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Der arme Holzhacker und der reiche Geizhals


Ein Mährchen.

Kommt her, ihr lieben Kinder, und merket wohl, was ich euch erzähle. Es ist die Rede von einem Holzhacker, der arm, aber ehrlich, arbeitsam und freigebig war; und von einem Kornwucherer, der einen großen Reichthum hatte, dabei aber die Leute betrog, und keinem Armen was schenkte. Mit welchem wollet ihr es halten, Kinder!? –


Es lebte einmal in einem kleinen, abgelegenen Dörflein ein armer Holzhacker, mit Namen Hans.

Der arme Hans aber war ein braver Mann. Er arbeitete vom frühen Morgen bis zum späten Abende, um seinem lieben Weibe und seinen drei netten Kinderlein die nothdürftige Nahrung zu verschaffen. Und jedesmal, ehe er an die schwere Arbeit ging, betete er zum lieben Gott recht inbrünstig: »O du lieber Gott, segne meinen Schweiß, und beschere uns gnädiglich unser täglich Brod! Gib uns nur immer so viel, als wir zum Leben nothwendig haben! Und erleuchte mich und meine fromme Grete, mein liebes Weib, daß wir die kleinen Würmlein auferziehen in der Gottesfurcht und in der Liebe zu dem guten Heilande. Benedeie unsere Kinderlein, auf daß sie recht folgsam sein mögen und dereinst brauchbare Menschen werden, wenn sie gleich nur Holz hacken können, wie ihr armer Vater Hans!«

So einfältig und bescheiden war der arme Hans in seinen Wünschen und Bitten, und es hatte ihm bisher noch nie am täglichen Brode gefehlt.

Einmal aber gerieth er denn doch in eine recht harte Noth. Es schien, als ob der liebe Gott sein Vertrauen und seine Geduld prüfen wollte.

Der Maier im nächsten Dorfe nämlich, der ein reicher Kornwucherer, dabei aber ein hartherziger und geiziger Mann war, und in dessen Waldungen der arme Hans für geringen Lohn das Holz fällte, hatte diesem die etlichen Groschen eines Wochenverdienstes zurückbehalten, indem er ihn schimpfte und schrie: »Du bist ein Faullenzer, und deine Arbeit ist schlecht gethan und verschafft dir keinen Schluck Wasser. Du mußt mir jetzt eine Woche lang umsonst arbeiten, wenn du willst, daß ich dich zahlen soll.«

Der hartherzige Thomas aber – so hieß der reiche Maier – hatte gelogen, da er den armen Hans einen Faullenzer schalt, und noch schlechter war's, daß er dem dürftigen Manne und seiner nothleidenden Familie den Lohn nicht gab. Der Hans aber dachte: »Mußte der liebe Heiland auch viel thun, wofür er nicht einmal einen Dank, viel weniger einen Lohn hatte – und es soll mir sündigem Menschen nicht besser ergehen, als es dem unschuldigsten ergangen.«

Darauf nahm er sein Scheitbeil über den Rücken, und wanderte dem Tannenwalde zu, der dem hartherzigen Thoms gehörte, und arbeitete eine Woche lang umsonst, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann. –

Als er aber zu dem reichen Maier kam, und nun seinen Lohn für die vorletzte Woche begehrte, lachte dieser ihn aus, verspottete ihn und sagte, er solle nur ein andermal kommen; denn jetzt müsse er eilig in die Schranne fahren mit einem Wagen voll Getreide, weil das Korn unversehens theurer geworden; und diesen Augenblick dürfe er nicht versäumen.

Solche schlimme Ausreden hatte der geizige Mann noch der Menge nach in Bereitschaft, so oft der arme Holzhacker kam, und mit Thränen um den verdienten Lohn bettelte.

Die Noth in der Hütte des armen Hans nahm mit jeder Stunde zu. Es befand sich nur mehr der letzte Laib Brod in der Tischschublade; und dieser war schon zur Hälfte verzehrt.

Der Gedanke an dieß Elend und an den Jammer, der nun jeden Augenblick ausbrechen müsse bei Weib und Kindern, preßte dem armen Holzhacker den hellen Angstschweiß ans.

Die Nacht brach an. Seine fromme Grete, die noch von dem Ueberrest des Brodes den Kindern eine warme Suppe bereitet hatte, saß am Tische und gab einem Jeden einen gleichen Theil von dem letzten Mundvorrath, betete das Abendgebet und legte die Kinderlein zu Bette. Ach, dachte sie unter bangen Thränen, was werd' ich den armen Würmlein morgen geben, wenn sie um Brod bitten?

Als der Morgen dämmerte, kniete der arme Holzhacker schon längst vor seiner Hütte, und betete ein recht inbrünstiges, vertrauensvolles Gebet zu Gott und flehte: »O lieber Gott, erweiche das Herz des reichen Mannes, daß er sich meiner erbarme, und mein Weib und meine Kinder nicht vor Hunger sterben müssen.«

Während er so betete, hörte er, daß es drinnen in der Hütte laut werde, und er schauderte zusammen. Denn Mutter Grete kam heraus mit den drei Kindern und kniete nieder, und sagte zu ihrem Manne: »Segne uns, lieber Hans, ehe wir des Hungertodes sterben müssen.«

Lise, das ältere Töchterlein, ein liebes, folgsames und braves Kind, kniete neben der Mutter und sagte weinend: »Ich habe recht andächtig zu Morgen gebetet, lieb Väterlein! Gib Brod, mich hungert!«

Und der Fridl, der Bube, der schon recht flink und verständig die Arbeit anpackte, weinte auch und wollte sich nicht trösten lassen. »Ach,« sagte er, »ich habe schon drei Tage nicht einmal Brod genug bekommen. So kann ich auch nicht mehr arbeiten. Ich bin so müde, Väterlein!«

Und das kleinste Kind auf dem Schooße der frommen Grete streckte die Händlein nach dem Vater und jammerte recht herzzerschneidend, und lallte, so gut es konnte: »Atta, mir Brod! Atta, mir!« –

Dieser Jammer zerschnitt dem armen Hans beinahe das Herz. Hier konnte er es nicht mehr aushalten. Er nahm den Wanderstab in die Hände, setzte den Hut in's Gesicht, zog das Wamms an, und sagte zu seinem Weibe: »In Gottes Namen! Ich will noch einmal zu dem reichen Maier gehen, und ihn auf meinen Knieen bitten, er möge mir nur ein paar Groschen geben. Kinderlein, betet unterdessen zum lieben Heiland! Er hat die braven Kinder so lieb und erhört so gerne ihr herzliches Gebet. Dann bin ich bald wieder bei euch – und ihr dürft nimmer Hunger leiden.«

Dieß sprach der arme Hans unter Thränen, und küßte eines nach dem andern – und eilte mit schwerem Herzen dem nächsten Dorfe zu.


Der Maier saß in seiner Stube an dem großen Tische, und hatte viele Geldsäcke um sich herumliegen, die er mit der größten Freude beguckte; und zählte nach und nach die harten Thaler und die blanken Goldgulden, und sagte bei jedem Stück, das er durch die Hand laufen ließ: »Du mußt zwölfmal mehr werden.«

Unterdem kam ein Bettler an das Fenster, ein alter, presthafter Mann, der sein Lebtag keinen Kreuzer mehr verdienen konnte, und bat den reichen Maier gar rührend: »Gebt einem armen Mann von eurem Silberhaufen dort nur einen einzigen Pfennig!«

Der geizige wilde Thoms aber schimpfte und schrie: »Tag und Nacht hat man keine Ruhe vor dem elenden Bettelgesindel; das Almosengeben bringt mich selbst noch an den Bettelstab. Packe dich fort, du Bärenhäuter, oder ich lasse meinen großen Bullenbeißer auf dich los!«

Der Bettler aber flehte in Einem fort: »Seid barmherzig, reicher Mann! Gebt, gebt nur einen Pfennig!« – Da schrie der Geizhals: »Ich bin überdrüssig deines Gebettels!« Und öffnete das Fenster und warf dem armen Manne ein falsches Blechstückchen zu, um das dieser nicht einmal eine vertrocknete Rinde vom rauhesten Haberbrod hätte kaufen können. Dann schloß er das Fenster wieder, und setzte sich an den Tisch und zählte seine harten Thaler gieriger als zuvor.

Der Bettler aber stand noch immer draußen, und sah mit furchtbar ernstem Gesicht zum Fenster herein.

In dem Augenblicke trat der arme Holzhacker Hans in die Stube des reichen, geizigen Thoms und warf sich zu dessen Füßen, und hob die Hände empor, und flehte unter heißen Thränen: »Gebt mir ein paar Groschen von meinem verdienten Lohne! Ich kann ja doch Weib und Kinder nicht verhungern lassen. Um Gottes Gnade und Barmherzigkeit willen, gebt mir ein paar Groschen!«

Der Kornwucherer aber nahm einen Prügel zur Hand und schrie: »Willst du in den Wald gehen, und arbeiten, du Taugenichts!« Und er jagte den armen Holzhacker zum Hause hinaus, und schlug noch im Hofraume auf seinen Rücken ein, bis endlich der Bettler dazwischen trat, und mit der Hand ein Kreuzzeichen durch die Luft machte, daß augenblicklich dem Wucherer Hände und Füße, wie gelähmt, waren. Der Stab in des Bettlers Rechten verwandelte sich auf einmal in ein Crucifixbild, und sein halbnackter Körper war jetzt umhüllt von einer dunkelbraunen Kutte, und sein Gesicht stack in einer Kapuze, daß nur der lange Silberbart hervorsah.

Der Holzhacker zitterte am ganzen Leibe und stotterte: »Gott sei mir gnädig! Das ist das Gespenst vom Tannenwalde! Das ist der Mönch vom Räubersteine!« Der Kornwucherer aber floh, so schnell er konnte, in seine Stube zurück.

Der Mönch sagte zum Holzhacker: »Fürchte dich nicht – und handle immerhin ehrlich, so wird es dir am Ende doch gut gehen!« Dann zog er eine Axt hervor aus seiner Kutte, gab sie dem armen Manne, und fuhr zu reden fort: »Hier nimm das Beil, und geh' in den Wald, und arbeite – und du wirst reich belohnt zu Weib und Kindern nach Hause kehren. Bis du aber zurückkommst, will ich die fromme Grete mit den drei Kleinen hinlänglich mit Brod versehen. Bete, arbeite, und sei redlich und rechtschaffen; und ich will künftig für dich und deine arme Familie sorgen.« –

Hans wußte nicht, wie ihm geschah. Ohne ein Wort zu erwiedern, nahm er die Axt aus der Hand des gespenstigen Mönches, und eilte in den Wald, um zu thun, was ihm befohlen worden.

Zu dem Wucherer aber, der sich in seiner Stube hinter den großen Geldsäcken versteckt hatte, drang die Stimme des Gespenstes mit einer furchtbaren Warnung: »Du wirst unter den Kisten und Säcken deines Mammons eines gewaltsamen Todes sterben, wenn du dich nicht besserst, hartherziger Mann, und nicht mittheilest den Armen von deinem großen Reichthume.«

Eine Staubwolke kam vom Tannenwalde her, wirbelte in den Hofraum vom Hause des geizigen Maiers, und nahm den Mönch in ihre Mitte. Und als der Staub wieder auseinanderflog, und der Wucherer aufblickte, war die Erscheinung vorüber. Der große Bullenbeißer aber heulte an der Kette, und gab sich nicht eher zufrieden, als bis ihn der Maier in die Stube nahm.

Der böse Thoms hatte sich kaum vom Schrecken erholt, so verspottete er die Warnung des Mönches vom Räubersteine. »Es ist Alles nur eine leere Einbildung,« sagte er zu sich selbst, »vom Geldzählen ist mir der Kopf wirr geworden.« Und dabei zählte er noch gieriger und schrie bei jedem Thaler, den er durch die Hand laufen ließ: »Ich beschwöre dich, du harter Thaler, du mußt zwölfmal mehr werden.«

Und so zählte er fort und fort, bis die Nacht hereinbrach.


Der arme Hans hatte den ganzen lieben Tag im Tannenwalde zugebracht, und so fleißig Holz gefällt, daß Jedermann darüber sich hätte verwundern müssen. Allein die Verheißung des Mönches vom Räubersteine: »Du wirst reich belohnt zu Weib und Kindern nach Hause kehren!« war bis auf den Augenblick unerfüllt geblieben. Hans wurde neuerdings recht traurig; denn die Sonne war schon lange untergegangen und er mußte daran denken, den Wald zu verlassen, ehe die finstere Nacht jeden Weg und Steg ihm versperren würde. Er dachte bei sich, und machte sich den Vorwurf: »Warum hab' ich dem Gespenst so viel Vertrauen geschenkt? Der Mönch hat sein Versprechen an mir nicht gehalten; so hat er mir am Ende auch Weib und Kinder verhungern lassen!« –

Und er warf eilig das Wamms um, drückte den Hut in's Gesicht, nahm das Scheitbeil des Mönches, das so wunderbar schnell Tannen- und Birkenstämme der Menge nach gespaltet, unter den Arm – und wollte den Wald verlassen.

Allein es hatte sich über den Felsen- und Waldschluchten ein schwarzes Gewitter zusammengezogen, dessen nahen Ausbruch der arme Hans erst jetzt bemerkte, da er aus den dichten Gesträuchen in das Freie einer großen grünen Wiese heraustreten wollte. Was sollte er nun anfangen? Er ging doch vorwärts. Die Liebe zu Weib und Kindern, und die Angst, wie es ihnen während seiner Abwesenheit ergangen sein möge, trieben ihn an, selbst unter Regen und Sturm nach Hause zu eilen.

Auf einmal aber fuhr der Blitz herab, und schlug in eine hohle Eiche, an der er so eben vorbei wollte; und der Donner krachte so fürchterlich, daß der arme Hans meinte, auf der freien Wiese werde das letzte Gericht gehalten. Er sprang im ärgsten Schrecken wieder zurück in den Wald, kam vom rechten Wege ab, und verirrte sich in den vielen pechschwarzen Schluchten, die über Kreuz und Quer hinliefen. Er sah ganz deutlich das Unglück vor sich, daß er die ganze Nacht im schauerlichen Walde zubringen müsse. Er weinte die schmerzlichsten Thränen. Es war ihm nur immer um Weib und Kinder. »Ach,« sagte er, »den ganzen Tag haben sie nichts zu essen gehabt; und nun werden sie noch gepeinigt von der Angst um den armen Vater!«

Er wußte sich nicht anders zu helfen und nicht besser zu rathen, als daß er die Seinigen zu Hause in der einsamen Schlafkammer und sich selbst mitten im schauerlichen Wald und im ärgsten Gewitter dem gütigen Schutz des himmlischen Vaters übergab. Darum kniete er nieder unter dem dichten Gesträuch einer Zwerghagebuche, und verrichtete ein recht andächtiges und vertrauenvolles Gebetlein.

Da verlor sich allmählig das Toben des Gewitters und zog sich in die Ferne eines großen Gebirges. Die Wolken traten auseinander, und der freundliche Mond erschien im letzten Viertel. Er stieg herauf über die Tannen; und der arme Hans, der keine Uhr hatte, sondern nach Mond und Sonne die Zeit berechnen konnte, wußte genau, daß Mitternacht nicht mehr ferne sei. »Wo bin ich denn?« sagte er, und blickte um sich, und wurde plötzlich von einem krampfhaften Schauer befallen. Das Mondlicht beleuchtete einen schwarzgrauen Felsen vor ihm, aus dessen finsterem Schooß ein sonderbares Gebrumme zu seinen Ohren tönte.

»Gott sei bei mir!« sagte der arme Hans, »ich stehe am Fuße des Räubersteines!« Und dabei betete er in stiller Andacht ein Vaterunser und machte, dem Schutze Gottes sich empfehlend, dreimal das Kreuzzeichen von der Stirne bis auf die Brust. –


Ueber den Räuberstein aber geht folgendes Gerede unter den Leuten jener Gegend, wo sich die Geschichte zugetragen. Vor mehreren hundert Jahren hatte daselbst ein furchtbarer Raubritter sein Unwesen getrieben, alle Kirchen und Klöster ausgeraubt, alle Reisende, die mit schwerbeladenen Maulthieren hier vorbeikommen mußten, geplündert und um's Leben gebracht, und alle Schätze an Gold und Silber und Edelsteinen in dem unterirdischen Gewölbe des ungeheuren Felsens verborgen. Seit seinem Tode aber hört man das Geheul eines Wolfes aus der Tiefe der Felsenhöhle, zu der kein Mensch bisher eine Pforte entdeckt. Die Leute sagen, der Ritter sei in einen raubgierigen Wolf verwandelt worden, der die ungeheuern Schätze unter dem Felsen hüten müsse. Von Zeit zu Zeit aber erscheine der Geist eines Mönches, den der Räuber bei Lebzeiten aus einem Kloster geschleppt und jämmerlich gemartert habe. Dieser Geist allein wisse den Weg in die Höhle, und trete keck hinein, und nehme von den aufgehäuften Reichthümern, um da und dort in der Gegend einer armen ehrlichen Familie hilfreich beizuspringen. Wenn dieß geschehe, werde der Wolf wieder ruhiger, und das Geheul lasse nach bis zu der Stunde, in der sich ein neuer Raub oder eine Mordthat jähre, die der böse Ritter dereinst begangen.

Der arme Holzhacker Hans stand noch immer vor dem Räubersteine, und bedachte mit Angst und Schrecken die schauerliche Volkssage, und horchte mit Zittern und Beben auf das Geheul im Felsen. »Es muß sich wieder eine Schandthat des Raubritters jähren!« dachte er, »der schwarze Wolf heult fürchterlich! Gott sei bei mir! Ich will hier nichts zu schaffen haben! Ich will eilen, daß ich zu Weib und Kindern komme! Der Mönch vom Räubersteine könnte sie vergessen haben; dann hungern sie den ganzen Tag und die halbe Nacht! O mein Gott!« –

Er wollte fürbaß davon eilen. Da sah er, zehn Schritte vor sich, vom Monde beleuchtet, den Mönch vom Räubersteine. Den neuen Schrecken des armen Holzhackers könnt ihr euch denken, ihr lieben Kinder! Doch faßte er sich sogleich wieder, weil der Mönch gar ein freundliches und gefälliges Gesicht machte. Und zudem hatte er ja schon in dem Hofraume des reichen, hartherzigen Maiers Bekanntschaft mit dem Geiste gemacht und gefunden, daß er einem armen, ehrlichen und redlichen Manne nichts zu Leide thue.

Jetzt winkte der Mönch dem staunenden Hans dreimal mit der Hand, und ging voran, und sah mehrmal um, ob der Holzhacker hintendrein komme. Der Hans nahm sein ganzes Herz zusammen, und folgte wirklich dem Geiste nach in einer Entfernung von zehn Schritten. Am Räubersteine hielt der Mönch, und klopfte dreimal mit dem Finger an die Felsenwand und rief: »Thürlein, öffne dich!« Und im Augenblicke war eine Spalte im Felsen, daß ein Mensch bequem hineingehen konnte. Der Mönch ging hinein, und wie er drinnen war, rief er: »Thürlein, schließe dich!« Und die Spalte war hinweg; und der Holzhacker stand vor dem verschlossenen Felsen, und guckte rechts und links, und konnte nicht einmal eine Spur von der Oeffnung entdecken.

»Was hab' ich nun von dem Blendwerk?« dachte er ganz unwirrsch bei sich, und wollte sich wieder auf den Rückweg machen. Da fiel ihm eben noch bei, er wolle es doch probiren; und klopfte dreimal an die Felsenwand und rief: »Thürlein, öffne dich!« Und im Augenblicke war die Spalte im Felsen wieder da, so groß, daß der Holzhacker bequem hineingehen konnte. Die Furcht war nun nicht mehr so groß; denn das Wolfsgeheul in der Tiefe hatte nachgelassen; um so größer war die Freude des armen Hans. Er bedachte sich nicht mehr lange, sondern trat hinein. Und als er drinnen war, rief er: »Thürlein, schließe dich!« und der Felsen hinter ihm schloß sich mit einem seltsamen Gepolter.

Ei, Wunder über Wunder! Die Höhle war angenehm beleuchtet, wie von einer sommerlichen Morgenröthe. Der Holzhacker hob gar andächtig die Hände auf, und ging einige Schritte tiefer hinein, und stand plötzlich unter Kisten und Kästen voll Gold und Silber und Edelsteinen. Er sah weder einen Menschen noch einen Wolf, noch einen Geist, so weit sein Auge reichen konnte. Aber eine freundliche Stimme vernahm er, die zu ihm sprach: »Nimm, so viel du brauchst; gib den Armen davon und den Kirchen; denn es sind geraubte Klostergüter!« –

Der arme Hans ließ es sich nicht zweimal sagen. Er griff zu, und nahm drei Taschen voll; eine für sich, die andere für die Armen, die dritte für die Kirchen. Dann bedankte er sich recht schön bei dem unsichtbaren Geber, und hatte so viel Herz, zu erwiedern: »Ich werde dafür recht herzlich beten, recht fleißig arbeiten, und mein Lebtag ehrlich sein.« –

»Komm wieder,« sprach die Stimme zu ihm; und er nickte bejahend mit dem Kopfe. Dann klopfte er an den Felsen und rief: »Thürlein, öffne dich!« Es geschah. Und als er draußen stand, rief er: »Thürlein, schließe dich!« Und es geschah wieder. –

Der Morgen dämmerte herauf über den Räuberstein und mit dem fröhlichsten Gemüthe von der Welt eilte der arme Holzhacker der Heimath zu. –


Das ältere Töchterlein, die gutmüthige Lise, kam dem Vater sogleich entgegengesprungen, als sie ihn den Wiesengrund daher wandern sah, und rief ihm zu: »Ach, weil du nur einmal kommst, du lieber Vater, du! Wir haben so viel Angst um dich gehabt; gewiß, ich habe gar nicht schlafen können aus lauter Angst!«

»Es ist schon wahr!« sagte der Fridl, der Bube, der schon sehr flink und verständig die Arbeit anpackte. »Es ist schon wahr! Wir haben gemeint, der böse Maier habe dich in seinen Keller gesperrt.«

»Gottlob! Ich sehe dich wieder!« sagte die fromme Grete zu ihrem Manne, und grüßte ihn recht herzlich. »Nicht wahr, Hans? Das Leid thust du mir nimmer an, so lange vom Hause wegzubleiben, und Weib und Kinder in der Noth zu lassen!« –

Eine plötzliche Schamröthe flog über das Gesicht des ehrlichen Holzhackers. »Bei meiner armen Seele,« sagte er, »Weib, du hast recht; allein ich habe auch recht; und du wirst mir Recht geben, wenn du gehört hast, wie dieß zugegangen. Vor Allem aber möcht' ich wissen, wie ihr euer Leben gefristet. Ihr seht ja so blühend aus, als ob ihr derweil an einer gräflichen Tafel gespeist hättet! Und das kleine Mile auf deinen Armen, Weib, wie ist das möglich? Das Kind hat ja Bäcklein, so roth, wie frische Erdbeeren!«

Die Mutter lächelte, und herzte ihr liebes Mile. Und die Kinderlein lachten alle zusammen, und hoben die Händlein in die Höhe, als ob sie dem lieben Gott noch einmal danken wollten. Und die Lise sagte: »Nicht wahr, Väterlein, das möchtest du wissen? Ja, ja, wir haben der Zeit recht gut gespeist. Und wenn du mithalten willst, kannst in die Stube kommen. Wir haben nicht Alles verzehrt; wir haben dem Vater, wenn er hungrig und durstig nach Hause kommt, schon auch was übrig gelassen.«

»Ich will's dir erzählen, Vater!« fiel der Fridl seinem Schwesterlein in die Rede. »Es ist ein frommer Mönch bei uns gewesen. Dort am Fenster ist er gestanden, gestern Abends, als die Sonne unterging, und wir um dich weinten, und dabei Hunger litten, und kein Stücklein Brod in der Tischschublade war. Dort ist er gestanden, und hat zum Fenster hereingeschaut, und recht mitleidig gefragt: »Warum weint ihr denn so, ihr armen Leute?« Darauf hat die Mutter gesagt: »Ach, mein Hans bleibt so lange draußen, und ich weiß nicht wo?« Und dann hab' ich gesagt: »Wir müssen verhungern, wenn der Vater nicht heimkommt!« – »Der Vater wird schon heimkommen,« erwiederte der Mönch; »einstweilen will ich euch was zu essen und zu trinken geben.« Dann segnete er uns zum Fenster herein – und im Augenblicke stand eine Schüssel mit einem Braten und eine Flasche Wein auf dem Tisch, und in der offenen Schublade, die gerade vorhin noch leer war, lag ein Laib frisch gebackenen Weizenbrodes. Wir schrieen zusammen vor Freude, und wollten danken. Aber der Mönch war fort. Ist's nicht so, Mutter?«

Das Lisele schrie: »So ist's, Väterlein!« Und die Mutter sagte auch: »Ja, ja, so ist's, mein lieber Hans!« –

Dem Holzhacker rollten tausend Thränen aus den Augen hervor; er umarmte Weib und Kinder, und erzählte darauf, was ihm inzwischen begegnet, und wie ihre Geschichte mit der seinigen zusammenhänge. Endlich kniete er nieder und dankte dem lieben Herrgott und dem freigebigen Mönch; und ermahnte die Kinder, allzeit herzlich zu beten, fleißig zu arbeiten, ehrlich zu handeln und gegen Nothleidende mildthätig zu sein – dann werde es ihnen immer gut gehen auf Erden.

Die Kinderlein versprachen, zu gehorchen; und Vater und Mutter sagten: »Amen!«


Der arme Holzhacker hatte den Geldvorrath in seinen Taschen redlich getheilt; einen Theil hatte er den Armen, den andern den Kirchen gegeben, und den dritten für sich behalten.

Er konnte mit seinem Antheil geraume Zeit leben; arbeitete aber deßungeachtet recht fleißig in dem Walde des geizigen Maiers, weil er dem Mönch vom Räubersteine nicht sobald wieder beschwerlich fallen wollte.

Als nun aber der Vorrath zu Ende ging, begehrte er vom reichen Maier seinen Lohn, und sagte: »Gebt mir doch einmal, was ihr mir schuldig seid für meine Arbeit.« – Dieser jedoch saß bei seinen Geldsäcken, und konnte sich von keinem Groschen trennen, und sagte zu jedem Thaler, den er durch die Hand laufen ließ: »Du mußt zwölfmal mehr werden!«

Als er nun den armen Holzhacker vor sich sah, schimpfte er und schrie: »Packe dich zum Henker, du Taugenichts!« Und er jagte ihn zum Hause hinaus. Hans machte ein recht traurig Gesicht, und bat: »So gebt mir nur eure Metze zu leihen, mit der ihr den armen Leuten das Getreide vormesset. Ihr sollt sie morgen schon wieder haben!«

Der Maier gab dem Holzhacker die Metze, damit er seiner los würde, und schrie dabei: »Wenn du sie mir morgen nicht wieder bringst, so werd' ich zu dir kommen, und meinen großen Bullenbeißer auf deine Kinder loshetzen; dann hast du doch drei Sorgen weniger in deiner Noth, du armer Teufel.« – Und lachend und spottend warf er die Thüre zu vor dem Holzhacker.


Der arme Hans ging hierauf in das nächste Kloster, und kniete mitten in der Kirche nieder, und betete: »Lieber Gott, ich gehe jetzt einen schweren Gang; allein du weißt, daß mich nicht Frevel und Muthwille, sondern Sorgen, Armuth und Noth antreiben! Steh' mir bei, und hilf mir wieder!«

Dann nahm er die Metze, die er von dem harten, geizigen Maier geborgt, und ging in den Wald zu dem Räubersteine. Hier klopfte er dreimal an die Felsenwand, und rief: »Thürlein, öffne dich!« Und im Augenblicke war eine Spalte im Felsen, daß ein Mensch bequem hineingehen konnte. Und der Holzhacker ging hinein; und als er drinnen war, rief er: »Thürlein, schließe dich!« Und der Felsen hinter ihm schloß sich mit einem seltsamen Gepolter.

Hans stand wieder unter den Kisten und Kästen voll Gold und Silber und Edelsteinen, und bat den unsichtbaren Mönch: »Nimm es mir nicht übel, du guter Geist, daß ich schon wieder komme! Der reiche Maier will mir meinen Lohn nicht geben, und so bin ich mit Weib und Kindern in neuer Noth. Damit ich dich aber von Neuem nicht mehr belästigen darf, hab' ich eine Metze mit mir genommen. Dann will ich schon ausreichen mein Leben lang, und meine Kinder mit diesem Gelde zu ehrlichen Leuten erziehen!«

Eine Stimme antwortete dem Holzhacker: »Nimm, und miß, und theile redlich!«

Da maß der glückliche Hans eine Metze für die Armen, die andere für die Kirchen, und die dritte für sich. Und als er fertig war, dankte er dem unsichtbaren Geber, indem er versprach: »Ich werde dafür recht herzlich beten, recht fleißig arbeiten, und mein Lebtag ehrlich sein!«

Dann nahm er die drei Theile und die Metze, klopfte an den Felsen, und rief: »Thürlein, öffne dich!« Es geschah. Und als er draußen stand, rief er: »Thürlein, schließe dich!« Und es geschah wieder.

Und mit dem fröhlichsten Gemüthe von der Welt eilte der arme Holzhacker der Heimath zu.


Tags darauf in aller Frühe ging der ehrliche Hans in die nächste Klosterkirche und legte einen Theil des Geldes in den Opferstock; den andern vertheilte er unter die Armen der Gegend, dem einen Gulden, und jenem einen Thaler, wie es ein jeder bedürftig hatte, und versprach Allen, in die Zukunft von dem, was er hatte, redlich und ehrlich herzugeben.

Die leere Metze aber brachte er noch vor Abfluß der bestimmten Stunde dem reichen Maier, und bedankte sich gar schön. Als aber der Holzhacker fort war, und der Maier die Metze in die Hand nahm, fiel ein Silbergroschen heraus. Da stutzte der Maier, und zitterte vor Habsucht, und sagte bei sich: »Der Holzhacker hat Geld gemessen!« –

Es war aber dieser Silbergroschen in einer Spalte der Metze stecken geblieben. Denn die Metze hatte viele und große Spalten, durch die der Kornwucherer beim Verkauf des Getreides an arme Handwerker durch Schütteln und Schlagen immer einige Körner wieder auf seinen Haufen zurückfallen ließ.

Der Geizhals lief eilig davon, den Holzhacker aufzusuchen. Er traf ihn im Walde, wo er schon wieder fleißig das Holz fällte. »Schurke,« schrie er, und packte den erschrockenen Hans beim Halse: »Du hast Geld gemessen! Bekenne mir's – oder du bist des Todes!« –

Der Holzhacker wollte lange nicht heraus mit der Sprache. Als aber der wilde, geizige und böse Mann das Messer zog, und ihn um's Leben bringen wollte, gestand er offen und redlich die ganze Sache. Jetzt schmunzelte der Maier und sagte: »Das Geld müssen wir Alles bekommen!« Und er nöthigte den Holzhacker, daß er ihn zu dem Räubersteine begleite.

Der Hans ging mit, dachte aber im Herzen: »Lieber Gott! du weißt es, ich bin unschuldig!«

Und als sie vor dem Räubersteine standen, sagte der Maier: »Du brauchst nicht mit mir hineinzugehen! Ich will schon mit dir theilen, wenn ich wieder herauskomme!« In seinem Herzen aber brütete er den Plan, er wolle den Holzhacker um's Leben bringen, damit er die Kisten und Kästen voll Gold, Silber und Edelsteine für sich allein behalten könne.

Der geizige Maier klopfte nun gar dreist und keck an den Felsen, und rief: »Thürlein, öffne dich!« Und im Augenblicke war die Spalte im Felsen wieder da, so groß, daß er bequem hineingehen konnte. Und als er drinnen war, rief er: »Thürlein, schließe dich!« Und der Felsen hinter ihm schloß sich mit einem furchtbaren Gepolter. –

Draußen stand der Holzhacker, und betete ein andächtig Vater unser.

In der Felsenhöhle aber ging es fürchterlich zu. Der geizige Maier meinte schon, er sei Herr der Kisten und Kästen voll Gold, Silber und Edelsteine, und sagte zu sich lachend: »Der Holzhacker muß sterben!« Da stürzte ein schwarzer Wolf mit schrecklichem Geheul hervor aus der Tiefe der Höhle, und fiel über den Maier her, und packte ihn mit eisernen Krallen. Der Maier erhob ein jämmerliches Geschrei; allein er konnte nicht entfliehen, weil er in der Angst die Formel vergessen hatte: »Thürlein, öffne dich!«

Der Holzhacker draußen lag auf seinen Knieen, betete und zitterte an allen Gliedern. Als aber das Geheul des Wolfes und das Geschrei des Maiers vorüber war, nahm er all' seinen Muth zusammen, klopfte dreimal an die Felsenwand, und rief: »Thürlein, öffne dich!«

Und als der Felsen auseinander ging, sah er zu seinem größten Schrecken, wie der schwarze Wolf den Leichnam des Maiers davon trug in die Tiefe der Höhle, und wie die Kisten und Kästen voll Gold, Silber und Edelsteine in die Erde versanken. –

Der zitternde Hans erinnerte sich nun der Prophezeiung, die der Geist des frommen Mönches dem geizigen Maier gemacht: »Du wirst unter den Kisten und Säcken deines Mammons eines gewaltsamen Todes sterben, wenn du dich nicht besserst, hartherziger Mann, und nicht mittheilest den Armen von deinem großen Reichthume.« –

Und pfeilschnell eilte der erschrockene Holzhacker davon, in der Kirche des nächsten Klosters für die arme Seele des geizigen Maiers zu beten.


Das große Anwesen des verschwundenen Geizhalses brachte ein menschenfreundlicher Mann käuflich an sich – und der arme Hans erhielt in der Folge seinen Lohn genau und pünktlich. So konnte er seine Familie redlich ernähren und rechtschaffen auferziehen. Und gute brauchbare Kinder waren dereinst der Segen seiner Redlichkeit, seines Fleißes und seines milden Herzens.


Der Erzähler.

Nun habt ihr die Geschichte gehört, ihr lieben Kinder! Merkt es euch wohl, was ihr daraus lernen könnt – und werdet zufriedene, redliche, arbeitsame und freigebige Menschen!

Die Kinder.

O ja! Wir wollen die Geschichte merken, und zufriedene, redliche, arbeitsame und freigebige Menschen werden.

Der Erzähler.

So segne euch der liebe Gott – und stärke eure guten Vorsätze zur glückseligen Ausführung. –



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