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Das Leben ist eine Serie von Überraschungen.
Als Hempels am andern Morgen Fenster und Türen ihres neuen Häuschens öffneten, um sich einzurichten und sich an der schönen Landluft zu erfreuen, quoll ihnen ein furchtbarer Geruch entgegen. Es stellte sich heraus, daß ein Bauer hinter ihrem Gärtchen eine große Fuhre Mist angefahren hatte, die er jetzt auf sein Feld gabelte, wo er Kohl pflanzen wollte.
Man merkt erst auf dem Land, daß man Großstädter geworden ist.
Der Bauer sah die Stadtleute, die ihm über sein natürliches Tun Vorwürfe machten, wortlos an und löffelte weiter in seiner duftenden Brühe. Schließlich sagte er freundlich und ruhig, daß dieser Duft das gesündeste von der Welt sei und er sich jede Nacht zwei gefüllte Kübel davon neben sein Bett stelle, um gute Luft zu atmen. Er könne auch ihnen nichts Besseres raten und wolle den neuen Nachbarn gern davon abgeben.
Da der Geschmack auch bei einfachen Leuten verschieden ist, dankten Hempels. Auch hatten sie anderes zu tun, als ihrer Gesundheit zu leben. Alles mußte aufs geschwindeste eingerichtet werden. Man war im Mai. Jeder Tag konnte die ersten Gäste bringen. Frau 124 Hempel und Laura arbeiteten tüchtig im Haus. Hempel pflanzte Schnittlauch und Petersilie, wobei ihm das Bücken recht schwer schien.
Weiße nette Gardinen flogen an die kleinen Scheiben, blanke Töpfe auf den Herd, saubere Decken über die Betten. Die alten Möbel sahen im Tageslicht neu und anders aus, als in der Kellerdämmerung. Sie waren fremd und doch vertraut, wie Herrschaften, die einen langen Sommer verreist gewesen waren. In Lauras Stübchen aber stand eine neue, hellgelbe Kommode, zu der Laura immer wieder hinlief, um sie sich anzuschauen. Sie schien ihr schöner als alle Möbel, von denen sie jemals den Staub gewischt hatte, und sie benutzte jeden freien Augenblick, um darin zu kramen. Oben auf der gehäkelten Decke stand im kleinen Blechrahmen ein Bild von Zeppelin, vor ihm lag wie die Vornehmheit selbst der ledergebundene gräfliche Goethe. Frau Hempel hatte ihn vorsichtig in die Hand genommen, daran gerochen und dann die Aufschrift gelesen.
»Den kenn' ich,« sagte sie, »den habe ich oft abgewaschen. Bombachs haben ihn in Gips oben auf dem Bücherschrank.« Sie legte das Buch zurück, ohne zu fragen, wie es in Lauras Besitz gekommen war.
Nun aßen sie die erste Suppe und die ersten Kartoffeln am eigenen Herd. Die Stille während des Essens machte sie fast verlegen.
»Wie ruhig die Teller vor einem stehen, als ob es 125 überhaupt keine elektrischen Bahnen gäbe,« sagte Frau Hempel, während sie eine heiße Kartoffel schälte.
»Ich bin neugierig, wie der erste Badegast aussehen wird,« sagte Laura und wiegte den Kopf.
In demselben Augenblick klopfte jemand mit dem Stock gegen die verschlossene Tür, heftig, wie wenn das Schicksal selber draußen stünde.
»Ich glaube, das ist er,« sagte Hempel. Er zitterte vor Schreck.
Durch die Gardinen sah man einen älteren Herrn mit blauer Brille und einem schwarzgrauen Spitzbart stehen.
Es war der erste Badegast.
»Hä, hä,« sagte er und stocherte mit dem Stock in die Luft. »Ich rieche es zehn Kilometer weit, wenn die Badeanstalt eröffnet ist. Nun hinein ins Wasser.«
Schon war er hinter der bunten Bretterwand der Herrenabteilung verschwunden.
Frau Hempel hatte von Frau Godowsky gelernt, daß kein Gast allein in der Anstalt bleiben dürfte. Der Bademeister aber sollte erst morgen kommen. Der einzige Mann war Hempel. Leider zeigte er sich wenig männlich. Er kroch vor Schreck in sich zusammen und sagte kläglich:
»Wenn der fremde Herr badet, soll ich zusehn. Das ist eine Unanständigkeit.«
»Das ist polizeiliche Vorschrift,« sagte Frau Hempel energisch und schob ihn hinter die bunte Bretterwand.
126 »Entschuldigen Sie nur vielmals,« sagte Hempel rot und verlegen, als er hineingeflogen kam, und zog tief die Mütze ab. Aber der Herr tauchte und sah und hörte nichts. Als er sein Bad beendet hatte, gab er seine Badesachen zur Aufbewahrung und schrieb sich als Dr. Simrock, Stammgast, ein. –
Am Abend machten Hempels noch eine Bekanntschaft, das heißt, eigentlich erneuerten sie nur eine vom Morgen. Aber Menschen sehen anders aus zu verschiedenen Tageszeiten. Es war der kohlbauende Bauer, der jetzt im sauberen Rock und mit einer Pfeife im Mund, auf ihr Haus zugeschlendert kam. Man beobachtete sich schweigend, denn der Bauer war einige Schritte vor Hempels stehengeblieben, die vor dem Haus saßen. Nach einer Weile sagte er:
»Schöner Feierabend heute Abend.«
Hempels bejahten es höflich im Dreiklang.
»Ja, der Godowsky ist weg. Das ist kein großer Schade,« fing der Bauer wieder an, tat einen langen Pfeifenzug und kam einige Schritte näher. Er befand sich in einer schwierigen Lage. Seine Frau hatte ihn ausgeschickt, um die Neuen auszuforschen. Wenn die Bekanntschaft gemacht war, wollte sie selbst nachkommen. Sie war sehr vergnügungssüchtig, weil sie einst bessere Zeiten gesehen hatte.
Dies erfuhren Hempels bald von dem Ehemann, der schließlich neben ihnen saß. Auch seinen Namen sagte er. Er hieß Speck. Hempel, der sein Pfeifchen 127 mit Tabak stopfte, den ihm der neue Bekannte geboten hatte, meinte, daß dies ein saftiger Name sei.
Der andere lachte geschmeichelt und antwortete, daß es schade sei, daß man seinen Namen nicht anknabbern könne. Sie hätten schon Jahre gehabt, wo sie das gern getan hätten. Somit kam er auf die Frau zu sprechen und erzählte, daß sie bessere Zeiten gesehen hätte, weil sie vor der Hochzeit Probiermamsell gewesen wäre. Hempels fragten höflich, was sie denn vor ihrer Verheiratung probiert hätte, und er sagte: allerhand. Meistens Mäntel. Man hörte Schritte, und da kam Frau Speck selbst. In der Dunkelheit des Abends konnte man nicht viel von ihr sehen. Sie roch ein wenig nach gepflanztem Kohl, aber sagte wie eine Dame der feinsten Gesellschaft, daß es ihr eine Ehre und Freude sei, die neuen Herrschaften kennenzulernen. Sie hatte Laura für einen Sommergast gehalten, dem man ein Zimmer abvermietet hatte, und durch diese Verwechslung stieg sie sehr in Frau Hempels Achtung.
Eine kleine Schmeichelei ist der beste Grundstein für eine Freundschaft.