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Der Abend brach düster und neblig herein und die Laternen an Bord der Alabama schienen wie mit einem nur halbdurchsichtigen Schleier umgeben. Die Wellen des Oceans gingen ruhig, von einem leichten Nordwind getrieben. Die Alabama glitt sanft wie ein Schwan im ruhigsten Weiher über den Ocean hin, und der Mann am Steuer hätte vor langer Weile einschlafen müssen, wenn seine Aufmerksamkeit nicht durch einen anderen Gegenstand als den Cours des Schiffes in Spannung erhalten wäre.
Der wachthabende Matrose im Mastkorbe, so wie der auf dem Deck patrouillirende Marinesoldat, hätten ohne Gefahr für das Schiff in ihre Kojen hinab gehen können, denn von Treibeis und Untiefen war hier nichts zu befürchten, eben so wenig das Zusammenlaufen mit einem anderen Schiffe, da schwerlich eines, welches den Sturm der vorigen Nacht durchgekämpft hatte, in diesen Gegenden sein konnte.
Der Mann am Steuer war kein Anderer, als der Bootsmann Oliver Haug; ein junger Mann mit einem ernsten, entschlossenen Gesicht und einem Zug von Unzufriedenheit in seinen Mienen. Er hatte das Steuerrad fest gebunden, denn es war unnöthig auf dasselbe Acht zu haben, da nicht zu befürchten stand, daß der Wind, wie er jetzt wehte, schralen möchte.
Oliver hatte den Kopf auf die Steuerpinne gestützt, und sein Blick war in düsterer, gedankenvoller Erwartung auf das Vordertheil des Schiffes gerichtet.
Er mochte wohl eine Viertelstunde vergebens gewartet haben, als sich von dort her Schritte vernehmen ließen, welche grade auf ihn zukamen.
Als sich die Person so weit genähert hatte, daß sie ganz nahe bei ihm war, erkannte er, beim Schritte der Laterne, über dem Kompaßgehäuse den zweiten Lieutenant der Alabama, Mr. Brocklyn. Er richtete sich auf und sagte leise:
»Ich erwartete Sie bereits seit einiger Zeit, Sir. Es ist nahe an 11 Uhr.«
»Ich weiß, Mr. Haug; allein, ich habe erst die nöthige Rücksprache mit unserem Freunde, dem Lootsen nehmen müssen. Er ist jetzt kräftig genug, um die gefahrvolle Reise antreten zu können.«
»Und der Oberbootsmann des Macdonald?«
»Der alte Jonas? – Der ist auch unterrichtet. Nun aber, lieber Freund, wie steht's; ist es Ihnen gelungen, die Barkasse mit dem Nothwendigsten zu versehen?«
Der Bootsmann nickte bejahend und fügte hinzu:
»Ich habe Speisevorräthe und Wasser für mehr als 8 Tage hineingethan, auch einen Kompaß und einen Sextant, sowie die übrigen Geräthschaften werden Sie darin finden. – Ich habe die Rollen und Charniere geschmiert, so daß die Barkasse geräuschlos hinabgelassen werden kann. Ich hoffe, daß Sie Alles so finden, wie Sie es wünschen.«
»Und Sie, Mr. Hang, Sie wollen die Reise nicht mit machen? Sie sind entschlossen, hier zu bleiben?«
Der Angeredete holte tief Athem, ehe er antwortete:
»Es ist meine Pflicht, daß ich bleibe, Sir. Obwohl ich mit schwerem Herzen diese Pflicht erfülle, so muß ich es doch thun. Die Hülfe, welche ich Ihnen leistete, habe ich aus keinem anderen Grunde geleistet, als um den Jüngling zu retten, welcher, die Republik von einem gefährlichen Feinde zu befreien, sein Leben auf's Spiel setzte.«
»So vermag also die Bewunderung der That des Jünglings mehr über Sie, als Ihr Eifer für die Parthei des Südens? Es nimmt mich dies, bei Ihrem sonst so entschiedenen Charakter, Wunder.«
»Mein Eifer für die Parthei des Südens!« wiederholte Haug spöttisch. »Mr. Brocklyn, ich bin ein Deutscher, und daß ich zur demokratischen Parthei gehöre, ist lediglich Zufall oder Mißverständniß. Als ich aus Deutschland hinüberkam, hatten sich in den vereinigten Staaten eben die Partheien gebildet, die Republikaner auf der einen, die Demokraten auf der anderen Seite. Ich hatte in Deutschland zur demokratischen Parthei gehört, und schlug mich auch in Amerika zu derselben, ich wußte nicht, daß hier die demokratische Parthei mit der Junkerparthei gleichbedeutend ist. Ich diente der Demokratie, ließ mich zur See anwerben, und als ich mir endlich über die politischen Verhältnisse klar wurde, um welche ich mich bisher so wenig gekümmert hatte, befand ich mich an Bord der Alabama, und – eine Umkehr war unmöglich.«
»Das sehe ich nicht ein, Mr. Haug. Ihre Pflicht ist es, nach Ihrem Gewissen zu handeln, Ihr Gewissen aber verbietet Ihnen, an Bord eines Schiffes zu dienen, welches um nichts besser als ein Freibeuter ist. – Sehen Sie mich an. Ich bin mit Leib und Seele der Parthei des Südens ergeben, aber ich verschmähe es dennoch, auf demselben Dienste zu nehmen, weil Alles, was ich von dem Schiffe gesehen und gehört habe, mein moralisches Gefühl empört. Was kann also Sie hindern?«
»Die Pflicht der Dankbarkeit, Sir! – Semmes hat mich bevorzugt; er vertraut mir. Erst heute hat er für den Beistand, den ich Ihnen leistete, als Sie von der Rotte bedroht waren, mich reichlich beschenkt. Da ich aber weiß, daß das Geschenk nur geraubtes Gut ist, so habe ich es an die Matrosen der Wache vertheilt, welche es drinnen in der Kajüte in Punsch vertrinken.«
»Ach, Sie meinen also, Semmes sei wirklich über Ihren Beistand erfreut?« widersprach Brocklyn. »Ich sage Ihnen, Semmes hätte nichts lieber gesehen, als wenn die Matrosen Powel sowohl wie mich über Bord geworfen hätten, und er wird es Ihnen bitter gedenken, daß Sie sich bemühten, es zu verhindern. Ich weiß, daß es so ist. Obwohl er Sie beschenkt hat, haßt er Sie in seinem Herzen für die That.«
»Das ist nicht möglich, Sir!« rief Oliver. »Ha, wenn Sie Recht hätten, ich würde mich keinen Augenblick mehr besinnen, den Mann zu verlassen, welcher mich durch seine Falschheit auch der Pflicht der Dankbarkeit entbindet. – Gehen Sie, Mr. Brocklyn, treffen Sie Ihre Vorbereitungen, die Ablösung der Mitternachtswache ist nahe, und gleich nach der Ablösung muß es geschehen. – Gehen Sie, vielleicht habe ich mich bis dahin anders entschlossen.«
Brocklyn stieg die Kajütentreppe hinab in die vordere Kajüte. Leise klopfte er an die Thür.
Ein flüsterndes »Herein!« forderte ihn auf, einzutreten.
Mr. Crofton und seine Tochter waren noch nicht zu Bette; wie hätte auch die Sorge, welche ihre Herzen beklemmte, sie ruhen lassen? Beide saßen, athemlos dem Berichte des Oberbootsmanns lauschend, welcher, auf einem Feldsessel vor ihnen sitzend, in flüsterndem Tone ihnen eben die Mittheilung machte, daß Eugene Powel diese Nacht durch Capitain Brocklyn befreit werden sollte. Er selbst werde, da die Beiden doch außer Stande seien, die schwere Barkasse allein zu regieren, die gewagte Fahrt mitmachen.
»Sie wollen sich in der Nußschale dem heimtückischen Element anvertrauen?« rief Lavinia; »dem Element, welchem nicht einmal unser stolzer Macdonald zu trotzen vermochte?«
»Was hilft's?« antwortete Jonas. »Es ist keine andere Rettung für Ihren Jugendfreund, Miß Crofton. Gelingt seine Rettung nicht, so wird er morgen gehängt.«
»Aber Brocklyn – Brocklyn, welches Interesse hat er, dies kühne Wagniß zu unternehmen. Kennt er Powel, ist er sein Freund?«
»Ich glaube nicht, daß er ihn kennt, Miß, ich glaube, ihn treibt am Meisten wohl nur das Interesse für – für Mr. Crofton und – für Sie, Miß; das heißt ich glaube das, aber ich kann mich täuschen, vielleicht ist es auch etwas Anderes.«
Er machte ohne Zweifel diesen Zusatz, weil er Miß Lavinia's Wangen erröthen sah, und fürchtete, er habe irgend etwas gesagt, was sie beleidige.
So weit war gerade die Unterredung gediehen, als Brocklyn geräuschlos eintrat.
Crofton sprang auf von seinem Sitze und eilte dem jungen Manne entgegen. – Stumm drückte er ihm die Hand, von seinem Gefühl überwältigt, fand er keine Worte.
»Ich komme im Auftrage Ihres Freundes, des unglücklichen Mr. Powel,« sagte Brocklyn. »Er hat sich von seiner Ermattung und Schwäche völlig erholt, und sendet Ihnen seinen Gruß.«
Erst jetzt bemerkte er den Oberbootsmann und warf einen fragenden Blick auf denselben. Jonas schien ihn zu verstehen, denn er antwortete darauf, als ob die Frage in Worten ausgedrückt wäre:
»Ich habe Alles gesagt, Sir. Sie hatten mir es zwar verboten, allein ich konnte den Fragen und Bitten Mr. Crofton's und dieser jungen Dame nicht widerstehen. Aber fürchten Sie Nichts, sie werden uns nicht verrathen.«
Brocklyn hatte ein Wort des Vorwurfs auf der Zunge, noch ehe er es aber aussprechen konnte, fühlte er Lavinia's Hand in der seinigen.
Er fuhr zusammen, in seinem schönen Gesicht zuckte es schmerzvoll, und mit einem unendlich hoffnungslosen Blicke seiner ausdrucksvollen braunen Augen begegnete er den ihrigen.
»Ich muß Ihnen danken,« lispelte sie, und ihre Stimme zitterte. »Sie haben mich zu Ihrer Schuldnerin gemacht vom ersten Augenblick, da ich Sie sah. Ich fühle, daß Sie unser rettender Engel waren, bis zu diesem Augenblicke, aber ich finde nicht Worte ...«
»O, halten Sie inne, Miß Crofton!« unterbrach sie Brocklyn. – »Sie wissen nicht, daß Ihre Worte mir wie Dolchstiche in's Herz dringen. – Ich verdiene Ihren Dank nicht. – Würden Sie mich kennen, Sie würden mir fluchen, mich hassen und verabscheuen –«
»Nimmer, nimmer!« rief sie mit Thränen in den Augen. »Welches auch immer Ihr Geheimniß sein mag, ich werde Ihrer stets als des edelsten Mannes gedenken.«
Brocklyn wollte antworten, aber er konnte es nicht, auch seine Stimme ward unsicher. Erst nach einer Pause flüsterte er:
»Mein Geheimniß wird Ihnen, wenn nicht die Nemesis mich auf dieser Fahrt ereilt, eines Tages offenbar werden. Gebe Gott, daß ich dann die Schuld so weit gesühnt habe, um mindestens Ihr Mitleid zu verdienen. – Leben Sie wohl, Lavinia – leben Sie wohl!«
Seine Lippen berührten mit heißem Kusse die Hand, welche in der seinigen zitterte.
Als er mit Jonas hinaus war, sank Lavinia schluchzend auf das Sopha.
»Fasse Dich, liebes Kind,« tröstete sie ihr Vater. »Die Fahrt, welche unser Freund Powel unternimmt, ist zwar eine gefahrvolle, doch kann sie auch glücklich enden.«
»Aber auch unglücklich, Vater!«
»Nun, so stirbt er wenigstens nicht des scheußlichen Todes, welcher ihm hier droht.«
»Und er – er stirbt mit ihm!« – –
Diese Nacht kam kein Schlummer in ihre Augen, und noch manche Nacht sollte sie im tiefen Kummer ihres Herzens durchwachen! – –
Als Brocklyn und Jonas auf das Deck kamen, sahen sie den Bootsmann Oliver Haug von der Capitains-Kajüte her auf sie zu kommen.
»Ich bin jetzt entschlossen, mit ihnen zu gehen,« sagte er mit tiefer Stimme.
Brocklyn errieth, was ihn zu diesem Entschluß bewogen hatte.
»Sie waren in der Capitains-Kajüte?« fragte er.
»Ich war drinnen, um Rapport abzustatten.«
»Lieutenant Kell war bei ihm?«
Der Bootsmann nickte.
»Und Sie hörten etwas von ihrer Unterredung?«
»Ich hörte, daß sie von Ihnen und von mir sprachen, gerade als ich eintrat.«
»Nun ...?«
»Ich hörte, daß Sie Recht hatten;« antwortete Hang lakonisch, und fügte dann ablenkend hinzu: »Es ist jetzt Zeit, an's Werk zu gehen. Die Stunde, die Mitternachtswache abzulösen, ist da. Bringen Sie jetzt die Gefangenen hinaus und besteigen Sie Drei die Barkasse, während ich den Posten am andern Ende des Decks beschäftige, und legen Sie sich dann platt auf den Boden des Bootes.«
Diesem Rathe wurde schnell Folge geleistet, nach wenigen Minuten befanden sich Eugene Powel, Brocklyn und der Oberbootsmann Jonas in der Barkasse, welche bereits durch die Sorge Haug's mit allem Nöthigen versehen war. Als dies geschehen, gab der Bootsmann das Signal zur Ablösung der Wache.
Den Posten auf dem Deck hatte der Irländer, welcher durch den starken Punsch, den er auf Rechnung des Bootsmanns genossen, jetzt fast eben so stark taumelte, als heute Nachmittag in Folge des Schlages von Brocklyn's Hand. Unmäßig, wie die Irländer der niederen Klasse in allen ihren Genüssen sind, hatte ihm indessen die Quantität Punsch nicht genügt, welche er im Wachraum genossen, vielmehr hatte er sich noch eine Flasche Rum mitgenommen, welche ihm bei der nebligen Luft ein dringendes Bedürfniß schien. Schwankend ging er auf seinen Posten, während der Abgelöste sich beeilte, in den Wachraum hinabzukommen, ehe seine Kameraden auch den letzten Rest des Punsches vertilgt hätten.
Das Gebräu mußte in der That sehr schwer gewesen sein, denn es hatte selbst auf den Toppgasten – die in der Regel sehr nüchterne Leute sind – so gewirkt, daß er nur mit großer Unsicherheit und sehr langsam die Strickleiter hinanzuklimmen vermochte, um seinen Kameraden dort oben im Mastkorb abzulösen.
Der Bootsmann sah diesen Zustand der beiden Posten mit großer Befriedigung, und redete kein Wort darüber, als er bemerkte, daß der Irländer, der an einer Lafette lehnte, einen Zug um den andern aus seiner Flasche that, bis er sich nicht anders mehr aufrecht zu halten vermochte, als dadurch, daß er sich mit der einen Hand an der Lafette fest hielt.
Da ging Haug auf ihn zu und faßte ihn am Arm.
Der Irländer wäre vor Schreck fast nüchtern geworden.
»So betrunken kommst Du auf den Posten?« sagte er mit unterdrückter Stimme.
»Der Ire glotzte ihn erst eine Zeit lang an, dann sagte er lallend:
»Oh, Herr Bootsmann – da sind Sie schuld – Sie haben – spendirt –«
»Schon gut,« unterbrach ihn Haug. »Sorge nur, daß Dich der Capitain, falls er noch revidiren sollte, nicht in diesem Zustande trifft. – Da, komm hierher, daß Dir der Wind das Gesicht kühlt, lege Dich einige Minuten auf diese Matte, ich bleibe hier am Steuer und werde Dich wecken, wenn Jemand kommt.«
Der Bootsmann hatte richtig vorausgesehen, daß der frische Luftzug und das bequeme Lager die erwünschte Wirkung haben würden. Nach einigen Minuten verkündete ihm ein lautes Schnarchen, daß von dieser Seite keine Entdeckung zu fürchten sei. Es war nur noch die Mastkorbwache unschädlich zu machen.
Der Bootsmann stieg die Strickleiter hinan bis zu der Höhe, welche jeden andern als einen Toppgasten schwindeln machen würde.
Was er erwartet hatte, war auch hier der Fall. Der Posten stand nicht auf dem Mastkorb, – was sonst strenger Befehl war – sondern saß auf der Raa und hielt sich am Tauwerk fest. Er war so wenig seiner Sinne mächtig, daß er den Bootsmann nicht eher bemerkte, als bis dieser neben ihm auf der Strickleiter erschien.
»Der Posten ist hier etwas gefährlich für Deinen Zustand,« redete dieser den Erschrockenen plötzlich an. »Ein Trunkenbold wie Du, muß davor bewahrt werden, daß er hinabfällt.«
Die Disciplin auf einem Kriegsschiffe, und namentlich einem Schiffe wie die Alabama, ist so strenge, daß das kleinste Vergehen mit den härtesten Strafen bedroht ist. Der Toppgast war daher vor Schreck wie gelähmt und ließ es ruhig geschehen, daß Haug ihm die Hände auf den Rücken zusammen band und an der Raa festknüpfte. Er mochte dies für eine Strafe halten, die ihm für seine Trunkenheit zudictirt war. Erst als er völlig widerstandslos gemacht war, kam ihm die Sprache, und er öffnete den Mund um sich zu vertheidigen, allein in demselben Augenblick ward ihm der Mund mit seinem eigenen Halstuch fest verbunden.
Jetzt stieg Oliver herunter und trat zu seinen Gefährten in die Barkasse.
»Wir sind sicher. Losgelassen!« sagte er das Tau an einem Ende des Bootes ergreifend.
Die Barkasse war dasjenige Boot, dessen man sich stets zu bedienen pflegte, um Gegenstände aus einem erbeuteten Schiffe an Bord zu bringen, es war daher so angebracht, daß es leicht ins Wasser gelassen werden konnte, denn es hing zur Seite des Schiffes an zwei Rollen welche an jedem Ende des Bootes angebracht waren. Indem nun die Taue, die es hielten, losgemacht wurden, und Jonas an einem, Oliver am andern Ende dieselben hielten, glitt es langsam und geräuschlos auf die Oberfläche des Oceans herab.
Jetzt schwamm das Boot. Die Taue wurden schnell gekappt und das kleine Fahrzeug von dem Coloß abgestoßen. Es war nicht anders, als hätte sich eine Fliege vom Rücken eines Elephanten entfernt.
Pfeilschnell schoß die Alabama weiter und ließ das Boot in einigen Minuten weit hinter sich zurück und es gab kein Auge, welches den winzigen Punkt, welcher vier Menschen einschloß, auf der weiten düstern Fläche des Oceans hätte sehen können.
»Wir sind geborgen!« rief Brocklyn aufathmend. »Für den Augenblick geborgen. Vor dem Verlauf von zwei Stunden, wo die Wache abgelös't wird, haben wir keine Entdeckung zu fürchten, und dann liegen wahrscheinlich bereits mehr als zehn Meilen zwischen uns und der Alabama.«
Es wurden nun zunächst die Masten eingesetzt und die Segel aufgehißt; und das kleine Fahrzeug begann über den Ocean hinzugleiten.
Nach jeder Seite hin dehnte sich die grenzenlose Wasserwüste aus. Für diese vier Menschen war das kleine gebrechliche Fahrzeug nun die Welt. Allein sie waren froh; ihre Brust hob sich frei und leicht, es war ihnen Allen nicht als gingen sie endlosen Gefahren entgegen, sondern als hätten sie solche eben überstanden.
»Nach meiner letzten Messung,« nahm Brocklyn das Wort, »befinden wir uns auf der Höhe von Jersey und haben nicht mehr als 200 Meilen 200 Seemeilen sind etwa 40 deutschen Meilen. bis zum Lande.«
»Mit diesem wohlgeordneten Schiffchen,« sagte Eugene, »ist es uns also, wenn der Wind nur einigermaßen beständig bleibt, möglich in 2 Tagen das Land zu erreichen.«
»Geben wir uns nur nicht zu sanguinischen Hoffnungen hin, setzte der Bootsmann hinzu. »Die Jahreszeit ist gegen uns; die Winde um diese Jahreszeit sind nie beständig.«
»Jedenfalls wollen wir das unsere thun,« sagte Brocklyn, in bester Laune. »Benutzen wir den Wind, so lange er uns gut bläs't, nach besten Kräften.«
Hierauf breitete er die Eversegel aus und nahm seine Stelle am Steuer ein, ihm war es am wenigsten fremd, daß die Dienste eines erfahrenen Seemanns in sehr kurzer Zeit dringend erforderlich sein würden.
Der Erfolg rechtfertigte die Erwartungen der Seeleute. – Nicht lange, so fing die leichte Leinwand des Bootes an hin und her zu flattern, und die Segel begannen den Druck eines frischern von der klammen Nachtluft durchdrungenen Windes zu fühlen.
Es wurde verabredet, daß je Zwei und Zwei von Ihnen sich ablös'ten und wechselseitig ausruhten. In Rücksicht auf die immer noch nicht ganz hergestellten Kräfte Powels traf Brocklyn die Anordnung, daß dieser und der alte Jonas zuerst ruhten, während er und Haug den Dienst verrichteten. Unter dem kleinen Obdach von Theertüchern, welches Olivers Vorsicht bereitet hatte, fanden sie ein den Umständen nach hinlänglich bequemes Lager.
Die Nacht ging allmählig vorüber, ohne daß sich die Aussichten Derjenigen, deren Schicksal so sehr von dem unzuverlässigen Einfluß des Wetters abhing, wesentlich verändert hätte. Der Wind hatte sich verstärkt, und nach Brocklyn's Berechnung hatte das Boot schon viele Seemeilen quer durch den Ocean zurückgelegt, und zwar gerades Weges auf die Küste von Jersey zu.
Des jungen Seefahrers Gedanken beschäftigten sich mit den Erinnerungen an die letzten ereignißschweren Tage seines Lebens, deren Mittelpunkt Lavinia's holde Erscheinung bildete.
Es war ihm ein süßer Trost und ließ ihn die Gefahren, welche über seinem Haupte schwebten, mit leichterem Herzen ansehen, daß er sich dieser Gefahren ihretwegen unterzogen habe; er rettete ihr einen theuren Freund und sühnte zugleich eine Schuld, welche sein Vater begangen hatte.
So sehr ihn indessen auch diese Gedanken beschäftigten, so vergaß er doch nicht die unablässige Pflicht, welche seine Lage ihm auferlegte. Ein flüchtiger Blick auf die Wellen, ein anderer seitwärts auf seinen Compaß, dann wieder von Zeit zu Zeit ein langes Forschen an dem weiten Horizont, dies waren die gewöhnlichen Richtungen, welche seine geübten Augen nahmen. –
Als die Sonne bereits hoch im Mittage stand, erhob sich Eugene zu neuem Leben gestärkt von seinem Lager, der alte Jonas hatte indessen, den Dienst eines Koches versehend, die mitgenommenen Lebensmittel ausgepackt und Jedem seine Ration zugetheilt.
Als Powel mit herzlichem Händedruck und warmen Worten des Dankes Brocklyn's Frage nach seinem Befinden beantwortete, und sich dann an dessen Platz setzte, nahmen instinktmäßig auch seine Augen dieselbe Richtung, auf den Kompaß, die Wellen und den Horizont, aber gleich beim ersten Blick drückte seine Miene einige Unruhe aus.
Brocklyn nickte ihm beistimmend zu.
Auch den beiden anderen erfahrenen Seeleuten waren die gefahrdrohenden Vorboten nicht entgangen.
»Der Wind wird verdammt trocken,« sagte Jonas mit einem bedenklichen Gesicht.
»Ich habe schon längst die Wolken da gesehen,« fügte Oliver hinzu, auf die langen grotesken Streifen am Himmel deutend. »Es wäre für uns besser, wenn die Sonne nicht so klar auf das Wasser schiene, wie sie es jetzt thut, und sich mit einem Nebelhofe umgäbe, obwohl das die Vorboten eines Sturmes sind.«
»Es ist kein Zweifel,« bestätigte Eugene, »daß ein Sturm uns nicht so gefährlich wäre, wie jene Wolken dort, die sicheren Anzeichen, daß der Wind bald vom Lande her wehen wird, aber wir wollen darum nicht den Muth verlieren. Allerdings haben wir dann keine Hoffnung das Land zu erreichen, aber es kann uns ein Schiff finden, wir können es eine Woche auf der See aushalten und zur Noth auch noch länger.«
»Vorausgesetzt, daß der Landwind nicht stärker ist als unsere Barkasse ihn ertragen kann,« fügte Jonas hinzu.
Brocklyn und Oliver begaben sich jetzt, der Verabredung gemäß, zur Ruhe, und Eugene und Jonas übernahmen den Dienst.
Die gefürchtete Veränderung des Windes trat bereits mit Sonnenuntergang ein. Der Seewind hörte plötzlich ganz auf, und noch ehe sein letzter Hauch erstarb, kamen schon die Gegenwinde vom Lande her in heftigen und immer stärkeren Stößen. Es war jetzt keine Zeit zu verlieren; mit des alten Oberbootsmanns Hilfe reefte Eugene schnell die viereckigen Segeltücher ein und warf dann, ohne sich weiter zu besinnen, alle diejenigen Geräthschaften, welche nicht unumgänglich nothwendig waren, über Bord.
»Er versuchte jetzt zu laviren, aber der Wind war so heftig, daß er sich vergebens bemühte, den südwestlichen Cours zu halten, unerbittlich trieb die Barkasse zurück, weit, weit vom Lande ab.
Der Wind schwoll im Laufe der nächsten Nacht zu immer größerer Heftigkeit an, und der schlafende Ocean zögerte nicht, aufzuwachen. Die Barkasse begann sich auf den schwarzen rauschenden Wogen zu heben und dann wieder herabzustürzen in eine hohle See, um nach einer augenblicklichen Ruhe wieder in die Höhe zu steigen, wo ihrer die immer zunehmende Gewalt der Windstöße wartete.
Der Wind und die Gefahr wuchsen mit jeder Stunde, und der nächste Morgen fand sie hundert Meilen weiter vom Lande entfernt, als sie 24 Stunden früher gewesen waren. – Die folgende Nacht gewann der Wind dermaßen an Stärke, daß sie Alles bis auf die Lebensmittel und den Compaß über Bord werfen mußten. An Schlaf war nicht mehr zu denken; alle Kräfte mußten aufgeboten werden, um das kleine Fahrzeug von dem Wasser zu befreien, mit welchem jede überstürzende Welle es füllte. Der Kampf zwischen den Elementen ward immer heftiger, je weiter die Nacht vorrückte. Wie einen Spielball warfen die hochaufgethürmten schäumenden Wogen das kleine Fahrzeug in die Höhe und ließen es dann wieder tief in einer Wellenschlucht verschwinden, bis es wieder mit Wasser gefüllt emporgeschleudert wurde.
Rastlos und mit Ausdauer und Unermüdlichkeit kämpften die Unglücklichen gegen die Wuth der Elemente, unablässig schöpften sie das Wasser hinaus und suchten ihr Boot flott zu erhalten. – Was nützte es ihnen, daß sie eine Nothflagge aufgehißt hatten, konnte in der rabenschwarzen Nacht sie Jemand sehen?« –
Sie hatten die Hoffnung auf Rettung bereits aufgegeben und nur noch mechanisch thaten sie, was in ihren Kräften stand.
Die aufgehende Sonne nach der dritten Nacht, welche sie im Angesicht der Todesgefahr vollbrachten, fand sie dem Tode näher denn je. Sie arbeiteten und arbeiten, sie hatten keine Zeit mehr sich umzuschauen nach einem rettenden Schiffe, denn eine verlorene Secunde konnte ihr Tod sein; und doch war auch der letzte Rest ihrer Kräfte bereits dem Erlöschen nahe.
Da plötzlich dröhnte der dumpfe Knall einer Kanone, der sich mühsam gegen den Wind fortarbeite, an ihr Ohr.
Sie schauten auf, als ob eine Stimme vom Himmel ihnen zugerufen hätte: Ihr seid gerettet!
Ihr Auge folgte der Richtung, von welcher der Knall kam, während sie wie aus einem Munde riefen:
»Ein Schiff!«
Aber eine neidische Woge verbarg ihnen in diesem Augenblick den Gegenstand, doch als das Boot wieder aufstieg, und Spurenlinien sichtbar wurden, welche sich gegen den Horizont abzeichneten, da verschwand schnell der Sonnenschein der Hoffnung von ihren Gesichtern, und die dumpfe Muthlosigkeit prägte sich stärker als vorher darauf aus.
In dem Schiff mit den schlanken Masten, das so leicht vor dem Winde hinschoß, hatten die geübten Augen der Seeleute sofort die Sea-bright, das Begleitschiff der Alabama, erkannt.
»Herunter mit der Nothflagge!« rief Brocklyn. »Vielleicht daß sie uns bei diesen Wellen wieder aus dem Gesicht verlieren.«
Allein sie konnten der neuen Gefahr nicht mehr entrinnen, ein zweiter Kanonenschuß verkündete, daß das Schiff ihnen zu Hilfe komme.
Das Schiff war so nahe, daß sie sehen konnten, wie seine Spieren vom Winde abfielen, und nach noch einigen Minuten, wie das Vordertheil des Schiffes eine veränderte Richtung gerade auf sie zu erhielt.
Sie sahen das Alles, aber nicht, wie man, am Rande des Todes stehend, den Retter, sondern den Henker nahen sieht.
Sollte sie nicht eine erbarmende Woge dem Schicksal entreißen, das nach solcher Rettung ihrer harrte? – das war der Wunsch, der sich in ihren Herzen regte; – und er sollte Erfüllung finden!
Sie hatten durch die Beobachtung des Schiffes einige Minuten ihre mühevolle Arbeit eingestellt. Die Barkasse war, halb mit Wasser gefüllt, so tief gesunken, daß die Wellen mit Leichtigkeit über den niedrigen Bord stürzten. Was half es, daß sie Alle arbeiteten mit dem letzten Rest ihrer Kräfte? Was half es, daß sie Alles, was das Boot außer ihrer Person enthielt, über Bord warfen? – Sie konnten ihr Schicksal nicht mehr abwenden; – noch einmal hob eine hoch aufschäumende Woge das Boot empor, dann schoß es tief hinab in eine Wellenschlucht, um nicht mehr aufzutauchen. – –
Auf der nächsten Woge aber sah man vier Männer schwimmend mit dem furchtbaren Element um ihr Leben ringen. – Wird das Boot, das die Sea-bright aussetzte, sie noch erreichen, ehe sie von den Wogen oder den Haifischen verschlungen sind? –
Das Boot zog drei leblose Körper aus dem Wasser, den vierten hatte bereits der Ocean in seiner Tiefe begraben; Oliver Haug sah das Licht der Sonne nicht wieder! – –
Das Erste, was die Geretteten hörten, als sie auf dem Deck der Sea-bright durch die Bemühung des Schiffsarztes zum Bewußtsein erwachten, war der Ruf des Fockmastmatrosen:
»Segel, ahoi!«
Man hatte sie auf Matratzen gelegt und sie durch wollene Decken erwärmt, mehrere Personen standen um sie her. Der Eine von ihnen, ein junger Mann mit intelligentem und kühnem Gesicht schien eben eine Frage an Brocklyn richten zu wollen, als der Ruf des Matrosen ihn veranlaßte, seine Aufmerksamkeit auf das annoucirte Segel zu richten.
Er beobachtete dasselbe eine Weile durch das Fernrohr, dann wandte er sich zu einem alten Seemanne in Steuermannsuniform mit den Worten:
»Es ist die Alabama.«
»Signalisirt sie, Capitain Sinclair?« fragte der Steuermann.
Der junge Officier richtete wieder sein Fernrohr auf das Schiff; nach einer Weile sagte er:
»Sie signalisirt;« und im Kommandoton fügte er hinzu: »beigedreht!« –
»Wahrscheinlich sollen wir die Gefangenen vom Macdonald aufnehmen, um sie an's Land zu setzen,« meinte der Steuermann.
»Wir sind verloren!« flüsterte Brocklyn seinen Gefährten zu. »O, lägen wir tief am Grunde des Meeres!« –