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Die Ufer der Loire von Blois bis Angers sind Gegenstand besonderer Vorliebe der beiden letzten Zweige des königlichen Stammes gewesen, welche den Thron vor dem Hause Bourbon innehatten. Dies schöne Becken verdient die Ehren, welche ihm die Könige erwiesen, in jeder Beziehung; einer unserer elegantesten Schriftsteller äußerte sich unlängst folgendermaßen über dasselbe:
›Eine Provinz gibt es in Frankreich, die man nie genugsam bewundert. In Duft getaucht wie Italien, mit Blumen besät wie die Ufer des Guadalquivirs und schön überdies in seiner besonderen Physiognomie, ist sie ganz französisch und immer französisch gewesen, im Gegensatz zu unseren nordischen Provinzen, die durch die Berührung mit Deutschland bastardiert wurden, und zu unseren südlichen Provinzen, die mit den Mauren, den Spaniern und allen Völkern, die ihr Augenmerk auf sie richteten, in wilder Ehe gelebt haben, und diese reine, keusche, tapfere und anhängliche Provinz ist die Touraine! Dort lebt das historische Frankreich. Die Auvergne ist die Auvergne, die Languedoc nur die Languedoc; die Touraine aber ist Frankreich, und der nationalste Fluß für uns ist die Loire, welche die Touraine bespült. Darum darf man sich durchaus nicht verwundern über die große Menge von Monumenten, die von den Bezirken umschlossen werden, welche den Namen und die Ableitungen des Namens dieses Flusses angenommen haben. Bei jedem Schritte, den man in diesem bezaubernden Lande tut, entdeckt man ein Gemälde, dessen Verbrämung ein Fluß oder ein ruhiges Oval ist, in dessen feuchten Tiefen ein Schloß träumt mit seinen Türmchen, seinen Gehölzen und seinen sprudelnden Gewässern. Natürlich war es, daß dort, wo das Königtum mit Vorliebe wohnte, wo es solange seinen Hof unterbrachte, sich auch die großen Vermögen und Menschen, die sich durch Abstammung und Verdienst auszeichneten, ansiedelten und dort hohe Paläste wie das Königtum errichteten.‹
Ist es nicht unbegreiflich, daß das Königtum den ihm indirekt von Ludwig dem Elften gegebenen Rat nicht befolgt und Tours zur Hauptstadt des Königreichs gemacht hat? Ohne große Kosten konnte die Loire dort für die Handelsschiffe und die leichten Kriegsfahrzeuge schiffbar gemacht werden. Dort wäre der Sitz der Regierung vor den Handstreichen eines Einfalls geschützt gewesen. Die Plätze des Nordens hätten dann nicht soviel Geld für ihre Befestigungen erfordert, die allein ebensoviel kosteten als die Versailler Luxusbauten. Wenn Ludwig der Vierzehnte auf Vaubans Rat gehört hätte, der ihm seine Residenz zwischen Loire und Cher zu Mont-Louis bauen wollte, würde die Revolution von 1789 vielleicht nicht stattgefunden haben. Diese schönen Ufer tragen also von Ort zu Ort die Zeichen königlicher Zärtlichkeit. Die Schlösser von Chambord, Blois, Amboise, Chenonceaux, Chaumont, Plessis-lez-Tours, alle die, welche die Geliebten unserer Könige, welche die Finanzleute und adligen Herren sich zu Véretz, Azay-le-Rideau, Ussé, Villandri, Valençay, Chanteloup, Duretal bauten, von denen einige verschwunden sind, deren Mehrzahl aber noch aufrecht steht, sind köstliche Monumente, welche die Wunder jener von der literarischen Sekte der Mittelalterverehrer so schlecht verstandenen Epoche ausatmen. Unter all diesen Schlössern hat dem von Blois, wo der Hof sich befand, die Prachtliebe der Orleans und der Valois ihr glänzendstes Siegel aufgedrückt. Für die Historiker, für die Archäologen und die Katholiken aber ist es das Interessanteste. Damals lag es völlig isoliert. Die mit starken, zinnenbewehrten Mauern umgürtete Stadt breitete sich zu Füßen der Festung aus, denn dies Schloß diente tatsächlich zugleich als Fort und als Lusthaus. Oberhalb der Stadt, deren zusammengepreßte Häuser und blaue Dächer sich heute wie damals bis zu dem Scheitel des Hügels erstrecken, welcher die linke Flußseite beherrscht, befindet sich ein dreieckiges Plateau, das im Westen durch einen Bach abgetrennt wird, der heute bedeutungslos ist, da er unter der Stadt hinfließt. Im fünfzehnten Jahrhundert bildete er aber nach den Worten der Historiker eine ziemlich bedeutende Schlucht, von der ein tiefer Hohlweg, der fast eine Kluft bildet, zwischen Vorstadt und Schloß übriggeblieben ist.
Auf diesem Plateau mit der doppelten Lage nach Norden und Süden bauten sich die Grafen von Blois im Geschmack der Architektur des zwölften Jahrhunderts eine Burg, worinnen der berüchtigte Thibault der Betrüger, Thibault der Alte und andere einen berühmten Hof hielten. In jenen Zeiten reiner Feudalität, wo der König dem schönen Ausspruche eines Polenkönigs gemäß ein primus inter pares war, führten die Grafen von Champagne, die Grafen von Blois, die von Anjou, die einfachen Barone von der Normandie und die Herzöge von der Bretagne das Leben von Souverainen und gaben den stolzesten Königreichen Herrscher. Die Plantagenet von Anjou, die Lusignan von Poitou, die Robert von der Normandie förderten durch ihre Kühnheit die königlichen Geschlechter, und es schlugen manchmal einfache Ritter wie du Glaicquin den Purpur aus, indem sie dem Konnetabeldegen den Vorzug gaben. Als die Krone die Grafschaft von Blois mit ihrem Besitze vereinigt hatte, baute Ludwig der Zwölfte, der diese Lage liebte, etwa um sich von du Plessis furchtbaren Angedenkens fern zu halten, auf dem Vorsprunge in der Doppellage nach Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ein Hauptgebäude, welches das Schloß der Grafen von Blois mit den Überbleibseln alter Konstruktionen verband, von denen heute nur noch der große Saal vorhanden ist, worin unter Heinrich dem Dritten die Generalstände tagten. Bevor Franz der Erste sich in Chambord verliebte, wollte er das Schloß vollenden, indem er zwei andere Flügel anbaute, so daß das Viereck vollkommen geworden wäre. Chambord aber lenkte ihn von Blois ab, wo er nur ein Hauptgebäude aufführte, das für seine Zeit und für seine Enkel das ganze Schloß vorstellte. Dies dritte, von Franz dem Ersten aufgeführte Schloß ist sehr viel geräumiger und weit mehr verziert als der nach Heinrich dem Zweiten genannte Louvre. Die Architekten behaupten, es stelle das Phantasievollste vor, was in der Renaissance gebaut worden sei. In einer Zeit, wo eine eifersüchtige Architektur herrschte und wo man sich ums Mittelalter wenig kümmerte, zu einer Epoche, wo die Literatur sich noch nicht so innig wie zu unseren Tagen mit der Kunst verband, hat La Fontaine in seiner gutmütigen Sprache folgendes von dem Schloß Blois gesagt: ›Was Franz der Erste hat aufführen lassen, befriedigte mich von außen gesehen mehr als alles übrige: es gibt da eine solche Masse kleiner Galerien, kleiner Fenster, kleiner Balkons, winziger Zierate ohne Regelmäßigkeit und Ordnung, und all das stellt etwas Großes vor, das mir recht gefällt.‹
Das Schloß von Blois hatte also das Verdienst drei verschiedene Architekturstile, drei Epochen, drei Systeme und drei Herrschaften zu repräsentieren. Auch gibt es vielleicht keine andere königliche Besitzung, welche in dieser Hinsicht mit dem Schlosse von Blois vergleichbar ist. Diese riesenhafte Konstruktion zeigt in einem Bezirke, im nämlichen Hofe ein vollkommen genaues Abbild jener großen Darstellung der Sitten und des Lebens der Nationen, die sich Architektur nennt.
Im Augenblick, wo Christoph an den Hof eilte, zeigte der Teil des Schlosses, der zu unseren Tagen von dem vierten Palaste eingenommen wird, den sich siebzig Jahre später dort während seiner Verbannung Gaston, der aufrührerische Bruder Ludwigs des Dreizehnten, baute, einen Zusammenklang von Blumenparterren und hängenden Gärten, die sich malerisch mit den stehenden Verzahnungen und den unvollendeten Türmen des Schlosses von Franz dem Zweiten vermischten. Diese Gärten standen durch eine Brücke von großartiger Kühnheit (Ortsansässige dürften sich noch erinnern, gesehen zu haben, wie sie zerstört ward) mit einem Parterre in Verbindung, das sich auf der anderen Schloßseite erhob und sich der Bodenbeschaffenheit zufolge auf gleicher Höhe mit ihnen fand. Die mit der Königin Anna von Bretagne verbundenen Edelmänner oder Leute dieser Provinz, die Ansuchen an sie stellen oder mit ihr verhandeln oder sie über das Geschick der Bretagne aufklären wollten, erwarteten dort die Stunde ihrer Audienzen, ihres Levers oder ihres Spazierganges. So hat die Geschichte denn auch diesem Parterre den Namen ›Hühnerleiter der Bretonen‹ gegeben. Heute befindet sich dort der Obstgarten etwelcher Bürger und bildet einen Vorhof zu dem Jesuitenplatze. Dieser Platz wurde damals ganz in die Gärten der schönen Residenz, welche ihre oberen und unteren Gärten besaß, mit eingeschlossen. Noch heute sieht man in einer ziemlichen Entfernung vom Jesuitenplatze einen von Katharina von Medicis aufgeführten Pavillon, worinnen sie, den Historikern von Blois gemäß, ihre warmen Bäder untergebracht hatte. Diese Einzelheit erlaubt uns die sehr unregelmäßige Einteilung der Gärten wiederzuerkennen, die hinaufstiegen und herabführten, indem sie den Wellenlinien des Bodens folgten, der um das Schloß herum äußerst bewegt ist, was dessen Stärke ausmachte und, wie man sehen wird, dem Herzog von Guise viel Aufregung bereitete. In die Gärten ging man durch innere und äußere Galerien, deren hauptsächlichste, ihrer Ausschmückung entsprechend, die Hirschgalerie hieß. Diese Galerie mündete auf eine prachtvolle Treppe, welche zweifelsohne die Anregung zu jener berühmten Doppeltreppe in Chambord gab und von Stockwerk zu Stockwerk zu den Gemächern führte. Wiewohl La Fontaine Franz des Ersten Schloß dem Ludwigs des Zwölften vorgezogen hat, wird die Naivität des Palastes des guten Königs wahren Künstlern um so mehr gefallen, als sie die Prachtliebe des Ritterkönigs bewundern werden. Die Eleganz der beiden Treppen, welche sich an jedem äußeren Ende des Schlosses Ludwigs des Elften befinden, die feinen und originellen Skulpturen, die dort in Fülle vorhanden sind, – zwar hat sie die Zeit zernagt, aber ihre Reste bilden noch immer das Entzücken der Altertumsliebhaber – alles bis auf die fast klösterliche Einteilung der Gemächer zeugt von großer Einfachheit der Sitten. Augenscheinlich existierte der Hof noch nicht und hatte sich noch nicht in der Weise entfaltet, wie es zum großen Nachteile der feudalen Sitten unter Franz dem Ersten und Katharina von Medici der Fall sein sollte. Wenn man die meisten Galerien, die Kapitelle einiger Säulen, bestimmte Figuren von erlesener Zartheit bewundert, muß man unbedingt zu der Vermutung kommen, daß Michel Golumb, dieser große Bildhauer, der Michelangelo der Bretagne, dort seiner Königin Anna zu Gefallen einige Zeit gelebt hat. Auf dem Grabmale ihres Vaters, des letzten Herzogs der Bretagne, hat er sie unsterblich gemacht.
Wie La Fontaine auch darüber denken mag, nichts ist grandioser als die Behausung des verschwenderischen Franz des Ersten. Dank ich weiß nicht welcher rohen Gleichgültigkeit, dank dem Vergessen vielleicht, zeigen die Gemächer, die Katharina von Medici und ihr Sohn Franz der Zweite bewohnten, noch heute ihre ursprüngliche Anordnung. Dort kann auch der Historiker die tragischen Szenen des Dramas der Reformation, in welchem der Doppelkampf der Guisen und Bourbonen wider die Valois eine der kompliziertesten Handlungen bildete, nochmals durchleben. Hier ward sein Konflikt gelöst.
Franz des Ersten Schloß hat die naive Behausung Ludwigs des Zwölften durch seine imposante Masse völlig zermalmt. Auf der Seite der unteren Gärten, das heißt von dem heutigen Jesuitenplatze aus, ist das Schloß fast doppelt so hoch als auf der Hofseite. Das Erdgeschoß, wo sich die berühmten Galerien befinden, bildete von der Gartenseite aus die zweite Etage. Also ist das erste, wo damals die Königin Katharina hauste, eigentlich das dritte Stockwerk und die königlichen Gemächer liegen im vierten Stock über den unteren Gärten, welche in jener Zeit durch tiefe Wassergräben von den Gebäuden getrennt waren. Das Schloß, das schon von der Hofseite aus kolossal wirkte, mußte von dem unteren Platze aus riesenhaft erscheinen. Von dort aus sah es La Fontaine, der zugibt, weder den Hof noch die Gemächer jemals betreten zu haben. Vom Jesuitenplatze aus erscheint alles klein. Die Balkone, auf welchen man sich erging, die wunderbar ausgeführten Galerien, die skulpierten Fenster, deren Nischen ebenso tief waren wie Boudoirs, und die damals auch als solche benutzt wurden, gleichen den gemalten Phantasien moderner Operndekorationen, wenn die Maler dort Feenpaläste darzustellen haben. Im Hofe aber, obwohl die drei Stockwerke über dem Erdgeschoß noch ebenso hoch sind wie der Uhrpavillon in den Tuilerien, lassen sich die unendlichen Feinheiten der Architektur deutlich erkennen, und sie entzücken die erstaunten Blicke. Dieses Hauptgebäude, worinnen Katharina von Medicis üppiger Hof und der der Maria Stuart sich aufhielten, ist durch einen sechseckigen Turm zerteilt, in dessen ausgehöhltem Gehäuse eine Steintreppe hochführt, eine von Riesen erdachte, von Zwergen gearbeitete maurische Laune, welche dieser Fassade ein traumhaftes Aussehen verleiht. Die Tribünen der Treppe bilden eine Schneckenlinie mit viereckigen Abteilungen, welche sich an die fünf Mauerstücke dieses Turmes heftet und von Zwischenraum zu Zwischenraum transversale Mauervorsprünge ergibt, die außen und innen über und über mit Arabesken verziert sind. Man kann diese betäubende Schöpfung erfinderischer und feiner Einzelheiten voll jener Wunder, welche diese Steine beredt machen, nur mit den reichen und sorgfältig ausgeführten Elfenbeinarbeiten aus Dieppe und China vergleichen. Kurz der Stein dort gleicht einer erhabenen Spitze. Die Blumen-, Menschen- oder Tierfratzen streben längs der Rippen empor, vervielfältigen sich von Stufe zu Stufe und krönen den Turm mit einem Gewölbeschlußstein, auf welchem die Meißel der Künstler des sechzehnten Jahrhunderts mit denen jener naiven Steinmetzen gewetteifert haben, die fünfzig Jahre vorher die Gewölbeschlußsteine der beiden Treppen im Schlosse Ludwigs des Zwölften ausgehauen hatten. Wie geblendet man angesichts dieser Überfülle von Formen auch sein mag, die mit unermüdlicher Weitschweifigkeit immer wieder entstehen, man merkt doch, daß es ebensowohl Franz dem Ersten für Blois als auch Ludwig dem Vierzehnten für Versailles an Geld mangelte. Mehr als eine Figur zeigt ihr hübsches zartes Köpfchen, das aus einem kaum grob behauenen Blocke hervorspringt. Mehr als eine phantastische Rosette ist einzig durch einige Meißelhiebe auf dem schnell wieder aufgegebenen Steine angedeutet; Feuchtigkeit läßt dort ihren grünlichen Schimmel wuchern. An der Fassade, zur Seite der Spitzenmuster eines Fensters, zeigt das Nachbarfenster rohe Steinmasse, die Zeit hat sie in ihrer Weise ausgemeißelt, hat sie zerstückelt. Für die Augen der Leute, die weniger Künstler und weniger geübt sind, gibt es da einen entzückenden Kontrast zwischen dieser Fassade, wo die Wunder nur so sprudeln, und der inneren Schloßfassade Ludwigs des Zwölften, die aus einem Erdgeschoß mit einigen Arkaden von duftiger Leichtigkeit, getragen von Säulchen, die unten auf eleganten Galerien ruhen, und zwei Etagen besteht, wo die Fenster mit einer reizvollen Sparsamkeit skulpiert sind. Unter den Arkaden zieht sich eine Galerie hin, deren Mauern Fresken trugen und deren Decke in gleicher Weise ausgemalt worden war, denn man findet noch heute einige Spuren dieser Malerei in einer den Italienern nachgeahmten Pracht, welche an die Heerzüge unserer Könige erinnern, denen das Mailänder Gebiet gehörte. Dem Schlosse Franz des Zweiten gegenüber befand sich damals die Kapelle der Grafen von Blois, deren Fassade fast im Einklange mit der Architektur der Behausung Ludwigs des Zwölften stand. Kein Bild würde die majestätische Solidität dieser drei Bauwerke ausmalen können und trotz des Mißklangs in der Ornamentation war das machtvolle und starke Königtum, welches die Größe seiner Befürchtungen durch die Größe seiner Vorsichtsmaßregeln bewies, das Band dieser drei Gebäude verschiedenen Charakters. Zwei von ihnen stießen an den riesigen Saal der Generalstände, welcher groß und hoch wie eine Kirche war. Wahrlich, weder die Naivität noch die Kraft jener bürgerlichen Existenzen, die zu Anbeginn dieser Geschichte geschildert worden sind, und bei denen die Kunst immer repräsentierte, fehlten dieser königlichen Behausung. Blois war gewißlich das glänzende und anregende Vorbild, welches Bourgeoisie und Feudalität, Geld und Adel in den Städten und auf dem Lande in lebendigster Weise immer und immer wiederholte. Anders würde man sich den Wohnsitz eines Fürsten, der über das Paris des sechzehnten Jahrhunderts herrschte, nicht gewünscht haben. Der Reichtum der edelherrlichen Gewänder, der Luxus der Damenkleider mußten in wunderbarer Weise mit der Toilette dieser so seltsam bearbeiteten Steine harmonieren. Wenn der König von Frankreich die wundervolle Treppe seines Schlosses von Blois hinanstieg, überschaute er von Stockwerk zu Stockwerk eine größere Strecke der schönen Loire, welche ihm die Neuigkeiten seines ganzen Königreiches zutrug, das sie in zwei sich die Stirne bietenden und fast rivalisierenden Hälften zerteilte.
Wenn Franz der Erste, statt sich in einer toten und düsteren Ebene sowie zwei Meilen fern von dort niederzulassen, sein Chambord neben diesem Schlosse und auf dem Platze gebaut hätte, wo sich damals jene Parterre ausdehnten, auf denen Gaston seinen Palast aufführte, würde Versailles nie erstanden sein; notgedrungenerweise wäre Blois Frankreichs Hauptstadt geworden. Vier Valois und Katharina von Medici verschwendeten ihre Reichtümer an das Schloß Franz des Ersten zu Blois. Wer aber würde nicht ahnen, welche Summen die Krone dort verschwendete, wenn er die mächtigen Scheidemauern, das Rückgrat dieses Schlosses, bewundert, worinnen sowohl tiefe Alkoven und Geheimtreppen als auch Kabinette untergebracht sind, welche so geräumige Säle wie den Beratungssaal, den der Wachen und königliche Gemächer umschließen, worinnen zu unseren Tagen bequem eine Infanteriekompagnie haust? Selbst wenn der Besucher nicht sofort begreifen sollte, daß die Wunder drinnen mit denen draußen im Einklang stehen, würden die Reste des Kabinetts der Katharina von Medici, in das Christoph geführt werden sollte, hinreichend die Feinheiten der Kunst bezeugen, welche diese Räumlichkeiten mit belebten Figurationen bevölkert hat, wo die Salamander in den Blumen schimmerten, wo die Palette des sechzehnten Jahrhunderts die düstersten Nebenausgänge mit ihren glänzendsten Malereien verschönte. In diesem Kabinette kann der Beobachter noch heutigen Tages die Spuren jener geschmackvollen Vergoldungen finden, welche Katharina aus Italien einführte; denn die Fürstinnen ihres Hauses liebten es, dem reizenden Ausdrucke des bereits zitierten Schriftstellers gemäß, in Frankreichs Schlössern das von ihren Vorfahren in Handel gewonnene Gold anzubringen und ihre Reichtümer auf die Mauern der königlichen Säle zu kleben.
Die Königin-Mutter bewohnte im ersten Stock die Gemächer der Königin Claudia von Frankreich, Franz des Ersten Gemahlin. In diesen sieht man noch die köstlichen Skulpturen des doppelten C, die mit Bildern von Schwänen und Lilien weiß in weiß verquickt sind. Das soll bedeuten: candior candidis (weißer als das Weißeste), welches die Devise dieser Königin war, deren Name wie der Katharinas (Cathérine) mit einem C anfing und die ebensogut auf Ludwigs des Zwölften Tochter wie auf die Mutter der letzten Valois paßte; denn trotz der wütendsten Calvinistenverleumdungen hat kein Argwohn die Treue befleckt, welche Katharina von Medici Heinrich dem Zweiten bewahrte.
Es leuchtet ein, daß die Königin-Mutter, deren Freiheit noch von zwei Kindern zarten Alters behindert ward, (dem späteren Herzog von Alençon und der Margarete, welche Heinrichs des Vierten Weib ward und die Karl der Neunte Margot nannte) dieses ganzen ersten Stockwerks bedurfte.
König Franz der Zweite und die Königin Maria Stuart hatten im zweiten Stock die königlichen Gemächer inne, die Franz dem Ersten gehört hatten und die dann Heinrich der Dritte bewohnte. Die königlichen, wie die von der Königin-Mutter mit Beschlag belegten Räumlichkeiten sind in der ganzen Länge des Schlosses und in jedwedem Stockwerke in zwei Teile geteilt durch jene berühmte etwa vier Fuß dicke Scheidemauer, an welche sich die starken Mauern lehnen, welche die Säle untereinander trennen. So bilden in der ersten wie in der zweiten Etage die Gemächer zwei unterschiedliche Teile. Der Teil, welcher Südlicht hatte und auf den Hof hinausging, diente zum Empfang und für Staatsgeschäfte, während die Wohnräume, um die Wärme zu mildern, auf die nördliche Seite verteilt worden waren, welche die köstliche Fassade mit Balkonen und Galerien bildet und in das Land von Vendôme, auf die Hühnerleiter der Bretonen und auf die Gräben der Stadt schaut, die einzige Seite, von der unser großer Fabeldichter, der gute La Fontaine, gesprochen hat.
Franz des Ersten Schloß ward damals von einem riesigen erst begonnenen Turme abgeschlossen, der dazu dienen sollte, den kolossalen Winkel zu betonen, welchen der Palast beschrieben haben würde, indem er sich um seine vier Seiten drehte. Gaston öffnete ihm später die Flanken, um dort seinen Palast anflicken zu können; doch vollendete er sein Werk nicht, und der Turm ist Ruine geblieben. Dieser königliche Hauptturm wurde damals als Gefängnis oder, wie das Volk sich ausdrückte, als Verließ benutzt. Wenn man heute durch die Säle dieses herrlichen Schlosses eilt, die für Kunst und Historie gleich kostbar sind, welch dichterisches Gemüt würde es nicht tausendmal bedauern oder für Frankreich betrübt sein, wenn es sieht, daß die köstlichen Arabesken des Kabinetts der Katharina seit der Cholera auf des Kasernenkommandanten Befehl mit Kalk übertüncht und schier verloren sind. Diese königliche Behausung ist heute eine Kaserne! Das Holzgetäfel in Katharinas von Medici Kabinette, von dem bald die Rede sein wird, ist die letzte Reliquie des von fünf kunstsinnigen Königen aufgestapelten reichen Hausrates. Wenn man durch diese Flucht von Zimmern, Sälen, Treppen und Türmen wandert, kann man sich mit schrecklicher Genauigkeit sagen: Hier liebkoste Maria Stuart im Interesse der Guisen ihren Gatten. Dort beleidigten die Guisen Katharina. Später fiel an dieser Stelle der zweite Balafré (der Benarbte) unter den Streichen derer, die die Krone rächten. Ein Jahrhundert vorher gab Ludwig der Zwölfte von jenem Fenster aus dem Kardinal von Amboise, seinem Freunde, das Zeichen, daß er kommen solle. Auf diesem Balkon ward d'Epernon, Ravaillacs Mitwisser, von der Königin Maria von Medici empfangen, welche, wie es heißt, um den geplanten Königsmord wußte und ihn ausführen ließ! In der Kapelle, wo Heinrich der Vierte mit Margarete von Valois getraut wurde, dem einzigen Überbleibsel des Schlosses der Grafen von Blois, läßt das Regiment heute seine Stiefel besohlen! Dieses herrliche Bauwerk, an welchem für uns soviele Stile wieder lebendig werden, worin soviele große Dinge vor sich gegangen sind, befindet sich in einem Zustande der Erniedrigung, der Frankreich Schande macht. Welch ein Schmerz ist es für die, welche die Bauwerke Alt-Frankreichs lieben, zu wissen, daß von diesen beredten Steinen bald ebensowenig übrig sein wird wie von der Ecke der alten Kürschnerstraße: sie existieren vielleicht nur mehr noch in diesen Zeilen!
Notwendigerweise muß man bemerken, daß die Guisen, obwohl sie in der Stadt ein ihnen gehöriges Hotel besaßen, das noch vorhanden ist, um den Hof besser bewachen zu können, es durchgesetzt hatten, über den Gemächern des Königs Ludwig des Zwölften in den Räumlichkeiten zu wohnen, welche dort später die Herzogin von Nemours in den Giebeln des zweiten Stockwerks inne hatte.
Der junge Franz der Zweite und die junge Königin Maria Stuart, die verliebt in einander waren wie sechzehnjährige Kinder, so alt waren sie ja auch, wurden jählings durch den rauhen Winter aus dem Schlosse von Saint-Germain, das der Herzog von Guise für allzu leicht zu überrumpeln hielt, nach dem festen Platze geschleppt, welchen dazumal das Schloß von Blois bildete, da es auf drei Seiten durch Felsabstürze isoliert war und sein Eingang wunderbar leicht verteidigt werden konnte. Die Guisen, der Königin Oheime, hatten tiefere Gründe, um nicht in Paris zu wohnen und den Hof in einem Schlosse festzuhalten, dessen Umkreis sich leicht überwachen und verteidigen ließ. Um den Thron wogte ein Zweikampf zwischen dem Hause Lothringen und dem Hause Valois, der erst achtundzwanzig Jahre später, anno 1588, in dem nämlichen Schlosse entschieden werden sollte, als Heinrich der Dritte unter den nämlichen Augen, denen seiner in diesem Augenblicke tief von den Lothringern gedemütigten Mutter, den kecksten aller Guisen, den zweiten Balafré, fallen hörte. Der war der Sohn jenes ersten Balafré, von dem Katharina von Medici damals schnöde behandelt, gefangen gehalten, bespäht und bedroht ward.
Dies schöne Schloß von Blois bildete für Katharina das engste Gefängnis. Nach dem Tode ihres Gatten, durch den sie stets am Gängelbande gehalten worden war, hatte sie zu herrschen gehofft, sah sich aber im Gegenteil von Fremden, deren höfliches Gehaben tausendmal brutaler war als das von Kerkermeistern, in Sklaverei gehalten. Keiner ihrer Schritte konnte geheim bleiben. Die von ihren Frauen, welche ihr ergeben waren, hatten entweder den Guisen ergebene Liebhaber oder wurden von Argusaugen bewacht. Tatsächlich zeigten die Passionen zu jenen Zeiten die Wunderlichkeit, welche ihnen immer der Antagonismus verleihen wird, der im Staate zwischen entgegengesetzten Interessen herrscht. Die Galanterie, deren Katharina sich so sehr bediente, war auch eines der Guisenmittel. So besaß der Prinz von Condé, das Oberhaupt der Reformation, die Marschallin von Saint-André als Freundin, deren Ehemann sich dem Großmeister mit Leib und Seele verkauft hatte. Der Kardinal, dem die Affäre des Vizedoms von Chartres bewiesen hatte, daß Katharina mehr unbesiegt als unbesieglich war, machte ihr den Hof. Das Spiel aller Leidenschaften verquickte sich also eng mit dem der Politik, indem es ein doppeltes Schachspiel daraus machte, bei welchem man sowohl auf das Herz als auf den Kopf eines Menschen achtgeben mußte, um zu wissen, ob ersteres nicht gelegentlich den zweiten Lügen strafe. Während Katharina von Medici ständig in Gesellschaft des Kardinals von Lothringen oder des Herzogs Franz von Guise war, die ihr mißtrauten, war ihre intimste und geschickteste Feindin ihre Schwiegertochter, die Königin Maria, eine kleine Blondine, die boshaft wie eine Kammerkatze, stolz wie eine Stuart, die drei Kronen trug, unterrichtet wie ein alter Gelehrter und mutwillig wie eine Klosterpensionärin war. Sie liebte ihren Gatten, wie eine Kurtisane ihren Liebsten liebt, vertraute ihren Oheimen, die sie bewunderte, und war glücklich zu sehen, daß der König Franz mit ihrer Hilfe die gute Meinung teilte, die sie von ihnen hatte. Eine Schwiegermutter ist immer eine Persönlichkeit, die eine Schwiegertochter nicht liebt, vor allem wenn sie die Krone getragen hat und sie sich bewahren will, was die unvorsichtige Katharina sich nur allzusehr hatte anmerken lassen. Ihre frühere Lage, als Diana von Poitiers noch den König Heinrich den Zweiten beherrschte, war erträglicher gewesen: zum mindesten wurden ihr damals die einer Königin gebührenden Ehren und der Respekt des Hofes zuteil, während in diesem Augenblicke der Herzog und der Kardinal, die nur ihre Geschöpfe um sich sahen, sich scheinbar ein Vergnügen daraus machten, sie zu demütigen. Von Höflingen umgeben, empfing Katharina nicht nur täglich, sondern stündlich Schläge, die ihre Eigenliebe verletzten; denn die Guisen waren ihr gegenüber bestrebt, das System fortzusetzen, welches der verstorbene König wider sie angewendet hatte.
Die sechsunddreißig Jahre der Unglücksfälle, die Frankreich an den Rand der Verzweiflung führen sollten, haben vielleicht mit der Szene ihren Anfang genommen, in welchem dem Sohne des Kürschners der beiden Königinnen die gefährlichste der Rollen zugeschoben worden war; darum bildet er denn auch die Hauptfigur in dieser Novelle. Die Gefahr, in die dieser eifrige Reformierte geraten sollte, wird an dem nämlichen Morgen offenbar, da er mit kostbaren Dokumenten bewaffnet, welche die höchsten Häupter des Adels bloßstellten, den Hafen von Beaugency verließ, sich in Begleitung eines verschmitzten Parteigängers nach Blois einschiffte und dank dem unermüdlichen la Renaudie nach dem vor ihm liegenden Hafen gelangte.
Während das Fährboot, worauf Christoph sich befand, von einem leichten Westwinde dahingetrieben, die Loire hinanfuhr, betrachteten der berühmte Kardinal Karl von Lothringen und der zweite Herzog von Guise, einer der größten Kriegshelden seiner Zeit, wie zwei Adler von hohem Felsen herab ihre Lage und spähten vorsichtig um sich, bevor sie zu jenem starken Schlage ausholten, mit dem sie zum ersten Male die Reformation in Frankreich, zu Amboise, zu töten versuchten, ein Beginnen, das zwölf Jahre später am vierundzwanzigsten August 1572 zu Paris wieder aufgenommen ward.
In der Nacht waren drei Edelleute, die eine große Rolle in jenem Drama der zwölf Jahre spielten, welches diesem Doppelkomplott, das in gleicher Weise von den Guisen wie den Reformierten angezettelt ward, folgte, jeder mit verhängten Zügeln angelangt. Ihre Pferde ließen sie halbtot am Ausfalltore des Schlosses zurück, das von Hauptleuten und Soldaten bewacht wurde, die dem Herzoge von Guise völlig ergeben waren, war er doch der Kriegsleute Idol. Ein Wort über diesen großen Mann, ein Wort, welches von vornherein erklärt, woher sein Glück rührte.
Seine Mutter war Antoinette von Bourbon, eine Großtante Heinrichs des Vierten. Wozu Verbindungen nicht alles dienen! In diesem Augenblick trachtete er seinem Vetter, dem Prinzen von Condé, nach dem Leben. Seine Nichte war Maria Stuart, sein Weib aber Anna, des Herzogs von Ferrara Tochter. Der stolze Kronfeldherr Anne von Montmorency redete den Herzog von Guise brieflich: Gnädiger Herr, wie einen König, an und unterfertigte seinen Brief mit einem: Euer sehr ergebener Diener. Als Großmeister des königlichen Hauses antwortete Guise ihm: Herr Kronfeldherr und unterzeichnete, wie er für das Parlament unterzeichnete: Euer wohlgeneigter Freund. Was den Kardinal anlangt, den man den transalpinen Papst nannte, und der von Estienne: Seine Heiligkeit genannt wurde, so hatte der die ganze mönchische Kirche Frankreichs für sich und verhandelte mit dem Papste wie mit seinesgleichen. Er war eitel auf seine Beredsamkeit, und man hielt ihn für einen der besten Theologen seiner Zeit; Frankreich und Italien überwachte er zu gleicher Zeit durch drei religiöse Orden, welche ihm durchaus ergeben waren, Tag und Nacht für ihn arbeiteten und ihm als Spione und Ratgeber dienten.
Diese wenigen Worte erklären, zu welcher Machthöhe der Kardinal und der Herzog gelangt waren. Trotz ihrer Reichtümer und der Einkünfte aus ihren Ämtern aber waren sie in jeder Beziehung uneigennützig und ließen sich durch den Lauf ihrer Politik mit fortreißen; waren auch so edelmütig, daß sie alle beide stets in Schulden steckten, zweifelsohne aber in der Weise, wie es bei Cäsar der Fall war. Als Heinrich der Dritte den ihn so sehr bedrohenden zweiten Balafré niedermachen ließ, war das Haus Guise notwendigerweise ruiniert. Die ein Jahrhundert lang gemachten Ausgaben, um sich der Krone zu bemächtigen, erklären die Erniedrigung dieses Hauses, in welcher es unter Ludwig dem Dreizehnten und Ludwig dem Vierzehnten verharrte, als der plötzliche Tod der Henriette von England ganz Europa sagte, bis zu welch ruchloser Rolle ein Chevalier von Lothringen sich erniedrigt hatte. Sich die Erben der um die Krone gebrachten Karolinger nennend, behandelten Kardinal und Herzog Katharina von Medici, ihrer Nichte Schwiegermutter, auf die schnödeste Weise. Die Herzogin von Guise ersparte Katharinen keine tödliche Beleidigung. Die Herzogin war eine Este und Katharina eine Medici, die Tochter emporgekommener Florentiner Kaufleute, welche Europas Souveräne noch nicht in ihre königliche Brüderschaft aufgenommen hatten. Auch Franz der Erste hatte seines Sohnes Heirat mit einer Medici für eine Mesallianz erachtet und sie nur in dem Glauben gestattet, daß sein Sohn niemals Dauphin werden würde. Daher seine Wut, als der Thronfolger, von dem Florentiner Montecuculi vergiftet, starb. Die Este weigerten sich, die Medici als italienische Fürsten anzuerkennen. Diese ehemaligen Kaufherrn wollten tatsächlich in jenen Zeiten das unmögliche Problem eines von republikanischen Institutionen umgebenen Thrones lösen.
Der Titel Großherzog ward erst sehr spät von Philipp dem Zweiten den Medici verliehen, die ihn sich kauften, indem sie Frankreich, das ihr Wohltäter war, verrieten. Sie erlangten ihn durch eine sklavische Anhänglichkeit an den spanischen Hof, der ihnen heimlich überall in Italien entgegenarbeitete.
»Liebkost nur eure Feinde!« Dies große Wort Katharinas scheint das politische Gesetz dieser Kaufmannsfamilie gewesen zu sein, der es an bedeutenden Männern erst im Augenblicke gebrach, als ihr Schicksal groß wurde, und die ein wenig zu schnell jener Entartung erlag, durch welche sowohl Königsgeschlechter wie vornehme Familien endigen.
Drei Generationen über hat es einen Lothringer gegeben, der ein Kriegsheld, und einen Lothringer, der ein Kirchenmann war; was aber vielleicht nicht minder ungewöhnlich ist, der Kirchenmann zeigte stets, wie es damals der Kardinal auf seinem Antlitze zeigte, eine Ähnlichkeit mit Ximenes' Antlitz, dem auch der Kardinal von Richelieu geglichen hat. Diese fünf Kardinäle haben alle ein zugleich verschlagenes und schreckliches Gesicht gehabt, während das Antlitz des Kriegsmannes den baskischen und im Gebirge üblichen Typ besaß, den man in gleicher Weise auch auf Heinrichs des Vierten Antlitz sah. Der Guisen Antlitz aber bedeckte ein und dieselbe Verwundung bei Vater und Sohn mit Schmarren, ohne ihnen die Anmut und Leutseligkeit zu nehmen, durch welche sie die Soldaten ebensosehr wie durch ihre Tapferkeit verführten.
Nicht überflüssig ist's zu sagen, wo und wie der Großmeister diese Wunde erhielt, denn sie ward durch den Mut einer der Personen dieses Dramas, durch Ambrosius Paré, den Schuldner des Syndikus der Kürschnerzunft, geheilt. Bei der Belagerung von Calais wurde des Herzogs Gesicht von einer Seite bis zur anderen von einer Lanze durchbohrt, deren Stummel aber, nachdem er unterhalb des rechten Auges die Wange durchdrungen hatte, bis ins Genick unterhalb des rechten Ohres drang und im Gesichte stecken blieb. Inmitten allgemeiner Verzweiflung lag der Herzog in seinem Zelte und würde ohne Ambrosius Parés kühne Handlung und Aufopferung gestorben sein.
»Der Herzog ist nicht tot, meine Herren«, sagte Ambrosius, die Anwesenden anblickend, die in Tränen vergingen; »wird aber bald sterben«, fuhr er, sich sammelnd fort, »wenn ich ihn nicht wie irgendeinen Lümmel zu behandeln wage; und ich werde mich daran machen, was immer auch mit mir geschehen möge! Sehet her!«
Und er stemmte den linken Fuß auf des Herzogs Brust, faßte das Holz der Lanze mit seinen Nägeln, erschütterte es nach und nach, und es gelang ihm schließlich das Eisen aus dem Kopfe zu ziehen, wie wenn es sich um eine Sache und nicht um einen Menschen gehandelt hätte. Wenn er den so kühnlich behandelten Fürsten auch heilte, verhindern konnte er es nicht, daß ihm im Gesicht die furchtbare Wunde zurückblieb, welche ihm seinen Beinamen verschaffte. Aus einer ähnlichen Ursache ward dieser Beiname auch der seines Sohnes.
Da sie in jeder Beziehung die Herren des Königs Franz des Zweiten waren, den seine Frau durch eine auf Gegenseitigkeit beruhende maßlose Liebe beherrschte, woraus sie auch noch ihren Vorteil zu ziehen wußten, regierten diese beiden großen lothringischen Fürsten damals in Frankreich und besaßen am Hofe keinen anderen Feind als Katharina von Medici. Niemals spielten große Politiker ein gewagteres Spiel. Die beiderseitige Lage der ehrgeizigen Witwe Heinrichs des Zweiten und des ehrgeizigen Hauses Lothringen wurde sozusagen durch den Platz erklärt, den sie auf der Schloßterrasse an dem Morgen innehatten, als Christoph anlangen sollte.