Hugo Ball
Hermann Hesse
Hugo Ball

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Schon der Beginn des Büchleins ist eine Huldigung für Jean Paul, den Humoristen und Dialektikus, den Verfasser von »Dr. Katzenbergers Badreise«, und wenn man zusieht, haben die beiden Dichter und Kurgäste eine besondere Ähnlichkeit. Dr. Katzenberger, der Verfasser einer »De monstris epistola«, weiß diese seine monströse Neigung wohl zu begründen und zu verteidigen. Sie erscheint (scherzhaft) als die natürlichste Sache von der Welt, weil das Gesetz der Natur nur an der Abnormität zu erkennen sei. Und ebenso sucht der Dichter Hesse die Illusion durchzuführen, als handle es sich bei seinem Kurgast keineswegs um eine ernstliche Störung seines Verhältnisses zur Gesellschaft, sondern um eine ganz richtige und famose Veranlagung, während alle Umgebung unsinnig und monströs erscheint. Aber man merkt doch, – ebenso wie bei Jean Paul, denn der Dichter läßt es durchblicken –, welchen Aufwand es kostet, diese Illusion zu behaupten.

Der Dichter kennt alle seltsamen Zustände seines Kurgastes so überaus gut, als sei es nicht nur der Ischiatiker Hesse, um den es geht, sondern der Dichter selbst. Und aus diesem kaum greifbaren lustigen Doppelspiel zwischen den beiden Hesses, dem Kurgast und dem Dichter, dem »Ischiatiker« und seinem Beobachter, entsteht der Witz des Buches. Sogar in der Szene, wo es ernst zu werden droht, wo es zu einem Raufhandel zwischen besagtem Kurgast und dem Herrn Kesselring zu kommen droht –, wie liebenswürdig weiß der Dichter den Handel in ein donquichottisches Selbstgespräch hinauszuführen. Auch in der Szene mit dem anklägerischen Holländer, der so unverschämt gesund ist –, wie launig spielt sich die ganze Auseinandersetzung mit dem Zimmernachbarn nur in der Vorstellung, der Phantasie ab. Der Kurgast und auch der Dichter Hesse, sie scheinen zu visionären Selbstgesprächen zu neigen, die mit Ischias natürlich nichts mehr zu tun haben.

Dann aber, nachdem Kurgast und Dichter längst eine einzige Person geworden sind; nachdem eine herzhaft aufsteigende Lachlust des Beobachters die etwas stockige, vordergründige Badeatmosphäre zerblasen hat, beginnt man mit einemmal zu empfinden, daß es sich nicht nur um Symptome, sondern um ein Symbol handelt; daß da neben Scherz, Satire und Ironie auch eine tiefere Bedeutung ist. Der Zeitgenosse selbst, in Literatur und Gesellschaft, ist ein solcher Kurgast, dessen Krankheit man nicht recht festzustellen vermag. Nicht nur eine kleine und spezielle, sondern auch eine große, eine allgemeine Flucht in den Heiligenhof hat begonnen. Und es wird sehr fühlbar, daß der Dichter Hesse Probleme und Beängstigungen hat, die er, nach seiner Gewohnheit, mehr zu verbergen als zu enthüllen bestrebt ist. Es kommen da in der lustigen Partitur einige wohlarrangierte Paukenschläge, einige Schwergewichte und heftige Tremolos, die offenbar durch die frohe Lustigkeit nur vorbereitet waren.

Da steht mitten in einem mondänen Text auf einmal das Christengebot von der Nächstenliebe so neu, als handle es sich um eine Yogamethode, und man erinnert sich, daß schon der Präzeptor Lohse dieses Gebot gegen eine Gemütskrankheit verordnet hat. Da steht der seltsame Passus von der Doppelmelodie und den auseinanderstrebenden Polen, die der Dichter Hesse immer wieder zusammenzubiegen versuche, ohne daß es ihm gelingen wolle. Und da steht, tröstlich zu vernehmen, die Selbstgemahnung, daß er, der die Stimme der indischen Götter vernommen, so jämmerlich habe dem Krankheitszauber erliegen können. Die ganze Problematik ist vorhanden, und doch nur so, wie ein graziöses Sigill die Anfangsbuchstaben enthält. Für den Kundigen ist alles gesagt, und doch kann man das Wort nicht greifen, nicht dingfest machen. Diese leichten, hingewehten Sätze deuten auf eine schlimme Depression, die alle Welt beherrscht, und das Thema ist doch so sehr mit den Fingerspitzen, mit soviel Behutsamkeit angepackt, als gelte es die äußerste Delikatesse und Vorsicht, die äußerste Schonung und Begütigung, um nur ja auch nicht die Idee aufkommen zu lassen, es gehe hier um so bösartige, melancholische, verzwickte und verfädelte Dinge, wie sie die Seelenärzte in ihren lächerlich einfachen Rubriken führen.

Mit diesem Büchlein von knapp hundertsechzig Seiten findet sich Hesse mitten im Thema der Neurose des modernen Künstlers; einem Thema, das mit heftigem Akkord der »Klingsor« eingeleitet hatte. Dieses letztere Buch war unbewußt entstanden. Als der Dichter die Erzählungen »Kinderseele« und »Klein und Wagner« schrieb, war ihm kaum deutlich, welchen Gesamtaspekt jenes Buch durch die Hinzufügung der Titelnovelle bekommen würde. Wenn ich nicht irre, ging ihm das Thema, von dem hier zum Schlusse zu sprechen ist, erst bei der Zusammenstellung der drei Erzählungen zu einem Bande, vielleicht sogar erst später auf. Im Zusammenhang stellt »Klingsor« das Problem der Romantik, und zwar ihr pathologisches, ihr Leidensproblem dar; neben dem Dichter Hesse erscheint ein Denker von beträchtlicher Tiefe und Finesse. Die Entstehung der Klingsor-Komposition zeigt aber auch, daß dieser Autor sich seine Problematik keineswegs wählt, daß sie ihm vielmehr inmitten seines Erlebens überraschend aufleuchtet. Mir scheint, das deute auf eine Berufung, auf eine Erwählung zum Instrument für besondere Anliegen einer Macht, die Hesse im »Kurgast« analytisch erst »Es«, dann theologisch »Er« nennt.

Die Neurose ist längst kein Einwand mehr gegen ein Werk und seinen Verfasser. Im Gegenteil, sie kann, inmitten der modernen Geneigtheit zur Mache, zum flotten und unbekümmerten Arrangement, zur Schauspielerei der Ideale und des Bekennens, als ein Beweis der Echtheit und Wahrhaftigkeit eines Werkes und eines Menschen gelten. Man kann sie allgemach als das einzig untrügliche Symptom einer künstlerischen Veranlagung betrachten. Es scheint bei der zunehmenden Brutalisierung immer weniger möglich, daß jemand ein notwendiger, ein vollstreckender Künstler sei und doch gesellschaftlich noch funktioniere. Man kann es auch wirklich nicht länger für einen Zufall nehmen, daß Geister wie Nietzsche, Strindberg, van Gogh, Dostojewski, der eine mehr, der andere weniger, der Neurose verfielen. Man kann ihre Leiden nicht länger für »organisch« halten, wenn es auch einer bequemen Psychiatrie so beliebt. Man wird endlich einsehen müssen, daß es Leiden sind, an denen unsere religiösen und sozialen Faktoren, unser Erziehungswesen, unser Hochschulbetrieb, insbesondere die allgemeine negative Einstellung zu Wahn und Übertreibung, der Mangel an Enthusiasmus und Entgegenkommen, an Kindsköpfigkeit und Bildervergnügen, kurz unsere katastrophale Weltanschauung ein übervolles Maß der Schuld tragen.

Es ist dabei bezeichnend, daß die derart leidenden Genies besonders aus den nördlichen Ländern kommen. Bei den Romanen findet sich das Phänomen viel seltener oder gar nicht; auch das Klima mag eine Rolle spielen. Den neurotischen Künstler bezeichnet das Wort Innerlichkeit, und dieses Wort weist auf die protestantische Reform zurück. Die Introversion, das heißt eine persönliche, private, autonome Mystik, die keine Anknüpfung an die Gesellschaft ermöglicht, ja die im Gegensatze zu den traditionellen Sitten steht –, die Selbstversunkenheit ist das Signum des romantischen Künstlers, des Abseitigen und Ausgestoßenen, des Entwurzelten und Isolierten, der sich durch überwertige Leistungen, durch seinen Zauber, durch eine rebellische Betonung der Natur und der persönlichen Gnade, der sich durch eine Mechanik individueller Überlegenheit im Gleichgewicht erhalten muß.

Vielleicht ist Don Juan der Prototyp dieses Künstlers und Künstlergeschlechts: Don Juan als der Verführer und Bezauberer, als der Wortkünstler und Schmeichler, der die schönsten Sätze und Komplimente zu ründen weiß; als der Rhetor, der die unwiderstehlichste Skala der einlullenden Töne hat; als der Rattenfänger und selber Unverbindliche, der kein Gesetz anerkennt, der den Bürger aufbringt, der die Mänaden im Gefolge hat. Don Juan als Nachfahr der Orpheus und Klingsor, der großen Meister der Klänge und Instrumente, der Betörer von Mensch und Tier. Ist nicht die Liebe Don Juans Wort? Und ist es nicht die mit aller himmlischen Inbrunst irdisch verstandene Liebe, der er dient? Leidet er nicht an der Mutter, wenn er in jeder Frau vergeblich die eine, die einzige suchen muß, die er nicht findet?

Wie dem auch sei: die Romantik, die den widersprechenden Künstler pflegte, den Unheimlichen und Fremden, den Künstler der Maske und der Burleske, den Künstler der Leidenschaften und der Exzesse, der Übertreibung und Selbstironie; den Ideologen der Sinne, dessen Namen man nicht erfragen darf; den ewig Unfaßbaren, den Dandy und Proteus, den chevaleresken Dämon –: die ganze Romantik ist heute lebendiger als je, und in Deutschland besonders. Nach dem Zerfall der staatlichen Gewalten beginnt ein summarisches Wiedererwachen und Wiedererwägen, das noch lange nicht abgeschlossen ist. Und so ist es einstweilen noch lange nicht entschieden, wie die Romantik zu bewerten sei. Aus der französischen Spätromantik gingen Geister hervor wie Bloy, Péguy, Suarès, Claudel. In Deutschland schien der Romantik durch Nietzsche ein gewaltsames Ende bereitet. Der moderne Orientalismus aber, die Psychoanalyse mit ihrer Betonung der natürlichen Urbilder, die Bachofen-Studien und vieles andere mehr lassen die Romantik heute schon wieder in neuem Lichte erblicken.

Unter solchen Umständen könnte ein Geist, der am Erbe der Romantik nicht nur festhält, sondern dieses Erbe darlebt –, unter solchen Umständen könnte der »letzte Romantiker« eine Mission von eminenter Wichtigkeit empfinden: die Mission nämlich, dieses Erbe bis zum letzten Blutstropfen und bis zur Psychose einer sehr anders gearteten Welt gegenüber zu verteidigen. Seine Aufgabe könnte es sein, an der Musikalität und Reinheit des Wortes, am Bilde und Urbilde, am Bunde des Dichters mit dem Bekenner, des Klingsor mit dem Siddhartha, und kurzum: einer desillusionieren Welt gegenüber an der ritterlichen Form und der Verzauberung festzuhalten. Mag es ihm mitunter sinnlos erscheinen oder sinnlos erschienen sein, in jenen Jahren besonders, wo der Zusammenbruch jeden Wert zu vernichten drohte –: heute schon ist seine Treue das Denkmal nicht nur einer großen Vergangenheit, sondern auch eines Neubeginns und einer Wiederbelebung aus keinem anderen Geiste als aus dem der Romantik.

Das Problem des tragischen Genies hat den Dichter in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt; dies, und die Magie als eine Kunst sich zu behaupten und als eine Kunst sich aufzulösen. Schon früh empfand Hesse das Bajazzolachen, das ja ebenfalls romantisch ist; das Zerschlagen des eigenen Instrumentes, nicht weil es zu rauh klingt, sondern weil die Kunst, wo sie souverän wird, das Leben plündert und es aushöhlt. Solches Zerschlagen des eigenen Standbildes, weil es als Memnonssäule zu tönen und nur zu tönen verurteilt ist –, es eignet dem Dichter und Menschen Hesse nicht erst in der Untergangszeit der ersten Nachkriegsjahre. Es eignet ihm schon in den »Gedichten« von 1902, wenn eines der Lieder dort lautet:

Ich habe nichts mehr zu sagen,
Ich habe alles gesagt.
Nun will ich klingend zum letzten Takt
Meine gute Geige zerschlagen.

Zerschlagen – und wandern wieder
Ins Land, woher ich kam,
Wo ich in Jugendtagen vernahm
Den Traum vom Lied der Lieder.

Ihn träumen will ich wieder
Abseits und ganz allein –
Es muß voll tiefen Friedens sein
Der Traum vom Lied der Lieder.

In den Steppenwolf-Gedichten (Neue Rundschau 1926) ist dieser Zug zur Selbstzerstörung für manche Freunde Hesses zu einem tiefen Schmerz geworden. Bitterkeit und Schwermut sind in diesen Gedichten bis zum Zerspringen des Instrumentes gediehen. Ich kenne nur eine Publikation, die mir bei der ersten Lektüre den gleichen Eindruck machte: Nietzsches »Ecce homo«. Verse ziehen vorüber von einer unvergleichlichen Intensität und Trauer, Worte von der seltsamen Leuchtkraft eines Sterns, der sich einsam im fauligen Brunnen spiegelt. Die alte verbergende Form ist nach allen Seiten zersprengt, ein neuer Rhythmus schwingt. Was er den Dichter gekostet hat, das werden nur diejenigen beurteilen können, die Hesses Diskretion, die seine Leidenskraft und seine Zähigkeit im Verbergen kennen.

Sagt, seid ihr alle so scheußlich allein,
Oder muß nur ich auf der schönen
Welt so einsam und wütend und traurig sein?
– – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich kann es nicht verstehen,
Soviel Kognak ist nicht gesund,
Man kommt dabei auf den Hund.
Aber ist es nicht edler unterzugehen?

»Ein Werk auf die Katastrophe hin bauen«, dieses Nietzschewort liegt Hesse sehr nahe; er selbst könnte sein Werk auf die Katastrophe hin bauen oder gebaut haben. Bei Hölderlin wie bei Novalis sieht Hesse »das Schicksal des außerordentlichen, genialen Menschen, dem die Anpassung an die ›normale Welt‹ nicht gelingt; das Schicksal des Sonntagskindes, das den Alltag nicht ertragen kann, das Schicksal des Helden, der in der Luft des gemeinen Lebens erstickt«. Das ist die Begründung der Steppenwolf-Gedichte und -Ausfälle. Im Nachwort zu »Novalis« sowohl wie zum »Hölderlin« (beide bei Fischer) stehen Sätze, die jeder Freund des Dichters als dessen eigenes Problem, als seine eigene Qual erkennt.

Von Novalis sagt er: »Ebenso wie sein kurzes, äußerlich tatenloses Leben den Eindruck seltsamster Fülle macht und jede Sinnlichkeit wie jede Geistigkeit erschöpft zu haben scheint, so zeigen die Runen dieses Werkes unter spielender, entzückend blumiger Oberfläche alle Abgründe des Geistes, der Vergöttlichung durch den Geist und der Verzweiflung am Geiste.« Auch das Schicksal des Hölderlin gibt einen Aufschluß über die mitunter befremdlichen Lebensexperimente des Steppenwolf-Dichters. Das Schicksal Hölderlins läßt ihn mahnen: »Es ist lebensgefährlich, sein Triebleben allzu einseitig unter die Herrschaft des triebfeindlichen Geistes zu stellen, denn jedes Stück unseres Trieblebens, dessen Sublimierung nicht völlig gelingt, bringt uns auf dem Wege der Verdrängung schwere Leiden. Dies war Hölderlins individuelles Problem, und er ist ihm erlegen. Er hat eine Geistigkeit in sich hochgezüchtet, welche seiner Natur Gewalt antat.«

Hesses Studium und Liebhaberei wird mit den Jahren mehr und mehr die Magie. Sie ist ihm der bildhaft betonte Geist; die von allen Kräften der Sinne und der Seele zugleich erfüllte Phantasieform. Sie ist ihm das Siegel und die ergreifende Energie der Geste, der Andeutung, des Namens. Sie ist ihm eine Schutzwehr gegen die Verkümmerung der Instinkte sowohl wie gegen ihre Verrohung. In der Magie hat alles unbewußte Triebleben eine adäquate geistige Form gefunden. Es gibt von Hesse eine Charakteristik »Goethe und Bettina« (Neue Rundschau 1924), worin der alte Herr Geheimrat kaum mehr kraxeln kann und doch die jüngsten Lebewesen noch in seinen Bann zieht. Hesse liebt das langsame Mittelpunktwerden, das den Mann von Weimar zu einer Zentralsonne am deutschen Himmel gemacht hat. Bei Mozart aber liebt er etwas anderes. Hier ist es das rosenrote Papageno-Märchen und die dunkle Glut des Teufels Don Giovanni, den ein ewig kicherndes Kinderherz in Kontrapunktik und Koloraturen so ganz und gar zu verstricken und zu verwickeln weiß, daß dieser Unhold, mehr als von Blitz und Donner, von der genialsten Tonkunst überwunden und unschädlich gemacht wird.

Der »Steppenwolf«-Roman, dieses Unikum von Dichtung, ist Hesses jüngste und mächtigste Inkarnation. Wenn es gelänge, den Feind im eigenen Innern zu packen und aufzulösen, die treibende vitale Kraft auf eine plausible Formel zu bringen; wenn es gelänge, dies leidenschaftlich unruhige, wogende, quälende, aller Sublimierung und Zivilisierung hohnsprechende Wesen auseinanderzulegen, in zierliche Worte zu fassen, es mit aller Gnade und allem Licht zu durchdringen –: damit wäre etwas geschehen. Damit wäre diesem bisher unzugänglichen, namenlosen Wesen zu Leibe gerückt. Damit wäre für die Folge unliebsamen Überraschungen von der Instinktseite her vorgebeugt. Damit wäre die Lebenskraft selber entwurzelt und erschüttert; das Tier im Menschen wäre zutage gefördert und, wer weiß, vielleicht gebrochen. Damit wäre ein dämonisches Urbild gehoben, und einer Unsumme von Beängstigungen, von Hysterien, von schillernden Sophismen wäre der Weg verlegt. Damit wäre ein Humor ermöglicht, der mehr zu sein vermochte als anstellige Verlegenheit und gute Miene zum bösen Spiel.

Es gibt neben dem Idylliker und Asketen einen robusten, veitstänzerischen, flagellantischen Hesse. Es gibt neben dem schwermütigen Dichter des »Demian« einen überschäumenden, girrenden, tönenden Klingsor, der über zehn Leben verfügt. Es gibt, seit dem »Steppenwolf«, einen Hesse, dem der Furor Teutonicus so gut bekannt ist wie der kleine schmachtende Pennäler. Er weiß die Harfe zu schlagen, daß sie unheimlich surrt und dröhnt, nachdem sie vergebens gesäuselt und gesungen hat. Der Wolf (auch in Wolfgang Amadeus und in Johann Wolfgang) ist ein Raubtier, das über scharfe Augen und Ohren und über ein respektables Gebiß verfügt. Rehen, Gänsen und Hasen, Eseln ebenso, ist dieses Tier sehr gefährlich. Es gibt, vor seinen geschärften Sinnen, keine intellektualistischen Kunststücke und mogelnden Flausen –: das ist der Ernst dieses Romans. Sein Spaß aber ist: daß dieses weltfremde Wesen noch mit fünfzig Jahren viele graziöse Steps hat tanzen müssen, ehe es imstande war, als ein richtiger Steppenwolf ein wenig Munterkeit in die literarische Zunft zu bringen.

Vor diesem wohlgebauten Steppenwolf verfangen keine falschen Geburtstagstiraden. Nur der heilige Franz selber könnte ihn bekehren. Daß solch ein mythologisches Untier sich mitten in unserem modernen Leben mag blicken lassen, das deutet auf eine Zeit, in der man die Kunst der Liebe und der Begütigung, die verstehende menschliche Kunst, nur noch gedruckt, nur schwarz auf weiß noch zu finden vermag. Gleichwohl: in diesem männlichen, ernsten Buche ist, mit negativem Vorzeichen, die Romantik noch einmal. Hier ist die Mystik unseres Görres und die Welt des alten Brognoli. Mag man ach und weh und vielleicht Schlimmeres rufen; gleichwohl: hier ist der Versuch, die zusammengefaßten und auf eine glückliche Formel gebrachten Dämonismen unserer Zeit abzustoßen, um Raum zu gewinnen für alle Güte und unbehinderte Höhe. Hier ist ein jugendlich tanzender Kämpe, der mit Augen, in die man aus Scheu nicht zu blicken wagt, seine Sache verteidigt und seine Liebe schützt. Als Wappen- und Totemtier tritt er an die Spitze eines Bundes von heimlich Versunkenen, deren Herz und Geist die hohen Worte blank und rein erhalten wissen will.

Diese Biografie erschien 1927 zu Hermann Hesses 50. Geburtstag. Sein Freund Hugo Ball starb zwei Monate später; Hermann Hesse lebte noch 35 Jahre.


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