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Fünftes Kapitel.
Auf dem Seegrund

Bild: Hans Baluschek

In der braungrünen Dämmerung des Wassers auf dem Seegrunde, in Schlamm und Tang, zwischen dem undeutlichen Durcheinander von aufsteigenden Schilf- und Seerosenwurzelstämmen war eine kleine Gesellschaft versammelt.

Ulu, der Karpfenururgroßvater, saß im Schlickschlafrock, die Moosmütze auf dem Kopfe, mit offenem Maule, regungslos auf einem Schlammstuhle im Kreise seiner Gäste und glotzte vor sich hin.

Rechts und links von ihm saßen, ebenso bewegungslos und mit offenem Maule, Ko und Mo, die Karpfenurgroßtanten, in ihren Schlammnachtröcken. Die eine hatte den Kopf in der Tanghaube nach rechts, die andere ihn nach links geneigt.

Ein wenig zur Seite hockte Mulme, der Molch, auf einem Wurzelknoten, und auf der anderen Seite glotzte Rasselritter, der Krebs, aus einem Grundloch.

* * *

Mulme lutschte sich gemütlich an den Klauen und bemerkte nach einer langen Zeit des allgemeinen Schweigens, es sei heute schön mollig beim Ulu, sehr schön mollig.

Rasselritter stimmte zu, daß es sehr angenehm sei, wirklich sehr angenehm.

Nach einer wieder langen Zeit allgemeinen Schweigens meinte Mulme, daß oben, in der trockenen Luftwelt, die Sonne scheine.

»Sehr angenehm, sehr angenehm dann im Schlamm!« bemerkte Rasselritter dazu, während Ko und Mo mit den dicken Köpfchen nickten, und Ulu zur Bestätigung eine gelbe Luftblase steigen ließ.

Wieder folgte allgemeines Schweigen, das schließlich durch die Bemerkung des klauenlutschenden Mulme unterbrochen wurde, daß Pamps ja immer noch nicht da sei und er wäre doch auch eingeladen.

Ko und Mo nickten. Ulu ließ eine Blase steigen.

»Unglaublich finde ich das, unglaublich! So ein Frosch hat gar keine Ahnung von ritterlicher Pünktlichkeit!« rasselte der Krebs aus seinem Loch und, als Mulme dann meinte, daß er wohl wieder Fliegen fangen möge, oben, in der Sonne, äußerte er sich verächtlich dahin, daß er ganz gewiß keine bekommen würde; dazu sei er viel zu dick geworden. Höchstens lahme Spinnen könne der feiste Pamps noch greifen.

Auf diese Bemerkung erfolgte allgemeines Kopfnicken und Blasensteigen, und Mulme erging sich in eine Betrachtung darüber, daß er überhaupt nicht begreife, wie man so lange da oben in der trockenen Luft sein könne. Hier unten sei es doch so mollig. Oben, im Sonnenschein, platze einem bloß die Haut.

»Pamps ist eben kein edles Wassertier!« bemerkte Rasselritter überlegen. »Elende Zwitter sind diese Frösche; ich hab's immer gesagt! In der Luft sind sie nichts und im Wasser auch nichts! Er ist ein Molch ohne Schwänzchen, ein Fisch ohne Schüppchen! Erbärmlich unedel ist so eine Paddennatur! Einseitig muß man sein, einseitig!«

Mulme schmatzte seine Bestätigung, und die Karpfen nickten gemütlich Beifall.

Wieder war es eine ganze Weile still in dem molligen Kreise, bis Mulme plötzlich nach oben schielte und meinte, er glaube, daß da etwas komme.

Rasselritter glotzte hinauf und bestätigte die Entdeckung des Molchs, daß da oben etwas komme. Es sei Pamps; doch er komme nicht allein; er habe was bei sich, was äußerst Seltsames, das noch nicht genau zu erkennen wäre, aber etwas sehr Sonderbares zu sein scheine.

Die Karpfen drehten die Köpfe langsam, und nun starrten alle fünf Schlammbewohner nach oben, wo in der grünen Wasserdämmerung die Gestalten von Pamps und Pips allmählich immer deutlicher wurden.

* * *

So mein Herr,« unkte Pamps; »nun sind wir bald am molligen Grund. Immer die Klauen ordentlich bewegen! – Uaaaaar, uaaaaar! – So, so! – Wie edler Frosch es tut!« – Dazu machte er dem etwas geängsteten Pips die Schwimmbewegungen der Frösche vor, und beide sanken immer tiefer zum Grund, bis sie im Dickschlamm vor der kleinen Gesellschaft landeten.

»Uaaaaar, da wären wir im Molligen!« unkte Pamps und machte vor den Glotzenden nach allen Seiten Verbeugungen. »Guten Tax allerseits, guten Tax, guten Tax! Ich komme spät, aber mit einem Gast, wie selbst Vater Ulu ihn noch nicht kennt auf dem Seegrund.«

Dann legte er Pips seine Klaue auf den Kopf und stellte ihn vor als den laufenden, fliegenden und schwimmenden Pilz Pips, etwas ganz Neues in der Welt. Dazu verbeugte er sich wieder im Kreise, und Pips tat ebenso.

Alle Anwesenden blieben in ihren Stellungen, ohne wieder zu grüßen.

Nach längeren Klauenlutschen erst blubberte Mulme: »Hö, hö, hö!« –

Dann kroch Rasselritter halb aus seinem Loch und knarrte: »Häh, hä, hä!« –

Mo wiegte den Kopf, und Ko wiegte den Kopf.

Ulu ließ eine dicke Blase steigen.

* * *

Nach diesem recht wenig freundlichen Empfang im Molligen glaubte Pips nun doch, auch etwas bemerken zu müssen, verbeugte sich noch einmal, etwas verlegen, und sagte: »Die Herrschaften haben wohl nicht verstanden? Mein Name ist Pips! Pips, der Pilz ist mein Name!« –

Mulme schmatzte grinsend: »Der laufende, fliegende und schwimmende Pilz? Hö, hö!« –

Rasselritter knarrte: »Hä, hä!« –

Ko und Mo wiegten die dicken Köpfe, und Ulu ließ wieder eine Blase steigen.

* * *

Nun watschelte Pamps dicht an den Karpfenururgroßpapa heran und meinte, es komme ihm so vor, als ob die Herrschaften nicht glauben könnten, daß es so sei.

Mulme schmatzte: »Ein laufender Pilz? Hö, hö, hö!« –

Mo wandte den dicken Schädel und verlor ein erstes Wort: »Ein fliegender Pilz?« –

Ko tat ebenso: »Ein schwimmender Pilz?« –

Und wieder war großes Glotzschweigen in der Runde.

Da faßte Pamps den kleinen Unbekannten um den Leib, schwang ihn mit einem tüchtigen Stoß ein großes Stück durch das Wasser vorwärts, und Pips machte dazu einige der gelernten Schwimmbewegungen.

»Sehen Sie, meine Herrschaften, daß er schwimmt? Laufen kann er auch und fliegen auch und, daß er ein Pilz ist, das sieht man doch. Er hat ja nicht einmal einen Bauch!«

* * *

Jo, jo!« nickten die glotzenden Karpfen zu dieser Vorstellung des Pipskönnens; Rasselritter aber, vor dem Pips nach dem Stoß mit einiger Mühe gelandet war, erhob drohend die Scheren und knarrte: »Nicht zu nahe kommen! Kann aufdringliches Benehmen durchaus nicht leiden, zumal von Leuten, deren Herkunft so gänzlich im Dunkeln liegt wie die Ihrige!«

Pips hatte ihn nicht verstanden und meinte höflich, daß er durchaus nicht aus dem Dunkelen komme, sondern aus dem Hellen oben, wo die Sonne scheine. Es sei ein großer Irrtum von Rasselritter, anzunehmen, daß er, Pips, aus dem Dunkeln sei. Er fände es jedoch hier unten sehr dunkel. Sehr weit sei er gereist und kenne alle Gegenden der Welt; nur das Mollige sei ihm bisher fremd gewesen. So habe er Herrn Pamps gebeten, ihn hierher zu führen. Das Mollige scheine aber ein sehr sonderbares und dunkles Stück von der Welt zu sein.

Mulme schmatzte, lutschend, daß es das beste Stück der Welt wäre, allerdings nur für die edlen Wesen, die hineingehören.

Wieder nickten alle ihren Beifall, und eine Reihe von Blasen stieg auf.

* * *

usch! … kam plötzlich Flimmerchen, die blitzschnelle kleine Forelle, von oben her in diese Gesellschaft.

Sie war sehr aufgeregt, schoß hin und her im Schlamm und rief: »Wo bin ich? Wo bin ich? Wo bin ich? – Es ist so dunkel! Ich habe mich verirrt, schrecklich verirrt! – Oh … oh … oh …!«

Pamps fragte die kleine Aufgeregte grinsend, was den Anwesenden denn das seltene Vergnügen verschaffe, ein Forellchen hier am Grunde des Sees zu sehen, und Rasselritter schnarrte, laut mit seinen Scheren klappernd: »Ei … ei …, reizend, sehr reizend!« –

Natürlich bekam Flimmerchen einen Schreck, versteckte sich – husch … hinter einen Wurzelknoten und fragte ängstlich, wer denn hier alles sei?

Nun fand Mulme für den neuen Besuch ein paar Schmatzworte und meinte, gemütlich lutschend, daß lauter Freunde hier seien, gemütvolle und edle Freunde, ganz ohne Hinterlist.

Rasselritter stimmte ihm wieder lärmend zu, kroch ganz aus seinem Loch, verbeugte sich und stellte sich vor mit der Bemerkung, daß er sich sehr freue, die Bekanntschaft eines so schönen Fräuleins im Kreise der Ulugäste zu machen.

Ängstlich schwenkte Flimmerchen das Schwänzchen als Gegengruß und erzählte, daß sie auf der Flucht vor dem Hecht sei, vor dem sie so schreckliche Angst habe. Oben im Hellen wäre er plötzlich hinter ihr gewesen mit weit offenem Rachen, als sie mit ihrem Bräutigam in den Wellen dicht am Bach den schönen Plätscherfischchentanz tanzte. So sei sie in ihrer Angst ins Dunkle geflohen, in dem sie gar nicht Bescheid wisse.

Rasselritter fühlte sich als Ritter und knarrte mit drohend, großspurig erhobenen Scheren: »Keine Sorge, keine Sorge, mein gnädiges Fräulein! Hier sind sie sicher vor dem gefräßigen Flegel! Würde er es wagen, hierher zu kommen, so würde ich ihm die Schuppen rasieren! Mein Krebsehrenwort darauf!«

Flimmerchen fand das sehr freundlich und wedelte wieder zum Dank mit dem Schwänzchen, bat aber trotzdem, daß die Herrschaften ihr doch sagen möchten, wie sie am schnellsten aus diesem trüben und dunklen Wasser wieder zu ihrer klaren Quelle hinaufkomme; denn sie habe sich doch verirrt.

Bild: Hans Baluschek

Im Wasser: der dritte Wunsch

Trotzdem nun Mulme meinte, sie möge doch noch ein wenig bleiben, da sie hier in außerordentlich guter Gesellschaft im Warmen sicher wäre vor ihrem Hechtfeind, und Pamps sich ihr für später als Führer ins Helle mit einer plumpen Verbeugung anbot, blieb sie bei ihrer Absicht.

Lachend nickte sie Pamps zu: »Sie sind sehr freundlich, Herr Pamps; aber ich fürchte, es wird mit Ihnen etwas langsam gehen. Die Frösche schwimmen doch sehr langsam, und hier ist es so schrecklich dunkel und stänkerig, daß ich nicht warten möchte. Ach nein, ach nein, ich möchte nicht warten und will doch lieber allein versuchen, ins Klare hinauf zu kommen!«

Husch! … war sie fort.

Großes Schweigen war wieder im Kreise.

Pamps war natürlich sehr beleidigt und stemmte die Klauen grimmig auf die Schenkel, die Karpfen wiegten die dicken Köpfe, Mulme lutschte, und Rasselritter versuchte überlegen zu lächeln.

Nur Pips rief bewundernd: »Ach, sie war schön! Sie war wirklich wunderschön!«

Damit hatte er nun aber den höchsten Widerspruch der Schlammgesellschaft entfesselt.

Pamps fand sie dumm, da sie keine Ahnung von der Schwimmkunst der Frösche habe, und Mulme fand sie frech und unverschämt, was Rasselritter, scherenklappernd, bestätigte. Und die mollige Wärme sei stänkrig? – Alle meinten, daß man es mit einer höchst unwissenden Person zu tun gehabt habe.

Pips blieb dagegen kühn bei seiner Ansicht, ihm habe sie sehr gefallen und dumm sei sie gar nicht; er könne das beurteilen, da er schon sehr viel von der großen Welt gesehen habe. Sie sei klug und habe recht. Es sei hier im Molligen dunkel und sonderbar, wie er schon vorhin gesagt habe, und stänkrig sei es auch. –

Auf die letzte Bemerkung des kleinen Pips hin richtete sich Rasselritter in seiner ganzen Krebsgröße drohend auf.

»Was? Was? Wollen Sie sinnloses Wesen auch noch sagen, daß unser Wasser stänkrig ist?« –

Pips blieb kühn. »Ja, wenn Sie denken, daß es schön ist, dieses Dunkle hier, dann sind Sie sehr dumm, Herr Rasselritter!«

Puff! … bekam er von hinten einen Stoß durch Mulme, daß er auf die Nase fiel, und Pamps watschelte heran mit erhobenen Klauen, um ihn zu ohrfeigen. Rasselritter aber drängte die beiden anderen zur Seite, sperrte die Scheren weit auf und knarrte wütend: »Den Kopf werde ich dir abkneifen für deine Frechheit!« – –

In dieser höchsten Not schwenkte Pips sein Glückskleeblättchen und quietschte: »Ich will fort, liebes Glückskleeblättchen, liebes Taumariechen! Ich will auf mein Stühlchen im Walde! Hilf mir, Taumariechen! Hilf mir, Glückskleeblättchen, daß ich auf mein Stühlchen daheim komme!«

Im gleichen Augenblick war er verschwunden. –

Bild: Hans Baluschek


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