Josef Baierlein
Der Spruchbauer
Josef Baierlein

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25.

Wenigstens einem von den zwei Männern, die dergestalt hofften und harrten, grünte schon nach kurzer Zeit ein vierblätteriger Klee.

Der letzte Sonntag vor dem Erntedankfest war angebrochen, an welchem wie an allen Feiertagen jede Arbeit ruhte. Der Italiener hatte daher nichts auf der Strecke zu tun. Statt dafür in die Kirche zu gehen und dem Hochamt beizuwohnen, wie dieses bei allen seinen Arbeitern die sonn- und festtägliche Regel bildete, blieb aber Herr Bartolo Bonatesta faul und müßig daheim, schaute gähnend zum Fenster hinaus und betrachtete gelangweilt jene Leute, die es mit den kirchlichen Geboten ernst meinten und deshalb, mit ihrem Sonntagsstaat angetan, dem Gotteshause zustrebten.

Der Akkordant hielt sich für viel zu erhaben, als daß die kirchliche Satzung auch für ihn hätte gelten sollen. Zählte er sich doch zu den gebildeten Ständen, die ihre religiösen Pflichten meistens in gleicher Weise hintansetzten. Hätte ihn aber jemand gefragt, weshalb denn auch er sich zu 154 den sogenannten Gebildeten rechne, wäre er wohl selber die Antwort schuldig geblieben. Denn Bonatesta hatte nur den dürftigen Unterricht einer italienischen Volksschule von anno dazumal genossen und während seines späteren Eisenbahner-Lebens nichts dazu gelernt, als die Kunst, stets zu seinem Vorteil zu rechnen.

Der Akkordant lehnte also im Fenster und betrachtete sich die Kirchengänger. Da bemerkte er, wie die Tür des Wiesenbauernhofes sich öffnete und auch dessen Insassen in den Gottesdienst eilten. Er sah den Bauer und die Bäuerin, dann die zwei halberwachsenen Töchter und hinter der Familie ein Trüppchen Dienstboten, Knechte und Mägde. Aber Lene konnte er nicht entdecken. Befand sie sich wirklich nicht bei ihren Leuten? Sollte sie allein zu Hause geblieben sein?

Die Vermutung, welche sich dem Italiener aufdrängte, traf das Richtige. Lene fürchtete sich vor den schadenfrohen Blicken und dem boshaft heuchlerischen Mitleid ihrer Kamerädinnen und hatte, um keiner von ihnen zu begegnen, lieber auf den Kirchgang verzichtet. Statt dessen besorgte sie daheim den Haushalt und rüstete das Mittagessen. Sie war wirklich allein im Hause.

Nachdem auch Bonatesta zu dieser Überzeugung gekommen, überlegte er nicht mehr lange. Jetzt galt es, endlich die günstige Gelegenheit zu 155 benützen und das Glück mit kühner und zugleich fester Hand beim Schopf fassen. Deshalb wollte er eine Aussprache mit dem Mädchen unter vier Augen jedenfalls versuchen und wenn nötig sogar erzwingen. Einen Vorwand zum Besuch im Wiesenbauernhof hatte er schon ausgesonnen. So verließ er denn seine Wohnung, überschritt die Dorfgasse und betrat keck Lenes Elternhaus. Das metallische Klirren von eisernem Kochgeschirr verriet, wo das Mädchen beschäftigt war, und wies dem Eindringling den Weg. Ohne Zögern pochte er mit hartem Finger an die Küchentür. Darauf hörte drinnen das Klappern der Töpfe plötzlich auf und eine spitzige Stimme rief unwirsch:

»Wer wird da daher stolpern überzwerch um eine solchene Zeit? Kommt halt herein! 's wird' leicht kein Geißbock sein.«

»Guten Morgen!« grüßte der Italiener, die Tür öffnend.

»Ah!« machte Lene, indem sie vor Überraschung zurückprallte, »das ist ja gar der Herr Bauakkordant! Verzeihen S', daß ich auf Ihriges Klopfen ein bißl harb aussig'schrien hab. Aber ich hab halt 'denkt, es käm' höchstens wer aus der Nachbarschaft, und solchene Leut' wollen allemal nur 'was z'leihen. Gehen S' doch rein, Herr Akkordant in die Stuben und setzen S' Ihnen 156 nieder! Was wär' Ihnen denn g'fällig? Mit was kann ich denn dienen?«

Sie nötigte den unverhofften Besuch mit Bücklingen und Komplimenten in die Wohnstube, wo dieser auf dem besten Lederstuhl Platz nahm. Bonatesta sah sehr stattlich aus. Seine Sonntagsjacke aus schwarzem Samt kleidete ihn vortrefflich; das reine Hemd und ein buntseidenes Halstuch hoben seinen Teint und eine breite rote Schärpe, die seine Hüften gürtete, verlieh der schön gewachsenen, breitschulterigen Figur etwas Malerisches. Dazu die goldene Uhrkette über der braunen Atlasweste und am Zeigefinger der rechten Hand ein schwerer Siegelring, – der Herr Unternehmer machte gar keinen übeln Eindruck.

»Ich möchte gern mit Ihrem Herrn Vater sprechen,« antwortete er auf Lenes Frage. Er wußte zwar ganz wohl, daß der Bauer mit allen seinen Leuten in der Kirche war; doch gehörte diese Einleitung zu der Ausrede, mit welcher er sein sonst unmotiviertes Erscheinen zu erklären gedachte.

»Der Vater ist mit der Muttern im Hochamt,« sagte sie; »nur ich bin daheim 'blieben, weil ich kochen muß. Wenn S' Ihr Begehren etwan mir anvertrauen wollten? Ich tät's alsdann schon ausrichten.«

157 »Ich hatte im Sinn, Ihren Vater zu fragen, ob er mir kein Zimmer abtreten kann,« log er mit dreister Zunge. »In meiner jetzigen Wohnung gefällt's mir nicht mehr und deshalb dachte ich, in Ihrem großen Hause ein besseres Loschemang zu finden. Umsomehr da Sie, soviel mir bekannt ist, noch an keinen anderen Herren von der Eisenbahn vermietet haben.«

Das Fremdwort »Logement« imponierte Lene gewaltig; auch fühlte sie sich geschmeichelt, daß der Italiener ohne weiteres vorauszusetzen schien, sie verstünde dessen Bedeutung. Ja, ja, die feinen Leute! Die wissen, wie man mit einer angesehenen Bauerntochter reden muß, und schwätzen nicht daher, als ob sie halbe Simpel wären. Es tat ihr nur leid, daß sie dem schönen Herrn, der ihr, wie sie sich im geheimen gestand, als Hausgenosse sehr willkommen gewesen wäre, schon im vorhinein jede Hoffnung absprechen mußte.

»Es kommt mir ganz schanierlich vor,« sagte sie daher geziert, »daß S' in deriger Ang'legenheit einen Metzgersgang g'macht haben. Denn meine Leut' nehmen niemals keinen Fremden ins Haus. Das weiß ich für ganz g'wiß, weil's mein Vater 'leicht hundertmal verred't hat. Wissen S', wir brauchen das bißl Loschiegeld nicht, und alsdann sind wir halt eine gar brave christliche Familli, und weil man den Fremden niemals nicht ins 158 Herz 'neinschauen kann, sagt meine Mutter, von wegen den jungen Mädeln im Haus, drum nehmen wir keinen an. Dessentwegen haben S' diesmal schon einen Gang umsonst g'macht zu uns.«

»So sehr ich bedauere, daß meine Hoffnung unerfüllbar ist, war mein Gang dennoch nicht umsonst,« sagte er, indem er sich erhob und ihr tief in die Augen schaute. Er steuerte geraden Wegs und mit vollen Segeln auf sein Ziel los.

»Wieso?« fragte sie, durch den zudringlichen Blick etwas unsicher geworden.

»Wenn ich auch keine bessere Wohnung fand, so hatte ich jetzt doch das Glück, endlich Sie, mein Fräulein, kennen zu lernen und in der Nähe zu sehen. Von fern habe ich Sie schon längst bewundert. Vom ersten Augenblick an erkannte ich ja in Ihnen das schönste und liebenswürdigste Mädchen, das mir jedesmals begegnet war.«

Und wiederum bohrte sich sein funkelndes Augenpaar in das ihrige und haftete darin mit einem Ausdruck, der schon an Frechheit streifte. Lene aber wurde purpurrot vor Vergnügen über die plumpe Schmeichelei und hielt die unverschämten Blicke des Italieners, welche jede sittsame Jungfrau als Beleidigung empfunden hätte, nur für ein Zeichen von überschwenglicher Bewunderung.

159 »O gehen S',« sagte sie mit geheuchelter Gleichgültigkeit. »Sie möchten halt ein bißl einen Jux haben und dessenwegen treiben S' Ihren Spott mit mir. Wie wird sich denn ein nobliger Herr von Ihresgleichen viel um eine Bauerntochter kümmern? Sie kriegen ja sogar ein Stadtfräul'n mit Hut und Schleier, wenn S' eine haben wollen.«

Damit hatte sie den Akkordanten ganz in ein Fahrwasser gelockt, welches er infolge reicher Erfahrung genau kannte. Im stillen wünschte er sich Glück, daß er sich in der Beurteilung Lenes nicht getäuscht hatte. Er hatte fest darauf gehofft, sie kirre zu machen, sobald er sie nur einmal allein träfe, und jetzt wäre er jede Wette eingegangen, daß ihm dies schon heute gelingen würde. Drum legte er mit theatralischer Gebärde die Rechte auf die Brust, faßte mit der Linken die Hand des Mädchens, die ihm ohne viel Widerstreben überlassen wurde, und begann sodann eine ihm durch zwanzigfache Wiederholung geläufig gewordene Tirade.

»Wie sagten Sie?« deklamierte er; »einen Jux wolle ich mir machen mit Ihnen? Spotten sollte ich über die schönste Blume des ganzen Erdentales? Corpo della monaca! Hätte mir ein anderer so etwas ins Gesicht gesagt, wäre ein Unglück geschehen; er hätte sein letztes Paternoster 160 beten müssen. Denn daß Sie es nur wissen: ich verehre, ich bewundere Sie; Sie sind mir das Teuerste auf der Welt, ich liebe Sie bis zur Raserei. Und jetzt, mein Fräulein, frage ich Sie auf Ehre und Seligkeit, ob auch Sie mir gut sind. Geben Sie mir eine wahrhaftige Antwort: Lieben auch Sie mich mit dem gleichen feurigen Impuls? O sagen Sie Ja und machen Sie mich zum glücklichsten aller Sterblichen! O – ach! Lieben und nicht haben ist ja härter als Steingraben.«

Lene wußte nicht wie ihr geschah. Der Schauer des auf sie niederprasselnden, gleicherweise schwülstigen und lächerlichen Redestroms hatte sie betäubt und aus dem Wust unverdaulicher Exklamationen und Beteuerungen wurde ihr nur klar, daß ihr der Italiener eine Liebeserklärung gemacht hatte, – eine Liebeserklärung, unverhofft und zündend wie der Blitz, der aus heiterem Himmel niederfährt. Wie so etwas nur möglich war! Vor wenigen Minuten noch hatte sie sich selbst als verlassene Braut aufs lebhafteste betrauert, und nun hatte sie plötzlich einen andern Bräutigam an der Hand! Und welchen! Einen schönen Mann, einen jungen Mann, einen Herrn sogar, mit dem man sich sehen lassen konnte. Denn wenn er auch ein unsteter, landesfremder Eisenbahner war, – Geld hatte er doch. Sie behielt zwar nicht alles im Gedächtnis, was er ihr 161 vorperoriert hatte, verstand auch nicht alles von den hochklingenden Redensarten, am wenigsten was er mit dem Feuer im Puls, wie sie seinen feurigen Impuls auffaßte, hatte sagen wollen, aber – herzerquickend war er doch gewesen! Viel herzerquickender als alles, was sie früher in den reizendsten, urältesten Ritterschartecken gelesen.

Deshalb hauchte sie auch nur geschämig:

»Ich kann Ihnen jetzt in der Eil' keine Antwort nicht geben. Ich muß ja kochen, – sonst werd' ich g'schumpfen.«

»O, gewähren Sie mir doch ein Stelldichein!« drängte er; »bezeichnen Sie mir eine Stunde und einen Ort, wo wir uns noch heute ungestört aussprechen können. Jede Minute, die ich in der Ungewißheit, ob auch Sie mich lieben, verleben muß, bringt mir Höllenqualen. O, ich bitte, bitte, mein Fräulein!«

»Heißen S' mich doch nicht alleweil Fräul'n,« entgegnete sie zimperlich. »Ich bin kein solchenes Register und mag auch kein's sein. Sagen S' halt Lene zu mir, wie ich 'tauft bin.«

»Wie!« tat er entzückt, »eine so große Gunst gestatten Sie mir? Ich darf Sie bei Ihrem Taufnamen nennen? O, wie beglücken Sie mich! Da werde ich Sie Maddalena heißen, wie Ihr Name in meiner Muttersprache lautet. Ach, Maddalena, – meine geliebte Maddalena! Sag' mir also, wo 162 und wann ich Dich heute treffen kann. Ich bitte, ich flehe Dich an, wie man zu einer Heiligen fleht.«

Der Italiener ging seinem Ziel mit Riesenschritten entgegen. Jetzt plauderte er mit Lene schon per Du und hatte dabei das beruhigende Bewußtsein, daß er mit seiner forcierten Vertraulichkeit bei diesem Mädchen nichts riskierte. Und Lene hinwiederum fand sein Bitten und Betteln ganz unwiderstehlich, weshalb sie sich nicht mehr lange spreizte, sondern willig zur Antwort gab:

»Nun ja, alsdann! Weil Ihnen halt gar so drum z'tun ist – nach dem Gebetläuten heunt auf d' Nacht können S' mich treffen. Beim Holzbirnbaume auf der hintern Seiten von unsrigem Haus will ich warten auf Ihnen.«

Ihm das Du zurückzugeben, brachte sie in dieser ersten Stunde gleichwohl nicht zuwege. Der Italiener war dennoch hoch befriedigt durch das, was er mit so geringer Mühe erreicht hatte. Ihm hatte das Glück schon aus vollem Halse zugelacht, während der Spruchbauer noch immer auf ein Zeichen vom Himmel wartete. – – 163

 


 


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