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Ein Mährchen.
In einem Marktflecken des schönen Schwabenlandes war vor vielen Jahren ein altes Weiblein zu sehen, von dem man nicht wußte, wo es eigentlich zu Hause sei; denn es wohnte nicht unter den Leuten, sondern kam nur, wenn Wochenmarkt gehalten wurde, und kaufte einen Hahn, und trug ihn davon bis zum nächsten Wäldchen, wo es verschwand, ohne eine Spur von sich zurückzulassen. Das Weiblein war eine sonderbare Gestalt, klein, rund und buckelig, mit einem bräunlichen Zigeunergesicht voll Narben und Runzeln, mit kurzen Armen und krummen Füßen; und wenn es so daher wackelte, meinte man jeden Augenblick, es müsse zur Erde niederfallen, um nicht wieder aufstehen zu können. Allein, es fiel nicht; denn eine große, buntfarbige Hahnfeder über seinem grünen Hütlein von Binsenkielen, das es bis tief in die Stirne und fest über die kleinen, schwarzblitzenden Augen gedrückt hatte, schien auf wunderbare Weise die Kraft zu haben, das Gleichgewicht in dem Augenblicke, da die Alte es verloren hatte, wieder herzustellen. Denn stolperte das Weiblein links, so kehrte sich die Feder auf dem Binsenhütlein rechts; und war es schon daran, daß das Weiblein rechts fallen sollte, so war die Feder flugs auf der linken Seite, und drehte sich und bog sich, wie ein lustiger Gaukler auf dem Seile. Und das Weiblein kam nie zum Fallen.
Die Einwohner des Marktfleckens waren an das wöchentliche Erscheinen dieser Alten so sehr gewöhnt, daß man sie ruhig ihres Weges gehen ließ, höchstens, daß ein Bauer durch das Fenster sah, ob das Hahnweib das Binsenhütlein aufhabe, oder einen breiten Deckel von grobem Filz. War das Letztere der Fall, so galt es für eine ausgemachte Sache, daß es den andern Tag regnen werde, und der Bauer unterließ es wohlweislich, seine Wiese oder seinen Garten abzumähen.
Die Kinder aber, wie denn die Kinder leider auf der Gasse oft sehr ungezogen sich betragen – liefen dem alten Weiblein nach, zupften es am schwarzen Rocke, verlachten es, und schrieen:
»Die Hahnenlise,
Von der Waldwiese!
Hi, hi, hi!
Die alte Schachtel, die!
Hat keinen Mann,
Kauft einen Hahn!
Kikrikiki! O, jemini!« –
Meistens ging das Weiblein weiter, ohne sich an das Gespött der Gassenjungen zu kehren. Nur wenn es ihr gar zu bunt wurde, und wenn sich die böse Jugend sogar erfrechte, mit Ruthen und Stöcken von hintenher sie zu beunruhigen, wandte sie sich plötzlich um, und machte ein finster Gesicht, und hob den Zeigefinger drohend in die Höhe, und schalt:
»Sperrt diese Buben
In Narrenstuben
Hinein, hinein!
Dort mögen sie schrei'n:
O Hahnenlise
Von der Waldwiese,
Wir wollen gerne ruhig sein!«
Mancher aus der Schaar der Knaben erschrack bei dieser Drohung, und entfernte sich, von dem finstern Blick der Hahnenlise eingeschüchtert. Die Aergsten aber und Ungezogensten ließen nicht nach, und verfolgten sie vom Marktplatze, wo sie einen Hahn gekauft, an allen Häusern vorbei, über die Wiese bis zum nahen Wäldchen, da sie hinter der ersten und größten Hagebuche verschwand. Einer aber, der Sohn des reichsten Bauern, war auch jetzt noch nicht zufrieden, sondern, nachdem schon alle seine bösen Kameraden sich entfernt hatten, blieb er stehen, und schrie in den Wald hinein:
»Hahnenlise, komm heraus,
Wenn du kannst, aus deinem Haus!
Kaufe mir ab meinen großen Hahn,
Daß ich recht lange schlafen kann!
Hi, hi, hi!
Kikrikiki!«
Und siehe, die Hahnenlise kam heraus, und fragte den frechen Buben, ob es sein Ernst sei. »Ja wohl,« sagte er, »ist es mein Ernst. Ich werde froh sein, wenn ich seiner los bin. Schon in der Frühe, ehe es vom Kirchthurme vier Uhr schlägt, fangt er zu krähen an, und schreit so aus vollem Halse, daß ich erwachen muß, wenn ich das beste Morgenschläflein noch machen möchte. Ich will ihn dir gewiß wohlfeil geben. Ja, du sollst ihn umsonst haben, wenn du mir versprechen kannst, daß ich künftighin nicht eher aufwache, als bis meine Mutter den Dienstboten zum Mittagessen schreit.«
Die Hahnenlise machte ein traurig Gesicht, und fragte noch einmal: »Ist das dein Ernst, du dummer Junge?« – »Muß ich es oft noch sagen, du gescheidte Lise?« spottete der alberne Knabe, und sang und pfiff: »Hi, hi, hi! Kikrikiki!« –
»Topp! Es sei!« rief das Hahnenweib, und streckte ihren Arm, der auf einmal so lang und dünn, wie die längste Feder im Schweife eines Pfauenhahns wurde, dem Bauernknaben entgegen, der darüber auf einmal so erschrack, daß er vor lauter Zittern kaum die Hand zum Einschlagen hinbieten konnte. »Bube! Bube!« setzte die Hahnenlise hinzu, »Du hast einen dummen Streich gemacht, der dich noch reuen wird, und ich wollte, du hättest deinen großen Hahn behalten, oder doch was Besseres in den Tauschhandel gemacht. Allein, was geschehen ist, ist geschehen; die Hahnenlise läßt nicht spaßen mit sich; am allerwenigsten kann sie von Solchen einen Spaß ertragen, die sie auf öffentlicher Strasse verspotten, wie du es schon oft gethan hast. Nun gehe nur heim, und sag' es deinen bösen Schulkameraden: Ich werde noch Manchen so daran kriegen, wie eben dich, sobald sie sich noch einmal unterstehen, ein armes, altes, mißgestaltetes Weib, wie ich bin, auf dem Markte zu verspotten. Nun gehe nur, gehe! Deinen großen Hahn will ich mir schon holen lassen durch einen schlauen Fuchs, der in meinen Diensten steht. Dafür sollst du die schönste Zeit, die goldenen Morgenstunden verschlafen können, bis deine Mutter den Dienstboten zum Mittagessen schreit.«
So sprach die Hahnenlise, und verbarg sich hinter die Hagebuche. Und der Knabe, der nun keuchend und heulend davon lief, mußte es sich gefallen lassen, daß sie ihm mit gellender Stimme noch lange aus dem Baume heraus nachrief: »Schlafhans! Schlafhans!«
Am andern Morgen wollte der Hans gar nicht erwachen. »Was ist das?« sagte seine Mutter, die reiche Bäuerin. »Er wird doch nicht krank im Bette liegen?« – »Laß ihn nur immer schlafen!« entgegnete der reiche Bauer, sein Vater. »Es muß ihm wirklich nicht recht just sein! Hast du gestern Abends nicht bemerkt, wie er zitterte vor Frost; und wie schläfrig und müde er war, daß er nicht einmal mehr essen und trinken wollte? Wahrhaftig, er muß krank sein, sonst wär' er gewiß aufgestanden; denn der große Haushahn läßt ihm um vier Uhr keine Ruhe mehr. Laß ihn nur schlafen, bis seine Kameraden in die Schule gehen. Da bleibt er gewiß nicht zurück; denn er ist ja der beste Schüler, sagt der Schulmeister.«
In dem Augenblicke kam der Knecht des Bauern in die Stube, und jammerte, und rief: »Der große Hahn ist fort aus dem Stalle.« – »Freilich, freilich!« fiel ihm der Nachbar, der beim Fenster hereinguckte, in die Rede. »Habt Ihr den Dieb nicht gesehen? Vor einer Stunde trug ein Fuchs den schönen, großen Hahn im Rachen davon. Ich sah es, und wollte schlauer sein, als er, und lief ihm den Weg ab durch euren Garten, an der offenen Thüre ihm die Beute abzujagen; allein der Dieb war unverschämt genug, gleich vornen durch den Hofraum davonzuschleichen, und es ärgerte mich nicht wenig, daß ich ihm, so fein geprellt, nachschauen mußte. Er soll nur wieder kommen, der Galgenstrick!«
»Wenn's so ist,« sagte der reiche Bauer, »mag es mich nicht mehr wundern, daß der Hans noch schlaft. Der Hahn war ein besserer Wecker, als der an unserer Schwarzwälderuhr. Gehe, Weib, und wecke den faulen Hans.« –
Aber der faule Hans wollte nicht aufstehen. Er warf sich im Bette hin und her, und gähnte und streckte die Arme bis über den Kopf, und konnte nicht aus dem Schlafe kommen, und antwortete endlich der Mutter, die ihn schalt und aus dem Bette zerren wollte, mit der trägen Rede: »Laß mich! Laß mich! Wenn du den Dienstboten zum Mittagessen schreist, komm wieder!«
So ging's alle Tage. Der Hans wollte vor Mittag nie aufstehen. Er versäumte Morgengebet, Kirche und Schule. Wenn der Knecht in das Feld fuhr, frühmorgens, da die Lerchen schon hoch in den Lüften sangen, schnarchte der Hans so fest, daß er gar nicht zu erwecken war; und nicht einmal der Kaffee, sein liebstes Frühstück, das die Bäurin, um ihn aufzumuntern, vor sein Bett brachte, konnte von nun an seine belebende Kraft ausüben.
Was war da zu machen? Der Bauer hatte großen Aerger über seinen Sohn. Die Zeit von Morgens vier Uhr bis sechs Uhr, in der sonst die Pferde und Kühe von dem Hans gefüttert wurden, wenn der Knecht nicht da war, würde er ihm wohl noch zum Schlafen geschenkt haben. Allein, daß der faule Bube sogar Kirche und Schule versäumte, das kränkte den zornigen Vater dermassen, daß er mit Stock und Prügel an das Bett des sauberen Söhnleins kam, und unter derben Flüchen und Schlägen ihn endlich zwang, die Federn zu verlassen, in die Hosen zu fahren, und ohne Frühstück und gute Meinung, wie es doch sonst geschah im christlichen Hause, an die Arbeit zu gehen. Dieß Getöse, womit der Bauer seinen Sohn weckte, wenn Kirchen- und Schulzeit war, glich nicht selten dem Gebelle eines großen Hundes. Die Kinder, die vorüber gingen, standen stille, und horchten und sagten zu einander: »Der Bauer bellt, wie ein Hund – und der faule Hans will's doch nicht hören.« – Der Bauer erhielt darum den Spitznamen: Schulhund. Und der Hans wurde von nun an der Schlafhans genannt, welchen Namen er schon von der Hahnenlise bekommen hatte. Wenn darum ein schläfriges Kind in irgend einem Hause sich befand, so wurde es gewiß munter und wach, wenn Vater oder Mutter drohend fragten: »Soll dich der Schulhund wecken?« – Dieser Spitzname ist jetzt vom Bauern auf's Metall übergegangen. Denn das Glöcklein, das so manchen schläfrigen Hans unter den Schülern und Studenten zur Kirche und Schule läutet, heißt, wie männiglich bekannt ist, der Schulhund. –
Allein der Bauer mochte noch so tapfer bellen – der Hans wurde um kein Haar leichter und munterer. Und ob ihn auch der Vater aus dem Bette herausriß, was half es? Er blieb schläfrig und träge, und es ging ihm so zu sagen nichts aus der Hand. Man sann auf allerlei Mittel, wie der Schlafhans, der doch früher ganz anders war, wieder zu einem muntern, fleißigen und flinken Burschen gemacht werden könne. »Endlich,« rief die Bäuerin, »ich hab' es heraus! Der Hahn, der große Haushahn! Seit der fort ist, hat sich der Bube so verändert! Ein Haushahn muß wieder her, der frühmorgens um vier Uhr kräht, daß es noch der sechste Nachbar hören kann!« Dem Bauern gefiel der Plan, um so mehr, weil er Hoffnung hatte, daß er, wenn der Hahn seine Stelle vertrete, den Spitznamen Schulhund, der ihm schon manchmal durch einen schadenfrohen Mitmenschen zu Ohren gebracht wurde, wieder verlieren werde. Richtig; die Bäuerin kaufte den schönsten Hahn, der auf dem Markte zu finden war. Aber, was half's wieder? Der Hahn krähte nicht. Die Bäuerin kaufte den zweiten, und den dritten – und keiner wollte einen Ton von sich geben. »Ei, ei, wie soll ich das begreifen?« sagte sie zu sich selbst; und in derselben Stunde noch erzählte sie es der Frau Nachbarin. Die Frau Nachbarin aber wußte Bescheid, und entgegnete: »Ihr seid eine so kluge Bäuerin, und wißt nicht, wie das zugeht? So oft ihr auf den Markt geht, ist die Hahnenlise schon vor euch da, und untersucht und greift einen jeden feilen Hahn, und murmelt was zwischen den Zähnen, und rupft einem jeden eine Feder aus, und ein solcher Hahn wird gewiß nicht mehr krähen. Die dicke Rumpelbergerin, die gar so pfiffig sein will – ihr kennt sie doch? Die hat auch erst einen Hahn gekauft, einen schönen Vogel, so drollig, wie ein Papagei. Was hat sie nun? Die Hahnenlise hat's ihm angethan. Ich hab' es gesehen. Nun ist er stumm, wie ein Fisch, und kann keine Henne locken, und keinen Knecht und keinen Buben wecken.«
Da wurde die Bäuerin zornig über die Hahnenlise, die Hexenkünste machte, und über die Nachbarin, die so schadenfroh zu erzählen wußte, und ging in ein weit entlegenes Dorf, einen Hahn zu kaufen, der noch nicht in die Hände der Zauberin von der Waldwiese gekommen sei. Kaum fütterte sie den Hahn drei Tage lang, während welcher Zeit er wirklich als vortrefflicher Krähmeister seine Schuldigkeit gethan, und den Schlafhans Punkt vier Uhr geweckt hatte – da holte der schlaue Fuchs in der vierten Nacht den neuen Schulhund. Jetzt war der Jammer nur noch ärger. Denn der Bauer, dem der Hahnenkauf zu dick in den Beutel griff, trat von freien Stücken in sein altes Amt zurück, und verstand es auch vortrefflich auszuüben, nur mit dem Unterschiede, daß er von nun an meistens das Bellen in Schläge verwandelte.
Aber, ach, an dem Schlafhans half Alles nichts. Wenn er, den Rücken voll Schläge, aus dem Hause ging, um zu rechter Zeit noch in die Kirche zu kommen, so sah man ihn doch nicht in der Kirche; denn es war ihm lieber, draußen auf dem Gottesacker, wo er an einem Grabsteine sich niedersetzte, von den Tönen der Orgel in einen festen Schlaf sich einlullen zu lassen. Und weckte ihn der Meßner oder der Todtengräber mit ein paar derben Backenstreichen, und ermahnte ihn, in die Schule zu gehen, so kam er wohl in die Schule, aber auch nur, um den Kopf zwischen die Arme auf die Bank hinzulegen, und stundenlang zu schlafen, statt zu rechnen, zu lesen oder zu schreiben. Anfangs gebrauchte der Schulmeister Milde und Ernst, gute Worte und derbe Schläge, um den Schlafhans zu bessern. Da er aber sah, daß nichts fruchte, ließ er ihn ungeschoren, und warnte die Andern mit den Worten: »Seht ihr? Wie erbärmlich! Nehmt euch ein Beispiel an dem Schlafhansen!« – So kam es denn, daß der Bauernbube, der sonst der erste und beste Schüler war, nun der letzte und schlechteste unter allen wurde, und das ganze Jahr hindurch in dem Eselsbänklein saß, dessen allerletzten Platz er sich nicht durch Mangel an natürlichen Anlagen, sondern nur allein durch gränzenlose Faulheit angeeignet hatte.
Das Gegentheil von dem Schlafhans aber war das sogenannte fleißige Peterlein, der zehnjährige Sohn einer armen Wittwe, die vor dem Marktflecken draußen eine elende Hütte besaß, und sich und ihr Knäblein spärlich mit der Arbeit ihrer Hände ernährte. Der Peter war gar ein guter Bursche, so still und eingezogen und sittsam. Man sah ihn gewiß nie unter den Buben, die das Hahnweiblein verspotteten; ja, gerade umgekehrt, wenn er zufällig dazwischen kam, so verwies er ihnen ihr unartig Treiben mit ernster Miene, und drohte, wenn sie nicht sogleich nachließen und auseinandergingen, dem Schulmeister es zu sagen, der es dem Pfarrer berichten müsse, auf daß sie eine öffentliche Strafe in der Kirche auszustehen bekämen. Die Hahnenlise sah auf den guten Knaben mit Wohlgefallen, merkte sich seine Züge gar wohl, und gab ihm oft, wenn sie ihm begegnete, eine schöne Blume vom Walde, oder eine Schürze voll Trüffeln, die der kleine Peter in der Stadt verkaufte. Ja, einmal lächelte sie ihn gar freundlich an, und sagte: »Es wird schon eine Zeit kommen, wo ich dir vergelten kann, Junge!«
Die Zeit blieb wahrlich nicht lange aus. Es rückte der Tag der Schulprüfung immer näher und näher. Das fleißige Peterlein lernte d'rauf los, daß seine Mutter oft sagen mußte: »Hör' auf, Peter; du wirft mir noch krank!« – Aber der Peter sagte: »Mütterlein, das thut mir nichts! Und morgen, morgen mußt du mich um vier Uhr wecken. In der Frühe ist Alles so stille; da geht Einem das Lernen recht von Statten. Mütterlein, wecke mich ja nur gewiß! Bis jetzt hab' ich in der Schule den ersten Platz behauptet, weil der Hans des reichen Bauern, der sonst vor mir war, ein fauler Schlafhans geworden ist. Wenn ich aber nun auch faul würde, so müßte ich den ersten Platz verlieren, und mich schämen mein Lebenlang. Nein, nein, der arme Peter wird gewiß nicht faul werden.«
Die Mutter versprach, ihn zu wecken. Allein, weil sie den ganzen Tag hindurch viel zu arbeiten hatte, und sich überaus müde erst spät in der Nacht zu Bette legte, ist sie wohl selbst verschlafen. Und der Knabe erwachte erst um sechs Uhr, von einem Traume geweckt, in dem es ihm vorkam, der reiche Bauer, der große Schulhund, habe ihn, wie den faulen Schlafhans angebellt. Das schmerzte ihn in der Seele, und er fing recht bitterlich zu weinen an, so daß die Mutter, die nun auch erwachte, gar nicht im Stande war, ihn zu trösten. Erst, als sie sagte: »Still, Büblein, still, ich kaufe dir, wenn ich von der reichen Bäuerin meinen Wäscherlohn bekomme, einen schönen großen Haushahn, der dich alle Morgen um vier Uhr wecken soll!« – da hörte das fleißige Peterlein auf zu weinen, und freute sich schon auf den schönen großen Haushahn.
Aber die reiche Bäuerin zahlte der armen Wittwe den Wäscherlohn nicht, wie denn die reichsten Leute oft am allerlangsamsten zahlen – und somit verstrich ein Tag um den andern, und der kleine Peter seufzte und weinte, weil er meinte, er habe noch nicht genug gelernt zur Schulprüfung, die vor der Thüre stand, und die Stunden von vier Uhr morgens bis sechs Uhr wären gerade zum Lernen die besten gewesen.
Endlich am Wochenmarktstage trat das fleißige Peterlein zur Mutter und bat: »Mütterlein, gib mir mein Pathengeschenk, den schönen, blanken Gulden!« »Zu was, mein Söhnlein?« fragte die Mutter. – »Ei,« antwortete der Knabe, »meinst du, zu was anderm wohl, als daß ich mir einen großen, wachbaren Haushahn kaufe? Die reiche Bäuerin hat dich nun lang genug geneckt, und nie gezahlt. Gib mir nur das schöne Guldenstück; ich will auf den Markt gehen und einen Haushahn kaufen, daß ich der Erste werde in der Schulprüfung. Und wenn ich der Erste bin, gibt mir der Pathe wohl einen andern Gulden; das weiß ich gewiß.«
Die Wittwe, gerührt durch den Eifer des Söhnleins, konnte nicht widersprechen, und gab ihm den Gulden. Und das fleißige Peterlein eilte, was er konnte, auf den Markt, damit er nur frühe genug dort sei, ehe die Hahnenlise komme. Denn er hatte ja auch schon gehört, daß die Zauberin, oder Zigeunerin oder Hexe, was sie sein möge, alle Hähne probire, und jedem eine Feder ausrupfe, und ein so gerupfter Hahn nicht mehr krähe sein Leben lang.
Also stand der Peter schon ganz frühe auf dem Marktplatze, und freute sich, daß das Hahnweiblein noch nicht da war. Allein seine Freude verwandelte sich bald in großes Herzeleid, weil kein Hahn auf den Markt gebracht wurde, so lange er wartete. Und wenn er bis auf diese Stunde gewartet hätte, so wäre wohl noch immer kein Hahn zugetragen worden. Denn die Weiber aus allen Gegenden hatten zusammen geschworen, daß sie, so lange die Hahnenlise sich sehen lasse, keinen Hahn mehr zu Markt bringen wollten.
Es war bereits Mittag geworden, und die Leute hatten sich größtentheils schon verlaufen. Nur das fleißige Peterlein saß noch immer auf dem Ecksteine eines Hauses, und wartete und seufzte, während er, um die liebe Zeit nicht zu versäumen, ein Buch vor sich hatte, um einige schöne Sittensprüche auswendig zu lernen.
Nun aber wollte er sich auch davon machen, indem er sich eine Thräne vom Auge wischte, das Zeichen des Schmerzens über sein fruchtloses Harren. Da stand auf einmal die Hahnenlise vor ihm und sagte: »Mußt nicht weinen, fleißiges Peterlein, mußt nicht weinen!«
Der Knabe aber erschrack, und wollte davon eilen; und es kostete das Hahnenweiblein nicht geringe Mühe, ihn durch Schmeicheln zum Stehen zu bringen. Endlich nahm sich der Peter ein Herz, entgegnete ihren Schmeicheleien, und schalt sie: »Du auch schon wieder da, du Hahnenrupferin! Kein Wunder, daß ich keinen Hahn auf dem Markte sah; und ich hätte doch gern einen gekauft, der mich morgens vier Uhr geweckt hätte!«
»Weiß schon! Weiß schon! Büblein! fleißiges Peterlein!« entgegnete die Hahnenlise. »Sollst aber auch einen kriegen, wenn du Vertrauen zu mir hast. Darfst dich nicht fürchten vor mir, du Herzensjunge! Meinst du, ich wisse es nicht, wie munter und fleißig du bist, wenn der Schlafhans des reichen Bauern und noch viele andere Schlafhänse im Marktflecken noch schnarchen und fortschnarchen, bis die liebe Sonne ihnen in's Gesicht scheint? Du warst immer ein braves Büblein, und hast meiner nie gespottet; bist folgsam zu Hause, andächtig in der Kirche und fleißig in der Schule. Hast du schon vergessen, was ich zu dir sagte? »Es wird schon eine Zeit kommen, wo ich dir vergelten kann, Junge!« Die Zeit ist gekommen. Aber fürchte dich nicht. Heute Abends vor Sonnenuntergang wandle hinaus an's Wäldchen zu der großen Hagebuche. Dort sage das Sprüchlein her! Merke wohl!«
»Hahnenlise
Von der Waldwiese!
Höre mich und sage an:
Hast du keinen großen Hahn,
Der allzeit um vier Uhr früh
Dich geweckt und schrie:
Kikrikiki?!« –
Kaum hatte das Hahnenweiblein so gesprochen, war sie auch schon um das Eck des Hauses hinüber und verschwunden. Der Peter wußte nicht, wie ihm geschehen war. Er eilte, was er konnte, nach Hause, und erzählte den ganzen Hergang der stillhorchenden Mutter, und fragte sie, was er zu thun hätte. Die Wittwe bedachte sich ein Weilchen; dann entgegnete sie dem Söhnlein: »Die Hahnenlise hat noch keinem Menschen was zu Leide gethan. Kannst ja hingehen, Peterlein!«
Der Eifer des Knaben und der Zuspruch der Mutter überwand seine Furcht; und ehe die Sonne unterging, stand er vor der Hagebuche, und sagte das Sprüchlein:
»Hahnenlise
Von der Waldwiese!
Höre mich und sage an:
Hast du keinen großen Hahn,
Der allzeit – –
Hier wußte er das Sprüchlein nicht weiter zu sagen; und wie er hin und her sann, es ging nicht. Hinter der Hagebuche guckte manchmal die krumme Hahnfeder von dem Binsenhütchen der Hahnenlise hervor, verschwand aber sogleich wieder. Der Knabe sprang mit einem Sprunge hinter die Hagebuche – allein da war Hahnfeder und Binsenhütchen und Hahnenlise weg. Das verdroß ihn so sehr, daß er weinte, und davon gehen wollte. In dem Augenblicke aber schrie ein Guckguck auf der nächsten Eiche – der Knabe zählte eins – zwei – drei – viermal – der Guckguck schwieg, und flog davon.
Richtig! Nun konnte der Peter das ganze Sprüchlein hersagen:
»Hahnenlise
Von der Waldwiese!
Höre mich und sage an:
Hast du keinen großen Hahn,
Der allzeit um vier Uhr früh
Dich geweckt und schrie:
Kikrikiki?!«
Der Knabe hatte das Sprüchlein kaum bis zum Ende hergesagt, da stand auch schon das Hahnweiblein vor ihm, und lächelte ihn gar freundlich an, und sprach: »Guten Abend, fleißiges Peterlein, guten Abend! Es freut mich, daß du das Sprüchlein so schön auswendig gelernt, obwohl dir der Guckguck hat darauf helfen müssen. Wenn du nun einen großen, schönen Haushahn von mir wirst erhalten haben, der dich jeden Morgen um vier Uhr richtig aufweckt, sollst du nichts mehr vergessen, Peterlein! aber, komm mit mir! Ich muß dir doch auch mein Stüblein zeigen!«
Die Hahnenlise ging voran, und der Knabe folgte willig nach, weil es ihm nicht anders vorkam, als ob die Hahnfeder auf dem Binsenhütchen des Weibes ein Zeigefinger geworden sei, der ohne Unterlaß ihm winkte: »Komm nur! Komm nur! Es wird dich nicht reuen, wenn du mitgehst!«
In dem Stamme der Hagebuche war auf einmal eine Oeffnung zu sehen, so groß, daß gerade ein Mensch von mittlerer Größe und Stärke bequem hineingehen konnte. Die Hahnenlise war schon drinnen, und man sah nichts mehr von ihr. Das kam dem Peterlein doch viel zu schauerlich vor, als daß er nicht zaudern sollte. Da war es ihm aber, als hörte er eine leise, lockende Stimme: »Komm, sollst den schönsten, wachbarsten Haushahn haben!« Dieß wirkte; denn er dachte daran, daß der Tag der Schulprüfung vor der Thüre stehe, und er noch Manches lernen müsse. Mit einem Sprung war er innerhalb der Oeffnung – aber, ach, mit einem entsetzlichen Angstschrei unter der Erde auch schon versunken. –
Es schlug viermal der Hammer einer rauchigen, hölzernen Wanduhr auf eine nebenan befestigte Glasglocke, und die Stimme eines Haushahns ließ sich so gewaltig hören, daß der Peter auffuhr aus dem Schlafe, der seit dem Hinabsinken unter die Erde fast einem bewußtlosen Zustande gleich gewesen war. Aber, o Wunder! Das Krähen des Hahns hatte ihn so heiter und frisch gemacht; heiterer und frischer, als er je einmal beim Erwachen ohne Hahngeschrei gewesen zu sein sich erinnern konnte. »Guten Morgen, Peterlein, guten Morgen! Hast gut geschlafen, Junge?« redete das Hahnweiblein, das plötzlich neben dem Bette stand, den Erwachenden an. Und gar seltsam lächelnd fuhr sie fort: »Habe dir ein Pröbchen geben wollen von der Wachbarkeit des Hahns, den ich dir schenken werde, Peterlein! Nicht wahr? der hat eine helle kräftige Stimme! der ist ein verlässiger Wecker, pünktlich morgens vier Uhr, ganz nach deinem Wunsch und Willen, du fleißiges Büblein! Ei, ei! Das wird eine Freude sein, wenn nun bald die Zeit der Schulprüfung herankommt, und der Hahn und das Peterlein ihre Schuldigkeit gethan haben! – Nun aber folge auch fein dem kräftigen Vogelschrei, und stehe auf! Wasche dich, und kleide dich an, und bete dabei ein andächtig Sprüchlein. Dann kannst du dich wohl ein wenig in meiner kleinen Wohnung umsehen, bis ich in der Küche ein gut Stück von einem Haselhuhn, das mir mein schlauer Fuchs heimgebracht, mit Erdbirnen und Trüffeln zusammen brate. Ach, du armes Peterlein, wirst hungrig sein! Hast ja nichts zu essen bekommen seit gestern Mittag, du armes Peterlein!«
Sie streichelte lächelnd in der Freude, daß sie diesem Uebelstand abhelfen könne, die Wangen des staunenden Knaben, und trippelte in die Küche hinaus, einen kräftigen Imbis herzurichten.
Nun sah sich der Peter in der Stube um; unter dem Ofen lag ein schöner, goldgelber Fuchs, dessen Augen voll Schlauheit und scharf, wie zwei Messerspitzen, aus den Augenhöhlen hervorragten. Unter einem Stuhle lag ein Faulthier, das, so lange Peter es auch betrachtete, nicht die geringste Bewegung machte, sondern mit der dümmsten Miene von der Welt den neuen fremden Gast anstarrte. Ueber dem Kopfe des Knaben aber – da ging es freilich lebendiger hin und her; da flatterte und flog es d'runter und d'rüber, als ob alle Vögel aus der Arche Noah's in der kleinen Stube der alten wunderlichen Waldnixe beisammen seien. Es waren aber lauter Hähne, große, schöne Haushähne, welsche Hähne, Pfauenhähne, Haselhähne, Spielhähne, Birkhähne, Repphähne, und wie die Hähne der alten und neuen Welt alle heißen mögen. Der eine schrie: »Kikri!« Der andere: »Kiki!« Der dritte: »Klukluklu!« Der vierte: »Rururu!« Der fünfte: »Tickticktick!« Der sechste: »Tacktacktack!« Der siebente: »Tucktucktuck!« und so fort. Alle aber wurden von dem schönsten und größten Haushahn übertroffen, der majestätisch auf einer Stange zu oberst in der Stube saß, mit seinen Flügeln um sich schlug, den Hals streckte, den Schweif stellte, und so gedehnt, als es nur sein kann, und mit einer Kraft, die Einem das Gehör hätte rauben können, aus weitgeöffneter Kehle schrie: »Kikrikiki!« –
Recht sehnsüchtig sah das fleißige Peterlein zu dem Haushahn hinauf, und dachte sich: »Der sollte mein sein!« Da trat das Hahnweiblein herein, und lächelte den Knaben an, weil sie wohl wußte, was er dachte, und stellte den Braten auf den kleinen Tisch, mit der Ermahnung: »Nun laß dir's nur schmecken, Peterlein!« »Und,« setzte sie hinzu, »während du deinen Hunger stillen magst, will ich dir meine Jugendgeschichte erzählen, die dir als warnendes Exempel dienen soll, wie weit man es mit der Faulheit bringt. Es wird dir diese Erzählung von großem Nutzen sein, wenn du sie die ganze Zeit deines Lebens hindurch beachten willst. Hier steht auch ein Krüglein mit süßem Birkensaft! Trinke, Söhnlein, trinke fein! Du sollst auch nicht Durst leiden in der Stube der alten Hahnenlise, bei der du einen großen Batzen giltst, du herziges Söhnlein!«
Der Knabe, der hungrig und durstig war, ließ es sich nicht zweimal sagen. Er griff wacker zu, während das Hahnweiblein erzählte: »Ich war einmal so ein schmuckes Mägdlein, als du ein schmucker Junge bist. Allein, was hilft das, wenn man sich nicht von Jugend an alle Mühe gibt, zu einem schmucken Körper einen allzeit fertigen, munteren und aufgeweckten Geist zu kriegen? Meine Eltern waren die reichsten Leute in der ganzen Gegend. Das wußte ich schon als Kind, und wollte darum nichts lernen. Ich aß und trank und schlief – das war meine ganze Beschäftigung. Denn, dachte ich, warum soll ich mich plagen? Ich bin ja das einzige Töchterlein, und werde einmal reich genug sein, um mir Leute zu halten, die für mich arbeiten. Ich versäumte Kirche und Schule und Hauswesen durch einen Schlaf, der täglich so lange dauerte, bis man Mittag läutete. Und nach dem Mittagessen streckte ich die faulen Glieder, und gähnte und legte mich in's kühle Gras im Garten hinter dem Hause, oder wenn ich mir gerade was rechts Gutes anthun wollte, ging ich wohl auch hieher, und legte mich unter den Schatten der Hagebuche, und ließ mich von den Grasmücken und Nachtigallen in Schlummer singen. So kam der Abend, der mich wieder zum Essen heimrief, und nach dem Essen erst zum tüchtigen, festen Schlafe in das Flaumbett, das mir das Liebste von der Welt war.«
»Mein Vater ärgerte sich darüber zu Tode, weil meine Mutter aus falscher Liebe zu mir, die er oft verfluchte, diesen meinen faulen Lebenswandel nach Kräften unterstützte. Nach dem Tode des Vaters aber sah sie ihren und meinen Fehler endlich ein – und wollte mich nun zum Lernen und Arbeiten anhalten. Allein die Wurzel der Trägheit war so tief in mich eingedrungen, daß sie nicht mehr ausgerissen werden konnte. »Steh' auf, faule Lise, steh' auf!« rief die Mutter jeden Morgen wohl zwanzigmal. Aber die faule Lise drehte sich im Bette um, und murrte, und verschlief Kirche, Schule und Hauswesen. Und wenn ich endlich einmal in die Schule kam, so war ich so faul und dumm, daß mich der alte Schulmeister in einer Stunde dreihundert und fünf und sechzigmal zum Guckguck wünschte. Und sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, wie du im Verlauf der Erzählung erfahren wirst.« –
»Auf dem Sterbebette hatte mein Vater meiner Mutter ein Kästchen gegeben, mit den Worten: Da hast du ein Vermächtniß für die faule Lise. Wenn ich gestorben bin, so stelle das Kästchen unter ihr Bett; und wenn dessen Inhalt sie nicht munter macht, so ist sie für immerhin verloren. Hab' aber ja Acht, daß diesem Vermächtniß nichts Böses begegne; denn es hängt mit deinem eigenen Leben zusammen.«
»Die Mutter stellte das Kästchen unter mein Bett – und morgens früh um vier Uhr weckte mich auf einmal das Geschrei: »Kikrikiki!« Der Vater hatte einen großen Haushahn als Wecker für mich bestellt, der mir vom ersten Augenblicke an nicht nur durch sein wildes Krähen, sondern noch mehr durch das Gebot der Mutter, daß ich ihn täglich fleißig füttern müsse, in die Seele tief hinein verhaßt war. Ich sann sogleich auf ein Mittel, des lästigen Weckers los zu werden; und endlich fiel mir ein, es sei das Beste, ein tödtend Gift unter sein Futter zu streuen. Der Hahn krähte nun nimmermehr, und wurde traurig und krank; aber auch die Mutter wurde krank und verzehrte am ganzen Leibe, und starb vor Gram und Herzeleid in derselben Stunde, da der Hahn im Kästchen sein Leben endete.«
»Ich war durch meine Faulheit an Seele und Leib schon so stumpf geworden, daß mich auch der Tod der Mutter nicht mehr erwecken konnte. Ja, ich hatte fast eine heimliche Freude, weil ich mich nun allein wußte mit einem großen Reichthum, den ich ganz auf ein müßiges, träges und nach meiner Weise bequemes Leben verwenden wollte. – Nun war ich vor Allem darauf bedacht, an dem alten Schulmeister, der mir wegen dem Vermächtniß meines Vaters den Spottnamen »Hahnenlise« aufgebracht hatte, mich recht tapfer zu rächen. Ich ging noch einmal in die Kirche und in die Schule, nur allein, um dem Griesgram, wie ich ihn nannte, sagen zu können: »Herr Schulmeister, heute bin ich das letzte Mal da gewesen!« Der alte Mann aber war recht ärgerlich über meine Worte; er weinte fast vor Unmuth, und ballte die Faust gegen mich, und rief mir nach: So wünsch' ich dich, faule, nichtswürdige Hahnenlise, von ganzem Herzen das letzte Mal zum Guckguck!«
»Ich aber lachte so eifrig und unverschämt, als es meine Faulheit nur immer zuließ, und wankte über die Wiese, und kauerte mich unter die Hagebuche am Wäldchen, um von den Grasmücken und Nachtigallen in Schlummer gelullt zu werden. Doch, da war keine Nachtigall, keine Grasmücke mehr; sondern auf der nächsten Eiche saß ein Guckguck, der in Einem fort schrie: Guckguck! Guckguck!« –
»Jetzt fiel mir der Schulmeister Griesgram ein; und es befiel mich eine so entsetzliche Angst, daß ich augenblicklich in einen festen Schlaf oder in den Tod verfiel, was ich bis auf diese Stunde noch nicht recht sagen kann. Mir schwindelte vor den Sinnen und ich hatte allerlei Bilder zu gucken, in denen ich nun stets die abscheulichste Hauptfigur bin. Das Allerfürchterlichste war für mich, daß ich in früherer Zeit Tag und Nacht in dem Faulthiere stecken mußte, das du dort unter dem Stuhle ohne alle Regung liegen siehst. Denn obgleich ich als Mensch manche elende Eigenschaft von diesem Thiere an mir trug, so hatte ich doch vor dem Thiere selbst einen grenzenlosen Abscheu; und es gab für mich keine größere Strafe, als daß ich seine Gestalt annehmen mußte. Ich weinte Tag und Nacht, was ich früher in meiner Faulheit nicht einmal gethan habe; und dabei machte ich den festesten Vorsatz, gewiß fleißig und unverdrossen mein täglich Geschäft verrichten zu wollen, wenn ich nur kein Faulthier mehr sein dürfte. Ich verfluchte die goldenen Schätze, die neben mir aufgehäuft lagen, und deren Besitz meine Trägheit nur befördert, statt vermindert hatte.«
»Mein fester Vorsatz, mein Seufzen und Sehnen nach einem erträglichen Zustande verhalfen mir endlich zu der Lebensweise, in der ich mich jetzt befinde. In einem Traume nämlich erschien mir der Geist meiner verstorbenen Mutter, der mir zuerst wohlverdiente Vorwürfe machte, dann aber in folgender erquicklicher Weise sich hören ließ: »Der Zwang, durch den du bisher täglich im Faulthiere stecken mußtest, soll von dem Augenblicke an aufgehoben sein; doch wird die Gestalt des Faulthieres, die dich fortan an deine Trägheit erinnern soll, immerhin unter deinem Stuhle verweilen. Weil du aber das Vermächtniß deines Vaters, den großen Haushahn, der dich zur Munterkeit wecken sollte, vorsätzlicher Weise aus der Welt geschafft, was die Ursache meines Kummers, folglich auch meines Todes war, – so mußt du von nun an täglich den Wochenmarkt des nächsten Ortes, wo Menschen wohnen, besuchen, und mit deinem Reichthume alle Hähne aufkaufen, bis endlich ein fleißiges Kind zu Markte kommt, um sich einen Haushahn auszusuchen, der es früh morgens durch lautes Krähen zum Lernen und Arbeiten aufwecke. Hast du ein solches aufgefunden, dann erst wirst du von diesem elenden Zustande erlöst werden, um dich mit mir in einem glücklicheren Lande vereinigen zu können.« – So sprach der Geist meiner Mutter, sah mich wehmüthig an, und verschwand. Morgens darauf aber eilte ich, was ich konnte, auf den Markt; denn ich meinte, ein so eifriges Kind müßte sich bald sehen lassen. Allein ich habe mich jämmerlich getäuscht; denn es müssen jetzt wohl schon hundert Jahre vorüber sein, daß ich den Wochenmarkt besuche; das kannst du mir an den großen Runzeln meines Gesichtes und an meinen tief liegenden Augen absehen. Ich war nicht wenig darüber erbittert, meinen Gang nach dem Markte immer und immer umsonst thun zu müssen. Und aus Aerger und Verdruß, weil ich nie ein so eifriges Kind aufspüren konnte, kaufte ich seit der Zeit alle Hähne zusammen, oder ich riß ihnen eine Feder unter dem rechten Flügel aus, worauf sie das Krähen verlernten.«
»Mein Kummer und Jammer wirkte nun allmählig auf meine Körperskräfte, die durch das hohe Alter ohnehin sehr erschöpft sind, so nachtheilig, daß ich wohl einsah, ich werde den Gang nach dem Markte bald nicht mehr unternehmen und folglich nie den glücklichen Augenblick meiner Erlösung erscheinen sehen können. Aber eine große Hahnfeder, die ich zufällig auf mein Hütlein steckte, hat mir aus der Verlegenheit geholfen. Sie hat eine Kraft, wie ein Wünschelrüthlein. Setz' ich das Hütlein auf den Kopf, so wackle ich munter nach dem Wochenmarkte – und habe nun endlich das Glück gehabt, in deiner Person, du fleißiges Peterlein, meinen Retter zu finden. Damit du aber meine Dankbarkeit erkennen mögest, schenk' ich dir den großen, schönen Haushahn, der dir, wie ich wohl bemerkt habe, so gar gefällt, und so über alle Massen laut Kikrikiki schreit. Geh' nun, lieb' Peterlein, und nimm den Vogel, und laß dich nur wecken von ihm in der goldenen Morgenstunde. Dann wenn du fleißig gelernt hast, wirst du dich in der Schulprüfung, die dir bevorsteht, vortrefflich auszeichnen; wirst auch, ausgerüstet mit Fleiß, Eifer und Kenntnissen, noch manche andere Prüfung in der Welt tapfer bestehen, glücklich sein, Andere glücklich machen, und von allen bessern Menschen geachtet werden.«
So sprach die Hahnenlise, streichelte die Wangen des fleißigen Peterleins, der vor Staunen und Verwunderung Essen und Trinken vergessen hatte, lockte den großen, schönen Haushahn von der Stange herunter, und gab ihn dem Büblein unter den Arm, mit den Worten: »Da nimm, und füttere ihn doch fleißig, damit er ja recht wachbar sein möge! Kikrikiki!« –
Der Peter besann sich nicht lange, nahm voll Freude den Hahn, und versuchte sogleich, ob er antworten könne, und schrie: »Kikrikiki!«
Der Hahn aber krähete aus vollem Halse, lauter, als Hahnenlise und Peter zusammen es konnten: Kikrikiki! Und der Peter mußte hellauf lachen vor herzlichem Vergnügen. Er wollte für den Hahn das Pathengeschenk in der Tasche bezahlen. Allein die Lise schüttelte den Kopf und sagte: »Warum nicht gar? Bin ich ja doch deine Schuldnerin, weil du mich aus diesem Elende endlich erlöset hast. Ich will aber auch meine Schuld redlich abtragen, Peterlein! Höre nur, und merke wohl! Von nun an wirst du mich selbst nicht mehr sehen; denn ich werde nun in das Land kommen, wo der Geist meiner Mutter ist. Mein Binsenhütlein mit der Hahnfeder aber bleibt unter der Hagebuche verborgen. Die Hahnfeder ist für den, der Lesen, Schreiben und dergleichen Dinge gut gelernt hat, überdieß, daß sie Einem auf die Beine hilft, noch von anderm ersprießlichen Nutzen. Ich habe nie was gelernt; für mich also ging der bessere Theil ihrer Zauberkraft verloren. Dir aber, fleißiges Peterlein, wird sie dereinst großen Vortheil gewähren. Und wenn du einmal im Sinne hast, dir mit der Feder etwas verdienen zu wollen, darfst du nur unter die Hagebuche kommen. Der Guckguck, der dir erst zum ganzen Sprüchlein, mit dem du mich gerufen, verholfen hat, wird dir gewiß auch den Ort, wo ich die Feder verborgen habe, entdecken. Denn seitdem der alte Schulmeister gestorben ist, ist der Guckguck gar ein wackerer Vogel geworden, der mit seinem Rufen viel Glück verkündet. Man sagt, der brave Mann habe über mein plötzliches Verschwinden, da er mich das Letztemal zum Guckguck gewünscht, sich so entsetzt, daß er den Adler, den König der Vögel, unterthänigst gebeten habe, den Guckguck von nun an zu einem Glücksvogel zu machen, was auch geschehen ist. – Also! Gehab dich wohl, fleißiges Peterlein! Vergiß nicht, was ich dir sagte! Sei aber auch immerhin fleißig, und bestrebe dich vor Allem, die Feder gut anzuwenden.« –
Kaum hatte die Alte so gesprochen, da wurde die Stube mit einem purpurrothen Dunst angefüllt. Und unter dem Geschrei der verschiedenen Hähne: »Kikrikiki! Klukluklu! Rururu! Tickticktick! Tacktacktack! Tucktucktuck!« wobei unserm Peterlein Hören und Sehen verging, waren Stube und Hahnenlise, Fuchs und Faulthier und Hähne verschwunden. Und das fleißige Peterlein erwachte morgens vier Uhr in dem Kämmerlein seiner Mutter, aufgeweckt durch den willkommenen Ruf: »Kikrikiki!« –
Er rieb sich lange die Augen, schlug sich vor die Stirne, rüttelte die Ohren, und wußte nicht, wie ihm geschehen war. Weil er aber die Mutter so sorglos neben sich schlummern sah, und daraus schließen konnte, daß sie keine Angst um ihn gehabt; ja da sie, kurz nach ihrem Erwachen, ihm erzählte, daß gestern Abends das Hahnweiblein ihn auf ihren Armen fest schlafend dahergebracht habe sammt einem großen Haushahn, dem Büblein zum Geschenke – da war der Peter mäuschenstille, machte sich weiters nichts daraus, und dachte bei sich: »Sei dem, wie ihm wolle! Ich bin zufrieden, weil ich einen pünktlichen Wecker habe!«
Der Haushahn that seine Schuldigkeit – und das fleißige Peterlein auch. Und da die Schulprüfung vorüber war, hieß es in der ganzen Gegend: »Der arme Peter ist der Erste geworden.« – Der reiche Bauer aber prügelte seinen Sohn, den dummen Schlafhans, nicht wenig, weil er das ganze Jahr hindurch das Eselsbänklein hatte hüten müssen. Da schrie der Schlafhans, der einen Groll auf den fleißigen Peter hatte: »Laßt mich nur! Was kann ich denn dafür! Der Nachbar hat gelogen, da er sagte, der Fuchs habe meinen Hahn geholt! Der Peter ist der Fuchs! Er hat mir meinen Hahn gestohlen! Ich habe gestern meinen großen Hahn krähen gehört in seiner Stube! O, ich kenne die Stimme meines großen Hahns! Hätt' ich meinen großen Hahn gehabt, dann wär' ich der Erste geworden! Meinen großen Hahn will ich – und der Peter ist ein Spitzbube!« –
Endlich ließ der Bauer nach, seinen Sohn zu prügeln und sagte: »Haushahn hin, Haushahn her! Hat man dir nicht Hähne genug gekauft? Hab' ich nicht selbst viel Dutzendmal den wachbarsten Hahn vorgestellt, wenn ich morgens vier Uhr mit der Peitsche vor deinem Bette stand? Du bist doch der alte, faule Schlafhans geblieben. Und nun willst du noch den armen, fleißigen Peter in ein schlecht Gerede bringen? Wohlan, so komm mit mir in die Hütte der Wittwe! Wir wollen nachsehen! Findet sich aber dein Haushahn nicht vor, und bist du ein Lügner, wie du ein Faullenzer bist – dann hoffe keine Gnade mehr. Ich will dich einsperren bei Wasser und Brod; und der arme, fleißige Peter soll deine Stelle einnehmen in dem Hause des reichen Bauern.«
Der zürnende Vater ging mit dem faulen Hans nach der Wohnung der Wittwe, und fand zu seinem nicht geringen Staunen die Aussage des Sohnes bestätigt. Denn beim Eintritte in die Stube grüßte ihn der schöne Haushahn, den er augenblicklich als den ehemaligen Wecker seines Sohnes erkannte, mit einem kräftigen: Kikrikiki! Der Bauer runzelte die Stirne und machte ein finster Gesicht, während der Schlafhans, ein grober derber Bursche, das schwächliche und ängstliche Peterlein beim Halse packte und schrie: »Wo hast du den Hahn her, du arger Schelm? Das ist mein großer, schöner Haushahn, der mir um kein Geld und Gut feil gewesen, weil er mich so pünktlich weckte. Bekenn' es nur, gestohlen hast du mir den Hahn, weil es dich ärgerte, daß ich mit seiner Wachsamkeit stets der beste Schüler war, wie der alte Schulmeister noch heute bezeugen muß. Nun aber bin ich der Letzte geworden, weil ich keine Freude am Lernen mehr hatte, da mir der schöne Haushahn abhanden gekommen. Du, du bist schuld an meiner Schande, elender Bube!«
Bei diesen Worten heulte der Schlafhans, wie ein recht ungezogener Gassenjunge, um auf seine Worte mehr Gewicht zu legen, und das Herz seines Vaters für sich zu gewinnen. Der arme Peter aber betheuerte und sagte: »Hans, wie kannst du von mir so Schlechtes denken? Ich sollte dir den Hahn gestohlen haben? Pfui, Hans! Das ist eine Verläumdung aus deinem Munde, über die du einst Rechenschaft geben mußt vor dem ewigen Richter. Ich aber will dir die Wahrheit sagen. Ich wußte nicht, daß dieser Hahn je einmal dein Eigenthum gewesen. Ich hab' ihn zum Geschenk bekommen von der Hahnenlise.« –
»Ja,« fiel die arme Mutter ihrem lieben Söhnlein in die Rede, »ja, das ist wahr! Das kann ich vor Gericht sagen, und fürchte mich nicht. Vor einigen Wochen trat die Hahnenlise in meine Stube und brachte den Hahn meinem Büblein zum Geschenke, wie sie sagte. Es ist ein schöner, wachbarer Hahn, sagte sie weiter. Ein dummer, fauler Bube, dem der Hahn lästig geworden, hat ihn mir vermacht, wogegen ich ihm versprechen mußte, mit meiner geheimen Zauberkraft zu bewirken, daß er jeden Tag so lange schlafen könne, bis seine Mutter die Dienstboten zum Mittagessen rufe. Dein Peterlein aber will nicht so lange schlafen; dein Peterlein will früh morgens beten, lernen und arbeiten. D'rum soll dein Peterlein, der mich gar oft vor den rohen Gassenbuben beschützt, den großen Haushahn haben, der ihn regelmäßig früh morgens vier Uhr wecken wird: Kikrikiki!« –
Der Schlafhans wurde blaß wie eine Leiche, da er sich auf einmal verrathen fühlte. Der reiche Bauer stutzte, und sah ihn verdrüßlich an. Dießmal aber war der Schlafhans nicht faul; sein böses Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Er sann auf eine List, sich aus der Stube machen zu können. »Lügenzeug!« schrie er: »Dieberei und Lügenzeug! Das Bettelvolk will mich verläumden, daß ich noch mehr Schläge bekomme. Doch ich will mir Recht verschaffen! Ich gehe nach dem Walde zur Hahnenlise, und hole sie hieher. Und sie soll euch Lügen strafen, ihr bösen Leute!«
Nun eilte er aus der Stube, so schnell es seine sonstige Faulheit gestattete, und ging dem Walde zu, nicht, wie er behauptete, die Hahnenlise herbeizuholen, sondern mit Koth und Steinen nach ihr zu werfen, weil sie ihn verrathen hatte.
Als er vor der Hagebuche stand, schrie er aus vollem Halse: »Hahnenlise! Hahnenlise!« Allein es ließ sich kein Hahnweiblein sehen. Da dachte der dumme Schlafhans: »Ich muß das bekannte Sprüchlein sagen, dann kommt sie gewiß heraus; denn wie sie etwas zu schachern weiß, ist sie nicht die Letzte.« Er sann daher ein paar Minuten nach, ob das Sprüchlein in seinem gar zu leeren Hirnkasten sich noch vorfinde. Und endlich klatschte er in die Hände und rief:
»Hahnenlise, komm heraus,
Wenn du kannst aus deinem Haus!
Kaufe mir ab meinen großen Hahn,
Daß ich recht lange schlafen kann!
Hi, hi, hi!
Kikrikiki!« –
Die Hahnenlise kam – nicht heraus. Aber sein großer, schöner Haushahn kam auf einmal in der Luft dahergeflogen, worüber der Schlafhans nicht wenig erstaunte. Doch sein Staunen währte nicht lange; denn er fühlte sich auf einmal so träge und schläfrig, daß er auf das Gras unter der Hagebuche hintaumelte, und seiner Sinne nur mehr so lange mächtig war, um sehen und fühlen zu können, daß der Hahn im hohlen Baumstamme verschwinde, er selbst aber allmählig in die Gestalt eines Faulthieres sich verwandle. Dann war's um ihn geschehen.
Der reiche Bauer in der Stube der armen Wittwe war nicht wenig erschrocken, und das Weib selbst, und das fleißige Peterlein staunten und jammerten, da der Haushahn durch das offene Fenster so schnell, wie eine Schwalbe, davonflog. »Wir wollen ihm nacheilen,« rief der Peter, »ich seh' es, er fliegt der Hagebuche zu!«
Alle drei machten sich eilig auf den Weg. Da sie aber an der Hagebuche ankamen, konnten sie keinen Hahn entdecken, so eifrig sie auf alle Bäume rechts und links ihre Blicke richteten. Das Peterlein dachte: »Der Hahn ist zu der Hahnenlise zurückgekehrt! Ich will das Weiblein rufen: Vielleicht erscheint sie noch einmal, gibt den Hahn wieder heraus, und zugleich das Zeugniß, daß ich ihn nicht gestohlen, sondern sie ihn mir geschenkt habe!« –
Er stellte sich dicht vor die Hagebuche und rief:
»Hahnenlise
Von der Waldwiese!
Höre mich und sage an:
Hast du keinen großen Hahn,
Der allzeit um vier Uhr früh
Dich geweckt und schrie:
Kikrikiki!«
Allein, ob auch der Peter das Sprüchlein dreimal hersagte – die Hahnenlise ließ sich nicht sehen. Auf den Zweigen der Hagebuche aber gaukelte der Guckguck, und schrie in Einem fort: »Guckguck! Guckguck!« Und flatterte hernieder bis auf das tiefste Zweiglein[, das fast den Boden berührte.
»Was ist denn da zu gucken?« spottete der reiche Bauer; fuhr aber zugleich mit einem Schrei des Entsetzens zurück, weil er im Grase ein Faulthier entdeckte, das ihn mit so dummen und trägen Augen anstarrte, wie es sonst der Schlafhans gethan. »Da ist Hexerei mit im Spiele!« schrie er, bekreuzte sich und lief davon.
Noch ärger aber war sein Entsetzen, da der Schlafhans von dem Augenblicke an nirgends aufzufinden war. Aus Kummer und Verdruß verläumdete er die arme Wittwe und das fleißige Peterlein, als ob sie mit dem Beelzebub im Bunde seien, was die Wittwe so tief schmerzte, daß sie kurze Zeit darauf aus Gram und Herzeleid das Zeitliche segnete.
Das Peterlein aber hatte kein Aufkommen mehr in der ganzen Gegend. Seine Schulkameraden flohen ihn – und er war doch das unschuldigste Peterlein von der ganzen Welt.
Da weinte er recht von Herzen, daß es ihm so schlecht ergehen müsse. Doch faßte er endlich den Entschluß, in der weiten Welt sein Glück zu suchen. Er ging auf den Kirchhof, und nahm Abschied von dem Grabe seiner verstorbenen Mutter, und verließ, ein Bündelchen unter dem Arme, sein kleines Häuslein, das so verschrieen war, daß es ihm kein Mensch abkaufen wollte.
Ohne Gut und Geld, nur mit einigen Schulkenntnissen, der Frucht seines Fleißes, ausgestattet, zog er auf dem Fußweg über die Wiese hinaus. Da fiel ihm bei, daß die Hahnenlise das Hütchen mit der Hahnfeder ihm versprochen habe. Darum ging er noch einmal unter die Hagebuche, besann sich auf ein Verslein und rief:
»Hahnenlise
Von der Waldwiese!
Hast du auch keinen großen Hahn
O so deute mir nur an,
Wo ich das Hütchen finden kann,
Und die geschickte Feder d'ran!«
Da ließ sich der Guckguck wieder sehen auf der Hagebuche, gaukelte und flatterte und schrie: Guckguck! Guckguck! Und flog endlich hernieder in den hohlen Baumstamm, wo er alsbald verschwand. Der Peter guckte hinein, und sah zu seiner größten Freude das Hütchen mit der schönen Hahnfeder. Ein goldener Schatz wär' ihm nicht lieber gewesen. Er setzte sich das Hütchen auf den Kopf, und nun ging's so flink vorwärts, als ob er Hirschfüße bekommen hätte; ja, es war ihm oft, als ob er fliegen könnte.
Tags darauf befand er sich schon in einer großen Stadt, deren Namen ihm gar nicht bekannt war, woraus er schloß, daß er schon über hundert Meilen von seiner Heimath entfernt sein müsse. Denn die Namen aller Städte aus hundert Meilen hatte er ja fleißig in der Schule gelernt. »Ei, ei,« dachte er, »bei mir trifft das Sprichwort genau ein: Er kann mit der Feder gut fort.«
Nun aber plagte ihn Hunger und Durst; und er mußte darauf sinnen, wie er durch die Feder Speis' und Trank gewinnen könne. Weil er was gelernt hatte in der Schule, so standen ihm auch gleich mehrere Pläne zu Gebote; und er wählte den ersten besten, dessen Ausführung der Seltenheit wegen ihm auch am schnellsten Verdienst und Lohn eintragen sollte.
Er ließ sich als Läufer melden am Hofe des Fürsten, und wollte vor Tausenden eine Probe seiner Kunst von sich geben. Der Fürst bestimmte den andern Tag – und hatte eine ungemeine Freude über das Gelingen der harten Probe eines so kleinen Männleins – und machte das Peterlein zu seinem Leibläufer.
Da gab's nun Ruhm und Verdienst genug. Allein nach einiger Zeit kam's dem Peter vor, als ob diese Beschäftigung doch nicht ehrenwerth genug für ihn sei, und daß er in der Schule von jeher den jungen Geist nicht darum angestrengt habe, um für alle Zeit der Leibläufer eines Fürsten zu bleiben. Da fiel ihm die Rede der Hahnlise bei: »Die Hahnfeder ist für den, der Lesen, Schreiben und dergleichen Dinge gut gelernt hat, überdieß, daß sie Einem auf die Beine hilft, noch von anderm ersprießlichen Nutzen. Ich habe nie was gelernt; für mich also ging der bessere Theil ihrer Zauberkraft verloren. Dir aber, fleißiges Peterlein, wird sie dereinst großen Vortheil gewähren!«
Der Peter, aus Begierde, diesen bessern Theil der Zauberkraft kennen zu lernen, löste jetzt die Feder von dem Hütchen. Und kaum hielt er sie zwischen dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, da war es ihm, als müßte er Alles, was er dachte, viel reiner, richtiger und klarer, als er es dachte, niederschreiben. Aeußerst freudig überrascht, nahm er sogleich Papier und Tinte, tauchte die Feder ein, und ließ ihr freien Lauf – und in einer Stunde las er die ausgedachtesten Gedanken, von der Feder übergetragen in feingestellte Wortsätze. Er hüpfte vor Lust und Wonne, und war so außer sich, daß er nicht einmal hörte, wie der Fürst, der unvermerkt ihm nahe gekommen, ihn anredete. Endlich aber antwortete er auf die Frage: »Peterlein, was machst du da?« mit tiefer, ehrerbietiger Verbeugung: »Mein hoher, gnädiger Herr, ich habe als fleißiger Junge manch Schönes gelernt in der Schule – und nun wollte ich doch probiren, ob mir noch was übrig geblieben von deinen Kenntnissen, und ob ich nicht alles Gehirn weggelaufen habe auf den Schnellreisen, die ich für Eure Herrlichkeit unternommen.«
Der Fürst lächelte und meinte: »Das wird was Rechtes sein!« – Der Peter aber nahm sich die Freiheit, das Papier seinem Herrn darzureichen. Der Fürst hatte das Geschriebene kaum zur Hälfte gelesen – da sah er den Läufer mit großen Augen an. Und als er fertig war, schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen aus lauter Staunen und Freude, und rief »Ei, der Tausend! Peter, du bist ein Gedankenläufer! Was ich schon lange im Kopfe hatte, und nicht zu Papier bringen konnte – das finde ich hier so klar niedergeschrieben, als hättest du es aus meinem Hirnkasten geholt. So wahr ich der Fürst des Landes bin – du sollst von nun an nicht mehr mit den Füßen laufen; sondern ich will deine Feder in Anspruch nehmen und du sollst sie auf dem Papiere laufen lassen, daß kaum deine Gedanken nachkommen, du Tausendjunge!«
Der entzückte Peter mußte nun in der Hofkanzlei des Fürsten schreiben. Und wenn etwas Schwieriges zur schriftlichen Ausarbeitung vorkam, sagte der Fürst: »Gebt's nur dem Peter! Der kann mit der Feder gut fort.« Am Ende wurde das fleißige Peterlein gar der Kabinetssekretär des gnädigen Herrn. Ja, man sagt, seine Feder sei so ergiebig gewesen, daß sie ihn nebenbei noch zum berühmten Schriftsteller stempelte.
Der Schlafhans aber ist ein Faulthier geblieben.