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Bald darauf öffnete der Bureaudiener die Tür und führte Frau Lambert herein, die er zu Hause angetroffen hatte und die jetzt etwas erschreckt hereintrat.
»Sie sind Frau Lambert?« fragte Thuillier im Amtstone.
»Ja, mein Herr«, antwortete die Fromme unsicher.
Er bot ihr einen Stuhl an, und da er sah, daß der Bureaudiener noch dastand und auf seine Befehle wartete, sagte Thuillier zu ihm:
»Es ist gut, Sie können gehen; und lassen Sie niemanden herein.«
Der Ernst und der hoheitsvolle Ton Thuilliers hatten die Befangenheit der Frau Lambert nur noch vermehrt. Sie hatte geglaubt, daß sie nur mit la Peyrade zu tun haben würde, und sah sich nun von einem Unbekannten in schroffer Weise empfangen, während der Advokat sich damit begnügt hatte, sie zu grüßen und kein Wort weiter sprach; außerdem spielte sich die Szene in dem Bureau einer Zeitung ab, und alles, was mit der Presse zusammenhängt, riecht bekanntlich insbesondere für die Frommen nach Hölle und Teufel.
»Nun, mein Lieber,« sagte Thuillier zu dem Advokaten, »jetzt kann dich, wie mir scheint, nichts mehr hindern, der Frau zu erklären, weshalb du sie hergerufen hast.«
Um jeden Verdacht Thuilliers zu beseitigen, war la Peyrade nun genötigt, die fragliche Angelegenheit ohne weitere Umschweife und Vorbereitungen zur Sprache zu bringen.
»Wir wollten Sie fragen, liebe Frau,« sagte er also ex abrupto, »ob es wahr ist, daß Sie vor etwa zweieinhalb Monaten mir die runde Summe von fünfundzwanzigtausend Franken übergeben haben gegen die Verpflichtung, sie Ihnen zu verzinsen.«
Obgleich sie die Blicke Thuilliers und des Provenzalen auf sich gerichtet sah, konnte Frau Lambert bei dieser so unvorbereitet gestellten Frage sich nicht enthalten, zurückzufahren.
»Jesus, mein Gott!« rief sie, »fünfundzwanzigtausend Franken! Und wo sollte ich eine solche Summe hergenommen haben?«
Auf la Peyrades Gesicht zeigte sich nichts von Enttäuschung, wie man hätte annehmen sollen. Aber Thuillier betrachtete ihn mit schmerzlichem Mitleid.
»Du siehst also, mein Lieber . . .«, sagte er.
»Also,« begann der Provenzale wieder, »Sie sind ganz sicher, diese Summe von fünfundzwanzigtausend Franken nicht in meine Hände gelegt zu haben? Sie bleiben dabei und versichern es?«
»Ach, lieber Herr, was können denn fünfundzwanzigtausend Franken und eine arme Frau wie ich miteinander zu tun haben? Es ist doch bekannt, daß das Wenige, was ich hatte, in der Wirtschaft des armen guten Herrn, dessen Dienstbote ich seit über zwanzig Jahren bin, draufgegangen ist.«
»Das scheint mir deutlich zu sein«, bemerkte Thuillier mit Nachdruck.
La Peyrade ließ auch nicht einen Schatten von Erregung merken; im Gegenteil, er schien mit Thuillier an demselben Strang zu ziehen, indem er zu ihm sagte:
»Du hörst es, mein Lieber, und ich werde mich erforderlichenfalls auf dein Zeugnis berufen, daß diese Frau keine fünfundzwanzigtausend Franken besitzt und sie mir infolgedessen auch nicht übergeben hat; und da der Notar Dupuis, bei dem ich mir eingebildet hatte, sie für sie hinterlegt zu haben, heute früh nach Brüssel abgereist ist und das Geld aller seiner Klienten mitgenommen hat, so hat diese Frau keine Forderung an mich, und die Flucht des Notars Dupuis . . .«
»Der Notar Dupuis ist geflohen?« rief jetzt Frau Lambert aus, die infolge dieser schrecklichen Nachricht ihre gewöhnliche Sanftmut und christliche Ergebenheit völlig abgelegt hatte; »und diese Kanaille hat noch heute in Saint-Jacques du Haut-Pas das Abendmahl genommen!«
»Offenbar«, antwortete la Peyrade, »wollte er sich eine glückliche Reise sichern.«
»Der Herr hat leicht reden,« fuhr Frau Lambert fort, »aber mir hat dieser Brigant doch meine Ersparnisse mitgenommen; aber in Wahrheit habe ich sie doch dem Herrn übergeben, und der Herr ist mir dafür verantwortlich, ich habe nur mit ihm zu tun.«
»Na?« sagte la Peyrade zu Thuillier und zeigte auf Frau Lambert, die in ihrer ganzen Haltung etwas von einer Wölfin hatte, der man ihre Jungen geraubt hat, »war das echt? Oder glaubst du, daß von der Frau und mir Komödie gespielt wird?«
»Ich bin außer mir«, erwiderte Thuillier, »über die Frechheit dieses Cérizet, und außer mir über meine Dummheit; ich kann mich nur völlig auf deine Seite stellen.«
»Frau Lambert,« sagte la Peyrade jetzt vergnügt, ohne zu merken, daß er damit seinem eigenen Empfinden Ausdruck gab, »erholen Sie sich von Ihrer furchtbaren Angst; der Notar Dupuis ist auch weiterhin ein frommer Mann und unfähig, seine Klienten zu schädigen, ihr Geld ist immer noch sicher bei ihm. Und dieser Herr hier, dem ich den Beweis liefern mußte, daß Sie mir wirklich das Geld übergeben haben, ist mein zweites Ich, und Ihr Geheimnis ist bei ihm so sicher bewahrt wie bei mir.«
»Das ist sehr schön, lieber Herr!« sagte Frau Lambert; »die Herren brauchen mich also nicht weiter?«
»Nein, meine gute Frau, und entschuldigen Sie, daß ich Ihnen einen kleinen Schreck einjagen mußte.«
Frau Lambert entfernte sich unter der Bezeugung respektvollster Unterwürfigkeit; aber an der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte mit übrigens vollkommen bescheidenem Ton:
»Wann wird der Herr in der Lage sein, mir mein Geld wiederzugeben?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt,« entgegnete la Peyrade trocken, »daß Sie über die Beträge, die Sie angelegt haben, nicht sofort verfügen können.«
»Meint der Herr, daß, wenn ich selbst zu Herrn Dupuis gehen und ihn fragen würde, ob es ihm paßte . . .«
»Ich meine,« sagte der Advokat lebhaft, »daß Sie damit einen ganz albernen Schritt tun würden; er hat das Geld von mir und auf meinen Namen entgegengenommen, so wie Sie es gewünscht haben, und weiß nur etwas von mir.«
»Und würde der Herr sich nicht bemühen wollen, mir diese kleine Summe, die für ihn ja ohne Bedeutung ist, wieder zurückzuverschaffen? Ich will den Herrn ja nicht drängen, als ob ich es zu verlangen hätte; aber in zwei bis drei Monaten habe ich eine Verwendung dafür, man hat mir von einer kleinen Besitzung erzählt, die mir passen würde.«
»Schön, Frau Lambert,« antwortete la Peyrade und verbarg seine Verwirrung vollkommen; »es soll nach Ihrem Wunsch geschehen, und das Geld wird Ihnen vielleicht schneller, als Sie denken, wieder zurückgegeben werden.«
»Es ist dem Herrn doch nicht unangenehm?« sagte die Frömmlerin; »weil der Herr doch immer gesagt hat, daß er bei der geringsten Indiskretion, die ich begehen würde . . .«
»Jawohl, jawohl,« unterbrach sie der Provenzale, »die Sache ist abgemacht.«
»Dann habe ich die Ehre, mich den Herren als ihre untertänige Dienerin zu empfehlen«, sagte die Scheinheilige und entfernte sich diesmal wirklich.
»Da siehst du, mein Lieber,« sagte Theodosius zu Thuillier, als sie allein waren, »wohin es führt, wenn man auf deinen kranken Geist Rücksicht nehmen muß: diese Schuld befand sich im Zustande chronischer Ruhe, du hast sie wachgerufen!«
»Ich bin in Verzweiflung, mein lieber Freund, über meine törichte Leichtgläubigkeit; aber beunruhige dich nicht über den Anspruch dieser Frau, wir werden schon sehen, daß wir das ordnen, und wenn man diesen Betrag auch als Vorschuß auf deine Mitgift nehmen müßte . . .«
»Im übrigen, mein vortrefflicher Freund,« sagte la Peyrade, »müssen wir in jeder Beziehung auf die Abreden unter uns zurückkommen; ich habe nicht Lust, meine Stellung jeden Morgen in Frage gestellt zu sehen, und eben, als wir auf die Frau warteten, habe ich einen kleinen Vertragsentwurf gemacht, den wir besprechen und unterzeichnen wollen, wenn es dir recht ist, bevor die erste Nummer erscheint.«
»Aber in unserm Sozietätsvertrage«, entgegnete Thuillier, »haben wir doch, wie mir scheint, festgesetzt . . .«
»Daß du«, unterbrach ihn Theodosius, »für die lumpige Abfindungssumme von fünftausend Franken nach Artikel 14 die Sache allein an dich nehmen kannst; ich danke bestens! Wir werden da auf etwas Besseres bedacht sein müssen.«
In diesem Moment erschien Cérizet. Er trug eine aufgeweckte Siegermiene zur Schau.
»Meine Herren und Meister,« sagte er, »ich bringe das Kapital, in einer Stunde wird die Kautionssache gemacht und angemacht sein.«
Da er aber bemerkte, daß seine Neuigkeit sehr kühl aufgenommen wurde, so fragte er:
»Nun, was ist denn los?«
»Das ist los,« sagte Thuillier, »daß ich mich nicht mit Heuchlern und Verleumdern assoziiere; daß wir weder Sie noch Ihr Geld brauchen, und daß ich Sie ersuche, diesen Ort nicht länger mit Ihrer Gegenwart zu beehren.«
»Sieh, sieh, sieh!« sagte Cérizet, »der Papa Thuillier läßt sich schon wieder mal hineinlegen!«
»Entfernen Sie sich, mein Herr!« sagte Thuillier, »Sie haben hier nichts mehr zu suchen.«
»Mir scheint, Kleiner,« sagte Cérizet zu la Peyrade, »du hast den ehrenwerten Bourgeois herumgekriegt. Nun ja, das Pulver hat er nicht erfunden, und was du kannst, das wissen wir ja. Na, das macht nichts, aber ich finde, du tust Unrecht daran, daß du nicht zu du Portail gehst, und ich werde ihm sagen . . .«
»Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« sagte Thuillier drohend.
»Ich war es doch nicht, der Sie aufgesucht hat, mein werter Herr,« entgegnete Cérizet; »ich habe ohne Sie zu leben gehabt und werde auch jetzt noch zu leben haben. Sehen Sie nur zu, daß Sie die fünfundzwanzigtausend Franken nicht noch aus Ihrer Tasche bezahlen müssen, denn das kann Ihnen passieren.«
Nachdem er das gesagt hatte, steckte Cérizet seine Brieftasche mit den dreiunddreißigtausend Franken in Kassenscheinen wieder ein, nahm seinen Hut vom Tisch, auf den er ihn beim Hereinkommen gestellt hatte, gab ihm mit dem Unterärmel seinen Glanz wieder und entfernte sich.
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