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Die Einstellung der von Lene aus dem Hause hinausgebissenen Kreszenz als Magd im Spruchbauernhof hätte zu anderer Zeit reichlichen Stoff zu einem willkommenen Dorfklatsch geboten. Denn die Dienstboten des Wiesenbauern hätten insgesamt blind und taub sein müssen, wenn ihnen die Triebfeder zu Lenes Haß gegen Kreszenz unbekannt geblieben wäre. Da sie dieses aber so wenig waren, wie sie an Stummheit litten, so sprach es sich schon am ersten Tag herum, daß Kreszenz wegen Lenes Eifersucht fortgeschickt worden war. Und welch interessanten Beigeschmack erhielt die Sache nun dadurch, daß das Mädchen, auf welches sie eifersüchtig war, sich jetzt unter dem Dach ihres präsumtiven Hochzeiters befand!
Gleichwohl ging das Vorkommnis in Schattendorf selbst ohne großes Geschrei vorüber. Man hatte jetzt an wichtigere Dinge zu denken, an denen alle Familien der Gemeinde beteiligt waren, und die deshalb Anlaß zu ausgiebigen erregten Besprechungen boten.
85 Die Bausektion zur Anlegung der neuen Eisenbahn hatte ihre Tätigkeit begonnen und der Sektionsingenieur war mit seinem Assistenten in die im Spruchbauernhof eingerichtete Amtskanzlei eingezogen. Am gleichen Tag traf auch das Schreiberpersonal, sowie ein ansehnlicher Trupp von Bauführern, Meßgehilfen, Aufsehern und anderen Bediensteten ein, welche alle im Dorf untergebracht werden wollten. Da gab es nun fast in jedem Hause vermehrte Arbeit, bis man die Fremden aufgenommen hatte und über Wohnung und Verpflegung mit ihnen ins reine gekommen war.
Und kaum hatten die bei der Sektion Angestellten Quartier gefunden, rückten auch schon die Arbeiterscharen ein, Maurer und Steinhauer, Mineure mit langen eisernen Bohrern und Schlägeln, und Massen von Erdarbeitern mit Schaufeln und Pickelhauen. Das ganze Heer derselben in die Häuser einzulegen, war unmöglich. Der Sektions-Ingenieur ließ deshalb vor der Ortschaft Holzbaracken errichten, in welche die Leute nach ihrer Nationalität verteilt wurden. Die Eisenbahner waren nämlich nicht lauter Deutsche, sondern es befanden sich unter ihnen auch Böhmen, Polen, welsche Schweizer, zumeist aber schwarzhaarige Italiener mit braunen Gesichtern und blitzenden Augen, welche, wenn sie ihre heimatlichen Lieder 86 singend truppweise durch die Dorfgassen zogen, der Physiognomie des Orts ein ganz eigentümliches Gepräge verliehen.
Für die Bauern gab es also so viel zu tun und so viel Neues zu sehen und zu besprechen, daß die Aufnahme der Kreszenz unter Stephans Mägde von ihnen weder so sehr beachtet, noch so nach allen Seiten hin durchgehechelt wurde, wie dies unter anderen Verhältnissen sicher der Fall gewesen wäre.
Ganz anders lag die Sache im Wiesenbauernhof. Als Lene erfuhr, daß die von ihr vertriebene Magd jetzt bei Stephans Mutter diente, gebärdete sie sich, als hätte sie den Verstand verloren. Im ersten Augenblick wollte sie die verblüffende Nachricht gar nicht glauben. Wie war es denn möglich, daß Kreszenz, die am frühen Morgen, wie Lene mit befriedigter Rachsucht sich selbst überzeugte, das Dorf in der Richtung nach Elsenfeld verlassen hatte, noch in der gleichen Stunde im Spruchbauernhof wieder auftauchen konnte? Nach Lenes Meinung wäre das doch nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Als sie aber alle Zweifel aufgeben und das Geschehnis – wenn auch widerwillig – als Tatsache hinnehmen mußte, wechselten bei ihr Ausbrüche lauter Verzweiflung mit Ergüssen von bis zur Tollheit gesteigerter Schmähsucht und Wut. 87 Bald bedauerte sie sich selbst als das unglücklichste aller Menschenkinder, bald klagte sie den Himmel an, weil er ihren Willen durchkreuzt hatte. Das ganze Haus litt unter ihrer bitterbösen Stimmung; am meisten aber mußte ihre Mutter dulden. Denn dieser allein schrieb sie die Schuld zu an dem, was vorgefallen. Hätte die alte Frau das Mädchen nicht firmen lassen, dann hätte Kreszenz nach ihres Vaters Tod die Patin nicht um ein Obdach bitten können; das hergelaufene Geschöpf wäre nicht ins Haus gekommen, und der Spruchbauer hätte es niemals erblickt. Dann hätte er der hinterlistigen Schlange, die es ihm mit ihren scheinheiligen Augen angetan, auch die Körbe nicht getragen, und die Kreatur würde sich im Spruchbauernhof nie und nimmer haben einnisten können. Also war nur Lenes Mutter schuld an der verfahrenen Affäre; das lag klipp und klar zutage.
Wenn Lene, von wilder Eifersucht hingerissen, dies der Bäuerin zehnmal in einer Stunde vorgejammert hatte, schloß sie jedesmal mit der unverbrüchlichen Drohung:
»Also Mutter, das sag' ich Dir: Wenn für die Hacken kein Stiel g'funden wird, alsdann hast Du den Tod von Deiner unglücklichen Tochter auf'm G'wissen. Denn das G'spött von meinen Kamerädinnen, die mir all' schon neidig g'wesen sind um den reichen Bauern, das vertrag' ich nicht. Lieber 88 henk' ich mich, oder ich spring' ins Wasser, oder ich geh' 'naus in den dicksten Wald und laß' mich von einem Wolf z'sammfressen.«
Und wenn die Bäuerin, gerade durch die letzte schauerliche Drohung, obwohl es schon seit fünfzig Jahren in der ganzen Gegend keine Wölfe mehr gab, am meisten geängstigt, nun selbst zu jammern begann und zur Antwort gab:
»O Du mein allerliebstes Kind! Du wirst mir doch so 'was nicht antun, – wirst Deinem alten Mutterl nicht 's Herz abdrucken wollen vor Kränkung? Schau, die ganze Gschicht' ist ja nicht wert, daß D' Dich so viel kümmerst. Der Spruchbauer hat halt wieder einmal eine von seinen narreten Schrullen los'lassen. Was liegt denn nachet dran? Einen Ernst kann er doch niemals nicht machen mit der Kreszenz; das ist rein menschenunmöglich. Und drum heiratet er doch nur Dich,« – wenn also die Bäuerin so redete, dann folgte ebenso unverbrüchlich die weinerliche Entgegnung:
»Mutter, ich weiß, was ich weiß. Den Spruchbauern hab' ich ausg'studiert. So lang der das Elsenfelder Weibets vor Augen hat, denkt er nicht einmal an mich, g'schweigs daß er mich heiraten tut. Und jetzt, wo die Hex' noch dazu in seinem Haus und einsfort um ihn ist, kocht s' ihm 'leicht einmal heimlich ein Trankl, daß der dalkete Mensch z'letzt wirklich nimmer lassen kann von ihr. 89 Daß sie 's Hexen versteht und 's Zaubern g'lernt hat, hab' ich sie schon von der ersten Stund an im Verdacht g'habt. Drum hat auch der Spruchbauer, der Dummian, so g'schwind anbissen bei ihr.«
Man darf jedoch nicht glauben, solche und ähnliche Ausbrüche von Eifersucht seien dadurch verursacht worden, daß Lene dem Stephan von Herzen zugetan war und deshalb für ihre Liebe fürchtete. Ach nein! Was sie für Eifersucht hielt, stammte aus einer viel trüberen, ja aus einer geradezu schmutzigen Quelle. Denn sie liebte den Spruchbauer durchaus nicht. Derselbe war ihr vielmehr höchst gleichgültig; sie betrachtete ihn sogar mit einer gewissen Verachtung, weil er infolge seines stillen träumerischen Wesens von den jungen lebenslustigen Dorfburschen abstach und zwar, wie sie meinte, in unvorteilhafter Weise.
Aber heiraten wollte sie den reichen Mann dennoch, weil sie dadurch die erste und angesehenste Bäuerin nicht nur in der Gemeinde, sondern in der weiten Umgebung wurde. Um diesen Preis war das hoffärtige Mädchen gerne bereit, einen ungeliebten und für dumm gehaltenen Mann mit in den Kauf zu nehmen. Den würde sie sich schon ziehen, daß er nach ihrer Pfeife tanzte, sobald sie im Spruchbauernhof nur einmal zu befehlen hatte.
Als aber Kreszenz auf der Bildfläche erschien, und Lene wahrnahm, daß Stephan sie von diesem 90 Moment an noch mehr wie früher vernachlässigte und nur Augen für die liebliche Waise hatte, da zitterte ihr eitles Herz für die stolzen Hoffnungen, die sich in Nichts aufzulösen drohten. In ihrem gekränkten Busen quoll ein heißer Haß auf gegen die unerwünschte Rivalin, welche sie ebenso um ihre Schönheit beneidete, wie um die sieghafte Macht ihrer anmutigen Erscheinung. Hatte doch das arme Kind – wie Lene ganz richtig wahrgenommen, – ohne es zu wissen und zu wollen, Eindruck auf den Spruchbauer gemacht, was ihr, dem stolzen reichen Mädchen, trotz aller Bemühungen nicht gelungen war.
Haß und Neid also, und keineswegs Eifersucht, von Liebe zu Stephan geboren, stritten sich in Lenes Busen um den Vorrang, brachten sie zur halben Verzweiflung und entlockten ihr den lauten Jammer, der ihre schwache Mutter so sehr ängstigte. – 91