Ernst Barlach
Fragmente aus früherer Zeit
Ernst Barlach

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Das Kochbuch

Von allen schriftstellernden Damen ist meine Mutter mir die liebste; denn sie schreibt an einem Kochbuch für ihren Jüngsten, den Fernschweifer hinter den Toren des Vaterlandes, jenseits der großen Wasserwüste, der uns schon manche Sorgen herübergeschickt hat, eingeschlossen im Briefumschlag, die wie ausgehungerte Mücken über uns kamen, wenn wir sie herausließen, und uns schon manche Nacht schlaf- und friedlos gemacht haben.

Da sitzt er auf der Steppe; seine Hürde ist der weite Horizont, und sein Dach ist der fensterlose Himmel. Aber über die Horizonthürden und durch das Himmelsdach brechen Feinde herein über ihn, Stürme und Dürren, Frost und Mißwachs, und er seufzt wohl zuzeiten, ach, der Himmel ist kein fester Schutz gegen das Schicksal und der Horizont kein Stachelzaun, an dem die Stürme ihre Barte zerzausen und hängen bleiben können, vor denen die Menschenquäler und die Friedenswürger sich scheuen, wo sie vergeblich entlangstreifen und Schlupflöcher suchen mögen!

Ja, der gute Kleine, der Knochen von Eisenholz, ungebrochen und von tadellosen Gelenken, mitbekommen hat, der auch gar nicht so klein ist und den ganzen Schädel voll festgewachsenstem und kraus ineinander gewuchertem Eigensinn hat, der hat schon in manchem Strauß, allein Mann gegen Wetter oder Mann gegen Einsamkeit, seinen Horizont und sein Eigentum behaupten müssen!

Und als ihr Teil an seiner Rettung, als Beistand gegen die tobenden Glücksvernichter hat meine Mutter zur Feder gegriffen und ist unter die Schreibenden gegangen.

Sie will für ihr Werk kein klingendes Honorar und auch keinen Verleger; sie mag nicht daran denken, daß es Auflagen erlebe und man davon in Teezirkeln rede, nicht einmal durch die Druckpresse soll, was sie geschrieben, filtriert werden; es bleibt Manuskript, und sie hat nur den einen Gedanken, daß es verständlichen Text erhält für eines Präriebrechers beschränkten Kochverstand und daß des Grenzers Knochen aus Speisen aus heimischen Kochrezepten dieselbe gesunde Kraft saugen mögen wie im Vaterhause aus Mutters Küche. Nie wohl konnte ein Kritiker irgendein Buch mit mehr Grund als Tendenzschrift bezeichnen, weniger als Mutter beim Kochbuchschreiben hat kaum jemand des Geschaffenen wegen geschrieben, ihr ist das Kunstprinzip nichts; aber daß der einsame Junge auf seiner Scholle, der, müde und naß, von Enttäuschungen gegerbt und von Mißmut entkräftet, heimgekehrt, nun erst das Herdfeuer entzünden und den Kochtopf brodeln lassen muß, endlich einmal eine schmackhafte Suppe machen lernt, die Gabe möchte Mutter mit ihrem Kochbuch ihrem Jüngsten ja so gerne anzaubern; denn sie weiß von vielen Stücken der Seele, daß sie im Magen sitzen, und daß mancher Held seine Tat ohne ein gutes Beefsteak englisch vorher niemals vollbracht hätte.

Mutter weiß auch ganz gut, einer, der seine Scholle beackert, eine Hütte baut und seinen Besitz bei Sommer und Winter verteidigt, ohne zu ermatten, das ist ein Farmer und kein Held; aber sie glaubt, auch Farmern kann ein Stück saftigen Rinderbratens zu besserem Kampf gegen alle Wetter wohl helfen im Winter, und Sommerspeisen, denkt sie, gehören in einen Magen zur Sommerzeit, wenn sie Segen bringen und Seelen Frieden geben sollen.

Darum schreibt sie so eifrig wie ein tantiemenwütiger Dramatiker, Rezept für Rezept, Seite für Seite; ihr Publikum ist der Junge auf der Steppe, und wenn es ihm schmeckt, das wertet ihr so viel, wie der Beifallssturm der Premiere einem Dichter.

Aber ich glaube, wenn sie die Brille auf die Nase setzt und zwischen den leeren und vollen Seiten webt und das tintenbemusterte Gebiet urbar macht und mit Buchstaben besät, ich glaube, ihre Seele betrügt ihr eigen Gemüt, und ihr ist, wie sie schreibt, als könnte sie selbst für ihn sorgen und ihren Sohn mit gewohnter Jugendmast mästen und ihm alle Entbehrungen mit Kochrezepten von verstärkter Wirksamkeit aus den Gliedern treiben wie ein Arzt mit scharf beizenden Mitteln Reißen und Rheuma.

Es braucht nicht lediglich Reimpapier in Versformat, um einen Band voll guter Geister zu bannen, und nicht immer sind die zünftigen die weisesten Philosophen. Je mehr Liebe zwischen den Blättern ungetrocknet und ungepreßt – desto wertvoller ein Band davon. Dann ist meiner Mutter Kochbuch sicher eins der teuersten unserer Literatur!


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