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Der Teutschen Winter-Nächte
Viertes Buch

I. Capitul. Der Irländer sieht ein Gespenst.

Die Meinung hat gar oft gelog'n,
Wer leichtlich glaubt, wird leicht betrog'n.

»Wahrhaftig,« sagte das Fräulein Anna, »der geführte Lebenslauf Monsieur Ludwigs hat einen recht wunderlichen Anfang, und wenn ich davon judicieren sollte, so müßt ich ohne Heuchelei gestehen, daß er noch höflich genug darinnen verfahren, auch eine größere Verschwiegenheit darinnen angezeiget, als er sonsten gewohnet ist.« – »Es ist wahr,« sagte die Kunigunda, »aber mir gab er einen Stich, den will ich zu seiner Zeit schon wieder revanchieren, und wenn mich anjetzo nicht so sehr hungerte, wollte ich ihm die Laudes wacker heruntersagen.« – »Bruder,« sagte ich zu ihm, »morgen mußt du absolvieren, aber Frau von Pockau, was hält Sie von der erzählten Begebenheit des Ludwigs?« – »Mein Herr,« sagte sie zu mir, »ich habe daraus ersehen, wie die Jugend viel mehr zum Mutwillen als der Disciplin geneigt sei, und daß sich auch die Rache schon in der zarten Jugend in unsere Herzen zu pflanzen pfleget. Ich habe auch zur Genüge verstanden, daß auf etlichen Schlössern große Hurerei und Ehebruch getrieben wird und daß man denjenigen den Fiedelbogen meistens um den Kopf zu schlagen pfleget, welche die Wahrheit sagen und beflissen sind, die Laster auszurotten. Ich habe auch daraus gelernet, daß sich die Laster oftermalen, ja gemeiniglich, selbst bloßgeben und offenbaren, wie es denn die Historia klar und augenscheinlich weiset, daß Monsieur Ludwig sowohl hinter der Tochter als ihrer Mutter ihre heimliche Stücklein ohne einzigen vorgehabten Willen und Meinung, solches auszuforschen, gekommen sei. Man hat auch aus solcher Erzählung mit anzumerken, daß die Furcht und Sorgen sich schon in der Jugend in unser Gemüt einschleichen, welche doch zu nichts dienen, als den Schatten einer Sache großzumachen, dessen Leib doch an sich selbst klein und unächtig ist. Man kann sehen und daraus abnehmen, wie in eine große Betrübnis die Kinder ihre Eltern stecken, so sie sich unwissend aus dem Staube machen oder sonsten irgendein großes Elend anrichten helfen. Ingleichen lehret uns der vermummte Musicant, daß sich die Laster vor dem Licht scheuen, weil sie wahrhaftige Geburten der Finsternis sind. Auch gibt der getane Schuß genug zu verstehen, wie wir uns vor aller Unreinigkeit fleißig hüten sollen, weil wir nicht wissen, welchen Augenblick wir sterben und gleichsam in einem Nu dahinfahren müssen. Mit einem Wort, Monsieur Ludwigs Erzählung, ob er sie schon etwas lustig hervorgebracht, hat doch Salz genug, und wenn mir nicht wäre wie der Fräulein Kunigunda, als die ich auch hungere, so wollte ich noch ein mehrers erzählen, welches alles zu dem Lobe Monsieur Ludwigs gedeihen sollte.« – »Saprament,« sagte Ludwig, »nun sehe ich erst selbst, was ich vor ein Kerl bin! Halt, halt, weil Euch dieses allzu geistlich gewesen, so sollet Ihr morgen gewiß eine andere Sermon von mir zu hören bekommen, die weltlich genug sein solle.«

»Er mag es machen, wie Er will,« sagte die von Pockau, »so hat man doch Gelegenheit, eine Lehre daraus zu nehmen. Natürliche Sachen sind endlich nicht garstig, und deswegen werden solche Sachen erzählet, damit wir uns in der Gelegenheit derselben wohl vorsehen und hüten sollen. Ich habe vor diesem in manchen Büchern ein Haufen Zeuges von hohen und großen Liebesgeschichten gelesen, aber es waren solche Sachen, die sich nicht zutragen konnten noch mochten. War also dieselbe Zeit, die ich in Lesung solcher Schriften zugebracht, schon übel angewendet, weil es keine Gelegenheit gab, mich einer solchen Sache zu gebrauchen, die in demselben Buche begriffen war; aber dergleichen Historien, wie sie Monsieur Ludwigen in seiner Jugend begegnet, geschehen noch tausendfältig und absonderlich unter uns. Dahero halte ich solche viel höher als jene, weil sie uns begegnen können und wir also Gelegenheit haben, uns darinnen vorzustellen solche Lehren, die wir zu Fliehung der Laster anwenden und nützlich gebrauchen können.

Was hilft es, wenn man dem Schuster eine Historia vorschreibet und erzählet ihm, welchergestalten einer einesmals einen goldenen Schuh gemachet, denselben dem Mogol verehret, und also sei er hernach ein Fürst des Landes worden? Wahrhaftig, nicht viel anders kommen heraus etliche gedruckte Historien, welche nur mit erlogenen und großprahlenden Sachen angefüllet, die sich weder nachtun lassen, auch in dem Werke selbsten nirgends als in der Phantasie des Scribentens geschehen sind. Denn ob es schon den Schuster ergötzet, daß ein seiniger Mitcollega sei ein Fürst geworden, kann ers doch unmöglich nachtun, und täte ers gleich, so wüßte er niemanden, dem er solchen verehrte. Verehrte er ihn nun gleich einem großen Potentaten, so stehet es noch im Zweifel, ob er einen schlechten Recompens, geschweige ein Fürstentum deswegen erlangte. Ist also viel nötiger, solche Sachen zu entwerfen, welche uns können zur Warnung unsers künftigen Lebens dienen.

Ich will ein Exempel von mir geben. Als ich noch eine kleine Bachstelze war, kam ich über eine Liebesgeschicht einer türkischen Kaiserin. Da bildete ich mir ein, ich wäre dieselbe türkische Kaiserin, und ward so stolz und hoffärtig, daß ich gar viel Freiereien ausschlug, festiglich glaubend, die Cavalier sollten auch also, wie um die türkische Kaiserin geschehen, fechten und turnieren. Aber Narrenpossen! es hat sich wohl geturnieret! Sie ließen mich endlich gar sitzen, und letztens hätte ich gern einer Magd einen Ducaten geschenket, die mir nur die Post gebracht hätte, es würde wieder einer um mich bei der Frau Mutter anhalten. Das hatte ich nun der liederlichen Liebesgeschicht zu danken, denn ich lernete mit zunehmendem Verstand, daß ich noch einen großen Sprung tun müßte, ehe ich zur türkischen Kaiserin würde, ob ich gleich einen halben Mond in dem Schild führete. Denn ein anders war der Türken, ein anders war mein Stand. Darum halte ich noch einmal so viel darauf, solche Sachen hören und lesen, die unserem Stande gemäß sind. Und ich glaube es sicherlich, daß dardurch gar viel Frauenzimmer verleitet worden, ihre sonst gepflogene Gemeinschaft in dem bürgerlichen Wandel auf die Seite zu setzen und durch die Einbildung, große Frauen zu sein, sich in ihrem eigenen Gemüte zu überheben und dadurch in ihr eigenes Verderben zu fallen.«

»Was die Frau von Pockau anjetzo vorbringet,« sagte der Irländer, »das erfuhr ich als noch ein Jüngling in der Tat. Ich las in meiner Jugend nichts Liebers als diejenigen Geschichten, welche von Abenteuer und ritterlichen Taten Meldung getan. Und weil ich gelesen, daß gar viel dergleichen Leute in die Gewölbe der Erde gestiegen, legte ich eines Abends einen Harnisch an, welchen ich mir von unserem Hofschneider mit Papier habe zurichten und zusammennähen lassen. Damit ging ich nächst unserm Schlosse in eine Gruft, von welcher ausgegeben worden, daß sie vier Meil Weges in die Erde gehen, dergleichen es auch eine in dem polnischen Reußen geben sollte. Aber ich ward daselbst von einem Gespenst dergestalten erschrecket, daß ich lange Zeit darauf an einer starken Krankheit darnieder gelegen. Besagtes Gespenst sah ich von ferne und wohl zwölf Schritt von mir in einem Winkel sitzen und ohne Unterlaß Feuer ausspeien. Ich hatte schon über hundert Ellen in dem finstern Gang hinter mich geleget, und die Wahrheit zu gestehen, so war ich aus keiner andern Ursache hineingegangen, als daß sich etwan ein liederlicher Schreiber darüber setzen und meine Abenteuer der Nachwelt in den Druck geben sollte, welche man hernachmals auf allen Lumpenmärkten vor ein oder zwei Dreier verkaufen und den Leuten könnte zu lesen geben. Aber es nahm weit einen andern Ausgang, denn das Gespenst stund endlich gegen mir auf, und ich sah vor mir stehen einen rechten lebendigen Menschen, dessen Gesicht viel abscheulicher anzusehen war als ein Meerkatzenkopf. Die Augen stunden ihm voll Feuer, und um die Mitte seines Leibes hatte er einen ganz brennenden Kranz, und sooft es den Mund aufsperrte, fuhr eine große Flamme heraus.

Die Haare stunden mir gen Berge, und ich habe mich in der großen Angst zu nichts Gewisses resolvieren können, bis mich eine große Ohnmacht ergriffen, in welcher ich ganz sinn- und kraftlos hinumgefallen und mich endlich unter einer großen Eiche befunden, als ich wieder zu mir selbst gekommen. Es war mitten in der Nacht, und ich spürte es am ganzen Leibe, daß mich eine ungewöhnliche Krankheit überfallen; und weil ich außer des Baums nichts erkennen konnte, forchte ich mich, heimzugehen, weil ich glaubte, ich wäre nicht weit von der Hölle, darinnen mich das abscheuliche Gespenst so erschrecket und so sehr gequälet hatte. Es war mir, als hätte mir jemand alle Haare aus dem Kopfe geraufet, und ich dachte nicht anders, als sei ich lebendig geschunden worden, weil mir der Schauer den ganzen Leib eingenommen und mich fast zu einem andern Menschen gemacht hatte. Endlich raffte ich mich in der Dunkelheit auf die Straße und kam zu einer Schäfers-Horte, darinnen ich zwei Jungen in meinem Alter angetroffen, welche das Vieh auf dem Felde hüteten. Ich erzählte ihnen meinen Zustand, der mich in dieser Nacht betroffen, aber sie wußten noch viel andere Historien von der Gruft zu erzählen, die sich mit allerlei reisenden Menschen zugetragen.

Sie behielten mich durch die übrige Nacht bei sich, in welcher ich je länger, je kränker worden, bis sie mich bei angehendem Tage ganz erkranket nach Hause geschicket, allwo ich wohl vierzehen Wochen an einer Stelle gelegen, und hatte von meiner Abenteuer niemand größern Nutzen als der Doctor und Apotheker. Meine Mutter verbrannte darauf alle Bücher, die mich zu einem solchen Vorhaben verleitet, und also fühlete ich die Frucht derjenigen Beschreibungen, die entweder nur ein Zauberer oder aber ein sonderlicher Abenteurer nachtun kann. Ja, ich las einsmals, daß derjenige, so auf freiem Kopf stehen könnte, der stattlichste Mensch zu einem Ritter wäre. Da fing ich an, mich dergestalten auf das Kopfstehen zu exercieren, bis mir endlich das Blut zu dem Halse herausschoß.«

Fräulein Anna wurf ein, daß sie wegen Erwähnung des Gespenstes ganz furchtsam geworden, und wenn sie solches sowohl als der Irländer gesehen hätte, hätte sie ohne allen Zweifel sterben müssen. »Was wäre es denn mehr,« sagte Ludwig, »wenn Sie gestorben wäre? So hofierte Ihr der Hund auf das Grab!«, auf welches die gesamte Gesellschaft zu lachen anfing, und das Fräulein machte ein ziemlich scharfes Gesicht auf ihn, daß er wieder anfing, so abscheulich zu packen und mit der Sauglocken zu läuten. Aber Ludwig sagte, wenns der Hund nicht tun wollte, so wollte ers tun, und ob auch schon der Totengräber samt seinem Weibe in dem Freidhofe gegenwärtig wären, auf welches man noch stärker gelachet. Und als das Fräulein Anna merkte, daß es Ludwig nicht anders zu machen pflegte, lachte sie auch mit, und Ludwig verglich sie hernachmals mit dem Hund, welcher das Fleisch von dem Metzger getragen und unterweges von andern Hunden angefallen worden. Wie er nun gesehen, daß sie seine Meister über den Korb wurden, fraß er auch mit, damit er seine Mühe nicht so gar umsonst verrichtet hätte.


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