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Neuntes Kapitel

Per, Blenda und Jakob.

Per Hyltenius ließ sich nicht abspeisen, er ließ sich durch keine Erklärung, keine Entschuldigung beruhigen, er ließ überhaupt nicht mit sich reden. Er war vom Geist der Raserei besessen.

»Was zum Kuckuck willst du denn, daß wir tun? Öffentlich Abbitte leisten?«

Nein, nein, das hieße ja nur das Mädchen von neuem demütigen.

Was wollte er also? Sollten sie alles für ein Mißverständnis erklären? Oder sollten sie sagen, daß sie zuviel getrunken hatten? Oder was in drei Teufels Namen wollte er, daß sie taten?

Sie waren bereit so zu handeln, wie er es für das Beste hielt. Denn sie schämten sich ja, wenn sie auch nicht umhin konnten, zu betonen, daß die kleine Horcherin selbst die größte Schuld an der unangenehmen Geschichte trage. Gar nicht von Per zu sprechen, der auch den Verstand hätte haben können, sie beizeiten zu warnen.

Aber Per war unmöglich. Er war ganz außer sich. Zum Schluß baten sie ihn höflichst, sich zu trollen und sie in Frieden zu lassen. Das tat er auch. Er ging geradeswegs zu Ihro Gnaden. Er fegte den Pfarrer aus dem »Kabinett der Baronin« und schlug die Türe hinter ihm zu.

»Per, was ist denn? Du siehst ja ganz verstört aus! Ach, wie du mich erschreckt hast.«

Ja, Per war für den Augenblick nicht imstande, irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Hals über Kopf und ohne jede Beschönigung erzählte er Ihro Gnaden den peinlichen Vorfall. Die Dompropstin konnte nicht glauben, daß es wahr sei. Ganz sicher hatte Per sich verhört –

»Willst du, daß ich dir die liederlichen Schandgeschichten dieser Kerle Wort für Wort wiederhole?«

Nein, um Gottes willen! Ach, daß Roger auch so unbedacht war! Und Per so rücksichtslos – ihr Herz war ja nicht stark, das wußte er. Aber wann dachte er wohl an andere! Und was wollte er, daß die Dompropstin tue?

Ja, jetzt konnte Per klaren Bescheid geben. Er wollte, daß die Gnädige die beiden Schuldigen augenblicklich aus Rogershof fortschicke –

»Bist du verrückt, Per! Heute abend? Das geschieht nicht! Was sollten wir Onkel Roger sagen?«

»Er dürfte sie nicht vermissen. Aber ist es dir peinlich, ihnen den Laufpaß zu geben, so kann ich ja Onkel selbst bitten –«

Vor dieser furchtbaren Drohung mußte die Dompropstin kapitulieren. Sie erkannte deutlich, daß Per sonst etwas Unerhörtes, etwas Schreckliches anstellen würde, so vollkommen de Sars-besinnungslos, wie er in seinem Zorn war. Oh, welcher Skandal und welche nicht gutzumachende Schädigung der Hylteniusschen Interessen!

Die Dompropstin ließ also ihren Sohn und Schwiegersohn in spe rufen. Nach einigen ernsten, aber ziemlich allgemein gehaltenen Vorwürfen brachte sie Pers Verlangen vor.

Herrgott – sonst nichts? Hätte Per das gleich gesagt, anstatt wie ein Stier zu brüllen, so säßen die Herren Roger und Wilhelm um diese Zeit schon im Stadthotel oder wären doch zumindest auf dem Wege dahin.

Die Dompropstin seufzte erleichtert auf.

»Ja, liebe Kinder, ihr seid furchtbar leichtsinnig und unbedacht, aber man kann wenigstens ein vernünftiges Wort mit euch sprechen. – Paßt jetzt nur auf, daß die Laternen ordentlich angezündet werden, Und fragt, ob Niels auch ganz nüchtern ist.«

 

Im Inspektorflügel, in ihrem Schlafzimmer, saß Frau Enberg – ach du großer Gott! – sie saß im Lehnstuhl, und vor ihr lag Blenda auf den Knien, weinend, aufgelöst, den Kopf in Tante Luises Schürze verborgen.

Was gab es denn? War es deshalb, weil Jakob fortreiste? – Nein, nicht? Hatte sie etwas zerschlagen? Oder hatte die Dompropstin etwas gesagt? Oder hatte jemand anderer etwas gesagt? – Ja ja! – wer hatte etwas gesagt? Und was?

Aber es war unmöglich, eine verständliche Antwort aus dem Mädchen herauszukriegen. Frau Enberg fürchtete beinahe, die Kleine habe sich verleiten lassen, vom Wein zu kosten. Sie fühlte sich so furchtbar heiß an. Wie immer: ein Glas Milch konnte nicht schaden. Das pflegt zu beruhigen.

Sie hob sie auf und führte sie zum Bett.

»Lieg jetzt still, Kind. Ich hole dir ein Glas Milch.«

Blenda lag ganz still; sowie Frau Enberg das Zimmer verlassen hatte, hörte sie sogar zu weinen auf. Man kann nicht denken, wenn man weint; es ist schon so schwer genug. Und sie mußte nachdenken, versuchen sich klar darüber zu werden, was ihr zugestoßen war.

Sie hatten von Mutter gesprochen. Mutter – Mutter? Mutter war tot, und Mutter hatte Mimi geheißen, das wußte Blenda. Aber das sagte so wenig. Mutter – Mimi – Mutter? Das sagte gar nichts.

Nun, aber was hatten sie über Mutter gesagt? Blenda konnte sich nicht erinnern, daß sie etwas über Mutter gesagt hatten. Ja, daß sie schön war. Und das hatten sie so häßlich gesagt.

Jetzt begriff Blenda, was so häßlich gewesen war. Sie hatten über Mutter, die doch tot war, gelacht. Und von Blenda hatten sie gesprochen – so wegwerfend gesprochen, weil – weil ihre Mutter die schöne Mimi war, die Onkel und er, des andern Vater –

Und sie waren gemein gewesen, gemein, gemein! Warum wäre Per sonst so furchtbar zornig geworden?

»Da, mein armes Würmchen, trinke jetzt die Milch, dann wird dir besser. Das ist gerade der Mühe wert, zu weinen, weil junge Hunde kläffen. Sei doch vernünftig. – Ich kann dir sagen, daß Niels gerade dabei ist, anzuspannen, und in einer kleinen Weile fahren die feinen Herrchen in die Stadt. Dann sieht man sie wenigstens nicht mehr!«

»Sie fahren?«

»Ja, Herr Per und die Dompropstin selbst sollen sie fortgeschickt haben.«

Frau Enberg hatte die ganze Geschichte von der Köchin, und die Köchin hatte sie von Lena, die zugehört hatte, als die Dompropstin Fräulein Siedel den Vorfall erzählte.

»Sei jetzt gescheit, Blendachen! Wer wird darnach fragen, was zwei solche Laffen zusammenquatschen – wenn sie gut gegessen und getrunken haben. Und daß Johnsson mit allen erdenklichen lügenhaften abscheulichen Geschichten vollgepfropft ist, das weißt du doch selbst, Kind.

Übrigens will ich dir sagen, Blendachen, es ist nun einmal so, wenn solche junge Hähne – ja weiß Gott, die alten auch! – wenn die bei ihrem Punsch oder irgendwelchem anderen Gesöff beisammensitzen, dann kann man sicher sein, daß die gemeinsten Geschichten aufgetischt werden. Und da haben sie vor nichts Achtung, nicht vor dem Höchsten und nicht vor dem Geringsten. Und so sind sie, einer wie der andere.«

»Jakob nicht!« schluchzte Blenda.

»Nein, wenn ich das wüßte –« kam es etwas unbeherrscht von Jakobs Mutter.

»Und Per auch nicht – sag?«

»Ich glaube wirklich, daß Herr Per in dieser Hinsicht besser ist als die meisten. Und ich muß sagen, Schneid, hat er, Herrgott, wie er sie alle geschuhriegelt hat.«

Blenda setzte sich auf.

»Ja?«

»Ein Hasenfuß ist der nicht. Ich glaube wahrhaftig, er hat sich die Dompropstin auch vorgenommen. Und das kann ihr in gewisser Weise nicht schaden.

Ja, das heißt, ich hoffe von Herzen, daß er sich nicht vergessen hat!«

»Er ist doch riesig –« sagte Blenda zögernd.

Und das rechte Wort fand sie nicht.

»Aha – da kommt der Wagen.«

Frau Enberg trat ans Fenster.

»Der Landauer sogar. Das wäre nicht gerade nötig gewesen. Und da kommt schon Vickberg mit den Nachtsäcken. Ja, ja, diesmal haben die Herren hier kein Quartier bekommen. Ich darf auch nicht vergessen, Lena zu sagen, daß sie – Da kommen sie schon! Herrje, ich sehe förmlich, wie sie die Ohren hängen lassen. Und schau, schau, wie dieses alte Aas, der Vickberg, scherwenzelt – der bückt sich auch zehnmal für einen Groschen! – Aber mir scheint gar, es sind drei – wer kann der dritte sein? Ach, du wirst sehen, das ist der Rechtsanwalt! So so, der bleibt auch nicht über Nacht? Heute haben wir nicht viele Gäste. ...

Und da kommt Jakob.«

»Kommt er her?«

»Ja, ich verstehe gar nicht, wo er den ganzen Abend gesteckt hat.«

»Er ist bei Sr. Gnaden gewesen. Glaubst du, Tante, daß er etwas weiß? Davon?«

»Bei Sr. Gnaden? Nein, dann wird er wohl nichts wissen. – Aber was in aller Welt hat er bei Sr. Gnaden zu tun?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, daß Onkel mit dem Rechtsanwalt und mit Jakob sprechen wollte.«

»So so! Man wird schon sehen, der Baron stellt wieder irgend ein Unheil mit dem Jungen an. Aber dann will ich auch Hans heißen, wenn ich nicht –«

»Hast du Blenda hier, Mutter? Lena sagte, daß sie hier ist.«

»Du bist ja ganz außer Atem? Was hast du denn vorgehabt?«

»Ich? – Ja, wenn du das wüßtest – dann wüßtest du beinahe mehr als ich selbst. Wo hast du also Blenda? Herrgott, das Bündel dort im Bett? Warum liegst du so da? Bist du krank? Weinst du?«

»Herrgott, so laß doch das Mädchen in Frieden –«

»Fällt mir gar nicht ein. Was ist denn mit ihr?«

»Ach, sie hat zufällig gehört, wie diese feinen Herren schlecht über ihre Mutter geredet haben. Sie hatten natürlich zuviel getrunken, aber es tut doch auf jeden Fall weh. ...

Nein, aber jetzt sei so gut und erzähle du, was geschehen ist. Sei so gut, lieber Freund! Seine Gnaden soll ja mit dir gesprochen haben?«

»Allerdings. Aber zuerst muß ich dir einen Auftrag von der Dompropstin ausrichten. Es ist mir zwar nicht besonders angenehm, ihn zu überbringen, aber ich muß wohl –«

»Was redest du da? Du kannst einen ja zu Tode erschrecken, Junge!«

»Sage deiner Mutter, sagte sie, daß wenn sie vielleicht zufällig ein überschüssiges Federpolster hat, so könnte sie mir es ja statt des Strohsackes geben, den ich heute nacht hatte –«

»Das ist nicht wahr! Wie kannst du das sagen!«

»Ja, jetzt habe ich es bestellt. Und jetzt kannst du machen, was du willst, Mutter. Wäre ich du, ich täte nichts dergleichen, sondern ließe sie ganz ruhig heute nacht auch auf dem Strohsack liegen –«

»Das ist doch das Schändlichste, was ich je gehört habe. Wo ich doch selbst aufgebettet habe –«

Und Frau Enberg stürzte zur Türe hinaus – gekränkt, empört.

Aber Jakob lachte.

»Ja, wenn ich jetzt nicht Schopfbeutler und Ohrfeigen bekomme, dann weiß ich, daß Mutter die Kunst verlernt hat!«

»Jakob, war das nicht wahr? Hast du die Tante zum besten gehalten?«

»Ich weiß nicht, woher ich es hatte, es flog mir so durch den Kopf. Aber hätte ich mir nicht etwas ganz Gräßliches ausgedacht, dann hätte ich Mutter nicht wegbekommen, und hätte ich Mutter nicht wegbekommen, so –«

»Nein, was tust du da! Laß mich gehen!«

»So hätte ich dich nicht küssen können!«

»Das darfst du so auch nicht. Laß mich gehen, hörst du.«

»Ich muß dir etwas erzählen.«

»Nein, du sollst nicht auf dem Bett sitzen. Geh fort!«

»Mir ist heute abend etwas passiert – das ist so merkwürdig – ja, ich weiß nicht, was du tun wirst, wenn du es hörst –«

»Es interessiert mich aber gar nicht! Gar nicht! – Ja, laß nur!«

»Es interessiert dich gar nicht, was mir passiert ist? Wenn ich dir sage, daß es so merkwürdig ist?«

»N–n– nein – du interessierst dich auch nicht dafür, was mir passiert ist. Du fragst nicht einmal –«

»Ich habe nicht gefragt?

Also gut, erzähle du zuerst deines, dann werde ich meines erzählen. – Nun, was war es also?«

»Das sage ich nicht.«

»So? Ja, warum willst du denn dann, daß ich dich frage?«

»Du hast doch gehört, was Tante sagte.«

»Ja was denn? Sie sagte, daß du etwas Unangenehmes gehört hast. War es dieser Galgenstrick Roger oder sein Cousin? Beide? Was haben sie also gesagt?«

»Sie haben schlecht von Mutter gesprochen.«

»Von deiner Mutter? Was haben sie also gesagt?«

»Glaubst du vielleicht, ich will es noch einmal wiederholen? –«

»Das sind mir saubre Kumpane. Aber jetzt sind sie ja Gott sei Dank fortgefahren, und Friede sei mit ihnen! Soll ich dir jetzt meines erzählen?«

»Laß mich gehen!«

»Ich rühre dich ja nicht an. Ich frage, ob ich dir jetzt meines erzählen soll? Willst du, willst du, willst du? Du kannst glauben –«

»Laß mich! Du sollst nicht hier sitzen!«

»Nein, aber Blenda – was hast du denn? Willst du wirklich nicht, daß ich dir's erzähle?«

»Nein.«

»Ach, wie du redest. Wo ich doch Mutter fortgelockt habe, nur damit du die erste bist, die allererste, die es erfährt –«

»Ich will nicht, hörst du!«

»So.«

Er setzte sich auf den Boden vor das Bett in derselben Stellung, die er neben der Pritsche in der Jagdhütte einzunehmen pflegte.

Er war sehr müde – und ein Mühlrad ging ihm im Kopf herum. Es war recht schön, ein Weilchen ganz still und stumm dazusitzen in der Dunkelheit.

Wenn er nur verstehen könnte, wodurch er Blenda geärgert hatte! Was hatte er getan, oder was hatte er gesagt? Nein, das konnte er nicht begreifen. Aber daß er sie gründlich geärgert hatte, das war offenbar. So abscheulich pflegte sie nie zu sein, nein, so abscheulich war sie nie gewesen.

Nun, es würde wohl vorübergehen.

Es war schön, still neben ihr zu sitzen und zu denken – nein, gar nicht zu denken, den Kopf an den Bettrand zu lehnen und so hinzudämmern. Wenn sie doch nur ihre Hand auf sein Gesicht legen wollte.

Aber daß er sie nicht küssen sollte! O die boshafte kleine Kröte –

Er richtete sich auf.

»Blenda, ich weiß, daß du nichts von mir wissen willst. Aber wenn schon sonst nichts – küssen darf ich dich doch!«

Er wartete keine Antwort ab, er nahm sie und hielt sie gefangen.

»Weißt du, wie viele, viele Male ich dich geküßt habe? Dich geküßt wie jetzt – wie jetzt – ich habe dich geküßt, wenn du schliefst. Liebes, Liebes – aber du wolltest nicht aufwachen – wolltest du nicht? Ich glaube, du bist oft aufgewacht – aber du hast dich verstellt. Warst du nicht wach, sag? Hast du dich geschämt, sag? Ich habe dich geküßt, wie jetzt – jetzt –«

Er fühlte, daß sie verweint war, ganz verweint.

»Aber was hast du denn, Blenda? Willst du mir nicht sagen, warum du so traurig bist? Wirklich über das, was sie sagten, die dort?«

Sie schnellte sich von ihm ab.

»Laß mich gehen!«

»Sei doch nicht dumm! Wenn du wüßtest, was ich weiß, dann würdest du alles andere vergessen. Aber jetzt bist du wirklich so abscheulich gewesen, daß ich noch gar nicht weiß, ob du es zu hören bekommst –«

Er stützte die Ellenbogen auf den Bettrand, den Kopf in die Hände.

»Blenda – hörst du zu? – ich will es dir ins Ohr sagen –

Weißt du noch – weißt du noch, wie dein Vater sagte, wir beide sollten –? Und damals glaubte ich dir nicht, und du glaubtest es selbst auch nicht, wenn du es auch sagtest – und Mutter wollte mich fortschicken?

Aber wenn es nun wahr ist, Blenda – liebe, liebe –«

Er schloß die Augen, er wartete darauf, daß sie sein Gesicht berühre.

»Hat Onkel gesagt, daß wir heiraten sollen?« fragte sie. »Hat er es auch zu dir gesagt?«

Er bejahte langsam, enttäuscht.

»Ach, er redet ja nur so. Wir können doch nicht heiraten – wir sind doch Kinder.«

»Wir werden schon älter.«

»Wie es dann ist, das kann man nicht wissen. Wo Onkel doch so launenhaft ist.«

»Was geht das uns an, ob er launenhaft ist? Oder willst du nur, weil er will?«

»Willst du denn?«

»Ach, wie dumm du bist.«

»Ja, aber deine Mama sagt, wenn du ein armes Mädchen heiratest, wirst du sehr unglücklich. Denn du kannst dich nicht einmal selbst erhalten.«

»Mutter weiß aber das Letzte nicht.«

»Welches Letzte? Hat Se. Gnaden heute abend etwas Besonderes gesagt?«

»Ja – aber das ist ja gleich.«

»Willst du es nicht sagen? Vorhin hast du ja darauf gebrannt, es zu erzählen.«

»Ja – aber jetzt habe ich die Lust verloren.«

»Ich verstehe schon, daß du auf mich böse bist. Aber da kann ich nichts dafür. Ich kann nichts dafür, daß ich traurig bin.«

»Nein, du kannst nichts dafür.«

Aber es machte ihn wahnsinnig zu denken, daß diese Stunde verscherzt war, zu nichts geworden, zu etwas Langweiligem und Alltäglichem – diese Stunde!

Und warum?

»Es ist doch merkwürdig, daß du nicht sagen kannst, was dich eigentlich so betrübt hat! Was hast du denn gehört? Du hast natürlich falsch gehört. Es war gewiß gar nicht so schlimm.«

»Falsch! Wo ich doch jedes Wort gehört habe.«

»Und das konnte dich so traurig machen, daß –? Ich bin ganz überzeugt, daß du nicht verstanden hast, was sie sagten, du kannst doch gar nicht verstehen, was solche Kerle zusammenschwätzen! Und es war gewiß nicht so schlimm wie du glaubst –«

»Nicht?« Sie setzte sich im Bett auf. »Wie kannst du das sagen, wo du doch gar nicht dabei warst? Glaubst du vielleicht, Per wäre so furchtbar böse geworden, wenn es nichts Schlimmes gewesen wäre?«

»Per?«

»Ja, er stand doch neben mir – wir waren hinaufgegangen, um mit Johnsson zu sprechen. Und Per stürzte zu ihnen hinein, und ich glaube beinahe, er hat sie geschlagen. So böse war er! Und er hat auch durchgesetzt, daß sie augenblicklich aus dem Hause mußten.«

»Ach was – so böse war er?«

»Ja, – alle sind nicht so wie du, nehmen es nicht so wie du!« verbesserte sie sich.

»Wie nehme ich es denn?«

»Ach, du meinst eben, die Leute können zu mir sprechen und sich gegen mich betragen wie sie wollen!«

»Meine ich das? – Aber ich wußte doch gar nicht, was sie gesagt hatten.«

»Natürlich, aber darum brauchtest du eben nicht zu sagen, daß es nicht so schlimm war.«

»Das war dumm von mir, Blendali. Das war dumm, furchtbar dumm!

Aber wenn du doch weißt, daß ich an etwas ganz anderes dachte. Und wenn du erst weißt, was es ist, woran ich denke –«

»Per hätte vielleicht auch an etwas anderes denken können. Und dann hätte ich dastehen müssen und hätte mir ihre Gemeinheiten anhören können. Und sie sind gemein gegen mich gewesen, heute morgen und –«

Jakob erhob sich hastig.

»Ja, ja.«

»Wohin gehst du?«

»Ich gehe Mutter suchen.«

»Bist du böse?«

»Nein, aber Mutter wird wohl böse sein.«

Blenda hörte ihn gehen – er schlug die Türen nicht zu, er ging ganz ruhig. Aber böse war er doch auf jeden Fall.

Er war eigentlich komisch, Jakob! Auf sie war er böse, aber für die, die sich so schmählich gegen sie benommen hatten, fand er kaum ein scharfes Wort. – Wenn man da an Per dachte!

Blenda hüpfte aus dem Bett und eilte zum Fenster. Sie wollte sehen, ob Jakob noch im Hofe war. Aber sie konnte ihn nirgends entdecken.


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