Rudolf Baumbach
Zlatorog
Rudolf Baumbach

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                  Heut Abend geht es auf der Komna-Alm
Gar lustig zu. Ein Gast ist angekommen,
Ein Gemsenjäger aus dem Thal der Trenta,
Und nicht mit leerer Hand. Der starke Gemsbock
Der dort am Haken hängt, ist seine Beute.
Und in dem russgeschwärzten Kupferkessel,
An dem mit rothen Zungen leckt die Gluth,
Die wohlgenährte, brodelt das Gescheide.
Die braunen Hirten lagern in der Runde
Und lecken lüstern sich die bärt'gen Lippen.

Des Jägers Augen glänzen siegesfreudig,
Denn noch ein ander Wild kam ihm zum Schuss,
Ein Wild, das mit des Fuchses List vereint
Des Wolfes Gier, der wilden Katze Spannkraft,
Auf einem Aste lag's bereit zum Sprung,
Verborgen unter'm Laub, die Lichter aber
Zwei Kohlen gleich verriethen es dem Jäger.
Da flog in's Hirn, just zwischen beide Lichter
Die heisse Kugel des behenden Schützen,
Und todt am Boden lag der wilde Bergluchs.

»Das war ein Meisterschuss, ich muss Euch loben.
»Nur Einen kenn' ich, der's Euch gleich gethan
»Vor dreissig Jahren, und der bin ich selber.
»Jetzt bin ich alt, ein Spott dem flücht'gen Wild.
»Vor meinen Augen äst die scheue Gemse,
»Vor meinen Augen macht der Has sein Männchen,
»Und langsam trottet vor mir her der Fuchs.
»Gefährlich bin ich nur der Drossel und
»Dem fetten Bilch, dem Weidevieh des Teufels.«

Ein alter Graukopf spricht's und schürt das Feuer
Und wirft Wachholderbeeren in den Kessel.
Sonst schafft am Herd die braungezöpfte Špela,
Doch heute sitzt sie müssig auf der Bank
Und lauscht den Reden, die die Männer führen.
Des Kessels waltet heut an ihrer Statt
Der alte Jaka, der die Schafe hütet.
Er hat sich dies als eine Gunst erbeten,
Denn niemand weiss, so glaubt der alte Jaka,
So gut wie er ein Wildbrät herzurichten.
Jetzt fährt er mit der Gabel in den Kessel
Und fischt ein Stück, zerschneidet's mit dem Messer
Und kostet, nickt befriedigt dann und spricht:
»Gesegn' es Gott! Langt zu, es wird euch schmecken.«
Das lassen sich die hungerigen Hirten
Nicht zweimal sagen; jeder nimmt sein Theil
Und schlingt den langentbehrten Leckerbissen.
Der alte Jaka aber geht bei Seite
Und kramt in seiner Truhe; schmunzelnd kehrt er
Zurück an's Feuer, in der Hand den Krug
Gefüllt mit würzigem Wachholdergeist.
Der Alte ist sonst karg mit seinem Labsal,
Allein das Wildbrät hat ihn weich gestimmt,
Drum thut er das, was morgen ihn gereut,
Von Mund zu Munde geht der Krug, und Alle
Beloben das Getränk, noch mehr den Spender.

»Nun höret mich,« beginnt der Alte wieder,
»Nun hört mich, junger Jäger aus der Trenta,
»Was ich Euch rathe. Seht, wir ziehen morgen,
»Ich selber, Špela und noch sieben andre
»Vor Sonnenaufgang in das Thal hinunter,
»Denn, wie Ihr sicher wisst, ist morgen Kirchtag,
»Und Jungfer Špela darf bei'm Tanz nicht fehlen.
»Dann kommt das junge Volk aus allen Dörfern,
»Von allen Weilern, von den fernsten Almen
»Zusammen in dem Hause unsrer Herrin,
»Der reichen Frau Kathrina. Ihr gehört
»Die grosse Herberg' an der Soča-Brücke,
»Viel Ackerland und Kühe mehr als hundert.
»Die hat für morgen Abend uns geladen
»Zu Schmaus und Tanz. Geht mit, es reut Euch nicht.
»Der feiste Gemsbock kommt ihr grad gelegen,
»Und wenn Frau Katra erst den Luchsbalg sieht,
»Den rothen Pelz mit schwarzen Tigerflecken,
»Dann, Jäger, glaubt mir, giebt's ein gutes Schussgeld.
»Kommt mit, Ihr werdet's sicher nicht bereuen.«

Der Jäger nickt und spricht: »Ich geh' mit Euch.
»Die Herberg' kenn' ich wohl am Soča-Ufer
»Und bin vor Jahren oftmals dort gewesen,
»Denn meine Pathin ist die alte Barba,
»Die waltet in dem Haus als Schaffnerin.
»Ich hab' Frau Barba lange nicht gesehen,
»Dieweil ich diente einem Herrn für Sold
»Im Kärnthnerland. Sie ist doch nicht gestorben?«

Der alte Jaka schüttelt mit dem Kopf:
»Der geht es gut, Ihr werdet's morgen sehen
»Mit eignen Augen. Also abgemacht,
»Ihr kommt mit uns.« Und grinsend fährt er fort:
»Es giebt noch andres dort als alte Weiber
»Zu schau'n. Das Sprichwort sagt: ›Um altes Recht,
»Um alte Leute und um altes Geld
»Sollst Du dich allzeit kümmern!‹ Doch ich meine,
»Das junge ist zuweilen auch nicht übel.
»Der Wirthin Kind, die blonde Jerica
»Ist aus dem Kloster wieder heimgekommen
»Und hilft der Mutter bei den Hausgeschäften.
»Die sollt ihr seh'n, das ist ein Kind wie Zucker,
»Und« – fährt er fort bedächtig, denn er sieht,
Wie Špelas schwarze Augen zornig funkeln
Und wie sie presst die nelkenrothen Lippen –
»Und wäre nicht ihr Haar so fahl und flachsen,
»So wär' die schönste unter allen Dirnen
»Frau Katras Kind – so ist sie erst die zweite.«
Der Alte spricht's, sein Auge listig zwinkert
Die braune Špela an, und hocherröthend
Zu Boden senkt den Blick die eitle Dirne.

»Hör' Špela«, hebt der Alte wieder an,
»Es geht dein Mundwerk sonst wie eine Mühle,
»Und heute sitzt du stumm und still am Feuer,
»Lass unsren Gast eins deiner Lieder hören.
»Sing' uns die Märe von der schönen Vida,
»Die über's Meer mit einem Mohren fuhr
»Zu Spaniens Königin. – Die kennst der Lieder
»So viele – von dem Marko Kraljevič,
»Vom Peter Klepec und vom Kralj Matjaš,
»Der fern im Ungerlande schlafend sitzt
»Am Steintisch in der Höhle. – Munter Špela!«

Die schöne Sennrin weigert sich im Anfang
Nach Mädchenart, doch als der fremde Jäger
Sie freundlich bittet, lässt sie sich erweichen.
Sie springt empor und wirft die braunen Zöpfe,
Mit deren Seidenbändern sie gespielt,
Zurück, und von den nelkenrothen Lippen
Erschallt es glockenhell wie Amselsang:

          Schön Anka steht an des Baches Rand,
Jung Janez steigt von der Felsenwand;
Auf seinen Schultern ein Gemsbock ruht, –
Und grüssend schwingt er den grünen Hut,
    Geschmückt mit Alpenrosen.

Schön Anka reicht ihm die Hand und lacht:
Lass schauen, was hast du mir mitgebracht?
Nur Enzianglocken und Ehrenpreis,
Nur Felsennelken und Edelweiss
    Und keine Triglavrose.

Jung Janez schüttelt das Haupt und spricht:
Weh dem, der Triglavrosen bricht!
Aus Zlatorog, des Gemsbocks Schweiss
Erblüht das wunderbare Reis,
    Die rothe Triglavrose.

Der Jäger, der erblickt von fern
Des weissen Bockes Goldgehörn,
Kehrt um, denn nimmer darf er schauen
Das Paradies der weissen Frauen,
    Das Zlatorog behütet.

Und wer den Bock durch einen Schuss
Verletzt, sein Leben lassen muss. –
Schön Anka, du mein Augenlicht,
Verlange alles, eins nur nicht –
    Die rothe Triglavrose.

Schön Anka ihren Mund verzog:
Geh mir mit deinem Zlatorog!
Ein Bursch von echtem Schrot und Korn
Verlacht der weissen Frauen Zorn.
    Geh' bring mir Triglavrosen!

Und bringst du mir die Rosen nicht,
Will ich dich länger kosen nicht.
Gut' Nacht jung Janez, gute Nacht!
Schön Anka springt davon und lacht.
    Der Jäger steigt zur Höhe.

Schön Anka steht an des Baches Rand,
Blickt weinend auf zu der Felsenwand:
Ob heut jung Janez kommen mag?
Es ward schon dreimal Nacht und Tag,
    Seit er zu Berg gefahren.

Schön Anka, verhülle dein Angesicht,
Jung Janez kehrt zum Thale nicht,
Jung Janez liegt an steiler Wand,
Jung Janez hält in der starren Hand
    Die rothe Triglavrose.

Wohl manches Jahr zog über das Land,
Noch steht schön Anka an Baches Rand,
Und wenn ein Jäger vorüber geht,
Dann lächelt sie irr und bittet und fleht:
    Geh, bring' mir Triglavrosen!

                          Die braune Špela hat ihr Lied geendet,
Und lauter Beifall schallt von aller Munde.
Der Trentajäger aber nimmt vom Hut
Die Blumen, die er sich am Morgen pflückte,
Und legt den Strauss der Sennrin in den Schooss.
»Hab' Dank!« so spricht er mit erregter Stimme,
»Hab' Dank für deinen Sang, doch willst du mir
»Noch eine Gunst erweisen, schöne Špela,
»So lass mich hören alles, was du weisst
»Vom Paradies der guten, weissen Frauen,
»Vom Zlatorog und von der Triglavrose.«

Die schöne Špela lächelt hochbeglückt,
Sie steckt den Blumenstrauss in's weisse Brusttuch
Und schickt sich an zu reden, doch da fällt
Der alte Jaka eifrig ihr in's Wort
Und spricht mit wicht'ger Miene: »Niemand weiss
»So gut wie ich vom Zlatorog die Märe,
»Drum lasst sie mich berichten. – Jeder kennt
»Die weissen Frau'n, die guten Rojenice,
»Die in den Bergen wohnen und zuweilen
»Die Schritte lenken nach der Menschen Hütten
»Und Glück und Segen spenden. Selten sieht
»Ein Mensch das Angesicht der weissen Frauen,
»Noch selt'ner aber darf ein Auge schauen
»Den ewig grünen Garten, d'rein sie hausen.
»Ein Gemsenrudel, weiss wie frischer Schnee,
»Geführt von einem Bock mit goldenen Krickeln,
»Dem Zlatorog, behütet das Gelände,
»Und wenn ein Mensch sich naht, dann rollen Steine
»Die Gemsen von der Wand, und Blitze zucken
»Aus ihres Führers Goldgehörn, dass eilig
»Der angstgeschreckte Mann zurück sich wendet.
»Gefeit ist durch der weissen Frauen Zauber
»Der Zlatorog, und wird er angeschossen,
»Erblüht aus seines Schweisses heissen Tropfen
»Das Zauberkraut, die rothe Triglavrose.
»Von diesem Kraute äst der wunde Gemsbock,
»Und augenblicklich ist er heil wie früher.
»Drum wird es einem Waidmann nimmer glücken
»Zu fällen den gefeiten Zlatorog.
»Gelängs ihm aber doch, dann freilich wäre
»Sein Lohn ein grosser, denn die Zauberhöhle
»Im Berge Bogatin erschliesst das gold'ne
»Gehörn des Bockes. Siebenhundert Wagen
»Vermöchten nicht die Schätze fortzubringen,
»Die tief im Bogatin verborgen liegen.
»Das ist die Mär vom Gemsbock Zlatorog
»Und von der wunderkräft'gen Triglavrose.«

Der alte Jaka ist zu End'. Der Jäger
Blickt starren Auges in die Kohlengluth,
Denn, was er hörte, giebt ihm viel zu denken.
Die Sennen aber und die Hüterbuben
Bereden lange noch die gold'nen Schätze,
Die in den Bergen ungehoben ruhen,
Gehütet von verwünschten Fräulein oder
Von grausenhaften, siebenköpf'gen Schlangen.
Vom Škrat auch sprechen sie, dem kleinen Kobold
Im grünen Wämslein mit der rothen Kappe,
Der, wenn er wohl will, Gold in Fülle bringt.
So schwatzen sie und wünschen dies und jenes
Und bauen bunte Schlösser in die Luft.

Der alte Schafhirt Jaka aber schüttelt
Den grauen Kopf, und lächelnd spricht er: »Freunde,
»Bereitet euren Käs und melkt die Kühe
»Und schaut, dass sich die Geisen nicht versteigen.
»Um euch bemüht sich kein verwünschtes Fräulein,
»Um euretwillen rückt kein Schatz nach oben,
»Um euretwillen schleppt sich nicht der Škrat
»Den Buckel krumm mit einer Last von Gold,
»Denn Bauern seid ihr, und der Bauer ist
»Zum Ungemach geboren. Wollt ihr wissen,
»Woher das kommt? Gebt Acht, ich will's euch künden:

»Als unser Herr die Welt erschaffen hatte,
»Und sich von Tag zu Tag die Menschen mehrten,
»Da liess durch einen Engel er verkünden,
»Erbitten möge sich jedweder Mann,
»Was ihm das liebste sei; es soll' ihm werden.
»Der Gospod kam zuerst zum Thron des Herrn
»Und sprach: Mein Gott, verleihe mir auf Erden
»Bequem und gut. Und Gott gewährt' es ihm.
»Jetzt kam der Klausner. Gieb mir, bat auch er,
»Bequem und gut. Du kommst zu spät, sprach Gott,
»Das giebt's nicht mehr, der Gospod hat's genommen.
»Dann, sprach der Klausner seufzend, braucht's Geduld.
»Und Gott entschied: Wohlan sie soll dir werden.
»Zuletzt trat noch der Bauer vor den Herrn,
»Bequem und gut wollt' auch der Bauer haben.
»Das giebt's schon längst nicht mehr, sprach Gott der Herr,
»Der Gospod hat's genommen. Hinter'm Ohr
»Sich kratzt der Bauer. – Nun so braucht's Geduld.
»Auch die, beschied ihn Gott, ist schon vergeben,
»Geduld hat sich der Klausner ausgebeten.
»Da rief der Bauer klagend: Wehe mir!
»Und Gott entschied: Dir werde, was du wünschtest.
»So ist's gekommen und so wird es bleiben.
»Der Gospod hat es stets bequem und gut,
»Der Klausner hat Geduld, der Bauer aber
»Hat Weh und Ungemach sein Leben lang.«

Da lachten Alle herzlich ob des Schwankes,
Und weil das Feuer längst erloschen war,
So suchte jeder wohlgemuth sein Lager.
Von goldnen Schätzen träumten wohl die Männer,
Von weissen Gemsen und der Triglavrose.
Die schöne Špela aber sah im Traum
Nichts anderes als einen jungen Jäger.


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