Honoré de Balzac
Katharina von Medici
Honoré de Balzac

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Die beiden Träume

Der Marineschatzmeister, Bodard de Saint-James, gehörte Anno 1786 zu jenen Pariser Finanzleuten, deren Luxus der Aufmerksamkeit und dem Gerede der Stadt in gleicher Weise reiche Nahrung bot. Zu dieser Zeit ließ er zu Neuilly seine berühmte ›Tollheit‹ bauen, und zur Bekrönung ihres Betthimmels kaufte seine Frau eine Federgarnitur, deren Preis selbst die Königin entsetzte. Damals war es ja sehr viel leichter als heute sich in Mode zu bringen und ganz Paris von sich reden zu machen; dazu bedurfte es häufig nur eines Bonmots oder einer Weiberlaune.

Bodard besaß das prachtvolle Hôtel, welches der Generalpächter Dauge vor kurzem gezwungenerweise verlassen hatte. Der berühmte Epikuräer war nämlich eben gestorben, und an seinem Beerdigungstage hatte Herr de Bièvre, sein Busenfreund, mit der Behauptung: »nun könne man den Vendômeplatz ohne Gefahr überschreiten«, Stoff zum Lachen gegeben. Diese Anspielung auf das höllische Spiel, das man beim Entschlafenen spielte, bildete die ganze Leichenrede, die man ihm widmete. Das Hôtel ist jenes, welches mit der Front gegen die Staatskanzlei hin gerichtet ist.

Um Bodards Geschichte mit zwei Worten abzutun: er war ein armer Kerl und machte einen Bankrott, bei welchem es sich um vierzehn Millionen handelte, und zwar nach dem des Prinzen von Guéménée! Die Unschicklichkeit, die er beging, nämlich dem durchlauchtigsten Bankrott – wie Lebrun-Pidare sich ausdrückte – nicht zuvorzukommen, war die Ursache, daß man von seinem nicht einmal sprach. Wie Bourvalais, Bouret und so viele andere starb er in einer Dachkammer.

Frau von Saint-James Ehrgeiz war die alte, immer neue Lächerlichkeit, nur Leute von Stand bei sich zu empfangen. Für sie waren Gerichtspräsidenten Leute, die kaum in Betracht kamen; in ihren Salons wollte sie Standespersonen sehen, die zum mindesten bei den großen Versailler Empfängen freien Zutritt hatten. Wollte man behaupten, man sähe viele Heiligegeistritter bei der Finanzmännin, so hieße das lügen; ganz gewiß stimmt es aber, daß sie es durchgesetzt hatte, das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit einiger Glieder der Familie Rohan auf sich zu lenken, was in der Folgezeit der allzuberüchtigte Halsbandprozeß bewies.

Eines Abends – es war, glaube ich, im August 1786 – begegnete ich zu meiner größten Überraschung im Salon dieser hinsichtlich der Adelsurkunden so heiklen Schatzmeisterin zwei neuen Gesichtern, die mir nach ziemlich übler Gesellschaft aussahen.

»Sagen Sie mir doch,« wandte ich mich, mit einem Frageblick auf einen der Unbekannten hinweisend, an sie, »was ist denn das für eine Spezies? Warum empfangen Sie so etwas bei sich?«

»Ein reizender Mann.«

»Sehen Sie ihn durchs Prisma der Liebe oder täusche ich mich?«

»Sie täuschen sich nicht,« erwiderte sie lächelnd, »er ist mordshäßlich, hat mir aber den größten Dienst geleistet, den ein Weib sich von einem Manne erweisen lassen darf.«

Da ich sie boshaft angrinste, fügte sie eilig hinzu: »Gänzlich hat er mich von jenen roten Flecken befreit, die meine Haut kupferig machten und mich wie eine Bäuerin aussehen ließen.«

Übelgelaunt zuckte ich die Achseln.

»Er ist ein Charlatan«, rief ich.

»Nein,« entgegnete sie, »Pagenchirurg: und er ist sehr geistreich, das schwör' ich Ihnen, und überdies schreibt er, ist ein gelehrter Physiker.«

»Wenn sein Stil seiner Fratze gleicht . . .« entgegnete ich lächelnd. ». . . Doch der andere?«

»Welcher andere?«

»Jener kleine, geschniegelte Pomadenhengst, der so aussieht, als ob er Krätzer getrunken hätte.«

»Aber das ist ein ziemlich wohlgeborener Herr«, sagte sie mir. »Er kommt, ich weiß nicht, aus welcher Provinz . . . ach, aus Artois; und soll eine Angelegenheit zu Ende führen, die den Kardinal anlangt; und Seine Eminenz selber haben ihn Herrn von Saint-James vorgestellt. Beide haben sie Saint-James zum Schiedsrichter gewählt. Damit hat der Provinzler ja nun keinen Geist bewiesen. Was sind das aber auch für törichte Leute, die dem Manne da einen Prozeß anvertrauen? Sanft ist er wie ein Lamm und schüchtern wie ein kleines Mädchen; Seine Eminenz sind voller Güte gegen ihn.«

»Worum handelt es sich denn?«

»Um dreimalhunderttausend Livres«, erklärte sie.

»Advokat ist er also?« fuhr ich mit einem hochmütigen Ruck des Kopfes fort.

»Ja«, sagte sie.

Reichlich verwirrt über dies demütigende Geständnis nahm Frau Bodard ihren Platz am Pharaotische wieder ein.

Alle Partien waren vollständig. Ich hatte weder etwas zu tun noch zu sagen, hatte gerade zweitausend Taler an Herrn von Laval verloren, den ich bei einem leichtfertigen Mädchen getroffen. Warf mich auf ein Ruhebett, das neben dem Kamine stand. Wenn es jemals auf dieser Welt einen arg verdutzten Menschen gegeben hat, so war es sicherlich ich, als ich bemerkte, daß ich auf der anderen Seite des Kamingesimses den Generalkontrolleur als Gegenüber hatte. Augenscheinlich war Herr von Calonne eingeschlummert oder gab sich einer jener Meditationen hin, welche die Staatsmänner tyrannisieren. Als ich den eben auf mich zutretenden Beaumarchais mit einer Geste auf den Minister aufmerksam machte, erklärte mir Figaros geistiger Vater, ohne ein Wort verlauten zu lassen, dies Geheimnis. Abwechselnd wies er auf meinen eigenen und Bodards Schädel mit einer reichlich malitiösen Handbewegung hin, die darin bestand, zwei Finger der Hand – die anderen hielt er geschlossen – nach uns auszustrecken. In meiner ersten Erregung wollte ich aufstehn, um Calonne einige Bosheiten zu sagen, blieb aber sitzen, weil ich erstens dem Günstling einen Streich zu spielen gedachte, und weil zweitens Beaumarchais mich vertraulich bei der Hand festgehalten hatte.

»Was wollen Sie, mein Herr?« fragte ich ihn.

Er blinzelte mit den Augen, um mich auf den Kontrolleur aufmerksam zu machen.

»Wecken Sie ihn nicht auf,« sagte er mit leiser Stimme zu mir, »man ist zu glücklich, wenn er schläft.«

»Doch auch der Schlummer ist ein Finanzplan«, erwiderte ich.

»Sicherlich«, antwortete uns der Staatsmann, der unsere Worte einzig an der Lippenbewegung erraten hatte: »und gäbe es Gott, daß wir lange schlafen könnten, dann würde nicht das Erwachen kommen, das Sie erleben werden.«

»Gnädiger Herr,« sagte der Dramatiker, »ich hab' Ihnen einen Dank abzustatten.«

»Und wofür?«

»Herr von Mirabeau ist nach Berlin abgereist. Ich weiß nicht, ob wir in jener Wassersache nicht alle beide ertrunken wären.«

»Zuviel Gedächtnis haben Sie und sind nicht dankbar genug«, erwiderte der Minister, der ärgerlich war, eines seiner Geheimnisse vor mir ausgekramt zu sehen, trocken.

»Das ist möglich,« antwortete, aufs äußerste gereizt, Beaumarchais, »habe aber Millionen hinter mir, die Rechnungen wohl zu regeln vermögen.«

Calonne tat als ob er nichts höre.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht waren die Spielpartien zu Ende. Man setzte sich zu Tisch. Wir waren zehn Leute, Bodard und seine Frau, der Generalkontrolleur, Beaumarchais, die beiden Unbekannten, zwei hübsche Damen, deren Namen verschwiegen werden müssen, und ein Generalpächter namens Levoisier, glaube ich. Von den dreißig Personen, die ich beim Betreten des Salons vorfand, waren nur diese zehn Gäste übriggeblieben. Auch nahmen die beiden Spezies an dem Abendmahle nur auf Frau von Bodards inständige Bitten hin teil. Dem einen vermeinte sie dadurch ihre Schulden zu bezahlen, daß sie ihm zu essen gab, und den anderen lud sie vielleicht ein, um ihrem Gatten, mit dem sie, ich weiß nicht gerade warum, kokettierte, einen Gefallen zu tun. Alles in allem, Herr von Calonne bildete eine Macht, und wenn sich einer zu ärgern hatte, so war ich es.

Das Abendessen hub sterbenslangweilig an. Jene beiden Leute und der Generalpächter waren uns im Wege. Durch ein Zeichen gab ich Beaumarchais zu verstehen, er solle den Äskulapssohn, den er zu seiner Rechten hatte, bezecht machen, und machte ihm begreiflich, daß ich den Advokaten auf mich nähme. Da uns nur mehr dies Mittel zu unserer Belustigung übrigblieb, das uns seitens dieser beiden Männer Impertinenzen versprach, über die wir uns schon im voraus amüsierten, lächelte Herr von Calonne zu meinem Vorhaben. In zwei Sekunden waren die drei Damen über unsere bacchische Verschwörung im Bilde; durch sehr bezeichnendes Augenzwinkern verpflichteten sie sich, ihre Rolle dabei zu spielen. Der Sillery krönte mehr als einmal die Gläser mit seinem Silberschaum. Der Arzt war ziemlich leichtsinnig; beim zweiten Glase aber, das ich meinem Nachbar einschenken wollte, sagte dieser mit kalter Wuchererhöflichkeit, daß er weiter nichts trinke.

In diesem Augenblicke hatte uns Frau von Saint-James, ich weiß nicht durch welchen Unterhaltungszufall, auf das Kapitel der Wundersoupers des Grafen von Cagliostro gebracht, welche der Kardinal von Rohan veranstaltete. Nicht genau hatte ich auf das hingehört, was die Hausherrin sagte, denn seit der Antwort, die sie mir gegeben, beobachtete ich mit unbezähmbarer Neugier das gezierte und bleifarbige Antlitz meines Nachbars, dessen Hauptmerkmal eine zugleich stumpfe und spitze Nase war, die ihn für Augenblicke einem Spürhunde gleichen ließ. Als er Frau von Saint-James sich mit Herrn von Calonne streiten hörte, färbten sich plötzlich seine Wangen.

»Aber ich versichere Sie, meine Herrn, ich habe die Königin Kleopatra gesehen«, sagte sie mit einer gebieterischen Miene.

»Ich glaube das gern, gnädige Frau«, antwortete mein Nachbar. »Ich, ich habe mit Katharina von Medici gesprochen.«

»Oh, oh!« sagte Herr von Calonne.

Die von dem kleinen Provinzler geäußerten Worte zeigten eine Stimme an, welche eine unerklärliche Resonanz – wenn es erlaubt ist, diesen Ausdruck der Physik zu entlehnen – besaß. Solch plötzliche helle Intonation bei einem Menschen, der bislang sehr wenig, immer sehr leise und mit möglichst sanftem Tone gesprochen hatte, überraschte uns aufs äußerste.

»Aber er redet ja!« rief der Chirurg, den Beaumarchais in einen befriedigenden Zustand versetzt hatte.

»Sein Nachbar wird ein Uhrwerk bei ihm aufgezogen haben«, entgegnete der Satiriker.

Als er solche Worte, obwohl sie murmelnd gesagt worden waren, vernahm, errötete mein Mann.

»Und wie war die verstorbene Königin?« fragte Calonne.

»Ich möchte nicht beschwören, daß die Person, mit der ich gestern soupiert habe, Katharina von Medici selber war. Solch Wunder muß einem Christen ebensowohl wie einem Philosophen unmöglich erscheinen«, erwiderte der Advokat, sich mit seinen Fingerspitzen leicht auf den Tisch stützend und sich in seinen Sessel zurücklehnend, wie wenn er lange zu sprechen gedächte. »Nichtsdestoweniger kann ich schwören, daß dies Weib Katharinen von Medici so ähnlich sah, wie wenn sie beide Schwestern gewesen wären. Die ich sah, trug ein schwarzes Sammetkleid, welches dem völlig glich, womit die Königin auf dem in des Königs Besitz befindlichen Porträt bekleidet ist. Ihr Haupt war mit jener so charakteristischen Sammetkappe bedeckt, kurz sie hatte den bleifarbigen Teint und das Antlitz, welches Sie alle kennen. Ich konnte nicht umhin, Seiner Eminenz meine Überraschung zu bezeigen. Die Schnelligkeit der Beschwörung schien mir um so wunderbarer, als der Graf von Cagliostro den Namen der Person, mit welcher ich zusammen zu sein wünschte, nicht hatte erraten können. Ich war verblüfft. Die Magie des Schauspiels, das ein Souper darstellte, zu welchem berühmte Frauen vergangener Zeiten erschienen, nahm mir alle Geistesgegenwart. Ich lauschte, ohne eine Frage zu wagen. Als ich gegen Mitternacht den Schlingen dieser Zauberei entwischte, zweifelte ich schier an mir selber. Dies ganze Wunder aber kam mir im Vergleich zu der seltsamen Halluzination, die ich noch über mich ergehen lassen sollte, noch recht natürlich vor. Ich weiß nicht, mit welchen Worten ich Ihnen den Zustand meiner Sinne zu schildern vermöchte. Aufrichtigen Herzens erkläre ich nur, daß es mich nicht mehr wundernimmt, daß es einstmals Seelen gegeben hat, die schwach oder stark genug waren, an die Geheimnisse der Magie und an des Dämons Macht zu glauben. Ich für meine Person halte, bis ich weitgehender informiert sein werde, die Erscheinungen, von denen Cardan und einige Wundertäter gesprochen haben, für möglich.«

Solche mit einem unglaublich beredten Tone geäußerten Worte mußten natürlich bei allen Gästen maßlose Neugier erwecken. Auch hefteten sich unsere Blicke auf den Redner, und wir blieben unbeweglich. Einzig unsere Augen verrieten das Leben, indem sie den Kerzenschimmer der Armleuchter reflektierten. Beim längeren Betrachten des Unbekannten kam es uns vor, als sähen wir, wie die Poren seines Gesichtes und vor allem die seiner Stirne das innere Gefühl, von dem er durchdrungen war, durchsickern ließen. Dieser anscheinend kalte und steifleinene Mann schien einen heimlichen Feuerherd in sich zu bergen, dessen Flamme plötzlich auf uns einwirkte.

»Ich weiß nicht,« fuhr er fort, »ob die zitierte Gestalt, sich unsichtbar machend, mir folgte; sobald mein Kopf aber auf meinem Bettpfühl ruhte, sah ich Katharinas hohen Schatten sich vor mir aufrecken. Unwillkürlich fühlte ich mich in einer lichtvollen Sphäre, denn meine, mit unerträglicher Bewegungslosigkeit auf die Königin gehefteten Augen sahen nur sie. Plötzlich neigte sie sich zu mir . . .«

Bei diesen Worten machte sich bei den Damen eine übereinstimmende neugierige Bewegung bemerkbar.

»Doch«, fuhr der Advokat fort, »weiß ich nicht, ob ich weiterreden soll; wiewohl ich zu glauben veranlaßt bin, daß es nur ein Traum war, ist das, was mir zu sagen übrigbleibt, etwas tief Ernstes.«

»Sollte es sich um Religion handeln?« fragte Beaumarchais.

»Oder ist es was Indezentes?« fragte Calonne; »die Damen hier würden es Ihnen verzeihen.«

»Es handelt sich um Regierungsdinge«, antwortete der Advokat.

»Also los«, sagte der Minister. »Voltaire, Diderot und Konsorten haben ja schon Erkleckliches in der Erziehung unserer Ohren geleistet.«

Der Kontrolleur wurde sehr aufmerksam und seine Nachbarin, Frau von Genlis, recht unruhig. Der Provinzmann zauderte noch. Lebhaft sagte Beaumarchais zu ihm: »Aber gehen Sie doch, Meister, wissen Sie denn nicht, daß die Völker, wenn ihnen die Gesetze so wenig Freiheit einräumen, sich an den Sitten schadlos halten?«

Dann begann der Gast: »Sei es, daß gewisse Gedanken mir unbewußt in meiner Seele eingeschlossen waren, sei es, daß ich von einer fremden Macht angestachelt ward, ich sagte zu ihr:

›Ach, Madame, Sie haben ein sehr großes Verbrechen begangen!‹

›Welches?‹ fragte sie mit einer ernsten Stimme.

›Das, zu welchem am vierundzwanzigsten August von der Palaisglocke das Zeichen gegeben ward.‹

Verächtlich lächelte sie und einige tiefe Falten zeichneten sich auf ihren bleifarbenen Wangen ab.

›Das nennt Ihr ein Verbrechen?‹ antwortete sie; ›es war nur ein Unglück. Das schlecht geleitete Unternehmen hat, indem es mißlang, nicht das Gute für Frankreich, für Europa, für die katholische Kirche zum Ergebnis gehabt, das wir von ihm erwarteten. Ja, was wollt Ihr denn! Die Befehle sind schlecht ausgeführt worden. Wir begegneten nicht so vielen Montlucs, als wir ihrer bedurften. Nicht zugute halten wird die Nachwelt uns den Kommunikationsmangel, der uns daran hinderte, unserm Werke jene Bewegungseinheit zu geben, welche großen Staatsstreichen notwendig ist: das ist das Unglück. Wenn am fünfundzwanzigsten August auch nicht der Schatten eines Hugenotten übriggeblieben wäre, würde ich bis in die entfernteste Nachwelt als schönes Bild der Vorsehung dastehen. Wie viele Male haben die klarsehenden Seelen Sixtus des Fünften, Richelieus und Bossuets mich nicht heimlich angeklagt, mit meinem Unternehmen gescheitert zu sein, nachdem ich es einmal auszudenken gewagt! Von wie vielen Klagen war nicht auch mein Tod begleitet . . . Dreißig Jahre nach der Sankt Bartholomäusnacht währte die Krankheit noch an; sie hatte bereits zehnmal mehr des edlen Blutes in Frankreich dahinströmen lassen, als man am fünfundzwanzigsten August 1572 noch hätte vergießen müssen. Die Aufhebung des Edikts von Nantes, der zu Ehren ihr Medaillen habt prägen lassen, hat mehr Tränen, mehr Blut und Geld gekostet, mehr Glück in Frankreich getötet als drei Bartholomäusnächte zusammengenommen. Mit einem einzigen Federstriche wußte Letellier das Dekret zu vollenden, welches der Thron seit meiner Zeit in aller Heimlichkeit bekanntgegeben hatte; wenn am fünfundzwanzigsten August 1572 aber diese ungeheure Hinrichtung notwendig war, am fünfundzwanzigsten August 1685 war sie zwecklos. Unter Heinrichs von Valois zweitem Sohne war die Ketzerei eben geboren worden. Die fruchtbare Mutter hatte ihre Saat über den ganzen Weltkreis verbreitet . . . Mich zeiht ihr eines Verbrechens, Anna von Österreichs Sohne aber errichtet ihr Standbilder! Und doch haben er und ich das nämliche versucht: er hat Erfolg gehabt, ich bin gescheitert. Waffenlos aber hat Ludwig der Vierzehnte die Protestanten vorgefunden, die unter meiner Herrschaft mächtige Armeen besaßen, Staatsmänner und Heerführer und Deutschland auf ihrer Seite hatten.‹

Bei diesen leise geäußerten Worten fühlte ich etwas wie einen inneren Schauder in mir. Den Blutdunst von ich weiß nicht wie vielen Opfern meinte ich einzuatmen. Katharina war in die Höhe gewachsen. Stand da wie ein böser Geist, und es kam mir vor wie wenn sie in mein Gewissen eindringen wollte, um sich dort einzunisten . . .«

»Das hat er geträumt,« sagte Beaumarchais mit leiser Stimme, »erfunden hat er's sicherlich nicht.«

»›Meine Vernunft ist verwirrt‹, sagte ich zur Königin. ›Sie beglückwünschen sich zu einer Handlung, welche drei Generationen verurteilen, brandmarken und . . .‹

›‹Fügt hinzu,› fuhr sie fort, ›daß mir gegenüber alle Schreibfedern ungerechter gewesen sind, als es meine Zeitgenossen waren. Keiner hat etwas zu meiner Verteidigung unternommen. Des Ehrgeizes hat man mich geziehen, mich, die ich reich und Herrscherin war. Als grausam hat man mich erachtet, mich, die ich nur zwei heruntergeschlagene Köpfe auf dem Gewissen habe. Und für die unparteiischsten Gemüter bilde ich vielleicht noch ein großes Problem. Meint ihr denn, ich sei von Haßgefühlen beseelt gewesen, habe nur Rache und Wut geschnaubt?‹

Sie lächelte mitleidig.

›Kalt und ruhig war ich wie die Vernunft selber. Erbarmungslos, aber ohne Aufwallung habe ich die Hugenotten verdammt; sie waren die faule Orange in meinem Korbe. Als Englands Königin würde ich die Katholiken ebenso verurteilt haben, wenn sie aufrührerisch gewesen wären. Auf daß unsere Macht etwas Leben zu jener Epoche besäße, war im Staate ein einziger Gott, ein einziger Glaube, ein einziger Herr nötig. Zu meinem Glücke hab ich meine Rechtfertigung in einem Worte geprägt. Als Birago mir fälschlicherweise den Verlust der Schlacht von Dreux meldete, rief ich: Nun denn, so werden wir zur Predigt gehen! . . . Haß wider die Religionsleute? Ich schätzte sie sehr und kannte sie gar nicht. Wenn ich Abneigung gegen einige Politiker spürte, so war das gegen den Kardinal von Lothringen, gegen seinen Bruder, einen verschlagenen und rohen Soldaten, die mich alle beide belauern ließen, weil sie meiner Kinder Feinde waren und ihnen die Krone entreißen wollten. Tagtäglich sah ich sie, und sie fielen mir lästig. Hätten wir die Sankt Bartholomäusnacht nicht ins Werk gesetzt, würden die Guisen sie mit Roms und seiner Priester Hilfe ausgeführt haben. Die Liga, die nur in meinen alten Tagen zu Macht gelangte, hat 1573 begonnen.‹

›Aber, Madame, warum haben Sie nicht, statt diese schreckliche Bluttat – verzeihen Sie meinen Freimut – anzuordnen, die unermeßlichen Hilfsmittel Ihrer Politik angewendet, um den Reformierten die weisen Institutionen zu geben, welche Heinrichs des Vierten Herrschaft so ruhmreich und so friedlich machten?‹

Sie lächelte abermals. Hob die Schultern und ihre tiefen Furchen gaben ihrem bleichen Gesichte einen von Bitterkeit durchtränkten höhnischen Ausdruck.

›Nach den blutigsten Kämpfen‹, sagte sie, ›bedürfen die Völker der Ruhe: das ist das Geheimnis jener Regierung. Heinrich der Vierte aber hat zwei nicht wiedergutzumachende Fehler begangen: er durfte weder den Protestantismus abschwören, noch Frankreich katholisch lassen, nachdem er es selber geworden war. Er allein befand sich in der Lage, Frankreichs Gesicht ohne irgendwelche Erschütterungen zu verändern. Entweder keine Stola oder keine Predigt, das hätte sein Gedanke sein müssen. In einer Regierung zwei feindliche Prinzipien bestehen zu lassen, ohne daß irgend etwas sie ausbalanciert, ist ein Königsverbrechen; so sät man Revolutionen. Gott allein steht es zu, das Gute wie das Böse in seinem Werke unaufhörlich offenbar werden zu lassen. Diese Sentenz aber war vielleicht Heinrichs des Vierten Politik auf den Grund geschrieben und verursachte etwa seinen Tod. Ein Ding der Unmöglichkeit ist es, daß Sully keinen begehrlichen Blick auf jene unermeßlichen Güter des Klerus warf, die der Klerus nicht völlig besaß, denn der Adel vergeudete zum mindesten zwei Drittel ihrer Einkünfte. Der reformierte Sully hatte nichtsdestoweniger Abteien . . .‹ Sie hielt inne und schien nachdenklich.

›Doch,‹ fuhr sie fort, ›erwägt Ihr, daß Ihr eines Papstes Nichte um Aufklärungen über ihren Katholizismus bittet?‹

Abermals hielt sie inne.

›Trotzdem würde ich eine gute Calvinistin gewesen sein‹, fügte sie, sich zu einer sorglosen Geste hinreißen lassend, hinzu.

›Sollten die überlegenen Geister Eures Jahrhunderts noch glauben, daß die Religion etwas zu bedeuten gehabt hätte in jenem Prozesse, dem ungeheuersten von allen denen, die Europa zu beurteilen hat? Der ist eine unendliche Revolution, die herausgeschoben ward durch kleine Ursachen, welche sie nicht hindern werden, über die ganze Welt hinwegzufegen, da ich sie nicht in den Keimen erstickt habe. Eine Revolution,‹ sagte sie, mir einen tiefen Blick zuwerfend, ›die immer marschiert und die du vollenden könntest. Ja, du, der du mir lauschest.‹

Mir schauderte.

›Was, keiner noch hat begriffen, daß die alten Interessen und die neuen Interessen Rom und Luther als ein Banner gepackt hatten? Was, Ludwig der Neunte hat, weil er einen fast gleichen Kampf vermied, indem er eine Menschenmenge, die der, welche ich verdammte, an Zahl schier hundertfach überlegen war, mit sich riß und in den Sandwüsten Ägyptens verderben ließ, den Beinamen der Heilige verdient und ich? . . . Ich aber‹, sagte sie, ›bin gescheitert.‹

Sie senkte das Haupt und verharrte einen Augenblick in Schweigen. Was ich da sah, das war keine Königin mehr, sondern vielmehr eine jener alten Druidinnen, welche Menschenopfer darbrachten und die Seiten der Zukunft aufzurollen verstanden, indem sie die Erleuchtungen uralter Tage wieder ans Licht zogen. Bald aber erhob sie ihr königliches und ehrfurchtgebietendes Antlitz wieder.

Und fuhr fort:

›Indem sie aller Bürger Aufmerksamkeit auf die Mißbräuche der katholischen Kirche lenkten, ließen Luther und Calvin einen Geist der Forschung in Europa erstehen, welcher die Völker dahinbringen mußte, alles einer Prüfung zu unterziehen. Prüfung aber führt zum Zweifel. Statt eines der Gesellschaft notwendigen Glaubens schleppten sie eine vorwitzige Philosophie, die mit Hämmern bewaffnet war und nach Trümmern gierte, mit sich und verbreiteten sie in weite Fernen. Die Wissenschaft stürzte sich strahlend von ihren falschen Klarheiten aus dem Schoße der Ketzerei. Viel weniger handelte es sich um eine Reform der Kirche als um die unbegrenzte Freiheit des Menschen, die der Tod jedweder Macht ist. Das habe ich erkannt. Die Konsequenz des Erfolges, welcher von den Calvinisten in ihrem Kampfe wider das Priestertum errungen ward, das bereits bewaffneter und furchtbarer war als die Krone selber, wurde der Ruin der von Ludwig dem Elften mit so großen Kosten auf den Scherben des Feudalismus gegründeten monarchistischen Macht. Um nichts weniger handelte es sich als um die Vernichtung der Religion und des Königtums, auf deren Trümmern alle Bourgeoisien der Welt paktieren sollten. Dieser Kampf war also ein Krieg auf Leben und Tod zwischen den neuen Kombinationen und den alten Gesetzen und Glaubenslehren. Die Katholiken waren der Ausdruck der materiellen Interessen des Königtums, der Edelleute und des Klerus. Es war der Kampf bis aufs Messer zwischen zwei Riesen, die Sankt Bartholomäusnacht bedeutete leider nur eine Wunde dabei. Denkt daran, daß man, um in einem günstigen Augenblicke einige Blutstropfen zu sparen, später das Blut in Strömen dahinstürzen ließ. Die Intelligenz, welche eine Nation beherrscht, kann ein Unglück nicht vermeiden, das nämlich: niemanden, der ihr gleicht, zu finden, um richtig beurteilt zu werden, wenn sie der Wucht eines Ereignisses erlegen ist. Meinesgleichen sind selten, die Dummen aber immer in Mehrzahl vorhanden: alles findet durch diese beiden Sätze seine Erklärung. Wenn mein Name in Frankreich Abscheu erregt, muß man die mittelmäßigen Geister dafür verantwortlich machen, welche in allen Generationen die Masse bilden. In großen Krisen, wie ich sie habe durchmachen müssen, regieren, heißt nicht etwa Audienzen abhalten, Revuen passieren und Ordonnanzen abfertigen. Fehler hab' ich machen können, ich war nur ein Weib. Warum aber ist man nicht an einen Mann geraten, der über seinem Jahrhundert stand? Der Herzog von Alba war eine eherne Seele, Philipp der Zweite stumpfsinnig gemacht vom katholischen Glauben, Heinrich der Vierte ein kartenspielender und liederlicher Soldat und der Admiral ein systematischer Starrkopf. Ludwig der Elfte kam zu früh, Richelieu zu spät. Mag ich nun tugendhaft oder strafbar sein, mag man mir die Bartholomäusnacht zuschreiben oder nicht, ihre Last habe ich auf mich genommen. Zwischen jenen beiden großen Männern werd ich wie der sichtbare Ring einer unbekannten Kette stehen. Eines Tages werden die an Paradoxen Gefallen findenden Schriftsteller sich fragen, ob die Völker den Henkerstitel nicht manchmal an Opfer verschwendeten. Nicht das einzige Mal wird's sein, daß die Menschheit es vorzieht, lieber einen Gott zu opfern als sich selber anklagend an die Brust zu schlagen. Alle seid ihr gern bereit, um zweihundert, im richtigen Augenblicke geopferter Bauernlümmel willen Tränen zu vergießen, welche ihr den Unglücksfällen einer Generation, eines Jahrhunderts oder einer Welt verweigert. Kurz, ihr vergeßt, daß politische Freiheit, Ruhe einer Nation, die Wissenschaft selber Geschenke bedeuten, für welche das Schicksal blutige Steuern im voraus erhebt!‹

›Könnten die Nationen eines Tages nicht‹, rief ich mit Tränen in den Augen, ›glücklich sein zu einem wohlfeileren Preise?‹

›Die Wahrheiten steigen aus ihren Tiefen nur herauf, um Blutbäder zu nehmen, worinnen sie sich erfrischen. Hat sich etwa gar das Christentum, die Quintessenz aller Wahrheit, da es von Gott kommt, ohne Märtyrer durchgesetzt? Ist Blut nicht in Strömen geflossen? Wird es nicht ständig fließen? Du wirst es wissen, du, der du einer der Maurer des von den Aposteln begonnenen sozialen Gebäudes sein sollst. Solange du deinen Standpunkt über den Häuptern innehältst, wird man dir Beifall klatschen, wenn du aber zur Kelle greifen willst, wird man dich töten.‹

Blut, Blut! dieses Wort hallte in meinen Ohren wie ein Glockenpuls nach.

›Ihrer Meinung nach‹, sagte ich, ›würde der Protestantismus also das Recht besessen haben, gleich Ihnen zu vernünfteln?‹

Katharina war verschwunden, wie wenn irgendein Windhauch das übernatürliche Licht ausgeblasen hätte, das meinem Geiste dieses Gesicht zu sehen erlaubte, dessen Proportionen riesenhaft geworden waren. Plötzlich fand ich in mir selber einen Teil meines Ichs, welcher die wilden von der Italienerin gelehrten Doktrinen annahm. In Schweiß gebadet, weinend erwachte ich im Augenblick, wo meine siegende Vernunft mir mit sanfter Stimme sagte, daß es weder einem Könige noch selbst einer Nation zukomme, solche eines Atheistenvolkes würdige Prinzipien zu dokumentieren.«

»Und wie wird man Monarchien, die zusammenstürzen, retten?« fragte Beaumarchais.

»Gott wohnt da droben, mein Herr«, war meines Nachbars Erwiderung.

»Also«, warf Calonne mit jener unglaublichen Leichtfertigkeit, die ihn charakterisierte, ein, »liegt unsere Hilfe darin, daß wir uns Bossuets Evangelium gemäß für Instrumente Gottes halten?«

Sobald die Damen gemerkt hatten, daß die Sache auf eine Unterhaltung zwischen der Königin und dem Advokaten hinauslief, begannen sie mit einander zu flüstern. Ich habe mir die Phrasen mit Ausrufungszeichen geschenkt, die sie in den Advokatendiskurs hineinschleuderten. Doch drangen solche Worte wie: Er ist sterbenslangweilig! . . . Aber, meine Liebe, wann wird er zu Ende kommen? . . . an mein Ohr.

Als der Unbekannte zu reden aufhörte, schwiegen die Damen. Monsieur Bodard schlief. Der halbbetrunkene Chirurg, Lavoisier, Beaumarchais und ich waren allein aufmerksam gewesen. Herr von Calonne scherzte mit seiner Nachbarin. In diesem Augenblicke hatte das Schweigen etwas Feierliches an sich. Der Glanz der Kerzen schien mir eine zauberische Farbe zu besitzen. Ein und das nämliche Gefühl hatte uns mit geheimnisvollen Banden an diesen Mann geknüpft, der mir für meinen Teil die unerklärliche Wirkung des Fanatismus begreiflich machte. Es fehlte nur noch die dumpfe und kellerige Stimme des Beaumarchaisschen Nachbars, um uns wachzurütteln.

»Und ich, ich hab' auch geträumt«, schrie der.

Da erst sah ich mir den Chirurgen näher an und verspürte, ich weiß nicht was für ein Schaudergefühl. Seine erdige Hautfarbe, seine zugleich unedlen und großen Züge boten den exakten Ausdruck dessen dar, was man mir erlauben möge: die Canaille zu nennen. Einige bläuliche und schwarze Pocken waren wie Kotspritzer über sein Gesicht verstreut und seine Augen sprühten eine finstere Flamme. Dies Gesicht schien vielleicht infolge einer durch eine Frisur à frimas auf seinem Kopfe aufgehäuften Schneemasse düsterer als es in Wirklichkeit war.

»Der Kerl da muß mehr als einen Kranken eingescharrt haben«, sagte ich zu meinem Nachbar.

»Meinen Hund würd' ich ihm nicht anvertrauen«, antwortete der mir.

»Unwillkürlich hasse ich ihn.«

»Und ich, ich verachte ihn.«

»Und doch, welch eine Ungerechtigkeit«, erwiderte ich.

»Oh, mein Gott, übermorgen kann er vielleicht ebenso berühmt sein wie der Akteur Volange«, entgegnete der Unbekannte.

Herr von Calonne wies auf den Chirurgen mit einer Geste hin, die uns etwa sagen sollte: Der scheint amüsant werden zu wollen.

»Und Sie sollten auch von einer Königin geträumt haben?« fragte Beaumarchais ihn.

»Nein, ich habe von einem Volke geträumt«, antwortete er mit einer Emphase, die uns lachen machte. »Ich trug damals Sorge um einen Kranken, dem ich am Morgen nach meinem Traume den Schenkel amputieren sollte . . .«

»Und haben das Volk in Ihres Kranken Schenkel gefunden?« fragte Herr von Calonne.

»Richtig geraten«, antwortete der Chirurg.

»Ist das unterhaltend!« rief die Gräfin von Genlis.

»Zu meiner ziemlichen Überraschung«, fuhr der Redner fort, ohne sich durch die Zwischenrufe stören zu lassen und indem er jede seiner Hände in seine Hosentaschen steckte, »fand ich in diesem Schenkel jemanden, mit dem ich reden konnte. Ich besaß die seltsame Fähigkeit, in meinen Kranken hineinzugehen. Als ich mich erstmals unter seiner Haut befand, beschaute ich eine erstaunliche Menge kleiner Wesen, die sich bewegten, dachten und räsonierten. Die einen lebten in dem Körper dieses Menschen, die anderen in seinem Geiste. Seine Gedanken waren Wesen, die geboren wurden, wuchsen und dann starben; sie waren krank, froh, gesund, traurig und besaßen endlich alle besondere Physiognomien; sie bekämpften sich oder liebkosten einander. Manche Gedanken stürzten sich nach draußen und lebten in der intellektuellen Welt. Plötzlich begriff ich, daß es dort zwei Welten gäbe: ein sichtbares und ein unsichtbares Weltall; daß die Erde wie der Mensch einen Leib und eine Seele besäße. Die Natur erleuchtete sich für mich, und ich lernte ihre Unermeßlichkeit erfassen, indem ich den Ozean der Wesen erblickte, die in Mengen und Arten überall verbreitet waren, indem sie eine und dieselbe Materie von den Marmorarten an bis zu Gott hinauf bildeten. Ein herrliches Schauspiel! Kurz es gab ein Weltall in meinem Kranken. Als ich mein Messer mitten in den krebsigen Schenkel stieß, vernichtete ich Tausende von diesen Tierchen. – Sie lachen, meine Damen, weil Sie erfahren, daß sie Viehchern ausgeliefert sind? . . .«

»Keine Anzüglichkeiten«, sagte Herr von Calonne. »Reden Sie, kommen Sie auf sich und auf Ihren Kranken zurück.«

»Mein durch die Schreie seiner Aufgußtierchen erschreckter Mann wollte meine Operation unterbrechen; doch säbelte ich immer weiter und sagte zu ihm, daß nichtsnutzige Tiere bereits seine Knochen annagten. Er machte eine Bewegung des Widerstandes, indem er nicht begriff, daß das, was ich tun wollte, zu seinem Besten geschähe und mein Operationsmesser fuhr mir selber in die Seite . . .«

»Er ist stupide«, sagte Lavoisier.

»Nein, betrunken«, erwiderte Beaumarchais.

»Aber meine Herren, mein Traum hat doch einen Sinn«, rief der Chirurg.

»Oh, oh,« rief Bodard, welcher aufwachte, »mein Bein ist eingeschlafen.«

»Mein Herr,« sagte seine Frau zu ihm, »Ihre Tierchen sind tot.«

»Der Mann da fühlt sich zu irgend etwas berufen«, rief mein Nachbar, welcher den Chirurgen, während er sprach, in einem fort fixiert hatte.

»Mein Traum verhält sich zu dem, was Sie, mein Herr erzählt haben, wie die Handlung zum Worte, der Körper zur Seele.«

Seine schwerfällige Zunge aber wurde konfus, er stieß nurmehr undeutliche Worte aus. Zu unserem Glücke lenkte die Unterhaltung in andere Bahnen ein. Im Verlaufe von einer halben Stunde hatten wir den Pagenchirurgen, welcher schlief, vergessen. Als wir von Tisch aufstanden, goß es aus Mollen vom Himmel herab.

»Der Advokat ist nicht so dumm«, sagte ich zu Beaumarchais.

»Oh, er ist plump und kalt. Doch birgt, wie Sie sehen, die Provinz immer noch gute Tröpfe, welche politische Theorien ebenso wie unsere französische Geschichte ernst nehmen.«

»Haben Sie Ihren Wagen da«, fragte mich Frau von Saint-James.

»Nein«, entgegnete ich trocken. »Ich wußte nicht, daß ich ihn heute nacht brauchen würde. Wünschen Sie etwa, daß ich den Kontrolleur nach Hause bringe? Sollte er denn en polisson zu Ihnen gekommen sein?«

Dies Modewort diente dazu einen Menschen zu bezeichnen, der, als Kutscher gekleidet, seinen eigenen Wagen nach Marly lenkt.

Frau von Saint-James entfernte sich lebhaft, läutete, verlangte Saint-James Wagen und nahm den Advokaten beiseite.

»Herr von Robespierre, wollen Sie mir den Gefallen tun und Herrn Marat vor seinem Hause absetzen, er ist ja außerstande, sich gerade zu halten«, sagte sie zu ihm.

»Gern, gnädige Frau«, antwortete Herr von Robespierre in galanter Weise; »ich wäre glücklich, wenn Sie mich vor eine etwas schwierigere Aufgabe stellten.«

 

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