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Schlittenfahrt in Grönland.

Ich habe, so erzählt ein Prediger, während meines mehr als fünfundzwanzigjährigen Aufenthaltes in Grönland viele Reisen zu Wasser und zu Lande, im Sommer und im Winter, bei Tage und bei Nacht, bei gutem und schlechtem Wetter gemacht. Ich bin über meilenweite, mit Schnee bedeckte Eisflächen im leichten Schlitten gefahren, den acht flinke Hunde, die dem leisesten Zuruf, dem Schnalzen der Zunge gehorchten, fortzogen; und über dieselbe Stelle trug mich in der milderen Jahreszeit das geräumige grönländische Boot, von rüstigen Frauen gerudert, welche geschickt den treibenden Eisschollen auszuweichen und einer ungewöhnlich stürmisch heranbrausenden Woge aus dem Wege zu gehen verstanden. Ich bin steile, mit dicker Eisrinde überzogene Felsen hinaufgeklettert, wobei Hände und Füße nicht geschont werden konnten und aus mehr als einer Wunde bluteten; und an der entgegengesetzten Seite der beeisten Anhöhen sauste ich auf dem Schlitten mit dem Sturmwinde in die Wette den Abhang hinunter, so daß die aus allen Kräften galoppirenden Hunde, die steten Reisebegleiter des Grönländers, weit hinter mir zurückblieben, mir selbst fast der Athem versagte. Ueber das Eis des Meeres bin ich gefahren, wenn es so dünne war, daß kaum zwei Hunde hinter einander vor dem Schlitten herlaufen konnten, ohne in beständiger Gefahr zu sein, durchzubrechen; Schneegestöber und Nebel haben mich überrascht, so dicht und andauernd, wie man nur in diesen nördlichen Breiten, sonst nirgends auf der Erde, sie zu erleben vermag. Aber niemals ist mir ein Unglück erheblicher Art begegnet, stets bin ich wunderbar behütet worden, selbst nicht einmal ernstlich um mein Leben besorgt gewesen. Nur ein einziges Mal – und dieses vergesse ich nie – gerieth ich in die größte Lebensgefahr, doch dem Herrn sei Dank, sie ward überstanden. Meine Erinnerungen daran sind diese:

Es war wenige Tage vor Weihnachten, als mich ein Vorhaben, das keinen Aufschub verstattete, nach Christianshaab zu reisen nöthigte. Der kürzeste Weg dorthin führte theils über Land, theils über die Diskobucht, welche natürlich um diese Zeit mit Eis bedeckt war. Ich reiste, begleitet von einem Eingebornen, einem zuverlässigen, der Gegend kundigen Manne, welcher die acht Hunde leitete, die unseren Schlitten zogen. Das Wetter war still und heiter, als wir mit Anbruch der Morgendämmerung am 20. Dezember, wo schon die Sonne nicht mehr über den Horizont steigt, uns auf den Weg machten; ohne Aufenthalt konnten wir unsere Reise in reichlich acht Stunden zurücklegen. Um so mehr hatte ich darauf gerechnet, nicht aufgehalten zu werden, als ich noch vor Beginn der Festzeit wieder zu Hause sein wollte, um in meiner kleinen Gemeinde selbst den Gottesdienst am ersten und zweiten Weihnachtstage halten zu können.

Die erste Stunde Weges legten wir glücklich zurück. Mit Windeseile schleppten unsere Hunde prustend und schnaufend den bequemen Schlitten über die festgefrorne Schneefläche. Nirgends war eine Wegspur zu sehen, überall nur eine hügelige, weißbeschneite Gegend, kein Merkzeichen irgend einer Art bezeichnete die Richtung, welche durch die winterliche Einöde zu einer menschlichen Ansiedelung führte. Nirgends zeigte sich die Spur eines Reisenden, welcher vor uns den Weg gekommen wäre, denn in dieser Jahreszeit verläßt selten, nur nothgedrungen, der Grönländer seine Hütte. Aber wer in dieser Eiswüstenei groß geworden, um dessen Wiege schon der Schnee sich gehäuft hat und der auf der Eisflur mit seinen Gespielen Tag aus Tag ein sich die Zeit vertrieben, – der Grönländer bedarf keiner wahrnehmbaren Zeichen, um Weg und Steg zu jeder Jahreszeit bei Tag und Nacht zu finden. Selten, daß er sich einmal irrt. Der Stand der Sonne, so lange sie sichtbar ist, oder ihr grelles Licht, wenn sie unter dem Horizonte hinstreift, oder die Stellung des Mondes dienen ihm zur Richtschnur, am Rauschen und der größeren oder geringeren Kälte und Feuchtigkeit des Windes erkennt er, ob er sich dem Meere näher oder ferner befindet. Der Zug der Wolken zeigt ihm, wo die Grenze des Festlandes ist und das Meer beginnt, und selbst der außerordentlich feine Geruchssinn seiner Hunde, die meilenweit die Ansiedelung wittern, kommt ihm zu Hülfe, sich in dieser grausen Einsamkeit ohne Kompaß oder irgend ein anderes künstliches Hülfsmittel zurechtzufinden. Oft genug ist die traurige, schaurige Oede der afrikanischen Wüste geschildert worden, aber das Sandmeer, so weit und ausgedehnt es auch ist, es hat doch seine Schranken, an seinen Grenzen lagert ein freundlicherer, fruchtbarer Landstrich. Die Grönländische Schneewüste hat nirgends eine Grenze, sie bedeckt das ganze Land, vom Cap Farewell bis zum Nordpol, so weit es je bekannt geworden, und nicht das Land allein, auch das Meer in meilenweiter Ausdehnung ringsum an den Küsten gehört mit zu ihrem Gebiet. Der Fremde, der im Schlitten diese ewige Winterlandschaft durchreist, merkt es gar nicht, wo das Festland aufhört und das Meer beginnt. Ein Grabtuch bedeckt beide. Und die Wüste Lybiens hat ihre Oasen, Landstriche, wenn auch nur klein und kümmerlich, doch anders als der breite Sandgürtel, doch spärlich mit grünenden Pflanzen bedeckt, von Brunnen, wenn auch nur bitter schmeckenden, bewässert. Die Schneewiese ist ohne Oasen, eine ununterbrochene, ewig gleiche, starre Oede, ohne jede Spur von Vegetation, ohne einen Tropfen trinkbaren Wassers. Durch die Sahara führen mehrere oft sehr belebte Handelsstraßen. Grinst auch der Tod dem Wanderer von dem bleichen Gebein gefallener Kameele entgegen, er merkt doch zugleich, daß hier auch lebende Wesen desselben Weges gezogen sind, den er einschlägt. Und welche Freude, wenn er Einem oder mehreren begegnet, wenn er auf eine Karawane stößt, die ihm entgegenkommt, oder auf eine andere, die gleichen Weges mit ihm das glühende Sandmeer durchpilgert. Nichts von allem dem bietet die Grönländische Schneewildniß, durch die niemals eine auch nur einigermaßen bemerkbare, geschweige denn gebahnte Straße führt. Kaum daß die Pfoten der Hunde, mit denen sie in leichtem Trabe den Boden berühren, einen sichtbaren Eindruck im Schnee zurücklassen, kaum daß die Schleife, auf welcher der aus Rennthier- oder Seehundsfellen gefertigte Schlitten ruht, eine Spur in dem Schnee macht; der nächste Windhauch, der über die Ebene streicht, streut die Schneeflocken regelmäßig umher, die Decke ist glatt und eben wie das Glas eines Spiegels, weiß, gleich einer mit Kalk überzogenen Wand.

Wir hatten eine kleine Anhöhe erreicht, wo einen Augenblick angehalten wurde, um den Hunden Zeit zu lassen, sich zu verschnaufen. Vor uns im Grunde dehnte sich das Meer, die schauerliche Disko-Bucht. Es war gerade keine gerade, ununterbrochene Eisfläche, sondern wie wenn sie im wildesten Sturmesbraus durch Zauberschlag erstarrt wären, so lagen sie da, die mächtigen, zu Eisbergen verhärteten Wogen, die tiefen, gleichsam versteinerten Schluchten, welche die Zwischenräume zwischen den Bergen ausfüllten. Alles war mit einer einförmig weißen Schneedecke belegt, von der das Tageslicht blendend zurückprallte. Die Eisberge von zwanzig bis mehr als zweihundert Fuß Höhe bildeten die wunderlichsten Figuren. Hier standen sie in langen Reihen, der eine neben dem andern, gleich kolossalen Pyramiden, über deren auf einander gehäuftes Gestein eine Kalkrinde gelegt zu sein schien. Dort streckten zwei die kegelförmig zugespitzten Häupter seitwärts gebogen, einander entgegen und berührten sich fast, so daß sie ein Thor bildeten, unter dessen hoher Wölbung ein holperiges Schneethal sich hindurchwand. Hier stand ein Berg wie aus mächtigen Schiefertafeln, so aus über einander geschobenen, schräg aufliegenden Eisschollen erbaut, von deren Rändern mannsdicke Eiszapfen herabhingen; dort war der riesige Bau zerrissen und zersplissen und, gleich den Wartthürmen alter Ritterburgen, vom Fuß bis zur Spitze beinahe gleich breit, ragten mehrere Berge neben einander. Diese hatten die Gestalt hochaufstrebender Schornsteine, jene glichen breiten Bergjochen; die einen sahen aus, als wäre eine Fontaine mitten im Aufsprudeln plötzlich in starres Eis verwandelt worden, andere stellten ein Gebirge vielzackiger Felsen dar.

»Ein prächtiges Wetter!« sagte ich, zu meinem Grönländer gewendet, der den Schlitten führte. »So heiter ist der Himmel, und die Kälte erträglich.«

»Aber der Wind weht unzuverlässig,« erwiderte er. »Ich fürchte, wir haben noch vor Mittag Unwetter.«

Bekannt mit der feinen Wetterkunde der Grönländer, wagte ich nicht, an der Wahrheit dieser Aussage zu zweifeln, obgleich ich kein Vorzeichen irgend einer Wetterveränderung bemerkte. Als ich daher nichts entgegnete, fuhr mein Begleiter nach einer Pause fort:

»Wir müssen uns eilen, denn das Eis der Bucht möchte aufbrausen und dann kommen wir nicht mehr hinüber.«

Ein Zuruf, und die Hunde jagten die Anhöhe hinab, dann gings zwischen den Eisbergen hindurch über die erstarrte Meeresfläche. –

Die Disko-Bucht, so benannt nach der Insel, welche sie vom Festlande trennt, scheidet die Ansiedelungen von Jakobshavn und Klaushavn. Ehemals soll dieser fünf bis sechs Meilen lange und mehr als eine Viertelmeile breite Fjord fast beständig offen und schiffbar gewesen sein. Aber, seit mehr als einem Jahrhundert kennt man ihn nur als eine Eisfläche, die zwar oft an manchen Stellen bricht und in Bewegung geräth, an ein Beschiffen des Wassers mit Fahrzeugen ist aber zu keiner Jahreszeit mehr zu denken. Dagegen bietet die Bucht ergiebigen Fischfang. Die Eingebornen finden sich mit Anbruch des Winters hier zahlreich ein und werfen ihre von Walfischbarten gedrehten Schnüre, an welche die Hamen befestigt sind, aus. Andere kommen herbei, um Fische zu kaufen, und so findet hier mitten auf dem Eise, umgeben von drohenden Eisbergen, ein lebhafter Handelsmarkt statt. Mitunter stürzt auch wohl einer oder der andere dieser Berge zusammen, und dann ist es nicht selten, daß einer oder mehrere Menschen dadurch umkommen oder doch schwer verletzt werden. Ja diejenigen, welche sich unvorsichtig den Bergen zu sehr nähern, selbst wenn diese gar nicht das Ansehen haben, als könnten sie zertrümmern, laufen Gefahr, von den herabrollenden Eisstücken zerschmettert zu werden, da ein lauter Ausruf, der wunderbar hier widerhallt, genügt, um im Nu einen Eisberg in tausend Stücke zu zerschmettern.

Wir fuhren ohne Geräusch über die bald bergauf, bald bergunter streichende Fläche, sorgfältig die allzugroße Nähe der starren, beschneiten Bergcolosse vermeidend. Da begann, nachdem kaum eine Stunde verstrichen war, der Himmel sich mit Wolken zu bedecken. Die Dämmerung, welche sonst erst um Mittag einzutreten pflegt – denn die Sonne steigt nach dem 26. November nicht mehr über den Horizont, erst am 13. Januar erscheint sie wieder auf Augenblicke in ihrer ganzen Pracht – stellte sich schon jetzt ein, obwohl es eben erst 10 Uhr Vormittags war. Und je mehr die Wolkenschicht sich ausbreitete und verdichtete, desto finsterer wurde es. Der einzige Schein, der das entschwundene Tageslicht in etwas ersetzte, war der Glanz, der von der halbgefrornen Schneedecke ausstrahlte.

Zugleich erhob sich ein heftiger Südwind. Das Meer fing an, sich unter dem Eise in Bewegung zu setzen, die Eisdecke, aus der wir hinfuhren, wankte, wie wenn sie von unsichtbarer Hand hin und her geschoben würde. An einigen Stellen borst sie krachend aus einander und die Fluth sprudelte gleich einem Springquell durch die Spalten.

»Wißt ihr den Weg?« fragte ich den Lenker meiner Hunde, der sorgsam nach allen Seiten ausschaute.

»Den weiß ich!« gab er zur Antwort.

»Und wie weit haben wir noch nach Christianshaab?«

»In gerader Richtung vier Stunden, in der aber, die wir zu nehmen genöthigt sein werden, mindestens sechs.«

Plötzlich standen die Hunde, die bis dahin in weiten Sprüngen fortgeeilt waren, stille.

»Was ist's?« fragte ich besorgt.

»Das Eis ist hier zu dünn, es trägt uns nicht mehr!« erwiderte kaltblütig mein Begleiter, indem er von dem Schlitten stieg und die Hunde ausspannte. Diese, von ihrem nie täuschenden Instinct geleitet, hatten durch Anhalten auf die Gefahr aufmerksam gemacht. Sie wurden ausgespannt und nun vier, einer hinter dem andern, vorn an dem Schlitten befestigt, die übrigen vier hinten angebunden. So konnten wir die Reise noch eine Zeit lang fortsetzen, und gelangten glücklich über die gefährliche Stelle.

Aber mit jeder Minute ward der Sturmwind stärker, tief unter unseren Füßen donnerte die Brandung, welche von unten auf an die Eisdecke schlug. Ringsum krachten die Eisberge, welche der heftigen Erschütterung nicht Stand hielten und zertrümmert wurden. Zu dem allen gesellte sich noch ein dichtes Schneegestöber, welches die Aussicht hinderte und ferneres Fortkommen unmöglich machte.

»Wir müssen warten, bis das Wetter vorüber ist!« sagte mein Grönländer und brachte die Hunde abermals zum Stehen, während er sich dichter in seinen Robbenpelz hüllte.

»Sollen wir denn hier bleiben?« fragte ich.

»Wohin könnten wir anders! Doch wird das Wetter sich verziehen,« antwortete der Grönländer.

Und er hatte recht. Nach Verlauf einer halben Stunde verschwanden die Wolken, die Luft erheiterte sich wieder, der Sturm begab sich zur Ruhe. Wir konnten unsere Reise fortsetzen. Nun war's noch schwieriger als vorhin, den rechten Weg nicht zu verfehlen. Der frischgefallene Schnee, der nun ringsumher das Eis bedeckte, machte es selbst dem geübten Scharfblick des Eingebornen unmöglich, mit gewohnter Sicherheit den Weg zu finden.

»Es wäre am besten, wir kehrten an's Land zurück,« meinte mein Grönländer, »und setzten dann unsere Reise am Lande fort.«

»Ueber die Berge meint Ihr?« fragte ich.

»Dort entgehen wir wenigstens der Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren,« antwortete er, »was hier doch sehr leicht der Fall sein könnte, wenn wir auf eine dünne Eisschicht geriethen.«

Also zurück ging es an's Ufer. Die Hunde, wohl ahnend, daß wir dem unsicheren Elemente den Rücken wendeten, strengten alle ihre Kräfte an, sausend schoß der Schlitten über die Schneeflur. Bald war der Fuß der Berge erreicht, die nun überstiegen werden sollten. Zwar sehr hoch waren sie nicht, aber steil war die Auffahrt, und wie manche Lücke, wie mancher Abgrund konnte auch hier mit Schnee gefüllt und dadurch unbemerkbar geworden sein. Ich machte den Grönländer auf diese Gefahr aufmerksam.

»Das überlassen wir den Hunden,« erwiderte er, »die suchen sich den zuverlässigsten Weg von selber.«

Und so geschah es. Vorsichtig stiegen sie den Berg hinan, bald rechts, bald links sich wendend, die Schnauze hoch erhoben und umherwitternd. Beinahe hatten wir schon den Gipfel des Berges erreicht, als sie plötzlich stille standen. Der Weg war zu steil, sie konnten den Schlitten nicht hinaufschleppen. Wir stiegen aus, und nachdem dadurch ihnen das Ziehen erleichtert worden, griffen sie wieder rüstig aus, während wir mühsam ihnen nachklimmten. Oben angelangt, verschnauften die Thiere, und wir hatten Muße uns umzusehen.

Eine herrliche Landschaft lag vor unsern Blicken. Freilich war sie, soweit das Auge reichte, eingehüllt in das Leichentuch des nie völlig weichenden Polarwinters, aber ungeachtet der Einförmigkeit der Farbe des Schnees, welcher Hügel und Thal bedeckte, eine wie reiche Abwechselung! Das allmählich völlig scheidende Tageslicht, der letzte Glanz der Sonne, die tiefer und tiefer unter den Horizont hinabsank, hing noch an den Spitzen der höchsten Berge, deren Fuß bereits im tiefen Schatten der Dämmerung ruhte. Wie Edelsteine auf dunklem Sammetgrund, so funkelten die schneeumhüllten Bergzinken, hinter welchen der allgemach sich verfinsternde Himmel sich ausbreitete. Aus den Thälern, die in tiefem Schweigen zu unsern Füßen ruheten, wallte durchsichtiger Dunst empor, ein feiner Höhenrauch, den hin und wieder die letzten Streiflichter des scheidenden Tages durchleuchteten. Von Zeit zu Zeit strich ein Luftstrom durch die Schluchten, die Dünste wirbelten auf und zogen vorüber, dann lagerten sie sich wieder um den Fuß der Berge. Und nun gingen schon einzelne Sterne auf, sie funkelten hell am tiefblauen Himmel und spiegelten sich in den wogenden Dünsten gleichwie auf Meereswogen. Von den schneebedeckten Spitzen der Berge strahlte magisch leuchtend ihr Glanz zurück.

Wir bestiegen wieder unseren Schlitten; die Hunde, welche nun abermals alle vorn angespannt wurden, zogen an und in sausendem Galopp ging es den Abhang hinunter ins Thal.

So fuhren wir ohne Aufenthalt mehrere Stunden. Schon waren die Schatten der Nacht tief herabgesunken, als wir aus der Ferne Hundegebell vernahmen. Unsere Hunde spitzten die Ohren und erwiderten freudig aufathmend den Gruß ihrer Kameraden. Dann boten sie die letzten Kräfte auf, so eilig als möglich an's Ziel der Reise zu gelangen. Der letzte Hügel war erklommen, vor Freuden laut aufheulend, stürmten sie an der entgegengesetzten Seite hinunter. Christianshaab war erreicht.

»Woher kommt Ihr?« fragte man von allen Seiten. Und als wir Antwort gaben, da glaubte man uns kaum, so schier unmöglich hatte man es gehalten, in dieser Jahreszeit den weiten, gefahrvollen Weg unversehrt zurückzulegen.

Nach Verlauf von zwei Tagen hatte ich meine Angelegenheiten in Christianshaab besorgt. Am 23. December Morgens traten wir unsere Rückreise an. Die Witterung war seit zwei Tagen außerordentlich kalt geworden, der Frost, der bedeutend zugenommen, hatte die Eisdecke der Diskobucht erheblich verstärkt, und da Christianshaab unmittelbar an der Küste liegt, so fuhren wir sogleich auf's Eis, in der festen Zuversicht, daß wir dies Mal den ganzen Weg über das gefrorene Meer am sichersten und schnellsten zurücklegen könnten. Aber wir hatten uns leider getäuscht. Schon nach zwei Stunden trat ein so plötzlicher und gründlicher Witterungswechsel ein, daß die noch eben so sichere Eisfläche, aus der wir hinfuhren, der unzuverlässigste Boden ward, über den jemals ein grönländischer Schlitten hinglitt.

Nachdem kaum zwei Stunden verstrichen waren, stellten sich Schneegestöber und Nebel ein, und so unbehaglich es auch war, wir mußten auf dem Flecke, wo wir uns befanden, liegen bleiben, denn man konnte keine drei Schritte weit sehen. Allerdings blieb uns die tröstliche Gewißheit, daß der Schnee einmal aufhören und der Nebel sich verziehen werde, aber wann? Jede Minute Wartens in dieser Oede, den tiefen Meeresgrund unter uns, von dem uns nur die Eisdecke trennte, wie peinlich lange kam sie uns vor! Da brüllte ein Sturmwind über die Fläche, ein Wind so heftig, daß wir sammt den Hunden uns niederwerfen mußten, um nicht von dem gewaltigen Luftstrom fortgewirbelt zu werden. Heulend fegte er an uns vorüber und häufte in kaum einer Viertelstunde mehr als mannshohe Schneeberge um uns herum, die nun, als das Gestöber sich etwas legte, uns die Aussicht in die Ferne unmöglich machten. Vor den wüthenden Stößen des Orkans brachen in weitem Umkreise die Eisberge zusammen: ein Krachen, das unsere Stimme übertäubte, ein Donner wie aus tausend Feuerschlünden, der weithin die Luft erfüllte. Die Meereswogen, auf denen bis dahin die Eisrinde unbeweglich gelagert hatte, wurden vom Sturme aus ihrer Ruhe aufgescheucht. Sie gaben der Wucht, mit welcher er die starre Decke niederpreßte, nach. Diese fing an zu schaukeln und zu wanken. Der noch eben so feste Boden, von dem wir gehofft hatten, er werde nimmer wanken, bebte unter unseren Füßen. In wenig Minuten war das ausgedehnte Feld in einzelne Stücke zerrissen, die nun, je nachdem sie von größerem oder geringerem Umfange waren, schneller oder weniger schnell zu schwimmen begannen. Alles gerieth ins Treiben, Eisschollen und Eisberge, die wilden Wogen brausten über die ersteren hin und brandeten an den Bergen empor, auf ihren auf- und absteigenden Häuptern wiegten sich die mächtigen Eisblöcke.

Auch die Scholle, auf der wir uns befanden, ward in diesen Wirbel mit hineingerissen. Zu unserem Glücke war sie eine der festesten und größten. Aber so heftig war der Seegang, so stürmisch die Bewegung des Meeres, daß sie, einmal in den wirbelnden Strudel hineingezogen, eilends auf dem Rücken der Wellen dahinschoß, wir wußten nicht, ob dem Lande ab- oder zugewendet. An ihren Kanten schäumte das Meer, eine Sturzsee nach der andern ergoß sich über die Fläche und wusch die Schneekruste hinweg. Wir standen bald auf dem blanken Eise mit durchnäßten Schuhen und Kleidern, und hatten die größte Mühe, uns festzuhalten, um nicht weggeschwemmt zu werden.

Ein Erdbeben mag furchtbar sein – ich habe es nie erlebt – aber wer dann sich im Hause befindet, kann doch auf die Gasse eilen und wenigstens den Versuch machen, sich von dem Theil des Erdbodens, welcher zittert und schwankt, zu entfernen. Wer aber auf dem noch eben festen, unbeweglichen Eise in weiter Entfernung von der Küste sich befindet, wohin soll er sich wenden, wenn dieses plötzlich unter seinen Fußsohlen sich zu heben und zu senken beginnt, wenn es hier in größerer, dort in geringerer Entfernung bricht und zerbröckelt, wenn die Eisscholle zur Insel wird, um deren Rand die Meereswogen schäumen, über deren Gestade sie sich donnernd ergießen – wohin soll er sich wenden? Ein jeder Schritt rückwärts oder vorwärts bringt ihn zum Gleiten, die Fluth, die um seine Füße rauscht, droht ihn fortzuspülen, das dumpfe Brausen der Wogen, das Krachen des Eises benimmt ihm fast die Sinne. Und um den Graus zu vollenden, heult der Sturmwind seine schaurigen Melodien und streicht mit eisigem Hauche durch das wilde, wüste Chaos, durch das sinnbetäubende Getümmel der entfesselten Elemente. In tausenderlei Gestalten grinst uns der Tod entgegen: der Frost macht die Glieder erstarren, die Nässe vermehrt das Erkalten, weit thut sich der Abgrund des Meeres auf, begierig, uns zu verschlingen, jeden Augenblick droht die schwankende Eisdecke zu bersten, die wuchtigen Stöße des Sturmwinds können uns von der glatten Eisfläche hinunterfegen, sie hemmen das freie Athmen; die auf den sturmgepeitschten Wogen an uns vorübersausenden Eisberge stürzen bei dem geringsten Zusammenstoß nieder und streuen mächtige Eistrümmer auf die Scholle, welche uns trägt; diese bäumt sich bald auf der einen, bald wieder auf der andern Seite, während sich die entgegengesetzte tief in die brausende Fluth taucht. Alles schwankt und wankt, zittert und bebt um uns und unter uns, nichts hält dem mannigfachen Andrange Stand, es berstet, zerreißt, zersplittert. Wind und Wogen scheinen es nur darauf abgesehen zu haben, Alles, was ihnen in den Weg kommt, zu zertrümmern. Und mitten unter diesem grausen Toben steht der Mensch, der Herr der Schöpfung, hülfloser da als ein Kind, ohne alle Mittel, zu entfliehen, und außer Stande auch nur den geringsten Widerstand zu leisten.

Der die Wogen des Meeres bedrohte, daß sie sich ebneten – Er allein ist dann der Fels unserer Hoffnung! Er war es auch in dieser Stunde, von der ich erzähle. Seinem unvernehmbaren Machtgebot gehorchten auch damals Sturm und Wogengebrause. Sie stellten nach und nach ihr wildes Spiel ein, und langsam auf den beruhigten Wellen glitt die Eisscholle, welche uns trug, dahin.

Aber wie schauerlich war dieses sanfte Dahingleiten für uns. Die Abenddämmerung war bereits eingebrochen, der bewölkte Himmel vermehrte die Finsterniß, bald hatte diese ihre düsteren Schatten rings gelagert. Mitunter zerriß ein verspäteter Windstoß die Wolkendecke, dann blickte unheimlich ein Stern hernieder, aber, wie erschreckt vor dem grausen Anblick des eiserfüllten Meeres, verbarg er sich wieder hinter dem Gewölke. Wir durften es nicht wagen, uns von der Stelle zu bewegen, denn wir wußten nicht, ob nicht ein Schritt genügte, uns über den Rand der Eisscholle hinaus in die See zu stürzen. Jeden Augenblick stieß sie mit einer oder mehreren andern, die desselben Weges trieben, zusammen, wodurch sie fast immer an Umfang verlor. Es schien, als sollte die Frist unseres Lebens nur darum verlängert werden, um uns das Grauenvolle unserer Lage bis auf's Aeußerste empfinden zu lassen.

»Ein Bär!« flüsterte mein Begleiter, der bis dahin kein Wort gesagt hatte.

»Wo denn?« fragte ich starr vor Entsetzen.

»Dort!« – und er zeigte mit dem Finger – »auf jener Scholle, die auf die unsrige zutreibt.«

Ich strengte meine ganze Sehkraft an und blickte nach der bezeichneten Stelle. Umsonst, ich gewahrte nichts. Ich äußerte meine Bedenken, allein der Grönländer erwiderte:

»Ich täusche mich nicht, es ist ein Eisbär!«

In diesem Augenblicke vernahmen wir ein heiseres Brüllen in nicht allzugroßer Entfernung. Es drang mir durch Mark und Bein. Wer konnte wissen, wie bald wir eine Beute des hungrigen Unthiers sein würden?

Immer näher trieb die Scholle heran, jetzt ward auch mir das Unthier sichtbar; spähend hob es den Kopf empor, witternd nach einem mundgerechten Fraß, ein einziger frisch gewagter Sprung und es konnte neben uns stehen. Das scharfe Gesicht des Thieres: wie leicht konnte es unserer gewahr werden; sein feiner Geruchssinn, der in unglaublicher Entfernung den Leichnam eines Walfisches oder eines Robben wittert, konnte auch unsere Nähe ihm verrathen. Bewegungslos, fast ohne Athem und doch mit wie pochendem Herzen standen wir da und blickten unverwandt nach dem gefährlichen Raubthier, welches auf dem schwimmenden Eisblock dahintrieb. Es war eine entsetzliche Viertelstunde – uns dünkte es eine Stunde zu sein. Ohne alle Waffen, – denn eine Axt, die wir mit uns führten, wozu konnte sie uns nützen, wenn der Bär uns angriff – und durch die bereits ausgestandenen Strapatzen auf's Höchste erschöpft, waren wir völlig hilflos, ohne Mittel zur Vertheidigung. Nicht einmal auszuweichen vermochten wir, denn die Eisscholle, auf der wir uns befanden, trieb unabhängig von unserm Wünschen und Wollen, ein Spielball auf dem Rücken der Wogen. Wir waren nicht im Stande ihre Richtung zu bestimmen, die Strömung führte sie, wohin wußten wir nicht!

Aber die Gefahr ging glücklich vorüber. Der Block, der den Bären trug, schwamm an unserem Eisfeld vorbei, und glücklicherweise hatte das Thier uns den Rücken zugewendet und schnoberte nach der entgegengesetzten Seite dem Winde entgegen, als es in nächster Nähe an uns vorüberschiffte. Wie Daniel aus dem Rachen der Löwen, so waren wir aus dem des Bären gerettet.

Die unbeschreibliche Angst hatte meine letzten Kräfte verzehrt. Fast bewußtlos sank ich nieder. Zwar beschwor mich der Grönländer, wieder aufzustehen, auch versuchte er es, mich wieder aufzuheben, denn die strenge Kälte, die dem Sturme folgte, machte Bewegung nöthig. Aber ich war zu schwach, meine Kniee trugen mich nicht mehr.

Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht; daß es aber nicht lange gewesen sein mag, schließe ich daraus, daß ich noch nicht völlig erstarrt war, als der Grönländer ausrief:

»Land! Land!«

Mit heftigem Stoße fuhr unsere Scholle auf. Die mitleidigen Wogen hatten sie dem Lande zugetrieben. Selbst die Hunde, die bis dahin bewegungslos zu unsern Füßen gelegen hatten, empfanden die glückliche Wendung unseres Schicksals. Mit freudigem Geheul sprangen sie auf und zogen eilends den Schlitten an's Land. Auch mir gab die unerwartete Ueberraschung meine Kräfte wieder. Unterstützt von meinem Gefährten, schritt ich hastig an's Ufer, wo die dem Zuruf des Grönländers gehorsamen Thiere ungeduldig warteten, um nun die Weiterreise anzutreten.

Doch wohin jetzt uns wenden? Wo hinaus lag das Ziel unserer Reise, die eigene Wohnung, in der Weib und Kind, wer konnte sagen, mit wie großer Angst unserer harrten, mit wie heißen Gebeten für unsere glückliche Rückkehr am Throne der Gnade knieten?

Die Nacht war tief herabgesunken, die glänzende Schneedecke allein, die sich nach allen Seiten hin ausdehnte, verbreitete ein ungewisses Licht. Der Wind strich scharf und heulend über die Oede, mitunter durchsichtige Wolken Schnees vor sich hertreibend. Der Grönländer forschte genau, woher der heftige Luftstrom kam, dann spähte er eine Zeitlang am grauen Nachthimmel. Sein Auge suchte einen lichten Punkt am Horizont, dort wo das ferne Morgenroth zuerst aufdämmern würde. Da zerriß ein Windstoß das Gewölke, der Glanz eines Sterns leuchtete hindurch, fröhlich jauchzte mein Begleiter auf, das Gestirn hatte ihn über die Weltgegenden orientirt. Er bestieg den Schlitten, in welchem ich bereits vorher mit seiner Hilfe mich niedergesetzt hatte; ein Schnalzen mit der Zunge gab den Hunden das ersehnte Zeichen anzuziehen. Sausend schoß unser Gefährte über die Schneeflur, bergauf und bergab, die Kreuz und Quere, aber getrost, – es ging sicheren Schrittes der Heimath entgegen.

Noch einmal dämmerte, der Morgen, o wie so ganz anders, als in der gemäßigten Zone. Die Wolken lichteten sich am nordöstlichen Himmel und ein blasser, fahler Lichtschimmer tauchte über dem Horizont herauf, bleich wie das Licht des Thierkreises, wenn es in den letzten Tagen des Februars in unseren Gegenden sich am westlichen Abendhimmel zeigt. Mitunter zuckte der bleiche Schein wie fernes Wetterleuchten, dann ruhte er wieder still und unbeweglich. Tief unter dem Gesichtskreis schwebte die Sonne; was uns als Morgenroth erschien, war nur die äußerste Spitze ihrer Strahlenkrone, in der sie jetzt im vollsten Glanze über den Tropenhimmel, geschmückt wie eine Königin, hinwallte. Zwar stieg auch dieses blasse Licht mit jeder Minute höher und schien selbst an Durchsichtigkeit zuzunehmen, aber bald sammelten sich düstere Wolken umher, sie trieben, vom Winde gejagt, über den erhellten Hintergrund, und nicht lange währte es, so war auch der letzte Schimmer verschwunden, der ganze Himmel hatte sich wieder in ein trübes Grau gehüllt, es war finster wie vorher.

Unser Ungemach war noch nicht zu Ende. Noch einmal sandte die Wolkenschicht ihre weißen Krystallflocken herab. Sie fielen so dicht, daß fast kein Zwischenraum zwischen ihnen bemerkbar blieb, und der Wind trieb sie uns gerade entgegen. Es war vergebens, die Hunde zur Eile anzutreiben, sie vermochten nicht dem wilden Gestöber entgegen zu traben. Traurig ließen sie Kopf und Ohren hängen und drehten dem argen Schneetreiben den Rücken. Wir mußten halten, um das Gesicht zu schützen, und damit der Mund zum Athmen frei bleibe, mußten auch wir uns umwenden.

Das Unwetter dauerte etwa eine halbe Stunde, dann hörte es allmählig auf und unsere wackeren Zugthiere strengten auf's Neue ihre Sehnen an. Der gefallene Schnee war in kurzer Zeit zur harten Rinde erstarrt, über die nun unser Schlitten eilends fortsauste.

Wie pochte unser Herz der Heimath entgegen! Bald gewahrten wir in der Ferne den Rauch, der aus den Schornsteinen der Hütten unserer Niederlassung aufstieg. Hinter dem nächsten Hügel vor uns lagen die Wohnungen. Mit hoch emporgerichteten Nasen, wedelnden Schweifen und lautem Freudengeheul jagten die Hunde die Anhöhe hinauf. Oben angekommen, schöpften sie eine Minute lang Athem. Dann brausten sie den Abhang hinunter. Lautes Gebell schallte uns entgegen, die, welche Haus und Hof hüteten, begrüßten freudig die langentbehrten Genossen. Noch kurze Zeit, und wir hatten Muße, unsere Kleider am Feuer zu trocknen und, herzlich umarmt von Frau und Kindern, ihnen die schrecklichen Erlebnisse unserer Fahrt mitzutheilen. In gemeinschaftlichem Gebet dankten wir dem Herrn für die gewährte Hilfe in der Noth.

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