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Zweite Abtheilung.


Die Erdbeeren

Eine Erzählung.

Adolph Wingold, Edler auf Hohengau, ein ausgezeichneter Staatsbürger und Familienvater, lustwandelte mit seinen drei Kindern Ferdinand, Alfred und Amalia an dem heitersten Erstlingssommermorgen durch die romantischen Waldparthieen eines berühmten Badeortes. Er war vor einigen Tagen aus der Stadt hieher gekommen, um sich sowohl von den schweren Geschäften des ganzen Jahres zu erholen, als auch die Feier eines Tages zu begehen, den er von frühester Jugend an unter Dankesthränen zu Gottes Vorsicht und Güte im steten Andenken erhalten hatte.

Der brave, einsichtvolle Vater, der seine Kinder mit wahrhaft mütterlicher Liebe an sich schloß, unterließ es nie, so schöne Gelegenheiten zum Besten in der Erziehung derselben zu benützen. Und er gab sich daher jedes Mal die Mühe, die jungen Herzen vom Anstaunen der lieblichen Schöpfungen zur dankbaren Anbetung des Schöpfers aller dieser Wunder in der Natur hinüberzubringen. Und wenn es ihm dann so geglückt, und sie knieten, die Hände in einander geschlungen, unter den Schatten einer Buche, oder an dem Ufer eines Bächleins, an dem das zarte Vergißmeinnicht blühete, oder wenn sie beteten in der dunkeln Taxuslaube, umduftet vom Balsam hundertblättriger Rosen – wie stand er in Freudenthränen und schloß jedes dieser theuren Liebespfänder inniger an's Vaterherz! –

Aber heute hatte er sich die Erzählung seiner Jugend vorbehalten. Und er wollte dieß um so weniger unterlassen, da Alfred, der jüngere Knabe, der unter das Buchengehäge vorausgeeilt war, freudig mit einem Erdbeerstrauß, woraus den Edelmann jedes Beerchen an die Vergangenheit erinnerte, zurückkehrte, um den lieben Vater mit diesem Geschenke zu überraschen.

»Ich danke dir, mein Alfred,« sprach Wingold gerührt, indem er sich eine Thräne vom Auge trocknete, »du hast mir hiemit eine Gabe gereicht, deren Bezug auf mein ganzes Leben und Glück von den Jahren meiner Jugend an, dir und deinen Geschwisterten noch nicht bekannt. So sei es aber nun, daß ich euch die Geschichte meines Lebens erzähle, damit ihr die herrlichen Fügungen Gottes anbeten, und das Andenken eines Mannes ehren möget, dem ich nach Gott mein ganzes Glück zu verdanken habe.« –

Nun ging der Vater mit den Kindern noch einige Schritte hinan, bis sie die Spitze des Hügels erreicht hatten, wo die Schatten dreier Buchen zu freundlicher Rast und Ruhe winkten. –

»Hier setzt euch im Kreise!« sprach er, und fing zu erzählen an:

»Es war vor dreißig Jahren am Tage der Heimsuchung Mariä, als die Bewohner eines romantischen Städtchens am Rhein sich der grenzenlosesten Freude überließen über den Auszug der fremden Truppen, die sie Monate lang belästigt hatten. Die Brust eines Jeden athmete freier. Man besuchte die sonst gewohnten, seit langer Zeit aber vermiedenen Unterhaltungsplätze und Spaziergänge. Man grüßte sich gegenseitig über die Straßen hin, und wünschte sich von Herzen Glück, daß man endlich einmal von den schweren Einquartierungen befreit, und der Schauplatz des Krieges in andere Gegenden verlegt sei. Spiele wurden gegeben für Jung und Alt. Und der Bürgermeister und die hohen Räthe der Stadt saßen an köstlichen Tafeln. Selbst dafür war gesorgt worden, daß die Aermsten und Dürftigsten der Bewohner, den nagenden Brodsorgen entbunden, diesen Tag freudig und wohlgemuth hinbringen konnten. Dazu that der Himmel auch sein Bestes. Denn er hatte wieder einmal nach vielen regnerischen, grauen Tagen die freundliche Sonne hervorgeführt; und damit ihre Hitze, wie es zu dieser Jahreszeit gewöhnlich ist, nicht zu sehr belästige, strich durch die Landschaft ein angenehm abkühlendes Lüftchen.«

»Währenddem sich auf diese Weise die ganze Stadt den Vergnügungen hingab, und vielleicht die Wenigsten der Einwohner daran dachten, dem allgütigen Vater im Himmel, der doch der Geber dieser Vergnügungen war, vor Allem kindlich zu danken – saß ein armer Knabe von zehn Jahren an dem Ecksteine eines großen vornehmen Hauses, das rechts und links in eine Gasse führte – und sah ganz wehmüthig und traurig dem lustigen Treiben und Wogen der Vorüberziehenden zu. Der Knabe hatte kein gleichgiltig Gesicht. Das blaue Auge und über ihm die hohe gewölbte Stirne, über die blonde Locken nachläßig herabfielen, mochten ihm ein ernsthaft Ansehen geben, das die Blässe der Wangen, die durch Hunger und Herzeleid entfärbt waren, nur noch leidender und mitleiderregender gestaltete.«

»Die Leute aber, die an ihm vorüber rannten, sahen doch von Allem dem nichts. Denn sie waren von der Freude des Tages zu sehr eingenommen, und – der Knabe war fremd. Auch war seine Kleidung, die aus leinenen Beinkleidern, einer alten Husarenjacke, einem grünen abgetragenen Hute, und aus Holzschuhen bestand, von der Art, daß er allenthalben für nichts Anderes, als für einen Bettelbuben angesehen wurde. Er wollte aber nichts weniger, als betteln, sondern nur seine Beeren, die er in einem zierlichen, aus Weiden geflochtenen Körbchen am Arme trug, an Einen der Vorübergehenden verkaufen. Daher ließ er oft sein helles, einladendes: »Kauft Beeren! Kauft Erdbeeren! Zuckersüße Beeren!« durch die Gasse verhallen. Allein man achtete seiner nicht. Und wenn man seiner achtete, so geschah es nur auf eine unfreundliche Weise, indem man ihn mit Scheltworten zur Ruhe verwies, oder ihm wohl gar einen derben Seitenstoß versetzte, daß er beinahe am Steine hinabgesunken wäre. Doch er ließ sich nicht irre machen, und wollte gerne harren, so lange die Sonne am Himmel stände.«

»Da aber die Sonne schon hinter den Mauern der Stadt verschwunden, und er die Erdbeeren immer noch nicht verkauft hatte, wurde ihm recht wunderlich zu Muthe, und er fing bitterlich zu weinen an. »Ach, mein armer, kranker Vater!« seufzte er, »wie bang wird dir um mich sein, wenn du so lange umsonst meiner harrest. Und wie schmerzt es mich, daß ich dir nicht einmal ein Stück weißen Brodes zur warmen Suppe mit nach Hause bringen kann!« – Dann kniete er nieder am Steine, und während die Bittthräne rann aus dem feuchten Auge, betete er voll kindlicher Inbrunst: »Du Gott des verlassenen Vögeleins in der Luft und des einsamen Blümleins auf der Wiese, o sieh' auch heute gnädig hernieder auf den armen Husarenknaben, der für seinen Vater fleht und bittet. Du hast mir bisher noch jedes Mal mild und freundlich vergönnt, daß ich mit dem Erlös der Erdbeeren den kranken Invaliden dort im Walde ernährt. Schicke mir auch heute ein mildthätiges Herz, das mit ein paar Groschenstücken meinen Jammer endet und die Schmach des armen leidenden Vaters. Ach, ich will ja gerne hungern, wenn nur Er eine stärkende Suppe hat. Ich will gerne wachen durch die ganze Nacht, wenn Er nach dem Genusse einiger Tropfen Weines im süßen Schlummer die Genesung findet. So hilf, lieber Gott, hilf, und laß mich meine Erdbeeren verkaufen! Hilf dem armen Husarenknaben und seinem Vater!« –

»Und siehe, kaum hatte der Knabe nach diesem brünstigen Gebete voll kindlicher Zuversicht das Auge sich getrocknet – da stand vor ihm ein Mann in vornehmer Tracht, der voll Mitleid in seine Börse griff, und dem vor frohem Staunen zitternden Jungen zwei große Silbermünzen in die Hand drückte, mit den Worten: »Gib mir die Beeren sammt dem Körblein; du aber nimm dieß Geld, und eile und tröste deinen Vater. Vergiß in deinem Leben nie, so kindlich fromm zu beten – und du wirst stets Erhörung finden!« –

»Darauf ging der unbekannte, brave Mann, an seinem Arme das Körblein mit den Beeren, in das große Haus zurück, vor dem der Knabe seine Frucht bisher vergebens feil geboten. Dieser aber, nachdem er sich von der ersten Freude erholt, und zehnmal nachgerufen: »Dank Gott und dem guten Herrn!« eilte, um Brod zu kaufen – und dann fort, im Trabe fort nach dem Walde, wo der arme kranke Vater schmachtete.«


Nachdem der Edle von Hohengau seinen Kindern also erzählt, sahen sich diese gegenseitig an, als wollten sie leicht errathen, wer der arme Husarenjunge gewesen. Amalia, die zartfühlende Tochter, neigte ihr Haupt an des Vaters Herz, um da die Thräne der Rührung zu verbergen, Ferdinand zog dessen Hand an seine Lippe und küßte sie im Ausdruck blühender Jünglingskraft; Alfred aber war eben im Begriffe, mit der Art überquillender Kindlichkeit das Räthsel zu lösen – da gebot der Vater mit erhobenem Finger Stille, und fuhr in der Erzählung fort:

»Wir versetzen uns jetzt im Geiste mitten in das nahe gelegene Wäldchen, wohin der Fuß des armen Knaben eilt. Eine niedere halbverfallene Mooshütte lehnt zwischen zwei gewaltigen Eichenstämmen. D'rinnen in der Hütte – ach, wie sieht es da so armselig und erbärmlich aus; kein Tisch, keine Bank, kein Ofen, keine Bettstelle. In einem Eck lehnt ein verrosteter Karabiner und Husarensäbel, dort ein Stelzfuß und ein hölzerner Arm – und hier – o Elend über Elend – hier liegt auf einem zerrissenen Mantelsack, der einen Bündel Stroh und Reißig überdeckt, ein alter kranker Invalide. Sein rechter Fuß und linker Arm liegen auf dem Schlachtfelde begraben – und ach, seine verzehrte Brust voller Narben wird auch aus diesem Leben bald in ein anderes hinüberschlagen. Ein Krug mit Wasser, schon in der Frühe von der Quelle geholt, soll den Fieberdurst stillen, und trockene Brodrinden sind seine Stärkung und Arznei.«

»Wo bleibt mein lieber Knabe so lange?« seufzt der arme Mann, und streckt die Hand, so vom Kugelregen verschont geblieben, flehend zum Himmel: »Ach, Gott verhüte, daß ihm unter Weges was Leids begegnet. Wie bange müßt' ich aus dieser Welt gehen, wenn noch die Nachricht von einem Unglücke, das ihn getroffen, oder gar von seinem Tode meine letzten herben Augenblicke leidensvoller machen würde. Doch nein, lieber Gott im Himmel, dem ich stets mich und mein Kind vertraut, nein, das thust du nicht! Du bürdest meinen schwachen Schultern keine größere Last auf, als sie zu tragen vermögen, ehe sie hinuntersinken zur letzten Ruhe. So sei der Knabe deinem Schutz empfohlen, und der alte Invalide, der nun bald vor dir erscheinen muß, deiner großen Barmherzigkeit.« –

»Der Invalide, meine lieben Kinder – fuhr Wingold, nachdem er sich eine Thräne von der Wange getrocknet, zu erzählen fort – der Invalide hatte in ruhiger Zeit von seinem Könige, für den er Arm und Bein verloren und so viele Narben am Leibe trug, wohl eine kleine Pension genossen, die ihn doch wenigstens vor Hunger und Durst und Blöße schützte. Allein in jener kriegerischen Zeit, da Alles d'runter und d'rüber ging, unterblieb diese Gnadenspende und der arme Stelzenmann kam sehr in Noth. Doch war er zufrieden, so lange er sein Stücklein Brod an den Thüren barmherziger Leute sich erbetteln konnte. Nun aber kam der Krieg in's Land, und er mußte sich vor der Wuth feindlicher Soldaten, die am wenigsten das Leben eines alten Helden, der seinen Säbel im Blute der Ihrigen gefärbt, schonen wollten – hieher in diese halbverfallene Hütte flüchten, wo er nun allein von dem Erlös der Erdbeeren, die sein Knabe zu Markte trug, das mühselige Leben fristen konnte.« –

»Nachdem der Invalide gebetet, wie ich euch vorhin erzählt, wandte er das Haupt getrost und ruhig gegen die Wand, um zu versuchen, ob er nicht einen stärkenden Schlaf gewinnen könne. Aber nun, wie er schlummerte, trat der Knabe vom Markte ein, und da er des Vaters Ruhe merkte, kauerte er sich so leise als möglich zu dessen Lager, legte in kindlicher Freude köstliches Waizenbrod neben an, und stellte ein Krüglein mit Wein an den Boden, mit fröhlich klopfendem Herzen harrend auf den Augenblick, da der Vater erwache zum Genusse dieser Stärkung.«

»Wer vermag die Wonne zu beschreiben, die durch das Herz des Knaben zitterte, als nach einer Viertelstunde der Invalide sich erhob, und schmachtend nach der dargereichten Labung griff? »O Vater,« rief er, »der liebe Gott hat mir heute einen recht braven Käufer zugeschickt, der mir für die Erdbeeren zehnmal mehr gegeben, als sie werth waren. Dafür nun konnt' ich dir ein paar süße Augenblicke verschaffen! Wie herzensfroh bin ich darüber!« –

»So laß uns danken, Knabe,« sprach der Invalide, und schickte die Augen statt der Arme nach dem Himmel, »danken dem lieben Gott und dem braven Manne.«

»Und der Junge kniete neben dem Vater nieder, und betete mit diesem laut und andächtig ein innigfromm Gebet. Da ging mit einem Male die Thüre auf, und in die dumpfe, niedere Stube trat – der fremde Erdbeerkäufer aus der Stadt.«

»Müßt nicht erschrecken!« sprach er freundlich, da der Knabe schüchtern sich zurückzog in ein dunkles Eck. »Ich bin dir, Junge, auf dem Fuße nachgegangen; denn es trieb mich das Verlangen, deinen Vater kennen zu lernen, der dich also treuherzig und kräftig beten gelehrt. Doch, wie? welch' ein Elend muß ich in dieser armseligen Hütte finden? So sei Gott dafür gelobt, daß er mich in dieser Abendstunde noch hieher geleitet. Armer Invalide, ich will euch helfen! Ihr sollt eure Tage vollends wohlgemuth und ohne Sorge in der Stadt verleben. Der Feind hat diese Gegend verlassen, und wird sie so leicht nicht wieder überfallen. So habt ihr keine Gefahr für euer Leben mehr zu fürchten. Morgen in aller Frühe werd' ich Anstalt treffen, daß ein Wagen euch zurückführe in die Stadt, wo ihr ein lieblicheres Gemach beziehen sollt, als diese halbverfallene Hütte ist.« –

»Invalide und Junge wußten bei dieser milden Rede des braven Unbekannten nicht, wie ihnen war. Der Vater streckte die Rechte zum Danke dar, und der Sohn küßte in lauter Freude, daß es nun mit dem Vater besser werde, den Saum vom Rocke des Fremden.«

»Nun ließ sich dieser noch Manches erzählen aus der tapfern Vergangenheit des Invaliden; und nahm endlich Abschied auf Wiedersehen am frühesten Morgen des andern Tages.« –


So weit erzählte Wingold, und hielt nun stille, sich auf's Neue zu sammeln. Was zunächst kommen sollte, mußte ihn sehr ergreifen; denn es zog eine Trauerwolke über seine Stirne, und ein paar große Thränentropfen zitterten in seinen Augen. Mittlerweile konnten sich die Kinder doch nicht halten, und flüsterten zu einander: »Der Vater ist der Husarenknabe! Der Invalide aber war sein Vater!« –

»Ja Kinder,« sprach der Edle von Hohengau mit lauter, bewegter Stimme: »Wie ihr gesagt, so ist es! Doch dieß ist erst der Anfang der wunderbaren Fügungen Gottes! Höret sie bis zum Ende. Und dann fallet hin auf eure Kniee und danket mit mir im kindlichen Gebete dem Alllenker unserer Lebenstage!«

»Ehe der Morgen des andern Tages graute, stand ich, mit einem rauhen Wanderstabe in der Hand und einem kleinen Bündelchen über der Schulter vor der großen Pforte des Hauses, an dessen Eckstein ich gestern Erdbeeren feilgeboten. Meine Augen waren roth geweint. Schmerz und Kummer und Herzeleid hatten mich so zernichtet, daß ich kaum vermochte, einen Schritt weiter zu thun. Endlich befiel mich eine gänzliche Verlassenheit; ich sank ohnmächtig an der Thüre nieder.«

»Als ich wieder erwachte, ward mir leichter; denn ich sah den guten lieben Erdbeerenkäufer vor mir stehen. Er nahm mich freundlich bei der Hand, und fragte voll Mitleid: »Knabe, was ist dir geschehen?« Nun konnte ich meinen Thränen wiederum freien Lauf lassen: »Das Aergste ist mir geschehen! Mein lieber Vater ist todt! Als ich am frühesten Morgen nach ihm sah, fand ich ihn entseelt auf seinem Lager! – Und nun bin ich daran, hinauszuwandern in die weite Welt, wohin mich Gott mag führen. Er beschere der väterlichen Leiche ein friedlich Grab, und mir Muth und Kraft gegen die Trübsalen der Zukunft. Ich bin gekommen, edler Herr, euch für das Gute, das ihr uns erwiesen, und für die frohen Tage, die ihr dem armen Stelzenmann bereiten wolltet, noch einmal recht inniglich zu danken. Gott mög' es euch vergelten hier und in jener andern Welt. Und nun, lebt wohl, und glaubt, daß der wandernde Husarenjunge, er möge sein wo er wolle, täglich für euch beten werde. Lebet wohl!«

»So sprach ich, und wollte gehen. Aber Herr von Hallberg – so war der Name meines theueren Wohlthäters – zog mich freundlich auf's Sopha zu sich nieder, und tröstete mich: »Laß deinen Vater ruhen! Er ruhet sanft aus von den vielen Beschwerden des Krieges und der Noth! Wer so beten konnte, wie dein Vater, dem lächelt beim Austritt aus diesem Leben ein holder Friede! Jesus, der göttliche Erlöser, lächelt ihm, und führt ihn in die seligen Wohnungen, die er den Frommen auserkoren. Du aber magst dich jetzt zum tüchtigen brauchbaren Manne für die Zukunft bilden – ich behalte dich bei mir. Und so du wirklich nach meinem Wunsche dich gestaltest, sollst du, da der Himmel mir keine Kinder gab, die Stelle eines Sohnes besetzen und mich Vater nennen.«

»O meine Kinder, wie soll ich's nennen, was mich in jenem Augenblicke der Trauer, Ueberraschung und Freude tief in meiner Seele ergriff. Ich konnte keinen Gedanken, kein Gefühl zur Sprache bringen. Ich fiel nieder zu seinen Füßen und stammelte. Diese meine kindliche Verwirrung mußte den Edlen sehr gerührt haben. Er verließ mich, und ging in's Nebenzimmer, um sich eine Thräne abzutrocknen.«

»Ich aber eilte hinaus in die Waldhütte, und fiel an der Leiche des entseelten Vaters nieder, um die mannigfaltigen Thränen recht frei vom Auge fließen zu lassen, und das Gelübde zu beschwören, allen seinen Ermahnungen bis zum Ende treu zu bleiben. Und gestärkt und ermuthigt durch ein himmlisch Gebet trat ich in meine neue Lebensweise.«


Hier hielt der Edle von Hohengau wieder eine Pause. Denn er merkte, wie sehr diese Erzählung seinen Kindern zu Herzen ging – und er wollte eine Weile stille stehen, um den kindlichen Gefühlen nicht voranzueilen. Mit verborgener Freude sah er in Ferdinands Auge eine Thräne der Rührung über den Tod des Invaliden und die gänzliche Verlassenheit des verwaisten Husarenjungen; und hörte aus Amaliens Munde, während Alfred seine Füße umfing, ein dankend Wort zum Himmel für die glückliche Wendung im traurigen Jugendleben ihres Vaters. –

Dann fuhr er fort: »Welch' köstliche Erziehung ich in Herrn von Hallbergs Hause, und an seiner Seite genossen, könnt ihr euch wohl denken, meine lieben Kinder, und ich will euch mit der Erzählung meiner Bildungsjahre nicht lange aufhalten. Es mag euch genügen, zu wissen, daß mein großmüthiger Wohlthäter mich nicht nur allein in allen Zweigen der Künste und Wissenschaften vollkommen unterweisen ließ, sondern daß er mich, was in der damaligen Zeit des allgemeinen Sittenverderbnisses und Religionsverfalles bei Hoch und Nieder eine Seltenheit war – daß er mich zum frommen Christen bildete. Und ich segnete bei jeder leisen Rückerinnerung an die Vergangenheit den Augenblick, da ich in das Haus und Herz dieses edlen Mannes gekommen. Er aber sprach gar oft zu mir mit lächelndem Munde: »Sieh, Adolph, deine kindliche Liebe, mit der du durch den Verkauf der Erdbeeren deinen Vater ernährtest, hat dir den Weg zu diesem Wohlstande gebahnt. Darum vergiß nie, so oft du Erdbeeren siehest und genießest, wie wunderbar der liebe Gott oft einen geringen Dienst, der aus Liebe geschieht, dazu benützt, seine Kinder mit süßem Lohn zu krönen – und bleibe in Hinsicht der christlichen Pflichterfüllung immer und allzeit der brave Husarenknabe mit den Erdbeeren am Ecksteine, so wird es dir immer wohl ergehen, und du wirst auch einmal Freude erleben an deinen Kindern.« –

»Ich war nun in das Alter vorgerückt, wo ich im Stande war, meines edlen Wohlthäters Güter zu verwalten. Ich versah dieses Amt mit so großem Eifer und so strenger Gewissenhaftigkeit, daß ich in Kurzem seinen größten Beifall und unbeschränktes Vertrauen bei ihm genoß. Aber nun sollte ein gewaltiges Ereigniß uns für viele Jahre, ach, für immer trennen. Herr von Hallberg, weil er ein edler Mann und ein Christ war, konnte die ungerechten Eingriffe vieler Heuchler und Schmeichler am Hofe in das Gut des Fürsten nicht mehr länger verschweigen. Er entdeckte, nachdem er drei- und viermal umsonst gewarnt, offen und frei dem Fürsten, was er wußte, und erbat sich, weil er nun doch nicht mehr länger am Hofe sich erhalten könne, die Entlassung aus fürstlichen Diensten. Da wütheten und tobten seine Feinde, und schwuren bei Tod und Leben, nicht mehr zu essen und zu ruhen, bis Hallberg, ihr Todfeind, aus dem Wege geräumt sei. Es waren auch wirklich drei Meuchler gegen ihn bestellt. Ich hörte die Verabredung im Walde, gerade an dem Tage, da sich der Erdbeerenverkauf in der Stadt jährte, und ich ausgegangen war, zum Andenken meinem edlen Wohlthäter Beeren heimzuholen.«

»Mit Zittern und Angst erzählt' ich ihm, was ich, versteckt hinter ein Gesträuche, aus dem Gespräche der Meuchler vernommen. Anfangs erschrack Hallberg; aber dann nahm er lächelnd die Erdbeeren, und sagte: »Du hast durch diese Frucht, oder vielmehr durch das kindliche Gefühl, mit dem du mir eine Freude machen wolltest, deinen zweiten Vater gerettet vom Meucheltode, wie deinen ersten vom nahen Hungerstode. So nimm dieses versiegelte Papier, mein treuer Sohn, und öffne es, wenn ich weit, weit von hier geflohen bin – es ernennt dich zum Erben aller meiner Güter.«

»Ich war zu überrascht, als daß ich ein Wort hervorbringen konnte. Ich fiel ihm um den Hals, und dankte ihm mit einen Strom von Thränen.« –

»Mit tausend Dukaten, und – was der herrlichste Schatz ist – mit dem Bewußtsein der Unschuld und Tugend, ging Herr von Hallberg um Mitternacht verkleidet über den Burgfrieden der Stadt – und suchte, nachdem er mich väterlich gesegnet und mir herzlich Lebewohl gesagt, in schleunigster Flucht Rettung und Leben. Ich entließ ihn mit heißen Thränen, und dem festen Schwure, das ganze Erbe als sein Eigenthum anzusehen, das ich bis zu seiner glücklichen Rückkehr treulich verwalten wolle.«

»Aber Herr von Hallberg, dem wir Alles zu verdanken haben – kam nie wieder, und ließ nicht einmal eine Silbe von sich hören. Dieß, meine lieben Kinder, ist es, was mir schon viele heiße Thränen ausgepreßt. Ich bin durch ihn zu hoher Achtung, zum Wohlstand, und zu einem ansehnlichen Amte gekommen, und habe durch ihn jene Bildung genossen, die ich nun auf euch übertragen kann, um euch dem Sittenverderbnisse der bösen Tage zu entreißen. Und wir, was haben wir unserm theuern Wohlthäter, der euch in mir glücklich gemacht, bisher erwiedern können?«

Bei diesen Worten entrollten den Augen Wingolds ein paar innige Thränen, mit denen er Herrn von Hallberg in diesem Augenblicke so gerne an sich gezogen hätte.

Da ergriff Ferdinand feurig des Vaters Hand, und rief: »O wenn er noch lebte! Wenn wir etwas von ihm erführen! Wie wollten wir ihm danken!«

Und Amalia flüsterte voll herzlicher Freude: »Er müßte zu uns kommen, und bei uns wohnen, und Alles, was wir besitzen, wäre wieder sein!« –

»Wenn er auch noch lebte,« entgegnete der Vater wehemüthig, »so müßte er nun schon über achtzig zählen, und – ach, in diesen Jahren ist der Mensch schon der Verborgenheit anheimgefallen, und seiner wird kaum mehr in der nächsten Umgebung gedacht! Wie werden wir ihn wieder finden?« –

»Kommt, kommt doch,« rief nun Alfred zurück, der einige Schritte vorausgeeilt war, um sich Erdbeeren zu suchen. »Kommt, seht die wundernetten, rothen Häubchen über dem dunkelgrünen Grund! Wir wollen dem edlen Wohlthäter zu Ehren Erdbeeren pflücken, und sie unten im Thale an der kühlen Quelle im Andenken an ihn verzehren!«

Vater und Geschwisterte nickten lächelnd Beifall zu – und Alfred hüpfte, wie ein junges Reh, singend und pfeifend durch das Gebüsch.

Aber nach wenigen Minuten kam er zurück, und, zitternd an allen Gliedern, erzählte er ohne Athem, was ihm begegnet: »Ich pflückte Erdbeeren dort im Dickicht, und kam unversehends an eine alte Berghütte. Vor der Thüre saß ein Mann mit einem langen, grauen Barte, und vergoß Thränen auf einen Erdbeerstrauß, den er in der Hand hielt. Er fragte mich: Wie heißt du, Knabe? Und da ich sagte: Alfred Wingold ist mein Name! erhob er sich hastig, und wollte plötzlich auf mich zueilen. Nun erschrack ich so sehr, daß ich laut aufschrie, und davon floh. Und ich glaube, er ist mir nachgegangen; denn ich habe lange nachher noch ein Geräusch im Grase gehört. Ja, ja, seht ihr! da, da kommt er schon!« –

Alfred verbarg sich hinter seinen Geschwisterten, aber der Edle von Hohengau trat dem Greisen ehrerbietig entgegen, und entschuldigte sich: »Vergeben Sie, ehrwürdiger Mann – mein Sohn Alfred – der noch ein Kind – dem Alles neu auf dem Lande« – –

Hier hielt er inne, und sah dem Greisen starr in's Gesicht – dann rief er laut: »Wie? Unmöglich! Und doch!« –

»Wingold! Mein Sohn!« zitterte der bewegte Greis dem Staunenden entgegen. »Ich täusche mich nicht! Du bist's! Ich sehe dich wieder!« –

»O Gott!« ruft Wingold, und liegt in den Armen des Alten. »Mein Wohlthäter! – Mein Vater! – Mein Vater Hallberg!« –

Wie Ferdinand und Amalia diese Worte hören, eilen sie herbei, und umfassen die Kniee des Greises, und fangen an zu weinen. Alfred, der nicht recht weiß, was und wie? jammert überlaut. Das Herz des alten Hallberg aber zittert, sein Auge feuchtet sich, und nun glänzt eine Freudenthräne auf seinem grauen Barte. »Gott sei Dank,« ruft er »endlich, daß ich dich wieder habe, mein geliebter Wingold! Mein Sohn!«

In dem Augenblicke sieht der Vater nach seinen Kindern: »So, meine Lieben, so ist's recht! haltet ihn recht fest! küßt seine Füße, seine Hände – das euer Wohlthäter!« –

Auf dieß Wort des Vaters kommt auch Alfred. Der Greis hebt ihn auf, und küßt seine Stirne, und segnet alle drei: »Gott sei mit euch, ihr holden Engel! Der gute Geist eures Vaters ruhe auf euch!« –

Und nun erzählte der alte Herr, wie er auf seiner Flucht nach vielen Wochen endlich hier in der niedern Berghütte einen Ruhepunkt gefunden. »Die stille Einsamkeit,« setzte er hinzu, »in der ich erst mit mir selbst vertraut zu werden gelernt, ist mir zum Paradies geworden, das ich nie mehr verlassen will.«

»Wie?« fiel Wingold in die Rede, »Vater, Sie wollten nicht zu uns wiederkehren? im Kreise meiner Familie nicht alles genießen, was Ihr Alter in der Stadt angenehm machen kann?«

»O kommen Sie!« bat Ferdinand. »Mit Dank können wir nicht erwiedern, aber wir wollen wetteifern, Ihnen Vergnügen zu machen!« –

»Ja, das wollen wir!« riefen Amalia und Alfred, wie aus einem Munde. –

»Laßt mich, meine Lieben!« entgegnete Hallberg in frommer Ruhe. »Ich habe deine Kinder gesehen, Wingold, habe dich gesehen – und danke Gott. Die kurze Zeit, die ich noch zu leben habe, will ich hier zubringen in Betrachtung des Göttlichen – und will mich freuen und stärken in der Morgenröthe und in der Abenddämmerung. Aber damit wir uns nicht ferne bleiben, und weil wieder, wie schon zweimal, die Erdbeeren zu einem glücklichen Ereigniß führten – so soll euch dieser Tag jährlich vor meiner Hütte finden zu einem lieblichen Erdbeerfest. Dann wollen wir unserer verlebten Tage gedenken, und Gott danken. Und ich will deine Kinder jedesmal segnen, Wingold, damit sie dir zur Freude erwachsen.« –


So geschah es nun auch. Zwei Jahre nacheinander ward auf dem Waldhügel vor Hallbergs Hütte ein Erdbeerfamilienfest gehalten. Der Greis und Wingold goßen kräftigen Rheinwein an die Beeren, und verzehrten sie unter rührenden Gesprächen aus der Vergangenheit; die Mutter der Kinder aber, die nun auch jedes Mal die Reise mitmachte, aß mit diesen die köstliche Frucht in süßer Milch. Dann wie der Abend nahete, schied die Familie wehmüthig mit des Greises Segen. –

Aber da Wingold mit seinen Kindern zum dritten Male kam – fand er die Hütte halb zerfallen und öde – und Erdbeeren blühten und reiften – über dem Grabe des alten Hallberg.



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