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Im Weihnachtszimmer

Bild: Hans Baluschek

ans und Lotte spielten unter dem Weihnachtsbaum. Sie waren zwei artige Kinder, und Vati und Mutti hatten für sie von der Weihnachtswiese viel Schönes zum Spielen und viel Süßes zum Essen unter den großen Tannenbaum gelegt, der in der guten Stube stand. Sonst durften sie in der guten Stube nicht spielen und mußten sich immer sehr vorsehen, daß sie den großen Teppich nicht schmutzig machten; aber nun war Weihnachten; den großen Teppich hatte die Mutti aus der Stube herausgenommen und, wo er sonst lag, stand der Weihnachtsbaum mit seinen vielen Lichterchen auf den Zweigen und den schönen Geschenken darunter.

Unter dem Weihnachtsbaum durften sie spielen und taten es denn auch aus vollem Herzen. Sie jubelten, lachten, griffen sich und schossen Purzelbäumchen, daß es nur so eine Freude war. –

Eben spielten sie mit einem dicken Zuckerpilz, den sie von Mutti geschenkt bekommen hatten. Er sah beinahe so aus wie ein kleines Püppchen, und sie hatten ihn Pips genannt.

Lotte hatte den Pips in ihren Puppenwagen gelegt. Seinen Zuckerstiel hatte sie mit der kleinen Steppdecke zugedeckt, und sein Marzipanköpfchen guckte vom Puppenkopfkissen aus mit zwei großen schwarzen Schokoladeaugen erstaunt in die Welt. So fuhr sie ihn immer rings um den großen Weihnachtsbaum herum. Dazu sang sie fröhlich:

»Pips, du mußt gefahren werden,
denn das Laufen kannst du nicht;
aber so im Püppchenwagen
mach' dein lustigstes Gesicht!

Lotte zeigt dir alles Schöne,
fährt dich in der Welt herum;
und nach solcher langen Reise
bist du gar nicht mehr so dumm!«

»Ja, Lotte!« rief der kleine Hans vergnügt, »eigentlich muß man doch ganz schrecklich dumm sein, wenn man keine Beinchen hat und gar nicht spazieren laufen kann. Vom Spazierengehen wird man doch erst klug.«

Die kleine Lotte blieb mit ihrem Puppenwagen stehen, nickte mit sehr nachdenklichem Gesicht und bestätigte die Meinung des Brüderchens, daß sie vom Spazierengehen mit Mutti immer schrecklich klug geworden wären. Die Mutti hätte ihnen so viel gezeigt von der Welt. Alle die schönen Blumen auf der Wiese, und die bunten Schmetterlinge auf den Blumen, und die kleinen Hasen, die so schnell laufen können, und alle großen und kleinen Vögel in der Luft. Einmal einen ganz großen, schwarzen Vogel. Das wäre der Rabe gewesen. Der hätte immer »krah-krah!« gemacht. Die kleinen Vögelchen machten nicht »krah-krah!«, die machten »piep-piep!« oder »trülülü!« Und am Wasser hätte ihnen die Mutti die kleinen, bunten Libellen gezeigt, die in der Sonne spielen über den schönen Wasserrosen und den dicken Frosch, der immer nach ihnen schnappt und »uaaaaaar« dabei macht.

Bild: Hans Baluschek

Hans und Lotte im Weihnachtszimmer

An alles dies erinnerte sich der kleine Hans auch und lebhaft fragte er sein Schwesterchen, ob sie auch noch wüßte, wie sie einmal im Wald spazieren gegangen wären unter all den großen Bäumen, und wie es auf einem ganz großen Weihnachtsbaum plötzlich »tuck-tuck!« gemacht hätte.

»Ja!« rief Lotte, »das war das Eichhörnchen mit dem roten Schwänzchen, das da oben frühstückte und immer Krümelchen von seinem Frühstück herunterwarf.«

»Ein sehr großer Weihnachtsbaum war das im Wald,« meinte Hans nachdenklich; »viel größer als unser Weihnachtsbaum, und man konnte so schön darunter im Moos sitzen. Weißt du noch, wie wir uns dann mit Mutti hinsetzten, ganz dicht an den Weihnachtsbaum heran, auf dem das Eichhörnchen immer »tuck-tuck!« machte und frühstückte?«

Natürlich wußte Lotte das, und nun setzten sich die beiden Kleinen genau so wie damals im Walde dicht unter den Weihnachtsbaum und stellten den Zuckerpilz Pips zwischen sich auf den Fußboden, als ob er dort angewachsen wäre.

»So war es damals!« sagte Hans und schmiegte sich dicht an den Stamm des Weihnachtsbaumes und an sein Schwesterchen. »Hörst du schon das Eichhörnchen?«

»Ja, es macht immer ›tuck-tuck!‹« sagte Lotte. »Ich höre es ganz genau, ganz genau höre ich ›tuck-tuck!‹« –

Während sie nun so lauschten, war es ganz still im Weihnachtszimmer.

»Tuck-tuck!« sagte die kleine Lotte und nickte mit dem Köpfchen; »tuck-tuck!« sagte Haus und nickte auch.

Beide Kinderchen machten die Augen zu. »Tuck-tuck!« flüsterte sie; »tuck-tuck-tuck!« – – – –

Ganz, ganz leise kam das Sandmännchen hinter dem Weihnachtsbaum hervor und gab ihnen einen Kuß auf die Augen. –

Lächelnd schliefen sie ein. –

Nun stellte sich das Sandmännchen vor die beiden Schlafenden, reckte beide Arme über den Weihnachtsbaum hin und rief:

»Den Kinderchen werde ein schöner Traum
Von Pips, dem Pilz, unterm Tannenbaum;
Damit sie lernen, wie in der Welt
Dem Abenteurer das Glück sich stellt!«

Im gleichen Augenblick lösten sich die Wände der guten Stube in Luft auf, der Weihnachtsbaum wurde zu einer großen Waldtanne, und der Fußboden bedeckte sich mit grünem, schönem Moos, aus dem der kleine Pips lustig als Waldpilz in die Frühlingsmorgensonne guckte. –

Der Traum der Kinder hatte begonnen.

Bild: Hans Baluschek


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