Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Der Mensch tastet in Lärm und Ungewißheit vorwärts, aber still und sicher geht die Zeit ihren Weg. Jeden Abend kam mehr Kälte in die Luft. Die Bäume wurden kahle Holzgerippe, und kurz und schnell mit knappem Lichtschein klappten die Tage aufeinander.

Hempels warteten, daß es Eisbahn würde und wieder Geld und Arbeit ins Haus käme. Der Wind pfiff um das Dach, daß es Laura oft angst und bange wurde. Sie kannte es ja nicht anders, als Menschen und Häuser um sich zu haben. Das friedliche Klopfen von Hempels Arbeitshammer fehlte auch. Es war nichts zu tun. Aber wenn es auch anders gewesen wäre, hätte der Schuster nichts schaffen können. Regen am Morgen und Feuchtigkeit am Abend, – er fühlte sie in den Knochen. In den Fingern, im Rücken, in den Knien, am Herzen. Er saß neben dem Herd mit eingesunkenen Augen und wartete. Auf die Eisbahn? Auf Arbeit? Auf Gesundheit? Er wußte selbst nicht recht. Wir warten ja immer auf etwas Gutes.

Auch Laura wartete.

Eines Sonntagmorgens stand wirklich Graf Egon in der Tür. Er sah blaß und mutlos aus, und Laura lief fort. Sie wollte sich ihr Glück nicht nehmen lassen.

Der Graf wünschte Frau Hempel zu sprechen, und sie gingen in Lauras Zimmer. In der Ecke stand das helle, schmale Bett mit glatt gestrichener, weißer Decke. Über dem kleinen Spiegel an der Wand hing ein Büschel buntfarbiger Herbstblätter. Auf der neuen 175 kleinen Kommode lag unbestaubt das Lederbuch, und hinter ihm standen zwei Photographien. Das Bild eines Dichters und das Porträt eines Löwen, der aber kein Löwe war, denn es stellte Herrn Fabian im Geschäftsfell vor.

Graf Egon setzte sich nicht, obwohl ihn Frau Hempel schon zweimal dazu aufgefordert hatte. Stehend, die Hände sanft auf der Lehne des Stuhls, über die vielleicht Lauras Haare fielen, wenn sie sich vor dem Spiegel die Zöpfe flocht, sagte er dasselbe, was er seiner Mutter mitgeteilt hatte. Und auch, was diese ihm darauf geantwortet hatte.

Frau Hempel verstand ihn sofort. Daß man Laura liebte, war ihr das natürlichste von der Welt. Daß die alte Gräfin vor Unglück triefte, verwunderte sie auch nicht.

»Alles ist nun einmal so, wie es ist,« sagte sie. »Aber das Mädchen darf mir nicht traurig gemacht werden.«

Das hörte Laura die Mutter laut und fest sagen, als sie zurückgeschlichen kam und vor der Tür ihres Zimmers haltmachte.

Es waren die letzten Worte der Unterredung, in der sich Frau Hempel und Egon einig geworden waren, weiter zu arbeiten und zu sparen, damit ein Mädchen glücklich werden konnte. Man rief Laura herein und führte den Vater vorsichtig ins Zimmer.

Morgen wollte der Graf fort, um auf einem Posten 176 im Ausland dem Glück näher zu reisen. In einem Jahr wollte er wieder zurück sein. –

Als alle in die Küche zurückkehrten, erfuhr auch Ida, was sich ereignet hatte.

Sie schlug die Hände zusammen und rief:

»Was wird aber der Schutzmann dazu sagen!«

Man war froh, über etwas lachen zu können, und Graf Egon meinte, ein tüchtiger Schutzmann dürfe sich durch nichts verblüffen lassen.

Hempel stand aufrecht da und sagte, daß Freude der beste Arzt sei und daß er morgen mit den Brautschuhen anfangen wollte. Was getan ist, sei getan.

Am meisten freute er sich im stillen, daß trotz der großen Veränderung alles heim alten blieb und das Mädchen nicht fort kam.

Frau Hempel ging es nicht anders. Einstweilen behielt man das Mädchen, das war das beste an der Freude.

Laura und Graf Egon sprachen nicht miteinander, weil es ihnen nicht gelang, das neue »Du« vor den andern zu gebrauchen. Die einfachsten Dinge scheinen uns oft am schwierigsten.

So wurde es unangenehm still um den Küchentisch. Ida stand auf und machte sich am Herde zu schaffen. Sie begann Schweinefett auszubraten. Das hob sofort die Stille auf. Es knatterte und krachte wie ein fröhliches Feuerwerk. Aber leider haben alle Dinge auch ihren Geruch. Das bratende Schweinefett entfaltete 177 zwischen den geschlossenen Fenstern nicht den rechten Weihrauch zu der Verlobungsfeier eines Grafen von Prillberg. Egon dachte an seine Mutter und wurde rot. Aber dann sah er zu Laura, die süß und traurig zu ihm herüberblickte, und erinnerte sich, daß alles Schweinefett der Welt nicht seine Liebe zu ihr ausräuchern konnte und daß er ihr möglichst bald einen eigenen Herd schaffen mußte. Er stand auf und nahm Abschied.

Laura begleitete ihn vor die Tür.

Sie strich wie ein trauriges Kätzchen ihre Wange einen Augenblick lang gegen seine Schulter.

»Wenn deine Mutter doch nicht so traurig wäre,« sagte sie.

Graf Egon streichelte ihr Haar und schlug ihr vor, lieber an ihn zu denken. Immerfort. Jeden Tag vom Morgen bis zum Abend. Er wolle es umgekehrt nicht anders machen.

Laura lächelte ein wenig. Aber dann meinte sie, daß ein Jahr sehr lang sei.

Ehe Graf Egon etwas Freundliches erwidern konnte, stampften feste Schritte auf dem Sand, und Schutzmann Degenbrecht stand vor ihnen.

Seine Stirn warf dicke Falten, als er die beiden so nahe beieinander sah, und es sah aus, als wolle er sein Taschenbuch hervorholen, um sie aufzuschreiben. –

Man hätte sich gern ohne polizeilichen Schutz Lebewohl gesagt, aber in einem geordneten Staat kann nicht jeder einfach tun, was ihm gefällt.

178 Noch ein kräftiger Händedruck, und der Graf ging davon. Laura aber folgte, den Kopf gesenkt, dem Schutzmann ins Haus.


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