Th. Bentzon
Die Heimkehr
Th. Bentzon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Der Briefbote war nicht wenig erstaunt, daß er diesen Winter wenigstens einen Brief in der Woche für Fräulein Christen hatte, die früher niemals Briefe empfing. Zu der Zeit, wo er vorüberzukommen pflegte, erwartete sie ihn auf der Terrasse, das frostige Köpfchen in einen Shawl gehüllt, mit glänzenden Augen und geröteten Wangen, wie in Vorahnung eines Vergnügens, und das Vergnügen kam in Gestalt himmelblauer oder rosafarbener Billette. Man bat sie nicht zu vergessen, daß nächsten Mittwoch im Opernhaus ein Platz in der Loge von Frau Harris sie erwarte, und der Gedanke, eines der Meisterwerke, die sie bisher nur durch Studien kannte und schwärmerisch liebte, zu hören und zu sehen, elektrisierte sie. Oder Fräulein Lily ging sie um ihre Hilfe an, die sie durchaus nicht entbehren könne, um dieses oder jenes Lied einigermaßen wirkungsvoll in einer Gesellschaft vorzutragen; oder man gab ihr Nachricht von einer Abendgesellschaft, einem Tänzchen, die ohne sie unbedingt nicht abgehalten werden könnten. Sie hatte nicht nötig, sich um Toilette zu sorgen, die würde sie fix und fertig vorfinden – Lilys Kleider paßten ihr ja wie angegossen. Kurz, es waren ebenso häufige als liebenswürdige Angehen, denen nicht Folge zu leisten sehr schwierig gewesen wäre. Wenn Renée sich zu einem mutigen Verzichten aufgeschwungen hatte, so war ihre Mutter die erste, die ihr zuredete: sie fühle sich wohler und könne recht gut allein bleiben, außerdem wäre der Gedanke, ihre Renée fröhlich zu wissen, an sich schon eine Linderung, Zeigte sich Frau Christen hierin sehr vernünftig? Gewiß nicht! Aber sie war Mutter, das heißt zärtlich und schwach, und dachte an sich stets zuletzt. Wenn sie Renée mit strahlendem Antlitz, das die Begeisterung, die ihr zum Leben notwendig war, noch verschönt hatte, aus Paris zurückkehren sah; wenn sie mit einem ersten Kusse eine Ahnung aller der Vergnügungen empfing, von denen Renée sich aufsparte, ihr später zu erzählen – wobei sie von allen Liebenswürdigkeiten, die man ihr erwiesen, keine einzige vergaß – so sagte sich die Kranke, daß sie immerhin ein Werk der Vorsorge übe, indem sie ihrer Schwäche nachgab und die Tochter verwöhnte. Die unschuldigen Zerstreuungen, die wie ein flüchtiger Sonnenstrahl das eintönige Leben ihres Kindes erhellten, konnten ja von bestimmendem Einfluß für später sein, träumte sich doch Frau Christen für Renée ein Heim für die Zukunft und eine ehrbare Stellung im Hause der Frau Harris! Und was die Hauptsache war: die leidenschaftliche Liebe zur Musik, die seither ausschließlich und verzehrend Renées Seele beherrscht hatte, würde sich vielleicht mäßigen, wenn man ihr Abzugskanäle erschloß.

Renée überließ sich in der That den ihr ungewohnten Genüssen mit voller Hingabe, und die Fräulein Harris belustigte das Ergötzen ihrer Freundin an tausenderlei Dingen, gegen die sie selbst schon abgestumpft waren, nicht wenig. »Weshalb verkehrst du nicht in der Familie Harris an ihren Montagen?« fragte Friedrich Buisson gelegentlich seinen Freund Etienne, »Die ganze amerikanische Kolonie, eine Blütenlese von verrückten Toiletten, Wespentaillen und entzückenden Gesichtchen, gibt sich dort ein Stelldichein ...«

»Und was thäte ich in so gewählter Gesellschaft?«

»Du würdest die schönsten Reisen machen, ohne dich darum aus deinem bequemen Lehnsessel erheben zu müssen, eine Tasse vorzüglichen Thees von schönster Hand gereicht einnehmen und so oft du magst, Fräulein Christens Gesang lauschen.«

Etienne überlief ein eisiger Schauer. Es wäre ihm unerträglich gewesen, Renée in dieser neuen Umgebung, die sie zum Schaden ihrer alten Freunde so mit Beschlag belegte, zu begegnen. Alle die Unbekannten, die sich ihr dort nähern konnten, flößten ihm eine unbegründete, aber deswegen nicht minder schmerzliche Eifersucht ein.

Friedrich hatte Etienne Höllenqualen bereitet, als er ihm von einem Marquis Cerdon erzählte, einem begeisterten Dilettanten, wenn man nach dem bewundernden Lobe schließen konnte, mit dem er Renée nach ihren Vorträgen überhäufte. Dieser Marquis Cerdon diente den beißendsten Witzen des jungen Malers zur Zielscheibe, der ihn als die Blume des Jokey-Clubs, freilich als eine schon etwas welke, schilderte; mit dreißig Jahren überließe er es der Geschicklichkeit seines Friseurs, die zu hoch gewordene Stirn mit dem durch Ausschweifungen aller Art gelichteten Haar so gut als möglich zu verhüllen; auch etwaige sonstige Vorzüge verdanke er lediglich der Kunst seines Schneiders.

»Ich bezweifle stark, daß Rennbahn und Spieltisch viel Gold in den Taschen seiner so vorzüglich sitzenden Kleider gelassen haben,« fügte Friedrich hinzu. »Indessen besitzt Herr von Cerdon in hohem Grade jenes ›gewisse Etwas‹, das Frauen gefällt, so eine aristokratische Schönheit, ein Gesicht van Dyckscher verweichlichter Kavaliere zu einer gelangweilten, lässigen Haltung, die ihm so gut steht; dazu eine Gefälligkeit in jeder Bewegung und in seinen Manieren, die unsereinen sich neben ihm linkisch und albern vorkommen läßt, obgleich seine Äußerungen durchaus nicht ein Übermaß von Geist verraten. Frau Harris selbst richtet oft und gern das Wort an den ›Herrn Marquis‹. Das Faubourg Saint Germain entbehrt, wie es scheint, selbst geborenen Republikanern gegenüber, nicht eines gewissen Reizes. Ein unnützer, fauler Wicht, eitel wie ein Pfau, dessen Titel für den Mangel an Talent und Charakter aufkommen muß – so ein Wesen existiert nicht in ihrer Heimat, und das Unbekannte verfehlt auch hier nicht seinen Reiz.«

»Und was hält Renée von dem Fant?« fragte Etienne mit gezwungenem Spott.

»Sie findet ihn elegant. ›Die Eleganz in Person‹, das ist ja das Stichwort für jedermann. Und wenn ich es recht bedenke,« fuhr Friedrich nach einem Augenblick Stillschweigens fort, »so hast du vielleicht nicht ganz unrecht, fern zu bleiben, und ich sollte es ebenso machen. Fräulein Lily ist nicht weniger noch mehr denn eine Kokette, die, was ich im vergangenen Sommer für ein Entgegenkommen hielt, an jeden Süßschnabel vergeudet, dem sie in Gesellschaft begegnet. O, wie leicht man auf diesen amerikanischen Flirt hineinfällt! Außerdem gibt sich diese sogenannte gute Gesellschaft« – Friedrich fühlte neuerdings den Haß gegen sie, den Murgers Vie de Bohème jungen Künstlern eingeimpft hat, die meinen, den Ruhm nur im Waldesschatten von Fontainebleau abwarten zu dürfen – »gibt sich diese Gesellschaft ganz anders, wenn man sie auf dem Lande trifft, wie im Salon ...«

»Ja, ja, der Wald hat es uns angethan!« meinte Etienne halb traurig.

»Das waren unsre guten Tage,« seufzte Friedrich. »Und als Andenken an sie bleibt mir das Porträt dieser verteufelten, kleinen Jankees, das sie mir erlaubt haben zu behalten, wobei sie mir, um mich nicht im unklaren darüber zu lassen, daß eine solche Gunstbezeigung ohne Belang sei, ins Gesicht lachten. Ja, lache du nur auch; wenn du verliebt wärest wie ich, würdest du fühlen, wie solche Geringschätzung rasend machen kann.«

Etienne hütete sich wohl, zu gestehen, daß auch er verliebt sei, und zwar in einem Grade, daß er seinen Kummer in sich vergrub und nur die langen Alleen im Walde von Fontainebleau zu seinen Vertrauten machte, die Alleen, die der Winter alles dessen entkleidet hatte, das sie in der schönen Jahreszeit zu einem so entzückenden Aufenthalt gemacht. Daß jede dieser Alleen, welche er beim Fortgehen auch einschlagen mochte, ihn stets vor Renées Haus führte – war es seine Schuld?

Etienne geriet in helle Verzweiflung, wenn Renée ihn wiederholt versicherte, wie sie sich nirgends glücklich fühle, als in Paris, und daß ihre Mutter eingewilligt habe, sich nächstes Jahr dort mit ihr niederzulassen, damit sie Stunden geben könne, deren ihr dank Frau Harris schon einige sicher wären.

»Wollen Sie wirklich nach Paris?« fragte Etienne eines Tages Frau Christen, als er sie allein antraf.

»Wenn ich so lange lebe ...« meinte sie, die Augen gen Himmel richtend.

»Das wird meiner Familie großen Kummer machen,« murmelte er bewegt.

Sie sah, wie Etienne litt, und litt mit ihm, während sie sich im stillen fragte: warum muß es dieses Fräulein Bonnard mit ihren Fabriken in der Welt geben!

Die Unkenntnis, in der sich der junge Mann über die Verheiratungspläne zu befinden schien, die seine Eltern für ihn hegten, setzte sie in Erstaunen. Was half aber das Grübeln! Renée konnte nicht ein Glied der Familie werden, die sie, wie es ihr deutlich genug zu verstehen gegeben war, verschmähte. Schon der Gedanke an eine gewisse Unterredung mit Frau Loysel ließ der Witwe die Schamröte verletzten Stolzes in die blassen Wangen steigen. Ihr Verkehr mit Etienne bekam daher etwas Gezwungenes, Frostiges; sie suchte nach einem Vorwande, ihn zu bewegen, daß er seine Besuche weniger oft mache, und ließ sich schließlich doch wieder durch die zarten Aufmerksamkeiten entwaffnen, mit denen der junge Mann sie wie ein eigner Sohn, selbst, oder vielmehr gerade, wenn Renée nicht zugegen war, umgab, als ob es sein heißester Wunsch wäre, ihren Platz für einen Augenblick einzunehmen, die kleinen Hilfeleistungen, denen sich sonst Renée unterzog, selbst zu reichen, und so eine Art Gemeinschaft zwischen ihnen herzustellen, mochte sie es wollen oder nicht.

»Wie glücklich hätte Renée werden können,« dachte dabei Frau Christen. Hätte Renée ein solches Glück zu schätzen gewußt? Allem Anschein nach – nein! Dazu war ihre Neigung, sich auf niemand, als auf sich selbst zu verlassen, zu tief eingewurzelt. Ein merkwürdiges Kind! Und doch war sie im Grunde genommen, so gut, so tapfer!

Ihr Vater hatte stets gesagt, sie habe das Zeug zu einem Manne. Dann wären alle die kleinen Mängel in ihrem Charakter lobenswerte Eigenschaften gewesen.


 << zurück weiter >>