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Die drei Höflinge schritten schweigend dahin. Im Augenblicke, wo sie auseinandergingen, da jeder seine Leute vorfand, die sie nach Hause geleiteten, glitten zwei Männer vorsichtig die Mauern der Rue de l'Autruche entlang. Diese beiden Männer waren der König und der Graf von Solern. Schnell langten sie am Seineufer an einer Stelle an, wo eine Barke und von dem deutschen Edelmanne ausgewählte Ruderknechte ihrer harrten. In wenigen Augenblicken erreichten beide das entgegengesetzte Ufer.
»Meine Mutter ist nicht schlafen gegangen«, rief der König; »sie wird uns sehen, wir haben den Stelldicheinsort schlecht erwählt.«
»Sie kann an irgendein Duell glauben«, antwortete Solern; »wie sollte sie denn uns, die wir hier sind, in solch einer Entfernung erkennen?«
»Ach, möge sie mich sehen«, schrie Karl der Neunte; »jetzt bin ich entschlossen!«
Der König und sein Vertrauter sprangen über die Böschung und entfernten sich eilends in der Richtung der Studentenwiese. Als sie dort anlangten, trat Graf von Solern, der vor dem Könige her schritt, einem als Wache aufgestellten Manne entgegen, wechselte einige Worte mit ihm, worauf der sich zu den Seinigen zurückzog. Bald verließen zwei Männer, die den Ehrfurchtsbezeigungen nach, welche ihr Posten ihnen erwies, Fürsten sein mußten, den Platz, wo sie sich hinter einem schlechten Feldgehege versteckt gehalten hatten, und näherten sich dem Könige, vor dem sie das Knie beugten. Bevor sie noch die Erde berührt hatten, hob Karl der Neunte sie auf und sagte zu ihnen:
»Keine Umstände, wir alle hier sind Edelleute!«
Zu diesen drei Edelleuten stieß ein ehrwürdiger Greis, den man für den Kanzler l'Hôpital hätte halten können, wenn der nicht schon im Vorjahre gestorben wäre. Alle vier schritten eilig weiter, um sich auf einen Platz zu begeben, wo ihre Unterhaltung von den Leuten ihrer Gefolgschaft nicht gehört werden konnte. Solern folgte ihnen in geringem Abstande, um über den König zu wachen. Dieser treue Diener überließ sich einem Mißtrauen, das Karl der Neunte als ein Mann, dem das Leben allzu drückend geworden war, nicht zu teilen vermochte. Seitens des Königs war dieser Edelmann der einzige Zeuge der Verhandlung, die sich bald belebte.
»Sire,« sagte einer der Unterhändler, »der Kronfeldherr von Montmorency, der beste Freund des Königs, Eures Vaters, der auch all seine Geheimnisse kannte, stimmt mit dem Marschall von Saint-André darin überein, daß man Madame Katharina in einen Sack nähen und in den Fluß werfen müsse. Wenn das geschähe, würde es vielen Menschen gut gehen.«
»Ich habe genug Hinrichtungen auf dem Gewissen, Monsieur«, antwortete der König.
»Nun, Sire,« erwiderte die jüngste der vier Persönlichkeiten, »mitten aus der Verbannung heraus würde die Königin Katharina die Staatsangelegenheiten verwirren und Hilfskräfte finden. Haben wir nicht alles von den Guisen zu fürchten, die seit neun Jahren den Plan zu einer furchtbaren katholischen Alliance gefaßt haben, in die Eure Majestät nicht eingeweiht ist und die Euren Thron bedroht? Dieser Bund ist eine Erfindung Spaniens, das nicht auf seine Absicht verzichtet, über die Pyrenäen zu steigen. Sire, der Calvinismus würde Frankreich retten, indem er eine moralische Schranke zwischen ihm und einer Nation aufrichtet, die von einem Weltreiche träumt. Wenn die Königin-Mutter sich geächtet sieht, wird sie sich also auf Spanien und die Guisen stützen.«
»Meine Herren,« erwiderte der König, »wisset, daß, wenn Ihr mir helft und ohne Mißtrauen Friede gemacht wird, ich es auf mich nehme, jeden im Reiche zittern zu machen. Gottsdonner, es ist an der Zeit, daß das Königtum sich wieder aufrichtet! Wisset es gut, darin hat meine Mutter recht, es geht sowohl Euch wie mich an: Eure Güter, Eure Vorteile sind mit unserem Throne verknüpft. Wenn Ihr die Religion habt zu Boden werfen lassen, werden sich die Arme, deren Ihr Euch bedientet, gegen den Thron und gegen Euch wenden. Ich mache mir nicht viel daraus, gegen Ideen mit Waffen zu kämpfen, die sie nicht treffen. Sehen wir zu, ob der Protestantismus Fortschritte macht, wenn wir ihn sich selbst überlassen. Vor allen Dingen warten wir aber ab, wen der Geist dieser Empörung angreifen wird. Der Admiral – Gott möge ihn in Gnaden aufnehmen – war nicht mein Feind, er schwor mir, die Revolte in den Grenzen der geistlichen Welt zu halten und in dem zeitlichen Königreich einen König als Herrn und unterwürfige Untertanen zu belassen. Meine Herren, wenn die Sache noch in Eurer Macht steht, gebt das Beispiel, helft Eurem Herrscher die Aufwiegler, die uns, den einen wie den anderen, um die Ruhe bringen, niederzuzwingen. Der Krieg beraubt uns alle unserer Einkünfte und ruiniert das Reich. Müde bin ich dieses Zustandes der Wirren und zwar so sehr, daß ich, wenn es durchaus sein muß, meine Mutter opfern will. Ich werde weiter gehen, will Protestanten und Katholiken in gleicher Anzahl bei mir halten und sie unter Ludwigs des Elften Beil stellen, um alle gleichzumachen. Wenn die Herren von Guise eine heilige Union anzetteln, die unsere Krone angreift, soll der Henker sein Geschäft mit ihnen beginnen. Das Unglück meines Volkes habe ich begriffen und bin gewillt, tüchtig mit den Großen aufzuräumen, die unser Reich wahrlich ins Elend stürzen wollen! Ich sorge mich wenig um die Gewissensfrage; fortan will ich ergebene Untertanen, die unter meinem Willen an des Staates Gedeihen arbeiten. Meine Herren, ich gebe Euch zehn Tage Zeit, um mit den Eurigen zu verhandeln, Eure Komplotte zu beendigen und zu mir zurückzukehren, der ich Euer Vater sein will. Wenn Ihr Euch weigert, werdet Ihr große Veränderungen erleben: mit kleinen Leuten werde ich handeln, die auf ein Wort von mir über die Großen herfallen werden. Ein König soll mein Vorbild sein, der seinem Reiche den Frieden zu geben wußte, indem er angesehenere Leute, als Ihr es seid, die ihm Trotz boten, niedermachte. Wenn die katholischen Truppen ausbleiben, habe ich meinen Bruder von Spanien, den ich für die bedrohten Throne zu Hilfe rufen werde; kurz, wenn ich der Diener ermangeln sollte, um meinen Willen auszuführen, werde ich mir den Herzog von Alba leihen.«
»In dem Falle, Sire, würden wir Euren Spaniern die Deutschen entgegenstellen«, erklärte einer der Unterhändler.
»Mein Vetter,« sagte Karl der Neunte eisig, »mein Weib heißt Elisabeth von Österreich. Hilfe von der Seite könnte Euch ausbleiben. Doch folget mir, kämpfen wir allein, und rufen wir keine Fremdlinge herbei. Ihr seid dem Hasse meiner Mutter ausgesetzt und steht mir nahe genug, um mir als Sekundant in dem Zweikampf zu dienen, den ich mit ihr eingehen werde; nun wohl, höret das. Ihr scheint mir so der Schätzung wert, daß ich Euch die Kronfeldherrnwürde anbiete, Ihr werdet mich nicht verraten wie jener andere.«
Der Prinz, zu dem Karl der Neunte sprach, ergriff seine Hand, schlug mit der seinigen ein und sagte: »Heiliger Muck, hier, mein Bruder, das macht viel Unbill vergessen! Doch, Sire, der Kopf marschiert nicht ohne den Schwanz, und der unserige ist schwer zu fassen. Gebt uns mehr als zehn Tage; mindestens einen Monat haben wir nötig, um die Unsrigen zur Raison zu bringen. Nach der Frist werden wir die Herren sein.«
»Einen Monat? Sei es. Mein einziger Unterhändler soll Villeroy sein; Ihr werdet Vertrauen zu ihm haben, was man auch über ihn reden möge.«
»Einen Monat,« erklärten die drei Edelleute zu gleicher Zeit, »die Frist genügt.«
»Meine Herren, wir sind unserer fünf,« sagte der König, »fünf herzhafte Männer. Wenn es Verrat gibt, werden wir wissen, an wen wir uns zu halten haben.«
Die drei Anwesenden verließen Karl den Neunten mit den Zeichen größter Ehrerbietung und küßten ihm die Hand.
Als der König wieder über die Seine fuhr, schlug's vier Uhr im Louvre.
Die Königin Katharina war noch nicht schlafen gegangen.
»Meine Mutter wacht immer«, sagte Karl zum Grafen von Solern.
»Sie hat auch ihren Schmiedeofen«, entgegnete der Deutsche.
»Lieber Graf, was dünkt Euch von einem Könige, der zum Konspirieren genötigt ist?« fragte Karl der Neunte voller Bitterkeit nach einer Pause.
»Ich denke, Sire, daß Frankreich bald Ruhe haben würde, wenn Ihr mir erlaubtet, jenes Weib, wie der junge Herr da sagte, ins Wasser zu werfen.«
»Ein Muttermord nach der Saint Barthélemy, Graf«, sagte der König. »Nein, nein! Die Verbannung. Wenn meine Mutter einmal gestürzt ist, wird sie weder einen Diener noch einen Parteigänger finden.«
»Nun wohl, Sire,« fuhr der Graf von Solern fort, »heißt mich sie sofort verhaften und aus dem Königreiche geleiten, denn morgen wird sie Euch anderen Sinns gemacht haben.«
»Gut,« sagte der König, »kommt an meinen Schmiedeofen. Dort wird uns niemand hören. Überdies will ich nicht, daß meine Mutter das Wegfangen der Ruggieri argwöhnt. Wenn sie mich dort weiß, wird die gute Frau sich nichts denken, und wir können die für ihre Verhaftung notwendigen Maßnahmen bereden.«
Als der König, vom Grafen von Solern gefolgt, den Parterreraum betrat, wo seine Werkstatt war, zeigte er ihm lächelnd den Schmiedeofen und all seine Geräte.
»Ich glaube nicht,« äußerte er, »daß unter allen Königen, die Frankreich haben mag, sich ein zweiter finden wird, dem solch ein Handwerk Spaß macht. Wenn ich aber erst wahrhaft König bin, will ich keine Degen mehr schmieden; alle sollen sie in der Scheide stecken.«
»Sire,« sagte der Graf von Solern, »Ermüdung des Ballspiels, Eure Arbeit an diesem Schmiedeofen, die Jagd und – darf ich's sagen? – die Liebe sind Wagen, die der Teufel Euch stellt, um schneller nach Saint-Denis zu gelangen!«
»Solern!« rief der König gar jämmerlich, »wenn du wüßtest, welch ein Feuer man meinem Herzen und meinem Leibe eingeflößt hat! Nichts vermag es auszulöschen . . . Bist du der Leute sicher, die mir die Ruggieri bewachen?«
»Wie meiner selbst.«
»Gut. Tagsüber werd' ich zu einem Entschlusse gekommen sein. Gedenkt der Hinrichtungsmittel. Um fünf Uhr, bei Frau von Belleville, geb ich Euch meine letzten Befehle.«
Als die ersten Strahlen des Morgens mit dem Lichte der Werkstatt kämpften, hörte der König, den der Graf von Solern allein gelassen hatte, die Türe kreischen und erblickte seine Mutter, die sich von der Morgendämmerung wie ein Gespenst abhob. Wenngleich er sehr nervös und beeindruckbar war, zitterte Karl der Neunte doch nicht, wiewohl diese Erscheinung unter den obwaltenden Umständen von düsterer und phantastischer Art war.
»Monsieur,« sagte sie zu ihm, »Ihr tötet Euch.«
»Ich erfülle die Horoskope«, antwortete er mit einem bittren Lächeln. »Doch Ihr, Madame, seid Ihr nicht ebenso früh auf den Beinen wie ich?«
»Beide haben wir gewacht, Monsieur, doch in sehr verschiedenen Absichten. Als Ihr mit Euren grausamsten Feinden auf freiem Felde verhandeltet, indem Ihr Euch mittels der Tavannes und Gondi, mit welchen Ihr angeblich die Stadt durchstreifen wolltet, vor Eurer Mutter verbarget, las ich Depeschen, welche die Beweise einer schrecklichen Verschwörung enthalten, in die Euer Bruder, der Herzog von Alençon, Euer Schwager, der König von Navarra, der Prinz von Condé und die meisten Großen Eures Reiches verstrickt sind. Diese Herren verfügen bereits über fünfzigtausend Mann guter Truppen.«
»Ach«, sagte der König mit ungläubiger Miene.
»Euer Bruder wird Hugenott«, fuhr die Königin fort.
»Mein Bruder geht zu den Hugenotten über«, schrie Karl der Neunte, indem er das Eisen schwang, das er in der Hand hielt.
»Ja, der Herzog von Alençon, Hugenott im Herzen, wird es bald wirklich sein. Eure Schwester, die Königin von Navarra, hegt nur noch einen Rest von Liebe zu Euch, sie liebt den Herrn Herzog von Alençon, sie liebt Bussy, sie liebt auch den kleinen la Mole.«
»Welch ein Herz!« rief der König.
»Um groß zu werden,« sagte die Königin fortfahrend, »weiß er nichts besseres zu tun als Frankreich einen König nach seiner Façon zu geben. Er wird, heißt's, Kronfeldherr.«
»Verwünschtes Gretchen!« schrie der König. »Das haben wir davon, daß wir sie mit einem Ketzer verheirateten . . .«
»Das würde nichts ausmachen; aber mit dem Haupte eines Nebenzweiges Eures Hauses, das ihr trotz meinem Rate dem Throne nähergebracht habt und das euch alle miteinander töten möchte! Das Haus Bourbon ist dem Hause Valois feindlich gesinnt; merket Euch folgendes gut, Monsieur: jeder Seitenzweig muß in der größten Armut gehalten werden, denn er ist verschwörungssüchtig geboren, und es ist eine Dummheit, ihm Waffen in die Hand zu geben, wenn er keine besitzt, und sie ihm zu lassen, wenn er sich welche nimmt. Jeder jüngere Sohn soll unfähig sein zu schaden, das ist das Gesetz der Kronen. Also halten es die Sultane Asiens . . . Die Beweise liegen da oben in meinem Kabinette, wohin ich euch mir zu folgen bat, als ich Euch gestern abend verließ; Ihr aber hattet andere Absichten. Wenn wir hier nicht Ordnung schaffen, werdet Ihr in einem Monde Karls des Einfältigen Schicksal erleiden.«
»In einem Monat!« schrie Karl der Neunte, erschreckt durch die Übereinstimmung des Datums mit der von den Fürsten in der nämlichen Nacht erheischten Frist. ›In einem Monat werden wir die Herren sein!‹ sagte er sich, ihre Worte wiederholend. – »Madame, habt Ihr Beweise?« fragte er mit lauter Stimme.
»Unwiderleglich sind sie, Monsieur, sie kommen von meiner Tochter Margareta. Sie selber ist erschreckt über die Möglichkeiten einer derartigen Verbindung, und trotz ihrer Zärtlichkeit für Euren Bruder Alençon hat ihr dieses Mal der Thron der Valois mehr am Herzen gelegen als alle ihre Liebschaften. Als Preis für ihre Enthüllungen bittet sie, daß la Mole nichts geschehe. Der Lumpenkerl aber scheint mir ein gefährlicher Schelm zu sein, den wir uns vom Halse schaffen müssen, desgleichen auch den Grafen von Coconnas, Eures Bruders Alençon Geschöpf. Was den Prinzen von Condé anlangt, so willigt dies Kind in alles ein, vorausgesetzt, daß man mich ins Wasser wirft. Ich weiß nicht, ob das das Hochzeitsgeschenk ist, das er mir stiften will, weil ich ihm seine hübsche Frau gegeben habe. Es ist ernst, Monsieur! Ihr sprecht von Vorhersagungen . . . ich kenne nur eine, die der Valois Thron den Bourbonen zuspricht, und wenn wir uns nicht davor hüten, wird sie sich verwirklichen. Zürnt Eurer Schwester nicht, in der Hinsicht ist sie gut geleitet . . . Mein Sohn«, sagte sie nach einer Pause, indem sie ihrer Stimme einen zärtlichen Anstrich verlieh, »viele niederträchtige Menschen wie die Herren von Guise wollen Zwietracht zwischen Euch und mir säen, wiewohl wir die einzigen in diesem Reiche sind, deren Interessen sich decken; denket daran. Ihr macht Euch jetzt die Bartholomäusnacht zum Vorwurf, ich weiß es; Ihr klagt mich an, Euch zur Entscheidung getrieben zu haben. Der Katholizismus, Monsieur, muß das Bindemittel zwischen Spanien, Frankreich und Italien sein. Das sind die drei Länder, die sich einem heimlich und geschickt verfolgten Plane gemäß mit der Zeit unter dem Hause Valois vereinigen können. Gebt nicht die Chancen aus der Hand, indem Ihr das Band fahren laßt, das diese drei Königreiche im Kreise ein und desselben Glaubens vereinigt. Warum sollten die Valois und die Medici nicht für ihren Ruhm den Plan Karls des Fünften verwirklichen, dessen Geist dabei versagte. Treiben wir ihn in die neue Welt hinüber, wohin seine Pläne zielen, diesen Stamm Johannas der Wahnsinnigen. Als Herren von Florenz und Rom werden die Medici Italien für uns unterjochen, werden Euch aller seiner Vorteile durch einen Handels- und Bündnisvertrag versichern, indem sie den Anspruch auf das Piemont, das Mailänder Gebiet und Neapel anerkennen. Das, Monsieur, sind die Gründe des Krieges auf Leben und Tod, den die Hugenotten wider uns führen. Warum zwingt Ihr uns, Euch all diese Dinge zu wiederholen? Karl der Große irrte sich mit seinem Vorstoß nach Norden. Ja, Frankreich ist ein Leib, dessen Herz im Löwengolf liegt; seine beiden Arme sind Spanien und Italien. So beherrscht man das Mittelmeer, das wie ein Korb daliegt, in den Asiens Reichtümer fallen. Heute heimsen sie die Herrn von Venedig, Philipp dem Zweiten zum Trotze, ein. Wenn der Medici Freundschaft und Eure Rechte Euch auf Italien hoffen lassen können, werden Euch Gewalt oder Bündnisse, eine Erbfolge vielleicht, Spanien erringen. Kommt in dieser Hinsicht dem ehrgeizigen Hause Österreich zuvor, dem die Welfen Italien verkauften und das davon träumt, Spanien noch dazu zu erhalten. Wenn Euer Weib auch diesem Hause entsprossen ist, demütigt Österreich, umfaßt es voller Kraft, um es zu ersticken. Dort sind Eures Reiches Feinde, denn von dort stammt der Reformierten Hilfe. Hört nicht auf Leute, die ihren Vorteil aus unserer Uneinigkeit ziehen und Euch Argwohn in den Kopf setzen, indem sie mich als Eure häusliche Feindin hinstellen. Hab ich Euch gehindert, Erben auf die Welt zu setzen? Warum schenkt Euch Eure Geliebte einen Sohn und die Königin nur eine Tochter? Warum habt Ihr heute nicht drei Erben, welche so vieler Aufstände Hoffnungen unter ihrem Fuße ersticken? Ist es meine Sache, Monsieur, all diese Fragen zu beantworten? Würde Herr von Alençon konspirieren, wenn Ihr einen Sohn besäßet?«
Solche Worte vollendend, heftete Katharina jenen Blick auf Karl den Neunten, womit ein Raubvogel seine Beute bannt. Der Medici Tochter war in solchem Momente in der ihr eigenen Schönheit schön. Ihre wahren Gefühle zeigten sich strahlend auf ihrem Antlitze, welches, ähnlich dem eines Spielers über dem grünen Tuche, von tausend großen Begehrlichkeiten funkelte. Karl der Neunte sah nicht mehr die Mutter eines einzelnen Menschen, sondern, wie man sie nannte, die Mutter der Reiche und Heere (mater castrorum). Ihres Genies Flügel hatte Katharina ausgespannt und flog kühn hinein in die hohe Politik der Medici und Valois, indem sie riesige Pläne entrollte, vor denen Heinrich der Zweite einst zurückschreckte. Von dem Genie der Medici aber Richelieu vermacht, blieben sie niedergeschrieben in dem Kabinett des Hauses Bourbon.
Als Karl der Neunte nun seine Mutter so viele Vorsichtsmaßregeln anwenden sah, hielt er selber sie für nötig und fragte sich, zu welchem Zwecke sie sie träfe. Er schlug die Augen nieder, zauderte. Vor Phrasen konnte sein Mißtrauen nicht schwinden. Katharina war erstaunt über die Tiefe des Verdachts, welcher in ihres Sohnes Herzen ruhte.
»Nun, Monsieur,« sagte sie, »versteht Ihr mich denn nicht? Was sind wir, Ihr und ich, vor der Ewigkeit der Königskronen? Vermutet Ihr andere Pläne bei mir als die, welche uns handeln lassen müssen, uns, die wir in Sphären hausen, von denen aus man Reiche beherrscht?«
»Ich folge Euch in Euer Kabinett, Madame, wir müssen handeln . . .«
»Handeln!« schrie Katharina, »lasset sie handeln und uns sie auf der Tat ertappen; das Gericht wird uns dann von ihnen befreien. Bei Gott, Monsieur, zeigen wir uns ihnen unbefangen.«
Die Königin zog sich zurück. Einen Augenblick blieb der König allein, denn er war auf das tiefste niedergeschlagen.
»Auf welcher Seite liegen die Fallstricke?« rief er. »Wer täuscht mich, sie oder die anderen? Welche Politik ist die bessere? Deus, discerne causam meam«, sagte er tränenden Auges. »Das Leben lastet auf mir. Möge er natürlich oder gewaltsam sein, ich ziehe den Tod solchem sich völlig widersprechenden Hin und Her vor«, fügte er hinzu. Und er tat einen Hammerschlag auf seinen Amboß mit solcher Wucht, daß die Louvrefenster davon erklirrten.
»Mein Gott!« fuhr er fort, hinaustretend und den Himmel betrachtend, »Du, für dessen heilige Religion ich kämpfe, verleih mir deines Blickes Klarheit, auf daß ich meiner Mutter Herz durchdringe, wenn ich die Ruggieri verhöre.«
Das kleine Haus, wo Frau von Belleville wohnte, und wo Karl der Neunte seine Gefangenen untergebracht hatte, war das vorletzte in der Rue d'Autruche auf der Sankt Honoriusstraßenseite. Das Straßentor, welches von kleinen Ziegelsteinpavillons flankiert wurde, schien sehr einfach zu einer Zeit, wo Türen und Zubehör so liebevoller Bearbeitung unterzogen wurden. Es bestand aus zwei steinernen Pilastern in Diamantrustika und in der Bogenfüllung lag ein füllhorntragendes Weib. Die mit riesigen Eisenbeschlägen geschmückte Tür hatte in Augenhöhe ein Guckloch, um die Einlaß Begehrenden zu prüfen. Jeder der Pavillons beherbergte einen Pförtner. König Karls äußerst launenhaftes Vergnügen heischte einen Pförtner bei Tage und einen bei Nacht. Das Haus hatte einen kleinen, in Venezianerart gepflasterten Hof. Zu jener Zeit, wo Wagen noch nicht erfunden worden waren, benutzten die Damen Pferd oder Sänfte und die Höfe konnten prächtig sein, ohne daß Pferde und Wagen sie beschmutzten. Immer wieder muß man dieses Umstandes gedenken, um sich die Enge der Straßen, die geringe Größe der Höfe und gewisse Einzelheiten der Behausungen des fünfzehnten Jahrhunderts zu erklären.
Das Haus, welches nur aus einer Etage über dem Erdgeschoß bestand, wurde durch einen skulpierten Fries gekrönt, auf den sich ein viereckiges Dach stürzte, dessen First eine Plattform bildete. Dies Dach ward von Luken durchbrochen, die mit Giebelfeldern und Gesimsen verziert waren, welche irgendeines großen Künstlers Meißel ausgezackt und mit Arabesken bedeckt hatte. Jedes der drei Fenster des ersten Stockwerks empfahl sich gleichfalls durch seine steinernen Stickereien, welche die Backsteine der Mauern noch deutlicher hervortreten ließen. Im Erdgeschoß führte eine sehr anmutig verzierte Doppelfreitreppe, deren Tribüne mit einer Amorettenkette geschmückt war, zu einer Eingangstür mit vorspringenden Wangenseiten, die nach Venezianerart in Diamantrustika ausgehauen waren, eine Dekorationsweise, die sich an den Fenstern zur Rechten und zur Linken wiederholte.
Ein nach der Mode der Zeit eingerichteter und bepflanzter Garten, worinnen eine Überfülle an seltenen Blumen wuchs, nahm hinter dem Hause den gleichen Raum ein, welchen der Hof beanspruchte. Ein Weinstock überrankte die Mauern. In einem Rasenrund erhob sich eine Silbertanne. Die länglich-schmalen Gartenbeete waren von dem Rasenstück durch gewundene Alleen getrennt, die in gestutzte Taxuswände einmündeten, welche den Hintergrund einnahmen. Die mit Mosaiken aus verschiedenen Steinarten bekleideten Mauern zeigten dem Auge gewißlich plumpe Muster, die aber durch Farbenreichtum, der mit dem der Blumen im Einklänge stand, freundlich anmuteten. Die Gartenfassade ähnelte der des Hofes und zeigte wie sie einen hübschen Balkon, welcher die Tür überdachte und das Mittelfenster verschönerte. Im Garten wie im Hofe reichten die Zierate dieses Hauptfensters, dessen Risalit einige Fuß vorsprang, bis an den Fries, so daß es einer Laterne ähnlich wie ein kleiner Pavillon aussah. Die Lehnen der anderen Fenster schmückten kostbare Marmorinkrustationen, die in den Stein eingefügt worden waren.
Trotz des ausgezeichneten Geschmacks, von welchem dies Haus zeugte, besaß es eine traurige Physiognomie. Das Licht ward ihm durch die Nachbarhäuser und von den Dächern des Hotels Alençon genommen, die einen dunklen Schatten auf Hof und Garten warfen. Und dann herrschte dort tiefes Schweigen. Diese Stille, dies Helldunkel aber und solche Einsamkeit taten der Seele wohl, die sich dort wie in einem Kloster, wo man sich sammelt, oder in einem Freudenhause, wo man liebt, einem einzigen Gedanken hingeben konnte.
Wer wird sich nun nicht vorstellen können, wie erlesen diese Zufluchtsstätte innen ausgestattet war, der einzige Ort seines Königreiches, wo der vorletzte Valois sein Herz ausschütten, seine Schmerzen klagen, seinem Geschmack an den Künsten nachgehen und sich der von ihm heißgeliebten Poesie hingeben konnte; all das waren Neigungen, welchen die Sorgen der drückendsten aller Königswürden hindernd im Wege standen. Dort nur wurde sein hoher Wert, seine großzügige Seele geschätzt; dort nur überließ er sich einige flüchtige Monde über, die letzten seines Lebens, den Freuden der Vaterschaft, Freuden, auf welche er sich mit jener Raserei stürzte, welche das Vorgefühl eines grausigen und nahen Todes all seinen Handlungen aufprägte.
Am Nachmittage des folgenden Tages vollendete Marie ihren Anzug in ihrem Betgemach, welches das Boudoir jener Zeit vorstellte. Sie ordnete einige Locken ihres schönen schwarzen Haares, um all ihre Pracht mit einer Sammethaube in Einklang zu bringen, und betrachtete sich aufmerksam in ihrem Spiegel.
›Bald ist's vier Uhr; dieser endlose Conseil ist beendet‹, sagte sie sich. ›Jakob ist aus dem Louvre zurückgekehrt, wo man der großen Zahl der zusammengerufenen Räte und der Dauer dieser Sitzung wegen in Unruhe ist. Was mag nur geschehen sein? Mein Gott, weiß er wie stumpf eine Seele wird durch vergebliches Warten? Sollte er etwa auf die Jagd gegangen sein? Wenn er sich unterhält, wird alles zum besten gehn. Wenn ich ihn froh sehe, werd ich vergessen, was ich litt.‹
Sie fuhr mit den Händen an ihrer Figur entlang, um eine leichte Falte zu entfernen und drehte sich seitwärts, um im Profil zu sehen, wie ihr ihr Kleid stünde; da aber erblickte sie den König auf dem Ruhebette. Die Teppiche verschluckten das Geräusch der Schritte so gut, daß er sich dort hatte einschleichen können, ohne gehört zu werden.
»Ihr habt mich erschreckt«, sagte sie, sich einen leichten, sofort unterdrückten Überraschungsschrei entschlüpfen lassend.
»Du dachtest an mich?« fragte der König.
»Wann denk ich nicht an Euch?« fragte sie, sich neben ihm niederlassend.
Nahm ihm Mütze und Mantel ab, fuhr ihm mit den Händen durch die Haare, wie wenn sie ihn mit den Fingern kämmen wollte.
Karl ließ es geschehen, ohne eine Antwort zu geben.