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So gingen die Hexen in meinem Hause hin und wieder, kamen neue jahraus, gingen alte jahrein.
Und in andern Häusern? Hexen gibt es überall und also Haushexen bei andern Leuten, je wie sie es verdienen. Die holdesten freilich habe ich nur bei mir gesehen und auch die furchtbarsten, und die bei den Freunden oder Fremden, unsichtbare und körperrunde, alles, was so zur Zunft gehört, die schienen mir oft trotz Putz und Stuck wie spukende Ausbrecher aus dem Panoptikum, wo die einst lebendigen Begriffe gläsern und wachsig stilisiert gereiht sind. Unheimliche Rotten solcher Toten, die nicht gestorben sein wollen und sich lebendig gebärden, schrecken umher, und eine Unzucht mit dem Lebendigen blüht im Breitesten. Welch eine keusche Heilige war die Glückshexe, und wie, als ich sie schon verloren, habe ich sie anbeten gelernt, als ich die scheinheilige Ehrbarkeit sah; wie gut war jene in ihren üppigsten Sünden, und wie unersättlich buhlte diese in unnatürlicher Vereinigung mit ihrer Bettschwester, der Lüge. Oh, es gab noch andere, die in ihrem Dasein eine Selbstbezichtigung der Natur wegen einer großen Sünde erschienen, wie ein blut- und fleischgewordener Widerspruch Gottes gegen die Eigenschaft der bloßen Güte, mit der wie mit einem bunten Lappen der simple Verstand der Menschen seine herrliche Größe bekleidet.
Sprich nicht von der maulfertigen Selbstsucht, die ihre Töchter in fast allen Häusern hat, eine Kupplerin, feist wie die Hure Babylon, eine Sippe, die gedeiht, Recht hat und Recht bekommt. Die stochert ihre Zähne schon, wenn es erst zum Essen geht, und auf ihren Backen blüht die Selbstzufriedenheit wie ein Strauß Bauernrosen. Wer hat ihr die Macht gegeben, daß sie gegen die Verunglimpfung seiner Größe durch kleine Lästerbegriffe von Spießbürgertugenden zeuge, wenn nicht Gott?
Sprich auch nicht von der sträflichen Dummheit, die in allen Nebensachen so wohlerfahren ist, nur nicht im Wesentlichen; und da sind noch die Zwillingshexen Süßlichkeit und Zimperlichkeit, die nicht einsehen wollen, daß ihr Dasein keinen Herzschlag als Ausweis des Lebens anführen kann, die große Feilheit, die nicht nur in den verrufensten Gassen haust, sondern gleich mächtig und unausrottbar in vielen vom höchsten Rufe; wenn die alle in Särgen nach Maß wie anständige Leute begraben werden sollten, mit Leichengefolge und schwarzen Quasten, es würde ein jedes Begräbnis einen Spektakel sondersgleichen geben, solche Riesensärge müßten die Tischler zimmern, und die Leute würden sich wundern, was für Verbrecher trotz Bogenlicht und Verbrecheralbum ungefunden bislang herumgelaufen sind!
Wer mag denn Steckbriefe hinter diesen erlassen? Sie sitzen warm in ihren Sünden-Privilegien und lachen der Weltverbesserer. Und wer mag bekennen, daß er sie kennt, ihre intimen Kennzeichen angeben, ohne zu fürchten, daß man mit Fingern auf ihn weist und laut schreit: wie kann er sagen, daß er alle Schande ohne Begierde erblickte – steinigt den Heuchler!
Aber von einer oder der andern will ich erzählen, die ich in fremden Häusern traf, will aber hierbei nicht mit Schadenfreude gesagt haben, daß alle solche verdienten, wie sie hatten, damit spräche ich für mein Teil ein unmäßiges Selbstlob rund heraus, denn ich habe so herrliche gehabt, wie ich doch wohl verdient nicht hatte. Dennoch, wenn ich so manchen Menschen und seine Haushexen ansah, fielen mir die neuen Lehren ein, und ob nicht doch die Recht hätten, die meinen, daß so eine Haushexe und ihr Wesen die ganz selbstverständliche Folge eines zwiefachen Wesens aus Sein und Wollen darstellt, keine Person durch sich, sondern durch ihn, ein Ding wie ein zauberhaftes Gewicht an einer Waage, das schwindet und wächst durch kein Menschenzutun, sondern aus dem stärkeren oder geringeren Werte an der andern Seite.
Solch selbsttätiges Gleichgewicht nach unerforschten Gerechtigkeitsbegriffen hatte der alte Pessim in seinem Hause, Fräulein Suse Graumuth, von ihm selbst an dritten Orten, und wo sie es sonst nicht hörte, Fräulein Süßsauer genannt – seit Jahren schon.
Der Alte hatte ja wohl seinen bürgerlichen Namen mit Titeln und windigen Ehrenzeichen behängt, aber seine Freunde nannten ihn den alten Pessim, und er war wirklich ein etwas unglücklicher Poltergeist in seinem einsamen Gewese draußen vor den Toren, ein Hexenmeister nicht nur in den Büchern, sondern vor allem, wie er sich umtrieb und unheimlich nach Sonderlingsbegriffen hauste in seinen Häusern, Höfen und Gärten.
Unterwegs zu ihm ging es durch keine Landschaft, es waren auch keine Stunden ganz oder viertelweise, die der Weg verschlang, keine Sonne schien und kein Getreide wogte auf den Feldern; der Gang zu seinem Gehöft war ein Hingelangen wie in einem langsamen Verrücktwerden in einem Nebelkreis von Erwartung. Der trieb heran wie ein Abenteurer an eine verzauberte Insel, der ihn besuchte.
Denn unter den dunklen Schattenbergen lebte für die Ohren rings im Lande wie ein Hund an der Kette der Mann, der fernen Klang mit harten Silben bekannt gemacht hatte, ein Geist, der auf dem Stück seines Erkennens stand wie ein Baum mit eingegrabenen Wurzelbegriffen. Er hatte vor das Tor zu seinen Erkenntnissen einen Granitblock gewälzt, darauf stand eingegraben das Wort: Die furchtbare Tatsache der Tatsachen.
Und dann war er wieder von oben das Gelände herabgestiegen und hatte ungeachtet ihrer Furchtbarkeit Tatsachen gesammelt, verehrt und verlebt. Allerdings, den schönen Lügenhexen hatte er lebenslang nicht gehuldigt und obendrein ihre Verehrer und Erfahrungswahrheiten abgeschreckt und ihren Werbern die Schwächen und den Grund ihres schönen Scheins mit ohrenfälligen Worten mitten auf den Märkten und im hellen Sonnenschein aufgedeckt. Darum hatten sie ihren Haß auf ihn gehäuft und ihre Ränke gegen ihn schwärmen lassen, ihn verlästert und bei allen schönen Wahrheiten, um die er warb, um Ansehen gebracht. Körbe über Körbe bekam er, wo er anhielt, bis er alt an eine geriet, die ihn mit Gewalt heiraten wollte.
Fräulein Suse Graumuth hatte ihn auch noch nicht aufgegeben, aber sie bekam schwer ein freundliches Wort von ihm. Trotzdem, in seiner philosophischen Überzeugung hielt er sie für die einzig brauchbare Wirtschaftshexe seiner Bekannte schaff, und tatsächlich war sie eine reelle Person.
So war denn seine Wirtschaft zuzeiten ein Sturm, und Leidenschaften tobten bald ungebändigt gegeneinander, bald gingen sie ihren Gang durch Gelasse und Winkel des Geweses leidlich verträglich und manchmal gar voll uneingestandener Innigkeit nebeneinander her.
Noch kürzlich hatte sie einen Versuch gemacht, die in Hof und Haus erklärte Herrin zu werden, es hätte Gerede gegeben unter den Leuten, hatte sie gesagt, sie müßte auf ihren Ruf halten, es wäre unumgänglich, sie käme fort. Aber der Alte, der den Kopf voll haben mochte von Begriffsrechnerei, verstand scheinbar nicht, redete zu, sie sollte nur fortwirtschaften und den Leuten und ihrem Gerede kein Ohr schenken – und da war sie denn auch geblieben.
Von Zeit zu Zeit durfte ich ihm Tatsachen zutragen; denn wenn ich wieder einmal so unverhofft von frühmorgendlichen Sammelwegen zu ihm kam, rückte der Alte seinen formlosen Filzdeckel schief, wie er immer tat, wenn er eine große Regung oder eine herzhafte Freude fühlte; dann funkelten seine Augen bei hoher Stimmung doppelt grimmig, und das Lächeln seines Mundes glich einem drohenden Zähnefletschen. Dann zeichnete er, und wußte es nicht, muntere Hieroglyphen in die Luft mit den Händen und eilte, wenn der erste Sturm vorüber war, steifbeinig von dannen und sorgte für Redefeuer aus seinem Weinkeller.
Und dann konnte er sich stundenlang wie bewußtlos gebärden, saß auch wohl zusammengesunken vor seinen Schätzen, lächelte verloren und strich mit gichtischen Fingern durch seinen grauen Bart, der ihm aus den Mundwinkeln struppig wuchs.
Die Bärte nannte er in seinem Hausdeutsch die Originalität der Leute, und die Hüte, die sie trugen, nannte er ihre Ideale und wollte den, der dazu lächelte, mit dem Anerbieten überzeugen, an jedem Hut, den einer gewohnheitsmäßig trüge, seine Gesinnung abzulesen. Er konnte bei solchen Gelegenheiten häßlich über die blitzblank gewichsten hohlen Ideale auf den Köpfen der Lebemänner spötteln, innen gähnende Leere und draußen Glanz und Fasson.
Ich war es, der ihm einst herrliche Exemplare zutrug, als er gerade an seiner Naturgeschichte der zartesten menschlichen Herzensregungen schrieb, und über die seltensten Tatsachen wahre Wunderdinge berichten konnte.
Noch hatte ich Fräulein Suse nicht gesehen, aber mir schien etwas umzugehen im Innern des Hauses, als wir im Hofe standen und zögernde Tastschritte machten, als wüßten wir nicht, wohin die Füße am liebsten wollten. Es war auch schwer, selbst zu wollen, hier, wo alles in Grün ertrank und doch das Haushafte und Wohnbare wie ein riesiges Zellengewächs patriarchalisch überallhin einlud mit Tritten, Türen und Gängen. Mit gedämpfter Stimme pries der alte Pessim seine Zimmerhöhlen, mit lauten Erhebungen aber seine Gartenlauben, und da, als ich noch einen Blick über die unheimliche Fensterreihe geworfen hatte, wo irgendwo ein Auge hinter Vorhängen zu lauern schien, trug ich meinen Fang geradeaus in die Laube. Und packte aus, was ich gefangen hatte auf meinem Frühzuge noch vorm Morgentau, ließ flattern, was Freiheit in sich spürte, sichtete und bescherte dem Alten.
Da war vor allem ein herrliches Nachttier, mit weichen, schweren Flügeln und zitternden, mondfarbig glänzenden Tastern und einem warmen Schimmer über den ganzen Leib. Es stäubte, wie es zappelte, feinen Schuppenstaub von sich, und seine samtweichen, behaarten Beine klammerten sich mit duftgetränkten Saugern an alle Finger.
Es war ein geheimer Liebesseufzer, ein seltenes, lichtscheues Tier, ein Geschöpf von edelster Schönheit; der streicht, wie der alte Pessim erzählte, als er ihn im Fingerkäfig hielt und durch die Fingerritzen mit einem Auge und unter groben Verzerrungen der Lippen hineinsah, bei stiller Nacht leise, leise durch Kammern, wo Verliebte wohnen; er nährt sich von den selbstlosesten Gefühlen verliebter Herzen – und sein leise streichender Flügelschlag brennt wie süßes Gift auf sehnsuchtsbloßen Seelen.
Seine Naturgeschichte ist erst zum Teil erforscht, und seine Verwandlungen spotten aller Phantasie; alle Dichtungen aller Zungen sind vor den Wunderpredigten seines Daseins eitel Stammeln, das Wichtigste bleibt doch unbemerkt und das Wahrste unbeschreiblich.
Ja, ja, die lieben Gottesgedanken, sagte der alte Pessim so selig, daß ihm die Augen übergingen, während er zwischen übrigem kriechenden oder flatternden Getier wühlte. Eine häßliche philosophische Schrulle war vor allem das ungebärdigste und wollte sich gar nicht geben, biß um sich und kratzte aus Leibeskräften. Aber der Alte wußte mit solchem Getier fertig zu werden. Er goß ihr eine Schüssel voll von Haßmilch, und als sie daraus gierig schlürfte, strich er ihr liebkosend über die struppige Theorie und blies sie von Zeit zu Zeit mit dichten Tabakswolken an, wahre Eingebungen von Gemütlichkeit für solche Bestien, das verstand er gut, und im Handumdrehen hatte er sie so weit, daß sie neben ihm lag und behaglich schnurrte.
Solch ein Luxusmotiv hatte er sich schon lange gewünscht, und für das andere hatte er kein Auge weiter. Er betrachtete still beglückt seine Schrulle, und halb bezecht, wie er war, hörte er nicht, wie hinter den Büschen die Gartentür ging, und sah kein Kleid durch die Blätter schimmern und auf den Schlangenwegen des Gartens näherkommen.
Das war Fräulein Suse Graumuth, deren Gruß wie Herbstwind aus dem Munde ging, vor dessen Hauch der Alte von allen köstlichen Stimmungen plötzlich entblätterte. Wohl richtete er sich von seiner Hingerissenheit auf und brüstete sich äußerlich in stattlicher Breite und Höhe, aber sichtlich war sein Herz nicht beim Paradieren und in seiner Seele kein Fünkchen Freude am Schwärmen geblieben.
Fräulein Suse hatte ihren sonntäglichen Putz und ihr süßestes Lächeln aus der Kampferatmosphäre ihrer Schränke entnommen, ein bißchen verlegen war beides; aber einmal entschlossen vorzuführen, was sie besaß, geizte sie nicht. Ein paar altmodisch gefaßte, aber echte Paradetugenden glänzten an ihrer Brust, und ihrer Frisur stand ohne ihr Vorwissen das Ende ihres mageren Zopfes oben heraus, ganz wie ein Spaßmacher und Fratzenschneider, der hinter ihr stand und über sie weg gegen die Zuschauer gestikulierte.
Aber sie war beschlagen und wußte, was sie wollte, trat auf wie ein Hunderttalerpferd mit wahren Hufeisenworten und ließ uns in ihrem vorgefaßten Trott atemlos mittraben. Was war all unsre hochgehäufte Weltweisheit in vollgepfropften Schädeln gegen ihre handfeste Wohlweisheit, was das Meisterstück der Feinmechanik, die Logik des Erkenners von der Furchtbarkeit der Tatsache, gegen das Zweipfenniginstrument »Erkenntnis« in Fräulein Suses mit Seife und Kamm reichlich betreutem Kopfe!
Wie sie dasaß, lang wie breit, neben dem kleinlauten Pessim, prahlte jeder Zoll an ihr von Selbstlob, und wie sie die zutraulich vor dem Alten liegende, in sich zusammengerollte Schrulle auf den Schoß nahm, lautete jede Bewegung wie eine eindringliche Frage: Was kann er Besseres tun als mich heiraten?
Aber die Schrulle war noch zu kurz gezähmt, und ihr war die feiste Haushexe noch ein feindlicher Drache, sie biß und kratzte, erst erstaunt und dann schnell wütend, und gab, wie solche rauhfelligen Tiere gewöhnlich, aus allen Poren Zeichen ihres Grimmes von sich und besudelte Fräulein Suses Sonntagsstaat mit mißfarbigen Säften.
Schneller als der Alte war ich bereit, sie von dem Spott zu erlösen; ihm spukte ein Grinsen in den Zügen, das huschte von einer Falte zur andern und verbarg sich schwer. Mein Gott, diese Bestien, – fast weinte Fräulein Suse, wozu dieses hamsterhafte Getier, wozu nützen solche Eigenheiten als zu Zank und Beleidigung?
So fragte sie mich und meinte den alten Pessim. Wie das ekelhafte Wesen denn mit Namen hieße, bat sie den Himmel um Auskunft, ob es nicht besser wäre, es gleich vor die Hunde zu werfen – sie wolle Sauberkeit in ihrer Wirtschaft – und meinte wieder denselben.
Da tat der alte Pessim die Zähne auseinander und lachte breit und behaglich heraus, nahm seine Schrulle wieder an sich und hätschelte sie, wie man ganz hingebend nur seinen Herzenslieblingen tut, und sagte heitere und muntere Worte:
Ihr Frauen habt auch Eure Hauskätzchen und Schoßhündchen, wir Philosophen züchten und zähmen Schoßschrullen, beide Rassen sind nichtswürdig im ganzen, aber wir hängen doch unser Herz daran, laßt uns tun, wie wir mögen, und nicht, wie wir müßten!
Und er war wieder zurückgesunken in seine bequeme Beobachterlage und würzte seine Worte und umhüllte seine Gedanken mit neu emporgeschmorten Tabakswolken, daß sie wuchtig und majestätisch daherrauschten. Aber Fräulein Suse empfand sein Behagen als beleidigend, zog ihr stark mit Parfüm geschwängertes Tüchlein und fächelte damit seine beißend-rauchigen Worte aus ihrer Nähe, kühlte mit verächtlicher Hantierung des weißen Lappens die Zornhitze ihrer Wangen und verbarg kaum die mählich verlängerte Miene und die kinn- und mundkneifenden Falten, die das Lächeln von vorhin rein erdrosselten.
Es lagen aber noch immer, an Fittichen geknebelt oder an Fängen verkoppelt, in spinnwebzarten Netzen oder Kätschern gefangen, die Flattergeister von meinem Wiesenstreifzug dieses Sonntagmorgens auf dem Tische, was so vor Tag und Tau oder im ersten Frührot übers Gras huscht und zwischen den Halmen klettert, allerlei Wundergetier und wahre Schoßlaunen des Schöpfers, die sanftfüßigsten Blumenerwecker, die noch bei Nacht mit Taulappen über die schlafenden Blütenaugen streichen, wie sie selten ein Menschenauge sieht; Düfteverstreuer, alle verschieden gefärbt und manche in köstlich glänzende Schuppengewänder gehüllt. Andere waren Stelzengänger in langschößigen, graugrünen Röcken, scherzhafte Gesellen ohne Nutzen und Schaden, immer munter im Graswalde zuhaus; kaum sichtbare Schönheiten klammerten sich an die Maschen, ohne Leib und Fleisch, nur herrliche Anscheine, die vergaukelten ihre Fristen und genossen ihre Eitelkeiten in den frühmorgendlichen Tauspiegeln, lebten von Entzücken über sich selbst und starben, wenn die Nacht sank, am Mangel an Licht, solche und viele andere.
Was nun Parfümiertes über sie strömte aus Fräulein Graumuths fächelndem Tüchlein, solch Modegeruch aus Konfektionsläden und von zerschnürten Dämchen mit schwindsüchtigen Seelen feilgehalten, das war für das keusche Falterwesen des frühen Morgens schweres Gift, das beizte allen Glanz ab und fraß mit chemischer Säure und erstickte mit dem pikanten Prinzip, das darin gepreßt hing, alle zarte Unschuldsfreude, die als Leben und Atem in diesem kostbaren Kleinzeug aus- und einging; der ganze sorgfältig gehegte, zum Hecken und Nisten erlistete Fang verblich und welkte augenblicksschnell.
Das hatte Fräulein Suse uns beiden getan. Es stürzte über uns wie ein Enttäuschungshagel, und wir vergaßen ganz die heimliche Angst vor ihr. Der alte Pessim sah mit wahrhaft falschen Blicken, ganz grau im Gesicht, neben sich nieder, rechts und links, und sprach:
Immer und immer, überall, wo die Gesellschaftlichkeit sich auftut, da müssen wir schnell und vorsichtig unser Inneres, Zartes, Eigenes in feste Schränke verschließen oder mausstill sterben lassen.
Und dann fuhr ich ihm ins Wort, griff seine Melodie auf und sang sie weiter auf meine Weise; kaum sprachen wir anders als zu uns selbst, antworteten gegenseitig unsern Sprüchen und taten gegeneinander unsre heftigsten Empfindungen auf.
Hat eins seine Freude irgendwo mühsam gewonnen, die grobe Mode kommt und tritts wie Ungeziefer klein. Zwitschert etwas lieben, kleinen Singsang, der noble Ton quetscht es an die Wand mit selbstzufriedenem Wesen, und breit macht sich vor allen Dingen unausstehlich die gestattete Frechheit mit Geruch und modisch vorgespreizten Reizen, das darf leben und sich in seinem Fett auf den Balkonen, in den Rängen und obenan bei Tische brüsten, das darf ungestraft, von allgemeiner Sitte wegen, die Harmlosigkeit hinausstänkern und den Tau auf naiven Seelen mit parfümierten Staubtüchern abwischen.
Und so hätten wir leicht noch lange fortgeredet und immer heftiger, aber der alte Pessim legte seine haarige Hand auf meine Schulter und zeigte, da ich aufschaute, mit dem Mundstück seiner Pfeife hinter sich hinaus – sie war, wir hatten gar nicht gemerkt an welcher Stelle unserer Rede, hinausgerauscht.
Die Siegerangst ist ein säuerlicher Blutstropfen, der verfärbt aller Ehemänner und Haushexenverehrer Antlitz nach einem Wortwechsel; sie hat nichts mit Furcht zu schaffen, aber sie gleicht ihr, als wären sie verwandt. Sie schlägt sich nieder wie Salpeter an den Wänden; der alte Pessim war so salpeterfarben, wie man nur werden kann.
Zwischen Horchen und Blickewechseln tranken wir hastig, und im Umsehen gab es leere Flaschen. Da winkte mir der Alte, und wir schlichen durch die verlassenen Gartenwege, wo überall aus den Ecken das Stillschweigen summte. Vom Garten kamen wir wie Diebe in den ersten Hof und von da durch die Pforte in den zweiten. Die Angeln kreischten, und der Alte stand still und horchte ängstlich hinaus.
So rechten Frieden hatten wir uns nicht erkämpft; wenn man scharf hinhörte, dann trieb im Hause ein dumpfes Gerausch sein Wesen, polterte da mit Koffern und Schubladen, als wollte jemand spornstreichs abreisen. Es ging um in Flügeln und Anbauten wie ein schwerer Traum in einem regungslos liegenden Schläfer.
Die rissigen Wände des nächsten Hausflügels mit den blinden Fenstern, die bald höher, bald tiefer gemauert waren, hatten die Gewissen voller Geheimnisse und murmelten für feinhörige Lauscher in abendlicher Schwatzlaune durcheinander von den ältesten Begebenheiten in den Kammern hinter ihnen, ließen ihre Gedächtnisse überfließen und reimten zusammen undeutliche Hausgedichte, webten in die Ohren der Dämmerung aus Menschenfreude und -leid gesponnene Jahresberichte. Und den alten Pessim rührten ihre Worte an die schlummernden Erinnerungen, denn manches Jahr seines Lebens war hinter dieser Mauer vergangen, und vor vielen Frühlingen war in den dunklen Räumen ein Gewimmel von Torheiten und Weisheiten geboren, und Wünsche waren mit wilden Flügelschlägen hinausgeflattert über Garten und Büsche hinweg in die Ferne.
Das alles lebte halbverstanden im Gedächtnis der alten Wände. Und wie eine Klatschbase berufsmäßig und in verdächtigendem Tonfall murmelte die alte Mauer zwischen das Übrige einzelne Namen von jungen Hexlein, wie Hauptworte, die Bedeutung und Klang haben, ohne Beschreibungen, und um die sich wie um eine Fahne das Gewimmel der Erinnerungen sammelt, die mit ihnen verbunden sind.
Alle diese Namen waren den Wänden heilig gewesen; sie hatten da gewaltet und sich abgelöst, und ihr Wesen war nacheinander zunichte geworden, in der Seele des alten Pessim und im Gedächtnis seiner Stuben, bis auf die Namen.
Aber dann verging ihr der Atem und die Lust am Verraten, sie schwieg und verschluckte und bannte ins dunkelste Innere das Geheimnis seiner heftigsten Erlebnisse; wie ein Gerippe lag dieses Bewußtsein in ihr verborgen, eingehüllt in tiefstes Verschweigen. Bei dem Alten war sie also auch gewesen wie bei mir, deren Namen man nicht genau weiß, weil es nur eine von zwei gleich bösen sein kann, mit denen Männer von Vernunft und Lebensmut keine Bekanntschaft haben dürfen.
Sie hatte sich in jenen Monden des inneren Sterbens und Verdorrens eingeschlichen, lauerte in den Räumen und umschlich die Bettstatt ihres Erwählten. Aber er war fest geblieben in Traum und Wachen und hatte an ihr vorbeigesehen und ihre Tritte überhört, wenn sie hinter ihm stand, hatte ihren Hauch im Nacken schaudernd gespürt und sich nicht umgewandt.
Denn im Kampfe mit ihr mußte seine Kraft erliegen, und, von seinem Widerstand gereizt, wäre sie im Jähzorn aufgelodert, und ein Blitz ihres Auges hätte seine Vernunft versengt, wenn ihre Faust ihn nicht erdrosselte.
Die beiden Alten konnten stundenlang schwatzen von dem, was sie miteinander gesehen und gehört hatten. Solch Hörensagen aus vergangenen Zeiten ließ sich der alte Pessim oft durch die Seele rauschen, wenn er nach Hexenärger und überstandener Siegerangst zum Keller schlich; in seiner Einsamkeit wurden selbst die Wände seines Hauses zu hexenhaften Wesen, und wenn er im abseits gelegenen Keller die rote Milch des versponnensten und reifstgelagerten Fasses in die Flaschen laufen ließ, das Licht neben ihm am Boden stand und schattenschwarz auf dem Kalkgrund der Wand den Abriß eines überlebensgroßen Pessim wie einen am Hahn seines liebsten Fasses nächtlich spukenden Geist malte, dann konnte man glauben, der Schatten würde fortfahren und bei Nacht kommen, ernst und gemessenen Ganges, wie ein Besitzer pflegt, und sich nicht um die Rechte späterer Besitzer kümmern, würde fortfahren, als Hexenmeister und Liebhaber umzugehen und über die Höfe zu schreiten, solange der Ort seine Züge behielt, denn Boden und Haus und die ganze kleine Welt durcheinander war der erweiterte Ausdruck seiner Seele, wie ein vertrautes Kleid, aus dem heraus, solange es Form und Eigenart erhielt, die Seele sich ungern ein anderes suchen würde.