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Minierarbeit

Eine wichtige Aufgabe unserer geheimen Tätigkeit bestand im Organisieren der Verbreitung des »Sozialdemokrat« und anderer verbotener Literatur. Eine Reihe meiner Briefe an die Züricher sei hier abgedruckt, in denen diese Seite des Parteilebens unter dem Sozialistengesetz hervortritt.

»Leipzig, den 28. Dezember 1879.

Lieber Motteler!

Zunächst die Mitteilung, daß die Berliner vom Rechenschaftsbericht der Fraktion 500 Stück nehmen, und zwar sollen sie diese ausnahmsweise à 10 Pfennig erhalten, um den Überschuß für die Familien der Ausgewiesenen zu verwenden. Auch ist Nummer 4 des ›Sozialdemokrat‹ in Berlin mit dem Schluß des Berichts nicht angekommen und infolgedessen der Glaube entstanden, die Nummer 4 sei von uns zurückbehalten worden, um zu verschweigen, daß H. Hasenclever. Vergl. S. 66. D. H. nicht darunter stehe. Es ist eine kuriose Logik, sie hat aber viele Gläubige in Berlin gefunden, und da ist die starke Verbreitung des Berichts sehr notwendig.

Hierher sollen 300 gesendet werden, und könnt Ihr die Adresse des Fräulein Kl. bei F. benutzen.

Nummern 8, 9, 10 und 11 sind in Berlin nicht angekommen, da durch die Verhaftung Grunzigs die Adressen verraten wurden respektive der Polizei in die Hände fielen; es ist erstaunlich, mit welcher Ungeschicklichkeit unsere besten Leute verfahren. Einstweilen schickt nach Berlin nichts, bis Ihr Adressen bekommt, was nächster Tage geschehen soll. Sendet, wenn Euch von Berlin nicht direkt Adressen aufgegeben werden, Abrechnung für dort nach hier.«

Wenn die Dispositionen so getroffen werden, wie Du schreibst, und alles klappt, dann wird in bezug auf die Expedition nichts mehr zu wünschen übrig bleiben. Ich bin dann der Meinung, daß Ihr die geheime Organisation auch dann beibehaltet, wenn Euch von Hamburg aus andere Vorschläge zugehen. Es empfiehlt sich nicht, getroffene Dispositionen und eingerichtete Organisationen ohne weiteres preiszugeben. Schreibt also, wenn Ihr überzeugt seid, daß das Vereinbarte den Zweck gut erreicht, daß man einstweilen von anderen Maßregeln absehen und sich nur dann darauf einlassen solle, wenn der andere Weg verlegt werde.

Vielleicht könnt Ihr von dort aus das nach H. dirigieren, was der Norden bezieht; doch wollen wir da keine Vorschriften machen, weil Ihr am besten wissen und sehen müßt, was sich empfiehlt, was nicht.

Über den Bücher- und Schriftenvertrieb habe ich schon vor ein paar Tagen geschrieben und werdet Ihr den Brief erhalten haben.

Ich kann hier nur wiederholen, daß, wenn von hier Vorschläge kommen, die sich nach dem Stande der Dinge dort nicht durchführen lassen, Ihr Euch nach den Verhältnissen dort richtet. Wir können hier nur unsere Gedanken entwickeln; ob sie immer richtig und durchführbar sind, vermögen wir nicht zu übersehen. Seht darauf, daß das Blatt künftig zu ganz bestimmter Zeit fertig wird, so daß sowohl die Mittelspersonen wie die schließlichen Empfänger ziemlich auf den Tag rechnen können, wann die Sendungen eintreffen; bisher war das letztere ganz unmöglich.

Von Paris erhielt ich einen Brief, worin man auch über unregelmäßiges Eintreffen des ›Sozialdemokrat‹ Klage führt.

Vahlteich hofft, nächster Tage die Erlaubnis zum Reisen zu erhalten; sein Chemnitzer Prozeß ist das Hindernis. ...

Wie geht denn meine Schrift (›Die Frau und der Sozialismus‹)? Ich bitte, dieselbe regelmäßig zu annoncieren. Mit Ausnahme von ein paar Dutzend ist die Auflage vergriffen. Mache ich eine zweite, muß ich die Schrift in Kapitel einteilen; sie liest sich in der jetzigen Einteilung schlecht.

Nebenanstehendes bitte Vollmar zu behändigen.

Herzliche Grüße.

Dein A. B.«

»Leipzig, den 29. Dezember 1879.

Lieber Motteler!

Ihr seid kaum aus dem Bau, und schon juckt Euch das Fell; habt die Falle ganz vergessen, in der andere hängen bleiben.

Es gehört gar kein Genie dazu, festzustellen, wer die Beträge empfängt, da die Posten zu fünf Sechstel in offener Einzahlung anher kommen.

Eine ›Kriegskasse‹ würde den Kassierer ganz gehörig bloßstellen und den gewünschten und von gewisser Seite längst geplanten und herbeigesehnten Belagerungszustand uns auf den Hals schaffen. Aus demselben Grunde mißbillige ich die Bezeichnung ›offiziell‹ in dem bewußten Blättchen, das mit Nr. 13 versendet wurde und meines Erachtens ganz zwecklos war. Wo ein ›offizielles‹ Blatt ist, ist auch eine ›offizielle‹ Leitung; wenigstens gibt es sehr viele und sehr einflußreiche Leute, die das glauben und die ferner glauben, daß diese in Leipzig sei und daß dieses Nest zerstört werden müsse. Ich weiß wenigstens bestimmt, daß es nicht an gewissen Leuten in Berlin liegt, wenn wir hier noch ungeschoren sitzen. Jeder Erfolg macht das Drängen nach Ausfegung größer; wurde doch heute wieder in der unverschämtesten Weise auf Leipzig als den eigentlichen Herd für die Magdeburger Wahl hingewiesen. Also laßt Dinge sein, die uns bloßstellen und Euch gar nichts nützen.

In Hannover ist vorige Woche Kaufmann wegen verbotener Rückkehr nach Berlin und Vertriebs der ›Freiheit‹ sowie wegen vierzehn anderer durch den Inhalt der ›Freiheit‹ begründeter Vergehen (sechs Majestäts- und mehrere Bismarckbeleidigungen usw.) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Es heißt, daß er unter der Anklage des Hochverrats weiter noch vor das Reichsgericht kommen soll, das künftig alle gegen das Reich gerichteten Hochverrats- und Landesverratsunternehmungen aburteilen soll. In Berlin sind anarchistische Dummejungenstreiche begangen worden; ein Glück, daß der Spuk erst nach der erneuten Erklärung des Belagerungszustandes inszeniert wurde.

Notiz wegen Kaufmann kann veröffentlicht werden.

Dein August Bebel

»Leipzig, den 15. Januar 1880.

Liebster Brandter! Pseudonym für Motteler.

Briefe erhalten. Nachdem Bericht unterm 2. Januar veröffentlicht worden, habe ich keine Reklamation über Verlorenes mehr zu machen.

Hast Du den Brief von Höchberg erhalten, den ich diesem, vor ein paar Tagen geschrieben?

Wiederhole, daß Leipzig 130 braucht, wovon 117 fest sind; wahrscheinlich wird Bedarf größer. Die erste Sendung enthielt nur 97; Fehlendes ist zu ergänzen auf angegebene Höhe.

Adressen von Braunschweig usw. sind gut.

Wenn ich auf die Frühjahrstour gehe, werde ich, wo ich kann, unsere Leute zusammentrommeln und mit ihnen gründlich sprechen. Daß Endres (Augsburg) gestorben ist, wißt Ihr. Er tut mir leid, er war ein braver Junge.

Was meinst Du damit: ›Über die Leipziger Sachen bin ich noch ohne Bescheid?‹ Bezüglich der Schriften haben wir seinerzeit Uhle geschrieben, alles, was uns gehört von der Volksbuchhandlung, herüberzunehmen und uns Mitteilung zu machen, an die Volksbuchhandlung aber nur gegen bar zu verkaufen, da diese respektive die ›Tagwacht‹ uns erheblich schuldet. Da Ihr mit der Volksbuchhandlung infolge des Druckes in Abrechnung steht, so kann also aller Schriftenbezug ihrerseits davon abgeschrieben werden.

In Berlin ist, was von Nummer 8 abging, abgefaßt worden, und zwar weil Grg. Grunzig. D. H. so geschickt war, sämtliche Adressaten bis Nummer 12 und 13 in seinem Notizbuch aufzuführen, wodurch die Polizei leichtes Spiel hatte. Daß Verrat im Spiele war, beweist, daß er auf dem Kontor abgefaßt wurde und daß die Polizei direkt auf das Spind losging, worin er die Sachen aufbewahrte. Es ist wahrscheinlich, daß sie dort noch manches andere fand. Die Untersuchung ist bis jetzt streng geheim geführt und weiß niemand, wie die Dinge stehen.

Haussuchungen mit ähnlich genauer Kenntnis der Lokalität sind mehrfach vorgekommen. Ihr könnt Euch denken, daß infolgedessen großes Mißtrauen herrscht und man nicht eher etwas riskieren will, bis man glaubt, der Sache sicher zu sein.

In bezug auf den Rechenschaftsbericht haben die Berliner den Beschluß gefaßt, ihn nicht zu verbreiten, weil er nicht scharf genug sei, also ein Mißtrauensvotum in aller Form. Wir haben den Leutchen gehörig den Kopf gewaschen; ich nehme an, daß da andere Einflüsse im Spiele sind.

Da Walther (Pseudonym für Vollmar) auch auf den Bericht in seinem Brief kam, in dem ich einige zu scharfe Stellen gestrichen, so will ich noch hier bemerken, daß er erstens darin doch wohl irrt und Hsls. Hasenclevers. D. H. Hand mit der meinen verwechselte; zweitens das mit unserer Namensunterschrift versehene Schriftstück so gehalten sein mußte, daß wir keinen Prozeß bekommen.

Wenn Süddeutschland wie bisher im Schuß bleibt, brauchen wir vorläufig Hamburg nicht. Bis jetzt ist alles gut gegangen, wenigstens bis Nummer 1; Nummer 2 ist noch nicht da. Es empfiehlt sich, bei Aufforderungen zum Abonnement durch Sendung von Probeblättern stets ein Zettelchen beizulegen mit der Anweisung, Geld in Briefmarken oder Papier beizulegen und den Brief rekommandiert nach dort zu senden. Die Leute wissen nicht, wie sie schicken sollen, da Postanweisung, weil auf internationalem Formular und in ›Franken‹ auszuweisen, Schwierigkeiten macht, zweitens der Name genannt werden muß. Die Leute an uns zu weisen, ist bedenklich; erstens gibt es der Arbeit so schon genug, zweitens gehen die Leute dann gleich merkwürdig ungeschickt vor, so daß wir nur unserer bis jetzt noch nicht korrumpierten Postanstalt hier die Vermeidung von Fatalitäten zu verdanken haben.

Schickt Ihr künftig Briefe, rekommandiert oder als Geldbriefe, so ist kein Bedenken, diese direkt zu schicken, meinetwegen an meine Frau.

Eine Umarbeitung ›Unsere Ziele‹ möchte ich nicht vornehmen; dann müßte dies von Grund aus geschehen, und das macht eine Menge Arbeit. Druckt sie, wie sie ist, aber zehntausend? Wohin wollt Ihr damit?

Jetzt haben wir auch in Berlin eine Neuwahl zum Reichstag, da kann die Probe auf das Sozialistengesetz gemacht werden.

Im siebzehnten Wahlkreis werden wir neben Penzig einen Konservativen zum Gegenkandidaten haben.

Herzliche Grüße von Deinem

August Bebel

»Leipzig, den 15. Januar 1880.

Lieber Freund (Vollmar)!

Ich werde die Punkte Ihrer Briefe einzeln vornehmen.

Zunächst die mir sehr unangenehm gewordene Mitteilung, daß ich Malon seinen Artikel nicht liefern kann und auch keinen Termin festzusetzen imstande bin. Meine Arbeitskraft wird täglich mehr und mehr mit allen möglichen Dingen in Anspruch genommen, so daß mir jede Arbeit, zu der ich die Gedanken zusammennehmen muß, fast unmöglich wird. Von acht bis zwölf vormittags Geschäft, bis ein Uhr oder halb zwei Uhr Vorstandssitzung in der Genossenschaft, von zwei bis sieben Uhr wieder Geschäft. Benutzte ich nicht einen guten Teil der Geschäftszeit zu den Parteiarbeiten, würde ich sie in den Abenden allein unmöglich bewältigen können. Und ginge es noch glatt, dann möchte das alles sein, aber es gibt der Sorgen und Unannehmlichkeiten aller Art eine schwere Menge, so daß ich mich nicht wundern werde, wenn es mir eines Tages geht wie dem armen Geib.

Und nun zu dem übrigen.

Ihre Antwort an Engels ist gut, ich werde sie, nachdem ich sie Liebknecht mitgeteilt, an Engels senden, der bös schimpfen wird. Schadet nichts, ich habe seine Nörgelei auch satt und habe ihm das auch geschrieben.

Um dann noch einmal, und damit hoffentlich zum letztenmal auf die Bemerkungen wie ›offiziell‹ usw. zu kommen, wir halten diese Äußerungen, einerlei, von wem sie kommen, für bedenklich. Wie wenig Sie selbst ihre unbequeme Verbreitung verhindern können, haben Sie an dem von mir angezogenen Fall gesehen. Und wie wenig Sie sich auf unsere Leute verlassen können, haben Sie an dem Grunzigschen Fall gesehen. Mit der Leugnung ist's aber absolut nicht getan. Erstens glaubt man einer solchen Leugnung nicht, zweitens ist's nicht angenehm, leugnen zu müssen, drittens haben, falls es wegen einer Sache zum Prozeß kommt, unsere Richter einen so großen Spielraum subjektiven Ermessens, daß der ›Beweis‹ im streng juristischen Sinne gar nicht notwendig ist.

Nun haben Sie in dem Zirkular zum Mostschen Schandbrief wieder von der ›Parteileitung‹ gesprochen. Wenn Ihr erstes Zirkular zusammen mit dem jetzigen in unrechte Hände kommt, möchte ich wissen, was da noch zu leugnen ist. Auf jeden Fall fällt ein gut Teil eines solchen Eklats auf Sie, und ich meine, das kann Ihnen nicht angenehm sein.

Euch dort geht's genau wie vielen unserer Parteigenossen, sie leben noch so mitten in dem alten Zustand der Dinge, daß sie noch im alten Jargon reden. Das läßt sich aber mit Leichtigkeit vermeiden, und das muß geschehen.

Ich hätte gewünscht, daß Sie sich in der Hauptsache auf die Wiedergabe des Mostschen Schandbriefes beschränkt hätten, und zwar schon deshalb, weil, so viel ich weiß, in Deutschland und wohl kaum auch im Ausland kein Mensch lebt, der glaubt, der ›Sozialdemokrat‹ sei ein Unternehmen Höchbergs. Unser Bericht, ich meine dem der Abgeordneten und die nachfolgenden, für ihre Mitarbeiterschaft verräterisch genug zeugenden Artikel hätten diesen Glauben, wenn er überhaupt vorhanden war, längst zerstreut, und das ist wohl sehr gründlich geschehen.

Ich glaube, Sie sind zu nervös und lassen sich zu leicht in Aufregung bringen.

Höchberg ist um deswillen, wie er mir schreibt, von dem Zirkular nicht angenehm berührt, weil sein Name genannt wird. Er hat natürlich alle Ursache, sich möglichst im Hintergrund zu halten.

Daß Sie den Mostschen Schandbrief aufgegabelt, ist sehr gut, wir wollen ihn aber vorläufig nicht weiterverbreiten, und zwar Höchbergs wegen. Gelegentlich soll er Hans gehörig unter die Nase gerieben werden. Ihre Auseinandersetzungen, wie es gekommen ist, daß die Nummer 1 so losgeschlagen, erkennen wir als vollkommen richtig an. Beiläufig bemerkt habe ich mit Liebknecht, der fortdauernd in Dresden ist und nur Sonntags respektive Sonnabends nach hier kommt, noch nicht gesprochen, und Fritzsche ist zu dick und phlegmatisch, um sich sehen zu lassen. Ich spreche hier von Hscr. und V., Hasenclever und Vahlteich. D. H. denen ich den Brief vorlas. Ich weiß auch zu gut, wie leicht man über den Strang hauen kann, und ich für meine Person habe den faux pas in Rücksicht auf seine Wirkung in der gegnerischen Presse nicht allzusehr bedauert. Die Befürchtung richtete sich nach ganz anderer Seite, wie ich schon geschrieben; an den Hauptschaden, die Aufnahme in den offiziellen Kreisen der Schweiz, hatte ich erst gedacht, als mein Brief schon fort war.

Diese ist es denn auch, die uns die Taktik vorschreibt, und in Rücksicht hierauf müssen wir das Blatt halten.

Wir werden uns bemühen, diese Gesichtspunkte überall zur Geltung zu bringen, wo wir Gelegenheit haben, und Sie wollen in dem gleichen Sinne brieflich schreiben, wenn dies nötig wird.

Mit Berlin läßt sich wahrscheinlich nicht eher etwas machen, als bis wir hinkommen. Die Überwachung geht ins Großartige und Massenhafte, Haussuchungen bei jedem, von dem man nur entfernt annimmt, daß er etwas mit einem verbotenen Blatt oder mit Leuten, die solche lieben, zu tun hat.

Ihr August Bebel

Zu diesen Briefen sei erläuternd bemerkt: das »Blättchen« war ein Rundschreiben, das Vollmar verfaßt hatte. Vollmar hatte unter dem Pseudonym Walther eine sogenannte Auswärtige Verkehrsstelle in Zürich errichtet, die unabhängig von uns die Verbindung mit den im Ausland vorhandenen Vereinen pflegen sollte. Dagegen hatten wir nichts einzuwenden. Es kamen aber öfter in den Erlassen der Auswärtigen Verkehrsstelle Ausdrücke und Redewendungen vor, die geeignet waren, uns im Inland zu kompromittieren, falls ein solcher Erlaß in unrechte Hände kam. Diese Gefahr bestand aber, da überall in den größeren Vereinen im Ausland – Brüssel, London, Paris, Genf usw. – auch deutsche Polizeispitzel tätig waren. Merkwürdigerweise kam man aber in Berlin jahrelang nicht dahinter, wer eigentlich Walther war, dafür sprach die Art der öfteren Anführung des Namens Walther durch Herrn v. Puttkammer im Reichstag.

In der Berliner Leitung wechselten die Personen infolge von Verfolgungen und Prozessen sehr häufig. Mehrmals saßen auch notorische Polizeiagenten darin, die dann an Radikalismus sich nicht genug tun konnten und Konflikte mit uns hervorzurufen suchten.

Der hier erwähnte Mostsche Schandbrief richtete sich gegen Höchberg, dem Most eigentlich für früher geleistete Hilfe zu Dank verpflichtet war. Most schämte sich nicht, den Mann, mit dem er früher freundschaftlich verkehrt hatte und dem er nicht vorwerfen konnte, seine Ansichten gewechselt zu haben, in ehrenrühriger Weise anzugreifen und zu denunzieren, als stehe er hinter dem »Sozialdemokrat«. Darauf gab Höchberg in Nummer 11 des »Sozialdemokrat« eine Erklärung dahin ab: Er besitze keinen nennenswerten Einfluß in der Partei, auch habe er weder den »Sozialdemokrat« gegründet noch sei dieser sein Organ. Auch habe er sich weder mit der Partei noch mit dem »Sozialdemokrat« stets im Einverständnis befunden, er müsse deshalb jede Solidarität mit dem Blatte ablehnen. Diese Erklärung wirkte auch beruhigend auf Marx und Engels, die jetzt erkannten, daß sie die Stellung Höchbergs doch falsch eingeschätzt hatten.

Für Höchberg hatte die Mostsche Denunziation die Wirkung, daß es ihm so ging wie mir, als er bald darauf eine Reise nach Deutschland unternahm. Er wurde beständig polizeilich verfolgt. Er kampierte damals auch eine Nacht bei mir auf dem Sofa. Ein Polizeiposten stand als Wache bis spät in der Nacht vor der Haustür, aber am nächsten Morgen war Höchberg so früh aufgestanden, daß der Vogel ausgeflogen war, als der Polizeiposten wieder vor dem Hause erschien. Der Polizist machte ein recht verdutztes Gesicht, als er mich von der Bahn kommen und alsdann ins Haus gehen sah.

Eine neue Differenz zwischen der Redaktion des »Sozialdemokrat« und uns trat im Februar 1880 ein. Ich hatte die Gepflogenheit, Mitteilungen und Weisungen an die Parteigenossen an der Spitze abdrucken zu lassen, die die Überschrift trugen: »Deutschland, den usw.« In Nummer 9 vom 29. Februar 1880 veröffentlichte die Redaktion einen Aufruf, der ohne unser Wissen erschien, die Gründung einer allgemeinen geheimen Organisation über Deutschland anregte und unterzeichnet war: Deutschland, Ende Februar 1880. Der Aufruf gipfelte in dem Satze: »Über die Organisation zu sprechen, ist hier natürlich nicht der Ort; die Genossen mögen sich nur mit sicheren Adressen ins Einvernehmen setzen, worauf das Weitere folgen wird.«

Das ging wider unsere Absichten. Während der ganzen Dauer des Sozialistengesetzes sahen wir streng darauf, es zu keiner allgemeinen, über ganz Deutschland verbreiteten geheimen Organisation kommen zu lassen. Wir waren überzeugt, daß diese schon nach ganz kurzer Zeit entdeckt werden und dann zu einer allgemeinen Verfolgung schlimmster Art führen müsse. Organisierten sich die Genossen an einem bestimmten Orte, so war im Falle der Entdeckung eine Verfolgung über den Ort hinaus nicht möglich. Vereinigte man sich für einen bestimmten Zweck zu einer Zusammenkunft, so kam nur die Verfolgung wegen einer nicht gesetzlich angemeldeten Versammlung in Frage. Trotzdem war in Polizeikreisen die Meinung verbreitet, daß eine über ganz Deutschland verbreitete geheime Organisation bestehe und ich in erster Linie zu ihrer Leitung gehöre. Daß eine solche allgemeine Verbindung bestehe, wurde in Zeitungsartikeln, die polizeilichen Ursprungs waren, und in gleichgearteten Broschüren behauptet und sogar von Polizeibeamten vor Gericht beschworen. Ich kam im Laufe der Jahre in die Lage, in einer Anzahl von Prozessen in verschiedenen Städten nachweisen zu müssen, daß eine solche Verbindung nicht bestehe, nicht bestehen könne, und es erfolgte regelmäßig die Freisprechung der Angeklagten, soweit die Anklage sich auf die Zugehörigkeit zu einer über ganz Deutschland verbreiteten geheimen Organisation bezog.

Den größten Triumph feierte ich im Jahre 1888, als die Leiter der Berliner Geheimorganisation unter der Anklage standen, einer über Deutschland verbreiteten geheimen Organisation anzugehören. Belastungszeugen waren dreißig höhere und niedere Polizeibeamte, darunter der bei uns berüchtigte Berliner Polizeirat Krüger, das Oberhaupt der politischen Polizei, und – ich. Mein Zeugnis warf das Zeugnis der dreißig Polizeibeamten über den Haufen, der Gerichtshof sprach die Angeklagten wegen Zugehörigkeit zu einer allgemeinen geheimen Verbindung frei, verurteilte sie aber wegen örtlicher geheimer Verbindung.

Den Polizeirat Krüger regte dieses Urteil derart auf, daß er, nach seinem Büro zurückgekehrt, gegen den Gerichtshof tobte, der einem Kerl wie mir mehr glaubte als dreißig königlich preußischen Polizeibeamten.

Woher ich von diesem Tobsuchtsanfall Krügers Kenntnis erhielt? Auf seinem Büro saß ein Beamter, der uns von allen Vorgängen dort unterrichtete.

Später mehr darüber.

Ich brauche nicht zu erwähnen, daß die in Zürich geplante Geheimorganisation von uns im Keime unterdrückt wurde.


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