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Geheimnis, Problem – fast immer auch Tragik des Schauspielers ist das Doppelleben, die Spannung zwischen dem Menschen seines Seins und dem Menschen seiner Wandlungen, das Leben zwischen Selbst und Nicht-Selbst. Es gibt große Schauspieler, die kleine Menschen sind, es gibt eindrucksvolle Darsteller der Liebe, die kalte Herzen haben. Es ist unfaßlich und scheint Teufelslist, bis zu welchem Grade ein Mensch des Spieles der Verwandlung fähig ist. Aber je größer und tiefer, je liebevoller und wahrhaftiger ein Schauspieler ist, je mehr er selbst Held oder Heiliger oder einer der großen Liebenden der Geschichte, in irgendeinem Sinne »wahrer Mensch« ist, um so mehr verurteilt ihn seine Kunst zu einer der merkwürdigsten und schmerzvollsten Daseinsformen. Es gibt große Schauspieler, denen man die Erfahrenheit in der metaphysischen Passion ihres Berufes anspürt. Man braucht nur einmal die Totenmaske von Kainz oder etwa Moissi als den Helden im »Lebenden Leichnam« gesehen zu haben.
Keines Schauspielers Kunst aber ist so sehr durch die unauslöschliche Gegenwart einer großen Seele geprägt, keines Schauspielers Sein so sehr in die Passion des Berufs getaucht wie Kunst und Sein von Eleonora Duse. Dies ist wohl der tiefste Grund, warum das Wesen ihrer Kunst in den vielen und feinsinnigen Studien über sie – von Hofmannsthal und Hermann Bahr, von ihrem italienischen Kollegen Luigi Rasi oder ihrem französischen Freunde Edouard Schneider – immer noch nicht ganz ermessen und getroffen erscheint, und warum gerade sie so vielen zudringlichen Fragern um das Geheimnis ihres Lebens ausgesetzt war. Frager, die bei ihr nichts anderes suchten als den in einem engeren Sinne verstandenen »Konflikt zwischen der Künstlerin und der Frau«. »Weißt du nicht«, hat sie einmal leidenschaftlich einer Freundin geantwortet, die diese Formel brauchte, »daß tausend Frauen in mir sind und daß jede auf ihre Weise mich leiden macht?« »Tausend Frauen« – also nicht nur sie und die Gestalten, die sie darstellte. Sondern sie, die diese Gestalten nur darum in dieser überwältigend transparenten und zugleich sie an Leben überbietenden Weise darstellen konnte, weil sie stellvertretend tausend Frauen in sich trug – ehe und ohne daß noch ein Dichter diese oder jene Bühnenfigur für sie erschuf. »In ihrer Seele sind noch größere Möglichkeiten als im Bereiche ihrer Kunst.«