schimmerten, kam das Wölkchen in Bewegung. Es dehnte sich nach allen Seiten hin aus, es streckte sich nach Norden und nach Süden und hüllte nach und nach das ganze Firmament in ein trübes, undurchdringliches Grau. Die Nacht breitete ihren finsteren Mantel über das Meer, das wie zornig über die unwillkommene Hülle mit immer dumpferen Tönen aufbrauste. –

Unterdessen loderte im Hause des Strandvogts ein lustiges Kaminfeuer und der Alte wärmte sich an demselben, indem er den bequemen Lehnstuhl, der freilich nur von Holz und nicht gepolstert war und in welchem er sich niedergelassen hatte, nahe an's Feuer rückte. Die Tochter bereitete in der Küche die Abendmahlzeit. Der Greis hatte Muße zum Nachsinnen und sein vielbewegtes Leben bot ihm Stoff genug für eine ernste Erinnerung. Er war in der That ein außerordentlicher Mann und seine Schicksale eben so außerordentlicher Art. Sein herkulischer Körperbau machte ihn zu einem der stärksten Männer der Insel, wenn nicht zum unbedingt stärksten von allen. War ein Schiff an den Dünen gescheitert und galt es, die einzelnen vom Meer angespielten Holzstücke, Waarenballen, Kisten u. s. w. fortzuschaffen, so hob der Strandvogt ohne sonderliche Anstrengung allein eben so viel, als drei der übrigen Berger zusammen, die doch gerade auch keine Schwächlinge waren. Dieser seiner Körperkraft wegen, von welcher er auch vorkommenden Falles im Ringkampfe mit einem oder dem andern Strandräuber, den er mit seiner unverdrossenen Wachsamkeit bei Tage wie zur Nachtzeit auf verbotenem Wege überraschte, recht empfindliche Proben ablegte, war er allgemein von denen gefürchtet, welche die Ansicht, die Früchte des Strandsegens gebührten ihnen, thatsächlich durchzuführen pflegten. Wohin Niß Muchels Faust fiel – da wuchs kein Gras, wie es im Sprichwort heißt, da wurden mit andern Worten auch die festesten Knochen merkwürdig mürbe und wen er einmal gepackt hielt, der mußte sich die Aussicht auf Entrinnen völlig aus dem Sinn schlagen. Dabei übte er sein Amt durchaus nicht auf eine übermäßig strenge Weise. Obwohl er, wie schon erwähnt, vortrefflich sah und stets wachsam war, damit kein Strandgut in unrechte Hände komme, so that er doch, als sei er blind, wenn ein armer Insulaner von dem Wrackholz-Lager neben seiner Wohnung ein Stück, ohne zu fragen, wem's gehöre, mitgehen hieß, weil es ihm gerade an der nöthigsten Feuerung mangelte. Nur dem eigentlichen Raubhandwerk, wie leider Viele es trieben, wenn Schiffe in Gefahr sich befanden, wobei eher an das Bergen des werthvollsten Theils der Ladung, als an die Rettung der armen Schiffbrüchigen gedacht wurde, war er im höchsten Grade abgeneigt. Gegen Solche, die sich unberufen auf den gescheiterten Schiffen einfanden, um sich das Beste, was ihnen gefiel, zuzueignen, und die oft, wenn sie von Seiten der Besatzung auf Widerstand stießen, Gewalt brauchten, ja mitunter sich unerhörte Grausamkeiten erlaubten, verfuhr er strenge und ohne Erbarmen. Denn er hatte Recht und Gerechtigkeit lieb, war überhaupt ein gottesfürchtiger Mann. Ueber seine Lippen kam kein unwahres Wort, er mochte nun mit vornehmen oder geringen Leuten reden, seine Aussagen waren lauter wie Gold, und die eigenthümliche ungeschminkte Ausdrucksweise, deren er sich bediente, war immer so gewählt, daß er genau das sagte, was er dachte, ohne mißverstanden werden zu können. So war er ein Mann von einfachen schlichten Sitten, mit aufrichtigem Charakter und einem demüthigen kindlichen Herzen. So lange er sich noch seines gesunden Gehörs erfreute, leitete er viele Jahre hindurch als Küster den Gottesdienst in der Kirche zu Rantum. Als aber die Taubheit sich bei ihm einstellte und nach und nach überhand nahm, da sah man ihn jedes Mal, wenn in der Rantum-Kirche Gottesdienst gehalten wurde, auf der Kanzel neben dem Prediger auf den Knieen liegen, um jedes Wort der Predigt vernehmen zu können. Das Wort, dem er so mit Anstrengung lauschte, das Wort Gottes bewährte er auch als ein ihm lebendig gewordenes durch seine Thaten. Denn es gab keinen wohlthätigeren und zu jeder Hilfeleistung bereitwilligeren Mann auf der Insel, als den Strandvogt Niß Muchels. Er versäumte in der Gemeinde, der er angehörte, kein Krankenbette selbst zu besuchen und gewährte neben dem Trost der Lippen auch den armen Kranken leibliche Hilfe, er sättigte die Hungrigen und war ein Freund der Wittwen und der Waisen, für welche letzteren er meistens als Vormund in der uneigennützigsten Weise sorgte. Sein eigenes Familienleben war reich an düsteren Schattenseiten und bot der Lichtpunkte desto weniger. Zwei Mal beweinte er den Tod einer treuen Lebensgefährtin und jede seiner beiden Frauen hatte ihm mehrere Kinder geboren. Aber gerade dieser Kindersegen wurde für ihn wiederholt eine Veranlassung zu Schmerz und Betrübniß. Ein Knabe hatte das Unglück, aus Unvorsichtigkeit in einer Cisterne bei Rantum zu ertrinken; eine Tochter im blühenden Alter einer Jungfrau ward von einer wild gewordenen Kuh erfaßt, die sie mit ihren Hörnern in die Luft schleuderte und als sie wieder zur Erde gefallen war, mit ihren Füßen zu Tode stampfte. Einer seiner Söhne ging zur See – nie hörten die Eltern ein Wort von ihm wieder; ein anderer, der ebenfalls zur See fuhr, betrat niemals wieder seine Heimathinsel, auch ihn erblickte der Vater nie wieder, da er sich in Rußland niedergelassen hatte. Dem hochbetagten Greise, der selbst in den beiden letzten Jahren seines Lebens im ein- und zweiundachtzigsten noch ganz blind wurde, ohne daß er deshalb seinem Amte entsagte, dem er vielmehr noch mit allem persönlichen Ansehen, dessen er genoß, und mit ungeschwächten Körperkräften vorstand, war nur die jüngste Tochter Maren zur Seite geblieben, sie, deren merkwürdiger Tracht wir bereis erwähnt haben.

Sie war in jeder Beziehung nach dem Vater geartet, überhaupt nach den männlichen Gliedern ihrer Familie, denn von ihrem Großvater väterlicherseits erzählte man, er habe Lasten wie ein Pferd getragen, aber auch wie ein Pferd gegessen und getrunken, und von dem Urgroßvater wußte man Beispiele von fast noch größerer Körperstärke anzuführen. Nicht anders war Maren, ein robustes, gegen alle Strapatzen unempfindliches Mannweib. Die größten Lasten waren für sie nicht zu schwer, sie trug sie mit Leichtigkeit fort und beschämte dadurch manchen der Männer. Sie war die verwegenste, die gewandteste Seehundsjägerin auf der Insel, kein noch so kühner, behender Insulaner nahm es darin mit ihr auf. Geschickt wußte sie die feinhörenden Thiere in der schwülen Mittagsstunde, wo sie schaarenweise auf den Sandbänken lagen und sich sonnten, selbst in ein Seehundsfell gehüllt, zu beschleichen und ihre Keulenschläge so sicher zu führen, daß sie keinen vergebens that. Mit dieser werthvollen Beute verdiente sie reichlich, was der einfache Hausstand in ihrem väterlichen Hause kostete. Im rauhesten Wetter war sie, wenn es irgend etwas zu thun gab, im Freien; je älter der Vater wurde, desto weniger ließ sie ihn allein, stets war sie an seiner Seite. Aber eine andere Liebe als zu ihm kannte sie nicht, sie hatte ein abgehärtetes Herz, in welchem Mitgefühl keinen Raum fand, desto mehr dagegen jene Leidenschaften des Zorns, der Rache und ähnliche, welche der Nachtseite der menschlichen Seele angehören. –

Während Vater und Tochter ihr einfaches Abendbrod verzehrten, hatte sich draußen das Wetter rasch und entschieden geändert. Auf den warmen heiteren Herbsttag war eine kalte regnerische Sturmnacht gefolgt.

Auf dem Festlande, vorzugsweise in den ebenen Gegenden, sind die plötzlichen Wetterveränderungen selten, vielmehr kündigen mancherlei, auch für den weniger Aufmerksamen sehr bedenkliche Vorboten gewöhnlich ihr Erscheinen an. Selbst in Bergländern macht man im Allgemeinen dieselbe Erfahrung, und der Gebirgsbewohner versteht in der Regel sehr gut den Wolkenschleier zu deuten, der die höchsten Spitzen der Berge einhüllt, oder den schwülen Druck der Luft, die in den Thälern sich zusammendrängt oder andere ähnliche Anzeichen eines bevorstehenden Umschlags der Witterung.

Auf der See und in den Küstengegenden ist es anders, namentlich da, wo jener bis jetzt noch nicht vollständig erklärte Wechsel von Ebbe und Fluth herrscht. Zwar führt gewöhnlich die Ebbe wie das Meer, so auch den Wind von der Küste hinweg, welcher den tiefer und tiefer sinkenden Wellen folgt, während die Fluth, wie sie das Wasser an das Gestade hinauftreibt, so auch den frischen Seewind mitbringt, der die Wogen brausend vor sich herjagt. Aber zu den Seltenheiten gehört es keineswegs, daß sowohl diese gewöhnliche Erscheinung gestört wird, als auch ein plötzlicher Wechsel der Witterung eintritt, der jedes vermittelnden Ueberganges vom Gelinden zum Rauhen oder umgekehrt vom Rauhen zum Gelinden entbehrt. Nur des Erfahrensten Auge gewahrt jene anscheinend ganz unbedeutenden Vorzeichen, mit denen die Natur gleichsam in der Perspektive die Bilder am Himmel vorzeichnet, welche sie in den nächsten Stunden in ihrer ganzen unnachahmlichen Pracht und Majestät zu entrollen willens ist.

So auch dies Mal. Jene kleine unansehnliche Wolke, die nach dem Untergange der Sonne zur riesigen Decke anwuchs, in welche sich in kurzer Zeit das Firmament einhüllte, war ein nur dem Kundigsten bemerkbares Vorzeichen dessen, was jetzt draußen sich ereignete. Der frühlingsmäßige Herbsttag hatte kaum eine Stunde nach Sonnenuntergang schon einer grausigen Winternacht Platz gemacht. Der Wind heulte in entsetzlichen Akkorden, bald sauste er in langen, dumpfen Athemzügen, bald brüllte er wie tausendstimmiges Gebrüll gereizter Löwen. Man konnte nicht sagen, ob aus Westen oder Norden, so unsicher war der gewaltige Luftzug, es schien, als wenn er in mehrere Strömungen getheilt dahertobte, die in der Nähe der Küste sich kreuzten, donnernd an einander prallten und dann zu einem ungeheuren Luftstrom vereinigt an's Ufer stürmten. In ihrem rasenden Taumel rissen sie die dem unwiderstehlich dämonischen Druck nachgebende Fluth mit sich fort. Diese war in ihrer friedlichen Ruhe gestört, aus dem tiefsten Grunde stieg sie zürnend empor zu grimmigen Bergkolossen, welche mit ihrem breiten Rumpfe dem Luftstrom einen Damm zu setzen versuchten. Aber der Orkan durchbrach diesen schwankenden Damm, er riß ihn auseinander, er stürzte ihn in den Abgrund. Wieder thürmten sich die Wogen brausend, vor Unwillen stampfend, bis zu der tief herabhängenden Wolkendecke flog ihr schäumender Gischt. Es war umsonst, die Windsbraut tobte daher, schlang ihre kalten Arme um die trotzigen Meeresriesen, die in der stürmischen Umarmung zu Tropfen zerstiebten. Je lauter sie ächzten, desto wüthender jubelte der Sturm, die Dünen erzitterten vor seinem Anprall, der noch durch die Wogen verstärkt wurde, die er ihren Abhang hinauf, über ihren Scheitel hinweg landeinwärts schleuderte.

Der Schooner, den kurz vor Untergang der Sonne der Strandvogt in weiter Ferne wahrgenommen hatte, schwamm auf dem also empörten Meere. Es war ein stark gebautes Schiff, wohlbemannt und brav geführt. Aber diesem Seegang war es nicht gewachsen. Eine furchtbare Woge knickte ihm das Bugspriet, eine andere riß ihm den größten Theil seiner Schanzkleidung hinweg und rasirte gleichsam sein Deck, Wasserfässer, Kabeltaue und alles Uebrige, was auf demselben lag, schwemmte sie in wenigen Sekunden in's Meer. Die Besatzung entging nur wie durch ein Wunder einem gleichem Schicksal. Eine dritte Welle zerbrach den Hauptmast, mit Mühe gelang es, ihn vollends zu kappen und weithin trieb im Nu der starke Föhrenstamm, sammt Raaen, Segeln und Tauen. Endlich zerschmetterte eine Sturzsee das Steuerruder, die Trümmer versanken in die Tiefe. Mitten auf der hohen See ward das stattliche Schiff zu einem ohnmächtigen, willenlosen Wrack. Sein Untergang war gewiß, nur war noch nicht abzusehen, ob es in den Fluthen begraben oder auf eine Sandbank getrieben und dort zertrümmert werden würde.

Schon bei dem Verluste des Bugspriets hatte der Kapitän die einzige Kanone, die an Bord war, gelöst. Der Sturm trug den Knall an den Strand. Bei diesem Nothsignal fuhr der Strandvogt auf und keine Viertelstunde verging, so befand er sich bereits mit seiner Tochter auf der Düne, an dessen Giebel er die wohlverwahrte Laterne aufgesteckt hatte. An die Bretterwand spritzte prasselnd der Schaum der Wellen, die sich an dem Fuß der Düne brachen und gleich Seifenblasen zerplatzten. Dennoch war es im Innern behaglich, denn hier brannte eine helle Lampe und beleuchtete die nicht unbequemen Lagerstätten und die wohlbesetzte Tafel.

Wieder eine Viertelstunde verrann und noch eine, da erfolgte ein dumpfer Stoß, bei dem die Düne erbebte – der Schooner war auf die Sandbank gelaufen, die sich von dort aus in's Meer erstreckte. Den Schiffbrüchigen beizuspringen, daran war nicht zu denken, es mußte ihnen selbst überlassen bleiben, ob es ihnen gelingen würde, ihr Leben zu retten.

Der Strandvogt hatte diesen Vorgang aus dem einzigen Fenster des Bretterhäuschens beobachtet. So finster es auch war, dennoch war es ihm möglich gewesen, im schaumbedeckten Meere den Rumpf des Schooners zu gewahren, als dieser seinen scharfgebauten Vorderbug tief in den Sand hineinbohrte. Nun wartete er der ungerufenen Gäste, die in nächster Zeit schon sich am Bord des Wracks einfinden würden, um dessen Ladung zu untersuchen.

Er hatte sich nicht getäuscht. Kaum war die Strandung geschehen, als auch der Sturm sein heftiges Toben einstellte, gleich als sei es ihm nur darum zu thun gewesen, den Schooner auf die Bank zu setzen. Und jetzt tauchten in der Finsterniß mehrere Lichter auf, die Irrlichtern gleich um das Wrack umherhüpften. Es waren die Laternen in den Booten der Strandräuber, welche dem Schooner gefolgt waren, in sicherer Voraussicht des Schicksals, das seiner harrte. Immer näher rückten diese Lichter zusammen, bald befanden sie sich dicht neben dem Wrack, dann hüpften sie empor, sie glänzten auf seinem Verdeck, dort verschwanden sie im Raume.

Diesen Augenblick hatte der Strandvogt erwartet. Nun er gekommen, war seines Bleibens nicht länger am Gestade. Schnell war sein Boot, das hinter dichtem Weidengeflechte in einer Furt ruhte, die zwischen den Dünen hinstrich, flott gemacht: der Greis bestieg es mit seiner Tochter, diese ergriff das Steuer, jener die Ruder, so stachen sie in See. Unter dem Schutz des gestrandeten Schiffes, an welchem sich die Wogen brachen, gelangten sie bald an dessen Bord. Die scharfe Axt des Alten durchschnitt gewandt die Stricke, mit welchen die Räuber ihre Boote an den Rumpf des Schooners befestigt hatten, ohne Führung trieben sie fort. Dann schwang sich der Greis auf das Verdeck, und dem Schein der Laternen folgend, welche aus der Lucke, die in den Raum führte, herausschimmerten, eilte er hinzu und verschloß diese mit dem Deckel, der angekettet neben der Oeffnung lag. Eine breite Eisenstange mit derber Krampe sicherte den Verschluß, – die verwegenen Räuber waren gefangen.

Sehen wir uns einen Augenblick um nach der Mannschaft des Schooners. Als der Sturm ausbrach, war der Kapitän sich vollständig der Gefahr bewußt, die dies Unwetter für Schiff und Mannschaft herbeiführen konnte. Er unterließ daher nichts, was geeignet schien, das Schlimmste abzuwenden, obwohl er auch bei dem ungewöhnlich raschen Wachsen des Sturms auf das Aeußerste gefaßt war und demgemäß seine Vorkehrungen traf. Seine Mannschaft bestand aus sechs Matrosen und einem Steuermann, das ziemlich große Boot, welches am Spiegel des Schooners hing, war groß genug, diese sieben Menschen und als achten den Kapitän aufzunehmen, wenn wirklich der Schooner selbst nicht mehr zu retten war.

Dieser lief mit dichtgerefften Segeln vor dem Winde, aber wir haben schon erfahren, wie bald das stattliche Schiff in ein elendes Wrack verwandelt wurde; der Steuermann bezahlte die Ausdauer auf seinem Posten mit dem Leben. Noch zweimal einen Nothschuß zu lösen war die letzte Arbeit der Mannschaft gewesen. Bei dem dritten Schuß, während das Fahrzeug unwiderstehlich dem Strande zugeschleudert wurde, waren die noch übrigen sechs Mann sammt dem Kapitän in das Boot gesprungen, um den letzten Versuch zu ihrer eigenen Rettung zu machen, da sie zur Rettung des Schiffes nichts mehr zu thun vermochten.

Ein nicht zu leicht geladenes Boot mit unversehrtem Steuer und den nöthigen Rudern, beide in zuverlässigen gewandten Händen, liegt fester auf dem stürmischen Meere und sicherer, als man zu glauben geneigt sein dürfte. Zwar ist es den wilden Wallungen der Wogen widerstandslos preisgegeben, es ist gezwungen, willenlos ihrem tobenden Aufsteigen zu folgen, wie es in gleicher Weise mit ihnen wieder in den finsteren Abgrund zurücksinkt. Aber vor dem Kentern ist es bei vorsichtiger Leitung ziemlich gesichert, wenn nur verhütet werden kann, daß keine Woge es von der Seite her packt, sondern wenn es gelingt, ununterbrochen den ungestümen Wellen den Vorderbug entgegen zu wenden, damit dieser sie durchschneide. So entgeht es auch am leichtesten der Gefahr, von einer nacheilenden Woge überholt und überschüttet zu werden, da selbst bei der heftigsten Aufregung des Meeres doch ein gewisses Tempo, das nur vom langsameren zum schnelleren übergeht, den Gang der Wellen regelt.

Das Boot des Schooners befand sich in einer solchen, den Umständen nach günstigen Lage. Als es vom Spiegel herab auf das Meer sank und das letzte der Taue, welche es noch an dem Wrack gehalten, gekappt wurde, kam es gerade auf dem Gipfel einer gewaltigen Welle zu stehen, von dem es im nächsten Moment mit solcher Schnelligkeit hinunterglitt und wieder hinauf an der Woge, welche vor ihm sich bäumte, daß es bereits den Gipfel der letzteren erreicht hatte, als die erstere zusammenbrach. Diesem ungefähr verdankte es nun, daß es in derselben Regelmäßigkeit seinen Lauf fortsetzen konnte oder vielmehr von einer Wogenspitze zur andern geschleudert wurde, aber doch so, daß das Steuerruder nicht seine Macht verlor, sondern es nachdrücklich auf der einmal eingeschlagenen Bahn zu erhalten wußte. Die Ruderer griffen jedes Mal, wenn es den Abhang einer Woge hinaufflog, kräftig ein, wodurch die Schnelligkeit, mit der das Fahrzeug den steilen Pfad erklomm, noch vermehrt wurde: – so blieb es stets von den donnernd nachrollenden Wellen verschont und entging glücklich jedem Seitenanprall der andern.

Freilich würde auf die Länge dieser regelmäßige Gang gestört worden sein, da das kleinste Ungeschick beim Steuern schon hinreichte ihn zu unterbrechen. Aber man befand sich ja in der Nähe der Küste, wohin die Strömung der Wogen zog, und das helle Licht, welches am Häuschen auf der Düne schimmerte, wenn es auch nicht für das, was es wirklich war, so doch für ein Wahrzeichen erkannt wurde, diente den Schiffbrüchigen zur Bezeichnung des Zieles, nach dem sie zu steuern hatten. Bereits war der Strandvogt am Bord des Wracks, als sie an's Land geschleudert wurden, rasch aus ihrem Boote sprangen, es mit vereinten Kräften noch einige Schritte den Strand hinauf rissen – und dann Gott dankten für ihre Rettung.

Unbekannt mit der Gegend, wo sie sich befanden, verging einige Zeit, ehe sie in der dichten Finsterniß sich einen Begriff machen konnten von der Beschaffenheit des Strandes. Dann aber bemerkten sie die Düne, erklommen sie rüstig, und wer beschreibt ihre Freude, als sie die Thür des Bretterhäuschens aufrissen und drinnen die schwellenden Matratzen und den mit Lebensmitteln reichlich besetzten Tisch fanden.

Auf dem Wrack war inzwischen ihre Rettung nicht unbemerkt geblieben. Das scharfblickende Auge des greisen Strandvogts hatte den Lichtglanz wahrgenommen, der aus dem Häuschen hervorschimmerte, als die Schiffbrüchigen bei ihrem Eintritt die Thüre öffneten. Er wußte, daß er die Verwegensten unter den Freibeutern, welche bei einem so furchtbaren Wetter allein sich hinauswagten, in sicherem Verwahrsam des Wracks hatte; keiner der übrigen, deren sonst die Insel noch mehrere beherbergte, unternahm es, einem so wüthenden Orkan Boot und Leben, um eines immer doch sehr ungewissen Erfolges willen, preiszugeben. Dazu fand er keine Besatzung an Bord, dagegen die unverkennbaren Spuren, daß sie den Schooner verlassen hatte – über das Hinterdeck hinaus hingen die gekappten Taue, an welche noch zuletzt das Boot sich gehalten hatte – es konnte nur die dem Untergang glücklich entronnene Mannschaft des Kauffahrers sein, welche oben auf der Düne ein willkommenes Obdach gefunden hatte.

Diese Wahrnehmung brachte ihn auf den Gedanken, sich mit Hilfe der Schiffbrüchigen seiner Gefangenen zu bemächtigen. Mitternacht war bereits seit lange vorüber, noch eine Stunde, und die Fluth ward von der Ebbe abgelöst. Mit Eintritt der letzteren war jedenfalls schon das erste Dämmerlicht des Morgens, wahrscheinlich auch eine Verminderung des Sturms zu erwarten, vielleicht auch ein Umspringen des Windes, wodurch die Ab- und Zufahrt von der Küste zum Wrack und wieder zurück erleichtert werden mußte; bis dahin, ja ohne Zweifel noch länger, hielt der feste Rumpf des gestrandeten Schooners den Wellen Stand. Hatte der Strandvogt nur über noch einige Arme mehr zu verfügen, wenn auch minder kräftig als die seinigen, so konnte er sich der im Raume Eingesperrten versichern und ihnen ein für alle Mal das unerlaubte Handwerk legen. Es kam nur darauf an, die gerettete Mannschaft am Lande von seinem Wunsch, ihm hilfreiche Hand zu leisten, in Kenntniß zu setzen. Auf ihre Bereitwilligkeit glaubte er um so mehr zählen zu dürfen, als von der Ausführung seines Planes die Bergung der Ladung des Schooners abhing.

Er theilte seine Absicht seiner Tochter mit und trug ihr auf, an den Strand zu rudern und die Muthigsten von der Besatzung des Schooners an Bord zu holen, nachdem sie ihnen den Zweck dieser unvermutheten Einladung auseinandergesetzt haben würde. Das Mädchen verließ zwar ungern den alten Vater, aber sie wußte, der litt keine Einwendungen, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte. Deshalb gehorchte sie schleunig, sprang in's Boot, und des Ruders kundig zwängte sie mit festem Drucke, indem sie nur eins der Ruder hinten in das Boot einsetzte, nachdem sie dessen Steuer ausgehoben hatte, den Kahn durch die bereits weniger ungestüm wallenden Wogen nach dem Strande, wo sie ihn in der Furt des Meeres, die zwischen den Dünen hindurchfloß, vor Anker legte. Dann schritt sie rüstig den Sandhügel hinauf, öffnete die Thür des Häuschens und stand vor den Männern.

Wie erstaunt waren diese über den unerwarteten, seltsamen Anblick! War es ein menschliches Wesen oder ein Gespenst, das vor ihnen stand? Die hohe breitschulterige Gestalt glich von oben an gesehen allerdings einem Seemann – die langschößige Jacke und der breitrandige Hut –, aber das lange, vom Wasser triefende Haupthaar, das unordentlich um ihre Schläfe hing und den Nacken herabwallte – sie wußten es nicht zu deuten. Und nun gar der Weiberrock, die weiße leinene Schürze, die rothen Strümpfe – in der That, man hätte glauben mögen, es sei eine der Meernymphen, welche dem Wasser entstiegen und sich in Seemannstracht gehüllt hatte und die nun komme, die eben dem Untergange Entronnenen in das feuchte Wellengrab der See abzufordern.

Die Matrosen stießen einen Schrei des Entsetzens aus und wichen ängstlich zurück. Nur der Kapitän, ein in jeder Hinsicht besonnener Mann, der keine Furcht kannte, schritt der sonderbaren Erscheinung beherzt entgegen und fragte nach ihrem Begehr. Aber wie sehr wurde er überrascht, als er nun die weichen Töne der Stimme einer Jungfrau vernahm, welche ihm in dem für ihn nicht ganz fremden wohlklingenden friesischen Dialekt ihrer Heimath den Grund ihres Kommens und den Wunsch ihres Vaters auseinandersetzte. Er zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit ihrer Aussage und war daher auf der Stelle bereit, dem Begehren des Strandvogts nachzukommen. Wenige Worte von seiner Seite genügten, seine bestürzten Matrosen zu ermuthigen, die nun in lautes Jubeln ausbrachen, und bald stand die gesammte Mannschaft, mit Ausnahme eines Einzigen, der eine starke Quetschung am linken Fuß davon getragen hatte und deshalb in dem Häuschen zurückblieb, von ihrem wackern Kapitän angeführt, am Strande, um nach dem Wrack zurückzurudern, und die gewünschte Hilfe zu leisten. Die Tochter des Strandvogts nahm in dem Boote des Schooners Platz, man überließ ihr den Ehrenplatz am Steuer und in kurzer Zeit stieg man an den Bord des Wracks.

Hier hatte der Alte unterdessen umsichtig Wache gehalten. Zwar hatten seine Gefangenen es nicht an guten Worten fehlen lassen, um mit ihm zu capituliren, aber er war unerbittlich geblieben, er hatte einmal beschlossen, das glückliche Ungefähr zu nützen und die frechen Bursche das ganze Gewicht seines wohlbegründeten Ansehens als Strandvogt fühlen zu lassen. Zwar wünschte er ihnen weder den Tod durch Henkershand, noch lebenslängliche Karrenstrafe in Eisen und seine angeborene Gutmüthigkeit hatte ihn auch schon bestimmt, es nicht bis zu diesem Aeußersten kommen zu lassen; aber ein Beispiel sollte statuirt werden, das geeignet war, anderen nach dem sogenannten Strandsegen lüsternen Taugenichtsen für immer die Lust daran zu verderben – so lange wenigstens, als Niß Muchels noch Strandvogt auf Hörnum war.

Mit dem Kapitän verständigte er sich leicht, dieser war bereit, ihm in jeder Hinsicht die Hilfe zu gewähren, welche er verlangte, und da keine Zeit zu verlieren war, wenn noch von der Ladung des Schooners, dessen Planken bereits bedenklich zu krachen anfingen, etwas geborgen werden sollte, so ging man ungesäumt an's Werk.

Der Greis erklärte den Gefangenen mit kurzen, aber entschiedenen Worten, daß nun aller Widerstand ihrerseits unnütz sei, er habe sechs kräftige Männer an Bord, die sich sogleich ihrer, bei dem geringsten Ungehorsam, bemächtigen und sie gebunden über Bord werfen würden. Dagegen versprach er, ihnen das Leben zu schenken, wenn sie sich ruhig verhalten und jedem seiner Befehle nachkommen wollten. Die armen geängstigten Bursche verstanden sich dazu nothgedrungen und wurden dann aus dem Raum auf's Verdeck gelassen.

Eben dämmerte das erste bleiche Morgenroth im Osten, als sie die schmale Treppe herauf in's Freie stiegen. Hier wurden sie sogleich ergriffen, mit Stricken an Händen und Füßen zusammengebunden und bei Seite geschoben, während der Kapitän mit seinen Leuten daran ging, seine Ladung zu bergen. Der Strandvogt hielt selbst bei den Gefangenen Wache, die sich, ohne zu murren, in ihr Schicksal ergaben; seine mannhafte Tochter übernahm es, den Männern ein Frühstück zuzurichten.

So lange die Ebbe dauerte, bis zum Vormittage, ward mit dem Löschen der theilweise noch ganz unbeschädigten Waaren ununterbrochen fortgefahren, nur wenige Minuten wurde den Leuten verstattet, einen Imbiß zu nehmen. Als aber die Fluth wiederkehrte und mit derselben die Gewalt des Windes sich verstärkte, war vorauszusehen, daß das Wrack dem heftigen Seegang nicht würde Stand halten können. Man sah sich daher genöthigt, die Arbeiten einzustellen und den Rest der Ladung den Wellen preiszugeben. Als das Boot des Schooners zum letzten Male an's Land fuhr, nahm es den Strandvogt sammt seiner Tochter und die Gefangenen mit. Kaum hatten alle den Strand betreten, als die Planken des Wracks auseinander krachten und die Wellen mit den Trümmern des gescheiterten Schiffes ihr Spiel trieben.

Wie immer, so hatte auch dies Mal die verflossene rauhe Herbstnacht alle rüstigen Insulaner am Strande versammelt, um auszuschauen nach der See, ob Gott den Strand gesegnet habe oder nicht. Der Strandvogt machte in kurzen Worten die Männer mit den Vorgängen der Nacht bekannt. Stumm und ernst hörten sie ihm zu. Die Gefangenschaft der verwegenen Freibeuter machte auf sie den Eindruck des Mitleids. Es waren ihre Landsleute, sie wußten es, gewiegte Seefahrer, mit Wind und Wogen, mit den Dünen und ihren Schluchten von Kindesbeinen an vertraut, und die Noth wie der Hang zu einem freien, unabhängigen Leben trieb sie zu ihrem bedenklichen Gewerbe. Waren sie dabei in die Falle gerathen, wenn des Greises Wachsamkeit über ihre Schlauheit den Sieg davon getragen hatte und sie nun bestraft werden sollten, so verdienten sie Mitleid. Kein Zug der Schadenfreude, kein Laut des Spottes ward wahrgenommen.

Niß Muchels befahl den Insulanern, dem Kapitän und der Mannschaft des Schooners zur Hand zu gehen, um die geborgenen Waaren weiter hinaus aus dem Bereich des auffluthenden Meeres zu bringen. Rüstig griffen sie mit an und bald waren die geretteten Kisten und Ballen hinter den Dünen gelagert. Ihnen ward dafür gute Bezahlung, denn obwohl das Schiff selbst verloren war, so hatte der Kapitän doch außer einem großen Theile der Ladung, seine Karten und Instrumente, seine Kasse und ganze Habe gerettet. Ebenso hatten auch Steuermann und Matrosen nichts von ihren Kleidungsstücken und übrigen Eigenthum eingebüßt.

Nun aber wurde zur Execution geschritten. Der Strandvogt hatte kein Auge von seinen Gefangenen gewendet, die beschämt ihrer Strafe warteten, ohne zu wissen, worin sie bestehen würde. Niß Muchels ließ drei starke Balken vom Wrackholz, welche an's Ufer getrieben waren, in den Sand graben, an einer Stelle, wo sie von der ansteigenden Fluthwelle noch bis zur halben Höhe bespült werden konnten. An diese wurden die Drei mit Stricken festgebunden, nachdem ihr Oberkörper entblößt worden war. Die Insulaner traten dann weiter an den Strand hinauf, wo sich unterdessen auch die Weiber und Kinder aus Rantum versammelt hatten, nachdem das Gerücht von dem glücklichen Fange des Alten bis in ihre Hütten gedrungen war.

Nun nahten grüßend und plätschernd die Wogen, eine frische Brise trieb sie in breiten Kaskaden an das flache Gestade. Anfangs umschlangen sie nur die Füße der an den Pfählen Gefesselten. Dann aber stiegen sie höher, und wie mit Staupenschlägen peitschten sie die armen Sünder, die genöthigt waren, ihnen Stand zu halten. Sie rauschten mit jeder Minute mächtiger heran, sie warfen brausend ihren Schaum über die Häupter der Verbrecher, sie umschlangen sie mit ihren feuchten Armen und drückten sie an ihre kalte Brust.

Schweigend stand die Bevölkerung Rantums und sah dem grausen Schauspiel zu. Bisweilen – aber es dauerte nur Sekunden – bedeckte das Meer ganz die drei Männer, dann tauchten ihre Häupter wieder aus den Wogen. Es war ein kaltes Bad, das sie auszuhalten hatten. Endlich nach zwei vollen Stunden wurden sie erlöst.

Auf des Strandvogts Geheiß fuhr ein Boot hinaus. Man löste ihre Stricke und brachte sie an's Land. Hier entließ sie der Greis mit derber Ermahnung.

Er hatte seitdem Ruhe, so lange, bis ihm Ruhe ward im Grabe. Aber der Hörnumer Strand ward auch in Zukunft im Munde derer verfehmt, welche sich sonst unberufen seines Segens zu bemächtigen bemüht hatten. Das Beispiel hatte gewirkt und das Ansehen der Strandbehörde war gewahrt worden.

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