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VI. Kapitel

Viehkral der Nuer – Am Weißen Nil – Die Shilluk – Kraniche und Sattelböcke – Mit Kamera und Büchse – Alltag im Negerdorf – Noch ein Totenfest – Talodi – Die felsenbewohnenden Nuba – Farbenfreudige Athletikspiele – Arabische Reiter in Kettenpanzern – Die Eliri


Gegen Abend zeigen sich Nuer mit weidenden Rindern am Ufer. Wir landen in der Nähe. Ich lasse die Apparate holen, beobachte einstweilen die Eingeborenen bei ihrem Vieh und besehe mir die Strohhütten der Hirten. Jedes Tier ist sorgfältig an einen Pflock gebunden, Mädchen melken die Tiere. Nachdem sie einer Kuh einen Liter Milch in eine Kürbisschale abgezapft haben, binden sie das Kalb los, das sofort gierig zu trinken beginnt. Kinder sitzen bei den Männern neben dem großen Haufen von Asche, in dem sie geschlafen haben, und spielen mit frischem Kuhmist. Ein Mädchen spült sorgfältig ihre Kürbisschale mit Kuhurin aus, wäscht sich in derselben Flüssigkeit säuberlich die Hände und geht wieder ihrer Arbeit nach. Die Knaben sammeln den Mist ein. Er wird halbtrocken auf Haufen zusammengetragen und abends angezündet. Der Rauch breitet sich aus und umhüllt Mensch und Tier mit einer blauen Wolke, die die Moskitos abhält. Etwas abseits steht eine Kuh, die zuwenig Milch gibt, wie die Leute sagen. Nun gehen Mädchen und Burschen der Reihe nach zu ihr, pressen ihren Mund auf After und Vagina des Tieres und blasen ihm aus Leibeskräften Luft ein (Abb. 15). Der Kuh scheint dies nicht zu gefallen, sie muß gehalten werden. Inzwischen sind alle Vorbereitungen getroffen worden, und ich schicke mich an, einiges im Bilde festzuhalten. Da wir nicht vorhaben, länger zu verweilen, mache ich mich ans Werk, ohne die Nuer, wie sonst immer, mit den Apparaten vertraut zu machen. Da ändert sich sofort das Bild. Die Leute hüllen sich in feindseliges Schweigen. Die Männer sitzen auf ihrer Keule, die Speere in der Hand, und blasen mürrisch dicke Rauchwolken aus ihren langen Pfeifen. Kaum daß einer sich rührt, um einen »Familienstier«, der mir bösartig das Hemd zerreißt, auf die Seite zu treiben. Eine melkende Frau hört sofort mit ihrer Arbeit auf und erklärt, wir hätten das Tier erschreckt, so daß es keine Milch mehr gebe. Eine Kuh uriniert. Rasch springt ein Mädchen hinzu und wäscht sich an dem Strahl die Hände, läuft aber augenblicklich fort, da ich die Szene festhalten will. Trotzdem sind die wenigen eingelegten Filme bald verkurbelt. Wir wandern zum Boot zurück. Tudj und Boll bleiben, um noch etwas Milch zu erstehen. Kaum sind wir aber beim Boot angelangt, stürzen Boll und Tudj mit der leeren Milchschüssel herbei. Sobald wir dem Gesichtskreis der Eingeborenen entschwunden waren, hatten die Männer sie mit ihren Lanzen davongejagt und uns beschuldigt, wir hätten ihre Rinder verzaubert. – Sollte in den nächsten Wochen eine Kuh sterben, dann wünsche ich den Europäern viel Glück, denen es einfällt, diese Neger so zu besuchen wie wir.

Spätabends langen wir in Fangak ein, machen ein wenig halt, fangen eine große schwimmende Insel ein und fahren die ganze Nacht über im Schlepp weiter. Am Morgen finden die Leute ein kieloben im Flusse treibendes Nuerkanoe. Es ist mit unsäglicher Mühe aus einem Palmenstamm verfertigt worden und scheint noch ziemlich neu. Solch einen Einbaum bekommt man sehr selten zu kaufen, da sich der Eingeborene nur äußerst ungern von seinem Fahrzeug trennt. Wir fischen das Boot auf und drehen es um. Der Ambaschschild eines Negers schwimmt darin. Was für ein Drama mag sich da abgespielt haben? Vielleicht ist der Mann auf der Nilpferdjagd verunglückt; viele Eingeborene kommen dabei ums Leben. Oder hat er den Tod im Rachen eines der vielen großen Krokodile gefunden, die hier überall in dichtem Schilf leben?

Nach einer Fahrt von mehreren Kilometern werden wir durch das Kreisen vieler Geier auf eine Stelle hart am Ufer aufmerksam gemacht. Da ein dichter Schilfgürtel den Ausblick verwehrt, lande ich mit dem Ruderboot nicht weit von der Stelle und pirsche langsam näher. Mit schwerfälligem Flügelschlag erheben sich vollgefressene Raubvögel von ihrer Beute, und bald stehe ich vor einem anderen Drama der Wildnis. Ein Wasserbock wurde von einem Krokodil gepackt und Kopf voran unter Wasser gezogen. Das Krokodil hatte im Schilf auf der Lauer gelegen, konnte die schwere Antilope aber nicht durch den dichten Umsufagürtel zum offenen Wasser ziehen. Daher fraß es langsam von dem Vorderteil der Beute, während die Geier gierig das Hinterteil zerfetzten und die Eingeweide verschlangen.

Tonga, unser nächstes Ziel, liegt fünfzehn Kilometer vor der Mündung des Zeraf in den Weißen Nil. Um vierzehn Uhr erreichen wir die Mündung des Flusses. Dann aber setzt der Wind aus, und die Leute müssen, mit viel Geschrei, das Boot vom Ufer aus gegen die Strömung ziehen. Langsam geht es den Weißen Nil hinauf nach Süden. Einmal sehen wir, nicht weit vom Ufer entfernt, eine mächtige Kobra, die sich über die abgebrannte Grasfläche windet. Deutlich kann man die weiße Zeichnung am Halse erkennen, wenn sie sich von Zeit zu Zeit aufrichtet, um etwas zu beobachten, das wir vom Schiffe aus nicht sehen.

Neben mir liegt Boll und späht mit gespanntem Gesichtsausdruck nach einem der vielen Shillukdörfer aus, die sich hier an dem linken Ufer des Nils hinziehen. Am Horizont, kaum merkbar, stehen einige Eingeborene in der Nähe eines Dorfes. Plötzlich macht Boll eine besondere Bewegung mit dem rechten Arm. Sofort wird in derselben Art durch einen Shilluk geantwortet. Boll wiederholt die Bewegung, und nun beginnt der Neger aus Leibeskräften zu laufen und kommt atemlos am Ufer an. Ganz langsam gleitet das Schiff bei dem schwachen Wind dahin. Nun folgt eine freudige Begrüßung. Es ist Bolls Heimatsdorf, und der geschmückte, mit Lanzen bewaffnete Krieger ist sein Bruder, den er auf diese unglaubliche Entfernung erkannt hat. Eine Brise frischt auf, der Shilluk bleibt zurück, und Boll sieht mit sehnsüchtigen Augen die Tukul mit den Dompalmen am Horizont verschwinden.

In der Nacht kommen wir in Tonga, unserer ersten Poststation, an. Am Vormittag erscheint ein Shilluk und fragt an, ob wir nicht einen Sattelbock schießen wollten. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, und am nächsten Morgen führt uns der brave Ford landeinwärts. Bald biegen wir von der Straße ab, nun geht es hügelauf und -ab, an Shillukdörfern vorbei, einer Insel entgegen, auf der diese Antilopen daheim sein sollen. Der Führer führt uns in sein Heimatsdorf, wo seine Brüder, Shillukkrieger mit Lanzen und Elfenbeinringen, uns entgegenkommen. Sie heben, wie es bei den Nilnegern Sitte ist, zum Gruß die rechte Hand, was den Europäern zeigen soll, daß sie unbewaffnet sind; dann wird uns Merissa zum Willkomm kredenzt. Zum Unterschied von den Nuern sind die Shilluk außerordentlich gastfreundlich; für den Fremden steht immer das Beste bereit. Boll läßt sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen und trinkt, bis seine Äuglein zu glänzen anfangen. Ich gebe daher mein Gewehr vorsichtigerweise einem anderen zu tragen. Dann gehen wir, drei meiner Leute, vier Shilluk und ich, zu einem tiefen Chor. Die Neger bringen Ambaschflöße (Abb. 70) und Einbäume herbei, und so werden Gewehr und Photoapparat trocken hinübergebracht. Dann durchwaten die Shilluk den Chor, wobei sie immer wieder mit hochgehobenen Lanzen ins Wasser stechen, um die vielen Krokodile zu verjagen. Für mich wird ein Floß gebracht, und zur Belustigung der Shilluk ergreife ich eine ihrer breiten Lanzen und paddle mit dieser hinüber. Unweit des Anlegeplatzes suchen Hunderte von Kranichen nach Futter. Dahinter tummeln sich Pelikane und ägyptische Gänse. Sobald alle Leute den Fluß überquert haben, geht es weiter; nach kaum einer Stunde machen die Führer halt und zeigen auf dunkle Punkte in der Ferne. Die Begleiter bleiben nun zurück, und ich pirsche mich vorsichtig allein an. Bald aber fehlt jede Deckung, und ich muß wie eine Schlange auf dem Bauche vorwärts kriechen, um auf Schußweite heranzukommen. Dabei ist es sehr heiß und windstill, und der Weg führt über frisch abgebrannte, scharfe Sumpfgrasstoppeln. Doch komme ich gut heran und beobachte das Wild. An die siebzig Antilopen werden, andere liegen im Wasser, denn gerade dort, wo sich die Tiere aufhalten, ist ein versumpfter Chor. Ein alter Bock steht auf einem Termitenhügel und verhofft. Auf meinen Schuß verändert sich wie mit Zauberschlag das Bild. Das ganze Rudel, in eine Staubwolke gehüllt, wird flüchtig. Der Bock, dem der Schuß galt, hat nicht gezeichnet, trotzdem folge ich den Tieren. Sie sind schon ferne, da sehe ich, wie sich ein Stück von den übrigen sondert. Ich beginne zu laufen, in der Ansicht, daß es sich um den Bock handle. Ein Baum am Horizont dient mir als Merkpfeiler, und so gelingt es mir, die Richtung einzuhalten, obwohl das Tier meinen Blicken entschwunden ist. Plötzlich erscheint der Bock fünfzig Meter vor mir und zieht, den Äser am Boden, dem Rudel nach. Er war in einer Bodenwelle gelegen. Am Wundbett ist zu sehen, daß das Tier getroffen ist. Das Gelände geht in einen Sumpf über. Gras verhindert mich, der stetig ziehenden Antilope den Fangschuß zu geben. So heißt es, ihr neuerliches Niedergehen abwarten. Nach einer halben Stunde beginne ich die Suche aufs neue und finde den Bock tot, dreihundert Meter vom ersten Wundbett entfernt. Die Kugel sitzt, doch hat sie nicht das Herz, sondern nur die Lunge verletzt und die Leber zerrissen. Es ist erstaunlich, wie weit die Lebenskraft das Tier mit der tödlichen Verletzung noch getragen hat. Inzwischen sind auch meine Begleiter nachgefolgt, im Nu ist die Antilope mit den breiten und langen Lanzen abgehäutet und zerwirkt. Dann wird an Ort und Stelle ein Feuer gemacht; die Eingeweide werden am Schaft der Lanze geröstet. Im Kreise hocken die Shilluk am Boden, jeder hält die Spitze seines Speeres mit den Beinen fest und schneidet an dem unbeweglichen scharfen Metall Streifen vom Fleisch ab (Abb. 92). Halb roh, halb verbrannt sind die Stücke, aber sie werden als Leckerbissen verschlungen. Dann geht es an das Verteilen der Beute. Ich nehme das Lendenstück, meine Führer eine Keule. Die Mohammedaner berühren das Fleisch nicht, da es nicht geschächtet wurde. Alles übrige fällt daher den fünf Shilluk zu, die sichtlich zufrieden sind.

Am nächsten Tage erkundigen wir uns, ob nicht etwa in der nächsten Zeit ein Fest gefeiert werde. Wir sind ja jetzt im Lande der Shilluk, dieses stolzen und kriegerischen Nilotenstammes, der einst, geführt von seinem sagenumwobenen König Nykang, gleichzeitig mit dem der Dinka vom Süden her einwanderte. Ihr Ursprungsland ist nicht genau bekannt, man nimmt an, daß die Gegend nördlich des Viktoriasees ihre ehemalige Heimat sei. Dort wohnen heute noch andere Stämme, deren Sprache viel Ähnlichkeit mit der der Shilluk hat. Der Volksstamm teilte sich in der Bahr-el-Ghazal-Provinz. Ein Teil, die Djur und Dembo, ließ sich dort nieder, der Rest wanderte geschlossen nach Norden und besiedelte schließlich am westlichen Ufer des Nils das Gebiet, das die Shilluk noch heute bewohnen. In der neuen Heimat führten sie ununterbrochen Fehde mit den Dinka, die sie einige Male vernichtend besiegten. In einem solchen Feldzug wurden allein über tausend Dinkamädchen an die Shillukburschen verteilt. Durch diese Vermischung glichen sie sich mit der Zeit der Gestalt und Körperform dieses Stammes an. Ursprünglich von hellem Braun und kleiner, erschienen sie bald langbeinig und schmal, fast wie die Sumpfmenschen, die Nuer. Von diesen wurden sie übrigens besiegt; die Nuer zogen mit der reichen Beute an Frauen und Vieh ab. Ursprünglich waren die Shilluk wahrscheinlich mit Bogen und Pfeilen bewaffnet wie die Djur, allmählich bürgerten sich aber bei ihnen die langen Speere ein. Sehr viel hatte der Stamm in späterer Zeit von den Arabern zu leiden. Anfangs machten die Shilluk mit Mahdi gemeinsame Sache gegen Ägypten, dann aber wurden sie erbitterte Gegner seines Nachfolgers, des Kalifen. Dieser sandte Truppen aus, und Tausende von Männern und Frauen wurden in Gefangenschaft und Sklaverei verschleppt. Noch schlimmer erging es den Shilluk mit den Selim Bagara. Diese kriegerischen Araber hatten sich unter ihrem Führer, einem berüchtigten Sklavenjäger, an der Grenze niedergelassen und raubten Weiber und Kinder der Shilluk, die bei der Feldarbeit beschäftigt waren, indem sie den Wehrlosen vom Pferde aus ein Lasso überwarfen und mit ihren Opfern in der Ferne verschwanden. Schließlich wagten die Shilluk nicht mehr, ihre Felder zu bebauen, und furchtbare Hungersnot war die Folge. Die Eltern verkauften ihre Kinder oft für dreißig Piaster an Sklavenhändler, um eine kleine Menge Korn erwerben zu können.

Alle Not und Drangsal vermochte aber nicht, dieses Volk zu beugen. Geschlagen, halb verhungert, unterwarfen sie sich doch niemals der Fremdherrschaft. Mit unerhörter Zähigkeit halten sie heule wie eh und je an den Sitten ihrer Vorfahren fest; so bewahrten sie ihre Eigenart völlig. Leiden die Sklavenvölker der Bahr-el-Ghazal-Provinz an Nachahmungstrieb, und ist jeder Scheech dort stolz darauf, in europäischer Tracht zu erscheinen, so verachten die Shilluk alles Fremde aus tiefster Seele. Sehr intelligent und fähig, haben sie bald die Schwächen der Europäer herausgefunden und nützen sie für ihre Zwecke aus.

Der oberste Häuptling ist der Mek. Er hat zwar einen Teil seiner früheren Macht verloren, die Verhängung der Todesstrafe ist ihm entzogen, auch heute aber besitzt er noch schrankenlose Autorität. Sein Volk wählt ihn frei aus der Reihe der Königssöhne. Trotz seinen vielen Frauen und seinem großen Reichtum (fließen doch die Strafgelder in seine Kasse) lebt er so einfach wie jeder andere seines Stammes. Er ißt seinen Durrhabrei und schläft auf der Erde. Er kann sich keines allzu langen Lebens erfreuen. Wird er krank oder alt, so wird er vom Adel getötet. Selbst seine eigenen Brüder legen Hand an ihn, sobald er längere Zeit ans Krankenlager gefesselt ist. Daß man einen König nicht leiden lassen dürfe, ist die Ansicht dieser Neger. Ihre Religion ist monotheistisch, sie verehren in Djouk den Schöpfer des Weltalls. Außer ihm sind ihnen noch die Ahnen Schutz und Schirm. Ihnen erbauen sie Tempel, ihnen opfern sie das Beste ihrer Habe; in Gefahren erflehen sie ihren Beistand.

Wie bei den meisten Negerstämmen ist die Heirat eine Geschäftssache. Der Bräutigam hat den Eltern des Mädchens zehn Kühe zu liefern, diese Zahl aber zu ergänzen, wenn aus irgendeinem Grunde welche eingehen sollten. Dies bedeutet oft eine Katastrophe für die armen Burschen, die dem verseuchten, ungesunden und unfruchtbaren Lande keine Reichtümer abzuringen vermögen. Die Arbeit ist zwischen den Geschlechtern geteilt. Die Frauen verrichten die Hausarbeit, die Männer jagen, fischen und hüten das Vieh. Dies ist der noch immer sehr räuberischen Nuernachbarn wegen eine gefährliche Sache. Niemals schlägt ein Shilluk seine Frau, sehr selten ein Kind. Die Jungen sollen nicht lernen, sich zu fürchten, sagen die Leute. Manche Sitten sind höchst merkwürdig. Vor der ersten Niederkunft muß die junge Frau beichten, mit welchen Jünglingen sie vor der Hochzeit verkehrte. Weigert sie sich, die Namen ihrer Liebhaber zu nennen, so glaubt man, das Kind werde sterben, und auch die Mutter sei gefährdet. Jeder von der Frau namhaft gemachte Freund hat an den Mann als Sühne einen Ochsen zu zahlen. Sind es aber mehr als zehn Burschen gewesen, mit denen sich das Mädchen eingelassen hatte, dann nennt die Vielbegehrte keine Namen, sondern wirft eine Handvoll Sand in die Luft. »So zahlreich waren meine Liebhaber wie die Körner«, heißt das. In diesem Falle ist von den Burschen keine Strafe zu bezahlen; allgemeine Verachtung trifft die Eltern, die das Mädchen so schlecht erzogen haben. Die Mädchen sind aber im allgemeinen keineswegs leichtlebig; Fehltritte werden meistens gesühnt. Ist ein Mädchen schwanger geworden, so hat der Bursche zehn Kühe zu zahlen.

Abb. 82. Das Totenfest in Tonga. Shillukkrieger im Festschmuck.

Abb. 83. Der Großhäuptling von Tonga gibt Befehl, mit dem Totenfest zu beginnen.

Abb. 84. Die Gäste sind bereits am Vortage erschienen.

Abb. 85. Das Totenfest in Tonga. Jedes Dorf führt seine eigene Fahne.

Abb. 86. Das Totenfest in Tonga. Abteilungen von Kriegern aus Nachbardörfern treffen ein.

Abb. 87. Das Totenfest in Tonga. Die Krieger umkreisen im Laufschritt das Dorf.

Abb. 88. Die Shillukkrieger töten die freigelassenen Opferrinder durch wohlgezielte Lanzenwürfe.

Abb. 89. Das Totenfest. Ein Opferstier ist, von den Lanzen der Krieger durchbohrt, zu Boden gesunken. Er wird an Ort und Stelle zerteilt, ohne daß die Haut vorher entfernt worden wäre.

Abb. 90. Das Totenfest in Tonga. Die Krieger ehren kniend den Toten.

Abb. 91. Das Totenfest in Tonga. Frauen heben die neben dem Grab aufgestellten Habseligkeiten des Toten auf ihre Köpfe, um sie durch die Reihen der Tanzenden zu tragen und dann zu zerschlagen.

Das Volk der Shilluk zerfällt in drei Gruppen: in die Familienmitglieder der Könige (Hochadel), in den Orror und in das niedere Volk. Den Orror nennt man die Mitglieder von Königsfamilien, die von einem späteren Könige aus irgendeinem Grunde degradiert wurden. Nichtsdestoweniger ist der Einfluß gerade dieser Kaste außerordentlich groß. Zumeist ist es der Orror, der den König tötet.

Ich mache mich eines Tages auf, um den Großscheech von Tonga (Abb. 83) zu besuchen. Er kommt uns ein Stück weit entgegen, dann versinken wir eine Zeitlang jeder in den Anblick des anderen, bevor wir uns begrüßen. Nichts gilt nämlich bei den Shilluk für unhöflicher als eine Übereilung. Dagegen ist, umgekehrt wie in Europa, der Abschied stets kurz. Wir erkundigen uns gegenseitig nach dem Befinden, nach vielem Hin und Her rücke ich langsam mit meinem Anliegen heraus. Feste finden vorerst wohl kaum statt. Die Regentänze sind schon vorüber, übersetzt der Dolmetsch, doch eventuell könnte es ein Totenfest geben. Der Großscheech weiß aber noch nicht, für welchen Tag sich die Verwandten des Verstorbenen entschließen werden. Nun laste ich ihm mitteilen, daß ich gerne das tägliche Leben der Shilluk kinematographieren wollte. Ich verspreche dem Scheech ein schönes Geschenk für den Fall, als er uns dabei behilflich sein will. Schließlich vereinbaren wir, daß wir uns in zwei Tagen wieder melden. Die beiden Tage verbringe ich damit, die Sattelböcke zu kinematographieren.

Von Tonga fahren wir dann nach Attigo, um zu sehen, ob sich dort Aufnahmen machen ließen. Wir haben Glück. Am Eingang des Dorfes treffen wir Schmiede an. Sie sind emsig dabei, lange und breite Speere zu verfertigen und kunstvoll zu verzieren. Daneben sind Gerber eifrig bemüht, eine Tierhaut mit Asche zu präparieren. An einer anderen Stelle bereiten Burschen ihre Schlafstätte. Sie reiben sich den ganzen Körper mit Asche ein, holen ihre Kopfgestelle, um liegend nicht etwa ihre schönen Frisuren (Abb. 69) zu beschädigen, und bedecken sich mit Asche, um das Ungeziefer und die Mücken abzuhalten. Nicht weit von ihnen wird einem Shilluk zur Ader gelassen (Abb. 76). Der Arzt sitzt neben ihm auf der Erde. Vor dem Kranken ist ein Loch in den Sand gegraben. Zuerst wird der Kopf des Patienten rasiert, dann reißt ihm der »Doktor« mit einem Stück Eisen ein Loch in die Haut des Scheitels. Das Blut fließt langsam zu Boden in die Grube, von Zeit zu Zeit überschüttet der Arzt das Opfer mit kaltem Wasser. Mit einem Holzstück, welches er in die Wunde stößt, bringt er sie immer wieder zum Bluten. Zum Schluß wäscht er die Wunde mit kaltem Wasser aus, und der Patient wird entlassen. An einer anderen Stelle frischt ein kleiner Bub die Frisur eines Kriegers auf. Er hat ein Stäbchen in der Hand und klopft mit demselben die Haare gründlich durch. In der Nähe probieren Krieger ihre Lanzen aus. Ich möchte gern auch die Zubereitung der Speisen und das Verzehren derselben zu sehen bekommen. Doch da werden wir vom Scheech aus morgen vertröstet.

Am nächsten Tag kochen die Weiber eifrig, aber in den finsteren Tukul. Ins Freie wollen sie unter keinen Umständen kommen, so ziehen wir unverrichteterdinge wieder ab. Mit dem Zusehen beim Essen geht es nicht besser. Die Shilluk nehmen die Mahlzeiten im Freien nur nach Sonnenuntergang ein. Tagsüber wäre es eine Schande, unter freiem Himmel zu essen. Dafür kann ich eine Frau photographieren, die mit einem langen Schlegel in einem in die Erde gegrabenen Loch, das als Mörser mit Ton ausgekleidet ist, Durrha stampft. Beim Festhalten von Frauentypen stoße ich wieder auf große Schwierigkeiten. Zwar sind die Töchter Evas hier ebenso neugierig wie überall, doch glauben sie, das Photographieren verzaubere ihre Seele. Daher werden wir zuerst nur durch Spalten der geflochtenen Zäune beobachtet. Schließlich versuchen wir eine List. Wir verteilen unter die Kinder Datteln. Beim Balgen um die Köstlichkeit entstehen die heitersten Bilder. Sogar der Großscheech in eigener Person beteiligt sich an der Unterhaltung. Durch das Geschrei und den Trubel werden langsam die Frauen aus den Tukul hervorgelockt. Um sie nicht zu verscheuchen, lassen wir den Apparat ruhen. Machulka gibt einem Mädchen bunte Glasperlen. Das wirkt. Von allen Seiten eilen die Frauen herbei, um auch etwas von dem Schmuck zu erhaschen. Jede erhält zwei Hände voll von den bunten Steinen. Während Machulka die erste Handvoll austeilt, stelle ich den Apparat ein, wenn er sie leer zurückzieht, ist das Bild gemacht. Kein Mensch beobachtet den Vorgang, und es gelingen mir schöne Serien von Bildern. Nun fragt uns der Scheech, ob wir die Veranstaltung eines Tanzes wünschten. Da das bei den Shilluk ein teurer Spaß ist, antworten wir ausweichend. Kurz nachher erfahren wir von unserem Dolmetsch, daß das Totenfest, von dem bereits gesprochen wurde, in den nächsten Tagen stattfinden werde. Der Scheech scheint also noch rasch die Regie des Festes hereinbekommen zu wollen, denn er fragt noch zweimal bei uns an. Wir erklären jedesmal, daß nur das gewöhnliche Leben der Shilluk für uns sehenswert sei. Auf dem Schiff erfahren wir dann aber, daß der Scheech den Tanz auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wolle. Das wäre nun doch betrüblich. Wir raffen daher die Geschenke »für große Häuptlinge« zusammen, und mit Tüchern für die Frauen und einem schönen roten Wollschal machen wir uns abermals auf den Weg. Sobald der Großscheech diese Herrlichkeiten sieht, teilt er uns mit, daß er Auftrag gebe, das Fest abzuhalten. Schließlich gelingt es sogar, ihn zu photographieren, obwohl auch er diese Zauberei keineswegs schätzt. Sein Vorgänger in der Häuptlingswürde war sein älterer Bruder, der vor einigen Jahren starb. Ein Missionär zeigte dem Scheech gelegentlich eine gelungene Aufnahme dieses Bruders. Mit allen Zeichen des Entsetzens wandte sich der Scheech ab und fragte einen neben ihm stehenden Polizisten: »Ist er's wirklich?« Trotz der Versicherung, daß es sich nur um ein Stück Papier handle und keineswegs um den Geist des Verstorbenen, war er nicht zu bewegen, das Bild nochmals zu betrachten.

Zwei Tage später findet das Fest statt. Um 7 Uhr früh sind wir bereits auf dem Platz. Ich versuche einen geeigneten Ort zum Aufstellen des Wagens ausfindig zu machen, von dem herab ich photographieren will. Die Anhöhe eines abgetragenen Tukul scheint schließlich die geeignetste Stelle zu sein, denn von hier aus überblickt man den ganzen, in der Mitte des Dorfes gelegenen Platz recht gut. Bald sind die Apparate hergerichtet. Unsere Geduld wird aber noch ziemlich auf die Probe gestellt. Schon am Abend vorher wurden die Trommeln in das Dorf geschafft. Sie müßten dort »schlafen«, wird uns erklärt. Die Verwandten des Scheech, dessen Totenfeier heute abgehalten wird, wohnen weit von hier entfernt in anderen Dörfern. Auch sie sind bereits am Vorabend erschienen (Abb. 84) und übernachten im Dorfe. Vor Sonnenuntergang wurden drei Ochsen geschlachtet, alle Tukul sind vollbesetzt mit Gästen aus den Nachbardörfern, die sich Fleisch und Merissa vorerst gut schmecken lassen. Endlich gegen zehn Uhr beginnen die Trommeln in Tätigkeit zu treten, die von Männern geschlagen werden. Drei alte Weiber fangen den Tanz an, zu ihnen gesellen sich nach und nach viele Frauen. Inzwischen treffen aus allen Himmelsrichtungen Abteilungen von Kriegern ein (Abb. 86), denn jedes befreundete Dorf sendet solche ab. Voran wird jeweils die Fahne der Ortschaft getragen (Abb. 85). Die Krieger sind in voller Kriegsausrüstung (Abb. 82), der »Lau« (Umhang) wurde meist zu Hause gelassen. Statt dessen tragen sie bunte Felle von Leoparden, Serwalen, Geparden um den Leib geschlungen. Die Körper sind festlich mit rotem Ton gepudert. Manche haben ihr Gesicht reich mit Spiralen verziert. Viele tragen Fellstreifen um die Fußgelenke gewunden. Die wunderlichsten Haartrachten, mit Straußenfedern oder anderem Material geschmückt, erhöhen das farbenprächtige Bild (Abb. 75). Jeder Bursche trägt allen Schmuck, den er besitzt. Mancher hat zwei, einer sogar vier schwere dicke Elfenbeinringe um die Arme, mancher breiten Schmuck aus Giraffenhaaren um den Hals gelegt. Die geschmückten Krieger marschieren singend mit Schilden und blitzenden Lanzen im Kreis um das Dorf und den Tanzplatz (Abb. 87). Am Grab schlagen sie unter lautem Gesang an ihre Schilde und grüßen so den Toten, indem sie in die Knie gehen (Abb. 90). Das Grab liegt etwas seitwärts vor einem Tukul. Es ist mit einem Fell bedeckt, daneben sind Lanzen, ein Schild und Tonkrüge aufgestellt, der Besitz des Verstorbenen, der ihm nun ins Grab mitgegeben werden soll. Bald ist der ganze Platz von einem Menschengewirr bedeckt. Die Alten haben sich neben ihren Hütten niedergelassen, um dem Treiben zuzusehen, die Jugend wogt durcheinander. Jetzt naht eine große Kriegerabteilung, und es beginnt der eigentliche Tanz. Die Mädchen drehen sich um die Trommeln. Die Abteilungen der Krieger bleiben geschlossen, eine zieht, nachdem sie im Tanzschritt mehrere Male die Mädchen umkreist hat, in die Steppe zurück, während eine andere Abteilung dasselbe Spiel beginnt. Der allgemeine Lärm, das Singen und das Kriegsgeschrei der Shilluk, jenes im hohen Diskant angesetzte, tremolierte »Li-Li«, wird nur von Zeit zu Zeit übertönt durch das Dröhnen der Schilde, an welche alle Krieger im gleichen Augenblick mit ihren Speeren schlagen. Stundenlang geht es so fort, bis auf einmal der Großscheech von Tonga, der Vertreter des Königs, den Befehl gibt, die Ochsen zu opfern. Etwas abseits von den Tanzenden stehen drei prächtige fette Ochsen an Bäume gebunden. Sobald der Befehl gegeben ist, stürzen sich mehrere Krieger auf die Tiere. Im Nu sind sie losgebunden. Durch einige starke Schläge und durch das Johlen der Menschenmenge scheu geworden, fliehen die Ochsen im Galopp der Steppe zu. Die Krieger geben ihnen einen kleinen Vorsprung und jagen dann unter lautem Kriegsgeschrei in federnden Sätzen hinter ihnen her. Bald haben sie die Tiere eingeholt. Die Lanzen schwirren durch die Lust, die Rinder stürzen tödlich getroffen zu Boden (Abb. 89). Auch eine Ziege soll auf die gleiche Weise geopfert werden. Aber die hiesigen Ziegen sind flink wie Gazellen, und das Tier sucht sich durch Zickzacksprünge vor den Lanzen zu retten. Mehrere Würfe gehen fehl, niedriges Schilfgras entzieht die tolle Jagd unseren weiteren Beobachtungen. Die Opfer bleiben zunächst liegen, und alles kehrt zum Tanz zurück. Nun treten Frauen an das Grab heran. Mit unnachahmlicher Grazie sinken sie auf die Knie. Eine von ihnen wirft sich der Länge nach auf den Boden nieder und stimmt ein langgezogenes Klagelied an. Männer heben neben dem Grabe tiefe Gruben aus. Die Frauen bilden einen langen Zug und tragen die aufgestellten Habseligkeiten des Verstorbenen durch die Reihen der Tanzenden (Abb. 91). Sie kehren zurück und legen die Gegenstände neben den frisch gegrabenen Löchern nieder. Auch ein Schaf wird gebracht. Ein alter Mann hält es an einem Seile fest. Plötzlich stoßen alle Frauen einige laute jammernde Klagelaute aus und sinken vornübergebeugt mit allen Zeichen des Schmerzes in die Knie. Einige haben Holzkeulen ergriffen und schlagen die Töpfe entzwei. Die Lanzen werden zerbrochen, und der alte Mann tötet mit einem Holzstück das Schaf, welches er am Seile hält. Nun wird alles in die Gruben geworfen, zuletzt das tote Schaf, Besitz des Toten und Opfer. Die Gruben werden zugeschüttet, das Totenfest ist zu Ende. Die getöteten Ochsen werden mit dem Fell zerteilt und die Stücke an die Anwesenden verschenkt.

Ich habe so mancher Totenfeier von Negern beigewohnt, keine reichte an dieses wahrhaft großartige, eindrucksvolle Fest heran. Obgleich der Verstorbene schon vor drei Jahren begraben wurde, vom ersten, heißen Schmerz daher wohl kaum mehr die Rede sein konnte, brachten doch die Frauen in der Grabszene ihre Trauer so erschütternd zum Ausdruck, daß ich mich des Gefühls der Ergriffenheit nicht erwehren konnte.

Nun geht es nach Talodi, der Hauptstadt von Darnuba. Auch diese Provinz ist für den Reiseverkehr gesperrt, denn das Land ist nichts weniger als ruhig. Im vergangenen Jahre wurde von der Regierung ein Feldzug gegen die Nubaner geführt; es dauerte mehrere Monate, bis die Aufständischen unterworfen waren. Auch dieses Land ist interessant, wenn es auch keine so wildbewegten Zeiten wie die Bahr-el-Ghazal-Provinz zu überstehen hatte. In den Ebenen leben die nomadisierenden Araberstämme mit ihren Viehherden. Ganz eigenartige Sitten haben sich bei ihnen erhalten. Zu den Reiterspielen, die hie und da bei festlichen Gelegenheiten abgehalten werden, erscheinen die Reiter in uraltem Rüstzeug. Kettenpanzer aus der Zeit der Kreuzzüge trifft man nicht selten an. Viel wird auch auf Stieren geritten, die auf besondere Art gesattelt werden und als Reittiere erstaunlich schnell und ausdauernd sind. Großen Karawanen solcher Tragtiere begegnet man, wenn die Araber Rohgummi zum Markt bringen. Sie sammeln den erhärteten Saft verschiedener Akazienarten, die hier in den Ebenen wachsen, und verfrachten ihn als Gummiarabikum auf dem Nil. Eigenartig wirkt so eine lange Karawane, die aus Trag- und Reitochsen besteht, besonders wenn diese von auffallend hübschen, unverschleierten Mädchen geritten werden, welche mit großer Geschicklichkeit die ungefügen Tiere zu lenken verstehen.

Die Täler zwischen den Bergen sind von den Urbewohnern des Landes, den Nubanern, bewohnt, die sich seinerzeit vor der Verfolgung der Araber dorthin zurückgezogen haben. Schon in alten Zeiten kam es zwischen ihnen und den nachdrängenden Arabern zu heftigen Kämpfen. Auch heute noch sind sie sehr kriegerisch, wie die fortwährenden Aufstände beweisen. Die Regierung hat keine leichte Arbeit mit ihnen, zumal sie vielfach mit Gewehren bewaffnet sind, die sie von den Arabern erbeuteten. Endlich sind auch die Eliri, ein Mischvolk von Negern und Arabern, das dem mohammedanischen Glauben angehört, nicht uninteressant. Wulstige Negerlippen trifft man häufig in den runden affenartigen Gesichtern dieses Volkes an, das wenig von der Schönheit der Araber geerbt hat.

Sobald das Gepäck auf dem Auto verladen ist, fahren wir ab. Da wir nun wenig Gepäck mit uns führen, kommen wir auf der recht guten Straße verhältnismäßig rasch vorwärts. Anfangs führt der Weg durch die trockene Steppe. Sie ist unbewohnt, das dürre gelbe Gras ist nicht abgebrannt. So weit das Auge reicht, breitet sich die Ebene aus, in der sich nicht einmal Termitenhügel erheben; sie macht den Eindruck eines großen Meeres. Wir durchqueren einen Wald von roten Talkakazien, in der Ferne werden langsam die Bergketten sichtbar. Führte der Weg bis jetzt über Humusboden, so zeigt hier das Erdreich eine rötliche Farbe; es ist eisenhaltiger Sandboden. Sofort verändert sich auch die Vegetation. An die Stelle der Akazien treten nun mächtige Bäume und grüne Pflanzen, die eine angenehme Kühle verbreiten. Zwischen ihnen erheben sich bis zu vier Meter hohe spitze, bizarre Termitenhügel. Die Sonne brennt unerträglich nieder, und die Hitze macht die Luft ringsum erzittern. Das Lenken des Autos ist sehr ermüdend, ich atme auf, als endlich die Eliriberge erreicht sind. Wie bei Amadi sind es große Urgesteinskuppen, die unvermittelt aus der Ebene emporragen. Die Dörfer der Eliri, an die Felsen geklebt, machen einen sehr malerischen Eindruck. Da wir uns aber Talodi zum Ziel gesetzt haben, geht es nach kurzer Rast weiter.

Am Nachmittag erreichen wir Talodi. Auf die Frage nach dem Rasthaus vernehmen wir zu unserer Überraschung, daß es hier keines gebe. Ich zweifle und frage einen Polizisten, der aber die Auskunft bestätigt. Noch immer können wir nicht glauben, daß in einer Station von der Bedeutung Talodis, in der mehrere Engländer leben, die oft dienstlich Besuche empfangen, kein Rasthaus sein solle, und frage daher nach dem Hause des Gouverneurs. Auf dem Weg zu ihm kommen wir an verschiedenen Gebäuden vorbei. Jedesmal erkundige ich mich nach ihrer Bestimmung. Ein Spital heißt es beim ersten, dann Wohnhäuser von Beamten, schließlich kommen wir zu zwei großen, aus Stein gemauerten Häusern mit Wellblechdach und gekacheltem Fußboden. »Was ist das?« frage ich einen des Weges kommenden Diener. »Die Rasthäuser«, lautet die Antwort.

Bald sind wir untergebracht, und ich mache mich auf, den Gouverneur zu besuchen. Er empfängt mich teetrinkend und meint, ich solle am nächsten Tag um neun Uhr bei ihm in seinem Büro erscheinen. Da dies einen Tag der Untätigkeit für uns bedeutet, versuche ich es, meine Angelegenheiten mit ihm trotzdem jetzt zu erledigen, aber ohne Erfolg. Es bleibt schließlich nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu fassen. Nun wollen wir wenigstens die Wartezeit ausnützen und zu erfahren suchen, wo die Zeltlager der Araber anzutreffen sind. Wir besuchen daher den Markt. Die Auskünfte lauten nicht sehr befriedigend. Die Hauasma, arabische Nomaden, sind vor mehreren Wochen fortgezogen, als infolge der starken Dürre das Futter für ihre Tiere zu mangeln begann. Ins Innere von Kordofan sind sie gewandert, sagen die einen, gegen den Weißen Nil, die anderen. Da ist es für uns zweckmäßiger, hier nur die Eliri und die Nuba zu besuchen und dann vom Weißen Nil aus zu trachten, die Araber zu erreichen.

Zur angegebenen Zeit werde ich vom Gouverneur auf das freundlichste empfangen, erhalte sogar etwas Benzin, das uns bereits wieder knapp geworden ist, und nehme einen Empfehlungsbrief an den Distriktskommissär in Empfang. Auch dieser kommt mir außerordentlich liebenswürdig entgegen und gibt uns einen Unteroffizier als Führer und Dolmetsch mit. Bald erreichen wir, von dem Soldaten geführt, einen Platz mit herrlicher Aussicht. Nach der einen Seite zieht sich die unermeßliche Steppe hin, in der Ferne ragen einige Gebirgsketten Kordofans empor, und gerade vor uns erhebt sich ein etwa dreihundert Meter hoher Urgesteinsberg, dessen Felsen die merkwürdigsten Formen bilden. In ihnen hocken, wie kleine Burgen, die Tukul und Gehöfte der Nuba (Abb. 104, 105). Bis in die höchsten Felsenspitzen dehnt sich dieses sonderbare Dorf aus. Eifrig klettern wir umher und begreifen bald, warum es den Arabern nicht gelang, diesen wehrhaften Menschen ihre Behausungen zu entreißen. Vermeiden doch sogar die Engländer das Erstürmen der Felswände. Die Regierung begnügt sich damit, wenn es notwendig ist, die Felsennester von Aeroplanen aus zu bombardieren. Da sich die Neger in solchen Fällen in ihre Felsspalten zurückziehen, erzielen die Angreifer höchstens einen moralischen Erfolg. Gefährlicher für sie wird es allerdings, wenn ein Berg umzingelt und, wie die Raubritterburgen im Mittelalter, ausgehungert wird. Doch gibt es Berge, deren Bewohner auch eine solche Belagerung lang auszuhalten vermögen, da Wasser in den Felsspalten vorkommt und die Neger mit Lebensmitteln auf lange Zeit hinaus versorgt sind.

Ein nackter Greis kommt auf uns zu. Auf den ersten Blick erkennt man den Elephantiasiskranken. Es ist der »große Scheech«, von dem mir der Gouverneur sprach. Der Gendarm teilt ihm kurz und bündig mit, der Mufetisch habe befohlen, morgen sei ein Fest zu veranstalten, er solle alles Nötige veranlassen. Der Alte ist nicht sehr erfreut über den Auftrag, meint aber dann, er wolle sein möglichstes tun. Nun sehen wir uns im Dorfe um. Das Innere der Hütten, welche in einiger Entfernung höchst malerisch aussehen, ist schmutzig; sie sind darin sehr verschieden von den Negerbehausungen, die uns bis jetzt untergekommen sind und die alle durch ihre peinliche Reinlichkeit auffielen. Dafür haben die Bewohner Farbensinn. Einzelne Tukul sind grau und rötlich bemalt, und hübsch gemusterte und verzierte Kürbisschalen werden überall als Gefäße verwendet. In einer Hütte bemerke ich einen schön geflochtenen Deckel. Er dient dazu, Speisen zuzudecken und so vor Zauberei zu schützen. Doch stammt diese Arbeit allem Anschein nach aus dem Norden. Dagegen ist die Töpferei hier zu Hause, und große runde Gefäße werden ohne Töpferscheibe von den Frauen mit großer Geschicklichkeit hergestellt. Auch die kleinen Lanzen mit den großen Widerhaken und die Schilde sind sehenswert und ganz anders geformt als bei den Nilnegern. Die Menschen sind von großer Häßlichkeit. Breite, wulstige Negerlippen entstellen die großen Köpfe (Abb. 97, 98). Der Hals ist dick und kurz, die Gestalt gedrungen und athletenhaft. Mancher Mann sieht einem Gorilla zum Verwechseln ähnlich. Auch die Frauen, mit hängenden Brüsten, sind nichts weniger als anziehend. Auch hier fällt, wie in Amadi, die große Zahl der Elephantiasiskranken auf. Etwa zwanzig Männer sind versammelt, und fünf davon sind von dieser Krankheit befallen.

Am nächsten Morgen geht es zum Fest. Ich erwarte nicht viel davon, denn das Dorf ist klein, und die Gepflogenheiten der Leute bei solchen erzwungenen Festlichkeiten sind bekannt. Der Neger ist vor allem Stimmungsmensch und versteht nichts weniger, als auf Kommando »lustig« zu sein, was ja freilich weniger Menschen Sache ist. Schon bei unserer Ankunft werden wir aber angenehm überrascht. Eine große Menschenmenge erwartet uns. Dem Scheech unterstehen noch andere Dörfer, er hat alle mobilisiert. Die Männer sind festlich geschmückt und ganz weiß gepudert, die Frauen mit wunderlichen Ornamenten in der gleichen Farbe bemalt (Abb. 99). Der Scheech, der zur Feier des Tages seine Galatracht angelegt hat, ein Geschenk der Engländer, kommt uns entgegen. Ein roter, wallender Kaftan reicht ihm bis zu den Füßen, in der Hand trägt er sogar einen alten Säbel. Sein Kopf ist von einem Tropenhelm bedeckt. Er ist sich offenbar seiner Wichtigkeit sehr bewußt. Wir wandern zu einem großen freien Platz, auf dem sich bereits viel Menschen versammelt haben, die einen Kreis bilden. Nun erscheinen eigenartige Masken. Ein Mann ist grotesk ausstaffiert und trägt auf dem Kopf einen alten vertrockneten Marabuschädel (Abb. 106). Es ist ein afrikanischer Spaßmacher, wie sie weit umherkommen und sogar noch in Marokko anzutreffen sind. Nicht weit davon zeigen Rasseltänzer ihre Kunst (Abb. 100). Nun läuft ein Gemurmel durch die Menge, und ein kleiner Trupp von Hünen betritt die Arena. Die breiten, muskulösen Körper sind weiß gepudert, von dem Gürtel hängen lange, gebogene Federschwänze und Rasseln herab. Es sind die »nubischen Ringer«, die in einem tänzelnden, breit ausgelegten Schritt die Runde machen und sich dann vor uns aufstellen (Abb. 96). Auf ein Zeichen des Scheech beginnt der Kampf, der den Zuschauern laute Begeisterungsrufe entlockt. Von Zeit zu Zeit laufen Männer zu den Kämpfenden und bestreuen sie von neuem mit Puder. Als zwei besonders starke Ringer den Kampfplatz betreten, zeigt das Gebaren der Zuschauer sofort, daß es sich um die zwei Matadore handelt. Es ist totenstill geworden, und gespannt verfolgen alle den Verlauf des Kampfes. Die Zuschauer sind in zwei Lager gespalten, hohe Wetten werden abgeschlossen. Die Kämpfenden, durch Zurufe angefeuert, machen die heftigsten Anstrengungen, den Gegner zu werfen. Die Begeisterung der Zuschauer wächst von Minute zu Minute, Zurufe in einer fremden, heiseren Sprache gellen durch die Luft. Der eine Kämpfer hat das Bein des anderen umfaßt und versucht seinen Gegner zu Fall zu bringen. Doch der andere umschlingt ihn und wirft ihn über den eigenen Kopf nach hinten zu Boden. Ein wahrer Begeisterungstaumel hat die Zuschauer erfaßt. Alles stürzt in die Arena, der Scheech in seinem roten Mantel voran. Der Sieger wird im Triumph vor uns geführt, während einige Burschen aus Leibeskräften seinen Sieg ausschreien, ihm eine Palme reichen und mit einem breiten Stück Kuhhaut, das an einem Stock befestigt ist, krachend auf den Boden schlagen, daß der Staub hoch aufwirbelt.

Inzwischen haben sich auch die Frauen an einer anderen Stelle versammelt, um einen Sporttanz auszuführen. Die Körper sind nackt bis auf ein schmales Stück Tuch oder Bast, das zwischen den Beinen durchgezogen ist. Das Haupthaar wurde mit Federn geschmückt, der ganze Körper ist von oben bis unten mit allerlei weißen Mustern bemalt (Abb. 102, 103). Eine sieht aus wie ein Schachbrett, andere haben besondere Vorliebe für Spiralen oder Kreuze. Nicht weit von der Arena nehmen sie Aufstellung. Die Trommeln fehlen, dafür singen die Frauen, die hintereinander marschieren, einen Sang und markieren bestimmte Taktteile durch Aufstampfen mit den Füßen. Sie bilden nun einen Kreis, in dessen Mitte zwei Weiber mit erhobenen Händen besondere Figuren tanzen. Eine obszöne Maske führt den Reigen an. Es ist eine Frau, die als Mann verkleidet erscheint, ein riesiger Penis aus Holz ist um ihren Leib gebunden (Abb. 101), mit welchem sie nach dem Takt der Musik obszöne Bewegungen ausführt. Mit diesem Tanz schließt das Fest ab, wir machen uns auf den Heimweg.

Wohl hätten wir gern die gepanzerten arabischen Reiter, die in Darfur zu Hause sind und die man auch in Kordofan und Darnuba antrifft, gesehen. Sie tragen bunte wattierte Unterpanzer, darüber Kettenhemden und Beinschienen aus Stahl. Helm, Schwert und Lanzen bilden die Bewaffnung. Als es hieß, die Araber seien fortgezogen, rechneten wir nicht damit, diese interessanten Gestalten anzutreffen. Um so angenehmer sind wir überrascht, als uns der freundliche Inspektor mitteilt, er habe für den nächsten Tag Reiterspiele für uns veranstaltet.

Neben Talodi liegt ein großer Festplatz. Dort erwarten uns die Reiter, es sind sogenannte leichtgepanzerte Krieger, die mit Kettenhemden bekleidet sind (Abb. 107). Hat man erwartet, Reiterspiele zu sehen, wie solche etwa bei vielen mongolischen Stämmen gepflegt werden, wird man enttäuscht. Das Lanzenstechen, das Stehen auf galoppierenden Pferden, das Voltigieren und dergleichen Kunststücke mehr sind den Arabern unbekannt. Die Reiter nehmen in breiter Front uns gegenüber Aufstellung und jagen in Karriere vorwärts. Nur wenige Schritte vor uns werden die Gäule plötzlich pariert, so daß sie, zurückgerissen, einige Meter auf der Hinterhand rutschend, den Sand aufwirbeln.

Nachmittag geht es weiter. Bei Sonnenuntergang treffen wir in Eliri ein. Zuvorkommend kommt uns der Stellvertreter des Scheech entgegen. Der Scheech selbst ist vor kurzer Zeit gestorben, ein Nachfolger noch nicht ernannt. Wir werden mit Eiern, Milch und Wasser reichlich versorgt. Die Brunnen erinnern zwar an Tindilti, doch ist schlechtes Wasser immerhin besser als keines. Am Morgen erscheinen mehrere Neugierige im Lager, und ich photographiere (Abb. 66, 67). Ein Bursche ist darunter, der seine kunstvoll geflochtenen Zöpfchen eben dick mit Butter und Knochenmark eingefettet hat, um den Haaren die richtige Form zu geben. Dann geht es mit dem Auto in die Dörfer. Ursprünglich waren die Eliriberge unbewohnt. Nach und nach siedelten sich an den Abhängen entlaufene Sklaven der verschiedensten Stämme an, die sich in den Felsen auch erfolgreich zu verteidigen wußten. Dieses Völkergemisch verschmolz mit der Zeit zu einer Einheit, eben dem Volk der Eliri, die zwar dem Glauben nach Mohammedaner, aber nicht Fanatiker wie die übrigen Sudanesen sind. Typisch sind die Tukul. Die Wände sind gemauert. Eben wird eine solche Behausung gebaut. Werkzeuge zum Mauern sind nicht vorhanden, die Hände müssen genügen. Mit ihnen wird der Lehmbrei ausgetragen und sorgsam verschmiert. Ein Bursche steht dabei und drückt das Horn einer Tiangantilope in die noch weiche Masse, wodurch die Fassade gemustert erscheint. Die Weiber verrichten alle möglichen Arbeiten, die aus Omdurman bereits bekannt sind. Hübsche bunte Matten werden zum Kauf angeboten.


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