Josef Baierlein
Der Spruchbauer
Josef Baierlein

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11.

In unglaublich kurzer Zeit hatte Stephan den Weg durchhastet, welcher ihn von der Waise trennte.

»Ja, Kreszenz!« sagte er, als er an ihre Seite trat; »was hat denn das zu bedeuten? Wo gehst denn hin?«

In seiner Aufregung hatte er ganz darauf vergessen, ihr zuerst einen Gruß zu bieten.

»Wo ich hingeh',« antwortete sie – so traurig, daß es ihm einen Stich durchs Herz gab, »das weiß nur der liebe Gott. Ich mein', es wär' am besten für mich, wenn ich mich zu Vater und Mutter selig ins Grab 'neinlegen könnt'. Dort hätt' ich doch eine Heimat g'funden für immer und ewig. Denn jetzt hab ich nicht einmal ein' Unterschlupf, und wenn ich heunt die zwölf Stunden nicht derzwing' nach Elsenfeld, wo meine Eltern abg'storben sind, und wo ich doch noch ein paar gute Menschen kenn', alsdann weiß ich mir kein Platzl, wo ich übernachten könnt'.«

61 »Um des heiligen Gottes willen!« rief er bestürzt, »sag' mir nur, was vorg'fallen ist! Bist D' denn nicht mehr beim Wiesenbauern?«

»Meine Firmpatin und die Lene haben mich fortg'schickt.«

»Fortg'schickt haben s' Dich?«

»Knall und Fall, heunt in aller Fruh. Kaum soviel Zeit hab s' mir g'lassen, daß ich mein bißl Wäsch' und mein Sonntagsg'wand hab' z'sammbündeln können. Nachet hab ich wandern müssen.«

Stephan stand diesem überraschenden Vorkommnis ganz verständnislos gegenüber.

»Sag mir nur, warum?« drängte er. »Die Lene allein hätt' Dich ja nicht fortweisen können aus dem Haus; aber ist denn die Wiesenbäuerin auch so harb auf Dich?«

»O mein!« sagte das Mädchen. »Ein gar großes Vergnügen hat kein einziges g'habt in der ganzen Familie, wie mich meine Firmpatin aufg'nommen hat, weil ich nach Vaters Tod ganz einschichtig dag'standen bin in der Welt. Der Bauer hat mich über d' Achsel ang'schaut, weil ich nichts versteh' von der Feldarbeit; aber – wo hätt' ich's denn lernen sollen? Ich bin die ganzen achtzehn Jahr', die ich alt bin, daheim g'wesen bei meinem Vatern, und der hat kein Land g'habt zum Bebauen. Alsdann der Bäuerin hab' ich auch nichts recht machen können; der bin ich z'schwach g'wesen für die 62 grobe Hausverrichtung. Am allerbittersten aber hat mir's die Lene entgelten lassen, daß ich ihr im Weg umeinander 'gangen bin. Der war ich schon von der ersten Stund' an ein Dorn im Aug'. Warum? weiß ich nicht. Ich hab' ihr nie nichts z'Leid 'tan; nicht einmal ein Widerwörtl hab' ich g'red't bei allem ihren Schimpfen und Schelten. Nur die Tränen hab' ich verschluckt, wenn s' mir jeden Tag hundertmal vorg'schmissen hat, daß ich den Brocken Brot nicht wert bin, den ich bei ihnen aus Gnaden iß.« –

»Arme Dingin!« sagte der junge Mann mit dem Ausdruck ungeheuchelten Mitgefühls.

»So ist die Sach' fort'gangen bis heunt,« fuhr Kreszenz in ihrer Leidensgeschichte fort. »Wie ich heunt in der Fruh aufg'standen bin, ruft mich die Lene in die Kuchel 'nein. Ich denk an nichts Böses und geh' mit ihr. Da steht auch schon die Bäuerin, die auf mich g'wart' hat, und sagt, ich soll mein bißl G'wand und alles andere, was mir g'hören tät', z'sammpacken und mich hinscheren, wo ich her'kommen bin. Und ich sollt' nur kein Wesens und keine lange Spreizerei machen; denn Bitten und Betteln und gute Wort' täten jetzt nichts mehr helfen bei ihr. Sie hätt' sich überzeugt, daß meine Lebtag keine richtige Bauernmagd aus mir werden tät', und das Maul von einem Nichtsnutz wollt' sie nicht länger füttern. Wenn s' auch 63 meine Firmpatin wär', so 'was könnt' doch kein Christenmensch von ihr verlangen.«

»Eine Sünd' ist's von der Wiesenbäuerin und eine Blindschand',« zürnte der junge Mann.

»Was wollt' ich da machen?« erzählte die Waise weiter. »Ich hab' halt parieren müssen und hab' mich herg'richt zum Fortgeh'n. Aber wie ich Abschied g'nommen hab' von meiner Firmpatin und ihr 'dankt hab', daß sie mir drei Wochen Unterstand 'geben und die Kost verabreicht hat, da ist der Lene der Zorn über mich doch noch einmal über's Leberl 'krochen. Denn als ich auch ihr die Hand geben und Adjes sagen wollt', da hat sie noch einen schweren Trumpf ausg'spielt gegen mich. Sie hat mich ang'schrien wie nicht g'scheit, und g'sagt, ich soll aufhören mit meinem scheinheiligen Getu' und lieber trachten, daß ich g'schwind – –«

Plötzlich brach sie ab, mitten in ihrer Rede, und schaute zu Boden in hilfloser Verlegenheit, gleichsam als hätte sie sich selbst über einem Fehler ertappt, den sie bereits begangen hatte, oder zu begehen wenigstens im Begriff gewesen war.

»Na,« fragte Stephan, »weshalb hörst jetzt auf einmal auf? Was hat s' denn noch g'sagt, die z'widere Würgbirn'?«

»Ach,« antwortete sie ausweichend, »es ist nicht der Müh' wert. Ich hab' mich schon wieder wegg'setzt darüber.«

64 Dem jungen Mann kam es vor, als wäre er einem Geheimnis auf der Spur. Eine dunkle Ahnung stieg in ihm auf, als hätten bei der plötzlichen Entlassung des Mädchens auch Rücksichten auf ihn mitgespielt.

»Sag' mir alles,« drängte er deshalb eifrig, »verschweig' mir nichts! Leicht kann ich Dir mit etwas an die Hand geh'n in Deiner Verlassenheit.«

»Lassen wir's lieber sein!« sagte sie, ohne verbergen zu können, wie sehr seine Fragen ihre Befangenheit steigerten.

»Aber wenn ich Dich bitt', – wenn ich Dich recht von Herzen darum bitt',« beharrte er bei seinem Verlangen.

Er bat sie, – der reiche hochangesehene Mann bat die heimatlose Waise um etwas! Er forderte nicht mit groben Worten, wie sie ihr im Wiesenbauernhof stündlich an den Kopf geworfen worden waren, sondern er sprach so herzlich, als könnte sie ihm wirklich eine Gunst gewähren! Dem vermochte sie nicht länger zu widerstehen. Mit scheuem Augenaufschlag, der ihren Zügen einen unsagbar rührenden Reiz verlieh, sagte sie.

»Nun, weil Sie's denn durchaus wissen wollen: die Lene hat mir halt auf den Weg den guten Rat mit'geben, ich sollt mir nur g'schwind einen Dienst suchen, wo mir der Bauer nicht meine Körb', sondern gleich mich selber Bucklkraxen tragen tät'.« – 65

 


 


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