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Die Lastboote liegen faul beieinander, wie Ungetüme nach dem Fraß im Mittagsbad. Nordische Ungetüme. Vorne breit und hinten breit. Mit extra dicken Schädeln. Da hinter dem Pont Grenelle liegen ihrer drei beieinander. Der Wind stampft sie, soviel er kann, mit seinen Hacken. Er tritt ihnen in den Bauch und zerrt an ihrem Steuer, das groß und breit ist – sie rühren sich nicht. Sie sind beladen, bedeckt mit runden Planken. Bei diesem Wind und Regen ist das Deck glatt, spiegelglatt. In der Mitte oder am Ende liegt die Wassertonne. Ein Schiffsjunge, einer von der Familie, die die vordere Kajüte bewohnt, hat Durst; er taucht fröstelnd aus der Luke auf, hüpft mit hochgezogenen Schultern und steil aufwärts gerichteten großen Zehen übers blanke Verdeck. Ihm ist so unbehaglich in dem eisigen Wetter! Viel lieber tränke er seinen Schoppen in der heimeligen Kajüte. Es scheint bloß sein Geist zu sein, der an die Regentonne springt, der Geist, der sich scheut, den warmen Körper zu verlassen. Alle Glieder gebärden sich schaudernd bei der Berührung mit der naßkalten Luft, den spiegelnden Planken, mit den Tropfen und Hagelkörnern. Der Wind fährt ihm in die Haare, in den Nacken, in die Ärmel, in die Hosen. Er zieht den Daubenverschluß vom Spundloch, läßt das Maß an der Kette hinein, trinkt und gießt den Rest sorglich wieder zurück.
Da ein Auge seinen Bewegungen folgt, geht ein Sinnen seinem Leben nach. Es scheint, als ob die Kajüte hinten vornehmer ist; sie ist höher, hat freundliche Fenster und sogar eine Galerie. Über Kajütendach und Galerie ist ein Segel gespannt, darunter kann der Besitzer sitzen und sich als Alleinherrscher fühlen. Natürlich ist der fröstelnde Junge der Sohn des Schifferknechtes, nehmen die Augen und der Sinn von oben an. Vielleicht hat der Besitzer eine hübsche Tochter; wenn beide größer sind, gibt es interessante Blickspiele über die Regentonne hinweg; ihr gefällt natürlich der Junge auf dem Schiffe nebenan besser, aber dieser Junge, der so friert, interessiert uns am meisten. Deshalb bekommt er sie, und der andere hat das Nachspucken. Nun wird er Besitzer, wohnt in der hinteren Kajüte, wird dick und braucht nicht zu frieren. Rasch vergißt er die interessanten Erlebnisse seiner Liebeszeit auf der Schiffslandschaft, vorne oder hinten, bei Nacht oder Dunkel am Mast – bei Wind hinterm Segel.
Aus der Luke des ersten Lastschiffes schaut ein Kopf, der eine Pfeife raucht. Der Wind kann ihm nicht viel anhaben. Die Haare sitzen sicher unter der Kappe, die Haut des Gesichts ist von Leder, und wenn der Tabaksqualm aus den paffenden Lippen herausblaut, reißt ihn der Wind rasch in kleine Fetzen. Im Nu ist so ein Rauchstreifen über Bord geflogen. Manchmal fällt er ins Wasser oder ins kleine Boot. Meistens aber ist nach drei Schritten Weges nichts weiter von ihm zu sehen. Aber er fällt auch häufig in die Kajüte zurück, und ein Wind, der ihn gepackt, gerät mit ihm hinein in den Bauch des schwimmenden Untiers. Was sie da drinnen machen, habe ich nicht gesehen. Diese großen Bestien sind satt bis an den Rand von wohlverstauter Ladung; jetzt sind sie so faul, und da liegen sie, bis ein Schlepper sie ins Tau nimmt. Sie fühlen sich behaglich; der Hagelsturm kitzelt sie angenehm. Und wer friert bei so dicken Planken? Der Ofen im Innern heizt ja auch, denn aus dem kleinen Schornstein wirbelt Dampf. Sie liegen dicht aneinander, Längsseite an Längsseite; sie reiben sich ihren Bord, wenn wirklich mal eins im Sturm sich bewegt. Und der Mast schwankt nur wenig.
Die Seine kommt in Aufregung; es wird dämmerig, und die Oberfläche des Flusses färbt sich dunkel von den dicht fallenden Tropfen; es weht und prasselt heftiger, und die dunkle Oberfläche wird weiß von Schaum. Es gibt auch Wellen, und die dicken, faulen Landungsboote geraten in Bewegung. Die langen Ketten, mit denen sie am Lande befestigt sind, klatschen bald ins Wasser, bald ziehen sie sich straff. Dabei fluchen sie mit quietschenden Stimmen. Die Damen und Herren auf den Booten, die auf das Dampfschiff warten, treten häufig doppelt und tun, als hätten sie nicht geschwankt; es wird wahrhaftig drohend und abenteuerlich aussehen. Ein, zwei, drei Wellen klatschen laut gegen die Planken, der Wind mit Hagelregen liegt schwer auf dem Wasser, so daß es auf den Wellenzügen und in den Tälern flach wird, immer weißlich schäumend und mit Regentropfen getüpfelt. Eben war dahinten noch eine Reihe von blaugrauen Gebäuden mit hohen Schornsteinen, aus denen es stark rauchte, jetzt sieht man nur ihre undeutlichen Umrisse durch das Wetter heranscheinen. Ein Schleppdampfer, einen Schaumberg an seiner Spitze, fährt vorbei; er prustet, denn an seinem Seil hängen drei bis vier lange, faule Schlingel von Lastbooten, vollbeladen; in Mannshöhe ragt aus dem einen die Ladung, man sieht den langen Streifen drüber gedeckter Laken. Aber in der Mitte ist ein schwarzes Loch, und da sieht man einen Pferdeschwanz und Pferdebeine: es ist ein schwimmender Stall. Dem Schlepper, der mit seiner Last tapfer gegen Wind und Wellen arbeitet, wird ärgerlich zu Mute. Ein Geifer von weißem Dampf dringt aus ihm heraus, schwillt mächtig an, stark und stärker, obgleich der Wind ganze Wagenladungen losreißt und davonschleudert. Dann ertönt das Wutgebrüll des Dampfers, unheimlich und gewaltsam wie der überhitzte Kessel, der es durch eine metallene Kehle in die Umgebung drängte; mit gewaltiger Kraft, roh, roh! Er füllte die ganze Uferlandschaft mit seinen hohlen, heisern, wilden Tönen! Er stieß wütend gegen die dämmernde Häuserreihe gegenüber und drängte sich unter den Brückenbogen durch, da ihm der Raum zu enge ward. Er jagte seinen Hall durch d»e Straßen der Stadt, er wühlte durch das Gewirre der Gassen und galoppierte längs den breiten Boulevards. Es war ein wildes Drohen der überanstrengten Ziehbestie; es zeigte seine Kraft in einem Geheul und erweckte das Bewußtsein, daß es platzen und die Umgebung zerschmettern könnte. Weiter rauschten die Wellen, blies der Sturm, ächzten die Ketten, froren die durchnäßten Menschen; weiter hingen der schwimmende Stall und die andern Lastschiffe mit ihrer ganzen schwerfälligen Dickleibigkeit an dem kräftigen kleinen Teufel von Dampfer. Weiter hagelte es auf Häuser, Brücken, Schiffe und Wellen.
Ein Sturm im März! Es ist noch keine Zeit für die feinen Leute auf dem Wasser; Schlepper und Arbeiterboote und Dampfer für Leute, die was zu tun haben und die in den Regen hinaus müssen, können sich ja mit dem Unwetter herumbalgen. Über den Dampfer, der von Pont Grenelle nach dem Pont d'Austerlitz fährt, ist eine Leinwand gespannt. Zwei durchnäßte junge Damen, deren Röcke ganz traurig aussehen, weil der gelbe der Einen durch wer weiß was rötlich getönt ist, kriechen schnell in die Kajüte, die andern Menschen drängen sich im Hintergrunde der Höhle, möglichst nahe der Treppe, nach dem warmen Unterraum. Eine Familie, die schäbig aussieht, findet keinen Platz mehr und steht noch unterm Obdach, aber im Nassen. Der Vater ist klatschnaß und sieht nicht gesund aus; er scheint wankenden Charakters zu sein; seine Frau ist klein und fest; war gewiß mit ihrer hängenden Unterlippe der Typus einer Pariser Arbeiterkokette. Ihr kleines Mädchen ist ganz vergnügt und springt bald in den Regen, bald setzt sie sich auf die triefende Bank; auch ihre kleine reizende Unterlippe hängt, und sie wird ganz gewiß auch ein Typus. Mit ihr auf der Grenze zwischen Obdach und Freihimmel stehen der Kassierer und Aufwärter des Dampfers, mit Kapuzenmänteln, wasserdichten, gelben Lederhosen und Holzschuhen, Teufel, ist es naß und kalt! Und es klatscht büttenweise und reichlich auf die Nassen, die keinen Schutz finden. Das ist ein gemeiner Dampfer in seiner Wochenarbeit und mit seinem Publikum, das nicht nach Frost und Nässe fragen darf.
Aber an manchen geschützten Stellen liegen Gruppen vornehmer Nichtstuer! Am Pont Grenelle ein kleines Rudel Lustdampfer, elegante Koketten von verwöhnten Salondampferchen, stutzerhafte Dampfschaluppen, Sommerbrisen gewohnte Segelboote, die sich im Winterwind und Frühlingssturm tödlich erkälten würden; zarte Dinger von Motorbooten – ein Hauch; kaum hängen sie im Leben, so durchgeistigt ist ihre Erscheinung. Die liegen, sorgfältig überdeckt, mit herabgeklappten Schornsteinen und langhingestreckten Masten im Winterschlafe; vornehm und steif ist diese feine Gesellschaft; sie sind sicher im Schutze der Brücke, des Walles, im Notfalle kommen die Waschanstalten und Badeetablissements der Nachbarschaft schnell zu Hilfe. Sie haben nichts zu leiden und bleiben elegant und jung.
Ein größerer Kreis vornehmer Boote liegt in dem rechten Seitenarm der Seine am Ufer der Insel St. Louis, am Boulevard Henri IV. Diese sind vielleicht noch vornehmer; es sind zum Teil größere, seetüchtige Lustdampfer und Sportjachten. Sie haben eine elegante Einrichtung. Alles blank von Messing, und Deck, Kajüte und Steuerplatz sind saubere Holzarbeit. Die alte, ehrwürdige, ruhige Insel St. Louis ist ein besserer Ruheplatz für vornehme Boote als die gemeine Arbeitergegend von Pont Grenelle; um die ganze Insel läuft eine Steinbarrikade, und Bäume überwölben sie, die am Wasserwege unten wurzeln. Auch diese Einrichtung ist behäbig und vornehm.