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Der Karren hielt endlich vor einer der Gruben an. Dieselben, sechs oder acht an der Zahl, mochten etwa 20 Fuß im Quadrat halten und lagen in der Entfernung von einer Meile vom Gefängniß an dem Saume des weiten Blachfeldes, welches hier begrenzt war durch einen herrlichen Eichenwald, dessen dunkles Laub Frederic in der Ferne wie ein dichtes Gewölk am Rande des Horizontes erblickte. Die Nacht war nur von Sternen erhellt und deshalb ziemlich finster, doch vermochte Frederic bei dem matten Lichte zu unterscheiden, daß die Grube, in welche er hinabgeworfen werden sollte, nahe an zwanzig Fuß tief war. Sie schien erst kürzlich aufgeworfen zu sein, denn der Boden war mit Leichen noch nicht völlig bedeckt.
Seine Absicht, sich hineinwerfen zu lassen und später zu entfliehen, ließ sich also auch nicht ausführen, denn wie sollte er die zwanzig Fuß hohen glatten Wände der Grube erklimmen? – Er hätte dort unten elendiglich umkommen müssen, und dieser Tod wäre schlimmer gewesen, als alles Andere.
Neben der Grube stand ein Aufseher mit der Peitsche, um die Arbeit der Neger zu überwachen.
Bob machte sich an die Arbeit. Die Leichen wurden ohne Umstände von oben herab geworfen. Frederic öffnete die Augen. Er sah, wie Bob den Ersten aus der obersten Reihe herabwarf, dann den Zweiten ergriff, er selbst war der Vierte. Ein Grauen überkam ihn, vielleicht noch eine Minute, und sein Schicksal mußte entschieden sein.
Bob erfaßt den Dritten, zog ihn herunter und mit Gepolter fiel der Leichnam in die Grube. Jetzt streckte sich seine Hand nach Frederic aus. Da richtete sich dieser schnell auf und blickte ihn mit seinen großen Augen starr an.
Das hohle abgezehrte Gesicht, die Todtenblässe, das in der Angst unnatürlich vergrößerte Auge, das alles gab ihm ein gespensterhaftes Aussehen, daß Bob entsetzt bei dem Anblick zurücktaumelte, und einige Sekunden regungslos stehen blieb und auf die Erscheinung hinstarrte. ·
»Nun? was hat das zu bedeuten,« fragte der Aufseher, der neben dem Wagen stand. »Warum fährst Du nicht fort, abzuladen?«
Aber noch ehe er von dem bestürzten Neger eine Antwort erhielt, fühlte er sich von hinten ergriffen und mit einer Gewalt, der er in diesem Augenblicke nicht zu widerstehen – vermochte, an den Rand der Grube gedrängt. Als er sich nach dem Angreifer umwandte, blickte er in das bleiche Antlitz Frederic Sewards.
Dieser war nämlich, als er des Negers Furcht bemerkte, schnell vom Wagen herabgesprungen und hatte sich auf den Aufseher geworfen.
Die Todesangst gab ihm übernatürliche Kräfte. Wie in einem Schraubstock hielt er ihn umfaßt und unmittelbar am Rande der Tiefe.
»Herr,« flüsterte er, »ich habe eine goldene Uhr, ich will sie Ihnen geben, wenn Sie mir versprechen, mich nicht zu verfolgen.«
»Bob!« schrie der Aufseher, statt zu antworten. »Mach mich los. Wo steckst Du, Tölpel?«
Bob aber brauchte zu lange Zeit, sich von seinem Schrecken zu erholen, denn noch ehe er einen Schritt that, dem Aufseher zu Hilfe zu kommen, lag dieser schon am Boden der Grube, und Frederic Seward rannte dem Walde zu.
»Hilfe, Hilfe!« rief der Aufseher. – »Eine Leiter und Stricke! – ich ersticke in dieser Pestluft!«
»Soll ich nicht lieber erst dem Entlaufenen nacheilen?« sagte Bob, der nicht übel Lust zu haben schien, den Aufseher in der Grube stecken zu lassen.
»Nein, nein, hilf mir hinaus, rufe die Andern. Geschwind, oder ich bin des Todes!«
Bob legte beide Hände an den Mund und begann aus Leibeskräften den andern Negern zuzurufen, daß sie hierherkommen sollten.
Es dauerte ziemlich lange, ehe dem Aufseher Hilfe wurde, denn Keiner von den Negern beeilte sich sehr dabei, und wohl Mancher von ihnen mochte wünschen, daß seine Rettung überhaupt nicht gelingen möchte.
Frederic hatte auf diese Weise einen guten Vorsprung gewonnen und war, durch die Finsterniß der Nacht begünstigt, längst aus den Augen des Aufsehers, als dieser aus der Tiefe heraufgebracht war.
Schon glaubte sich der Flüchtling sicher und hemmte seinen Lauf, denn er fühlte, daß seine Kräfte, die er bis zum Uebermaß angestrengt hatte, ihn zu verlassen drohten. Plötzlich erschreckte ihn ein Geräusch.
Er sah nichts, aber er hörte, daß sich ganz in seiner Nähe etwas bewegte.
Noch unschlüssig, nach welcher Richtung er entfliehen sollte, stand er still. Da plötzlich tauchte unter dem Gebüsch der Kopf eines Menschen hervor. Es war – so viel ihm die Dunkelheit des Waldes zu sehen gestattete – die sehr schlanke Figur eines Mannes, der einen runden Hut mit einer Feder und um die Schultern einen Mantel trug.
»Hierher, Sir,« flüsterte er. »Folgen Sie mir.«
»Wer sind Sie, Sir, lassen Sie mich los. – Wollen Sie großmüthig sein, einen Unglücklichen nicht dem Elend zurückzuführen, dem er kaum entronnen ist, so soll diese edle That nicht unbelohnt bleiben.«
»Still, Sir,« antwortete der Mann halblaut. »Ich bin ein Flüchtling wie Sie und bin hier, um Ihnen zur Flucht zu helfen. – Folgen Sie mir.«
»Wohin?« fragte Seward noch immer zweifelnd.
»Weiter hinein in den Wald. Sie kennen die Wege nicht so gut wie ich, und ohne mich werden Sie ergriffen werden, sobald es Tag ist. Zögern Sie nicht, Sir.«
Erstaunt über die räthselhafte Erscheinung eines Mannes, der ihm zur Flucht seine Hilfe anbot, zugleich aber angezogen durch dessen offenes gewinnendes Wesen, folgte ihm Frederic fast willenlos. Er führte ihn fast eine Meile in den Wald hinein, in einer kleinen Lichtung machte er Halt.
Es war Zeit, daß Frederic Seward Gelegenheit fand, ein wenig auszuruhen. Er hatte zu dieser Flucht den letzten Rest seiner Kräfte aufgeboten, und nur die Angst und die Aufregung hatten ihm die Kraft gegeben, seinem Führer bis hierher zu folgen. Als derselbe in dieser Lichtung stehen blieb, sank Frederic erschöpft auf den Rasen nieder, nicht fähig, auch nur ein Glied zu rühren. Mühsam athmete er, und wie er dalag, die Hände schlaff auf der Brust gekreuzt, den Kopf hintenüber im Grase ruhend, glich er mehr einem Sterbenden, als einem Manne, der es unternommen hatte, sich den Strapazen einer so gefährlichen und mühsamen Flucht auszusetzen.
Sein Führer entfernte sich, kam aber schon nach wenigen Minuten mit einem Korbe in der Hand zurück.
»Ich dachte mir's wohl, daß Sie der Stärkung bedürfen würden, und habe deshalb einige Erfrischungen bereit gehalten auch ein Schluck Wein ist da. – Trinken Sir, Sir, das wird Ihre Lebensgeister beleben.«
Frederic machte eine Anstrengung den Kopf in die Höhe zu richten, allein er sank kraftlos in's Gras zurück.
Der Mann im Mantel schob sanft seine Hand unter das Haupt des Erschöpften und richtete ihn auf, während er ihm mit der andern Hand die Flasche an die Lippen hielt. –
Der junge Mann schlürfte den Wein mit gierigen Zügen, und die Wirkung des erquickenden Trankes blieb auch nicht lange aus. Er öffnete seine Augen und betrachtete den Freund in der Noth mit dankbarem Blick. Das Gesicht desselben war ihm jetzt so nahe, daß er es selbst bei dem matten Licht der Sterne deutlich zu sehen vermochte.
Es war ein edel geformtes Gesicht, in welchem zwei dunkle Augen glühten. Die Züge trugen das Gepräge von melancholischem Ernst; ja sie schienen fast traurig zu sein, und die Augen, die sonst im Feuer der Leidenschaft funkeln mochten, sahen ihn in diesem Augenblick voller Mitleid und Theilnahme an. Die schön gewölbte Stirn umrahmte eine Fülle schwarzer Locken, die unter dem runden Hute hervorquollen. Seine Figur war muskulös und sein Körperbau schlank und elastisch. Die Farbe seiner Haut war zart und rein, schien aber ein wenig gelblich, das Zeichen, daß einer seiner Stammeltern schwarzem Blute entsprossen sein mußte.
Frederic Seward sah das Alles genau, denn er betrachtete den Mann mit großer Aufmerksamkeit, und suchte dabei seine Erinnerung zu sammeln, ob er ihn vielleicht schon früher gesehen habe. Einen Augenblick glaubte er in der That, daß ihm diese Züge, dieser Ausdruck des Gesichts nicht fremd seien, aber im nächsten Augenblick mußte er sich doch gestehen, daß er diesen Mann nie zuvor gesehen habe.
Der Wein hatte ihn soweit gestärkt, daß er ohne die Hilfe seines Führers aufrecht sitzen und von den Speisen· essen konnte. Er that das mit solcher Gier, daß der Andere Besorgniß hegte.
»Sie sind ausgehungert, Sir,« sagte er. »Wenn Sie daher Ihrem Körper nicht schaden wollen, so würde ich Ihnen rathen, nicht mit einem Male so viel zu essen, daß Sie satt werden. Trinken Sie lieber noch einmal, in einigen Stunden werden Sie dann wieder ein wenig essen können.«
So unwiderstehlich auch sein Verlangen sein mochte, sich an den so lange entbehrten Speisen zu laben, so sah Frederic doch ein, daß der junge Mann recht habe; er schob deshalb den Korb bei Seite und nahm nur noch einen Schluck Wein und fühlte, daß sich seine Lebenskräfte schnell erneuten. Wenn er auch nicht die ganze frühere Spannkraft seines Körpers wiedererlangt hatte, so erholte er sich doch schnell so weit, daß er seinem Führer erklärte, er sei jetzt bereit aufzustehen und weiter zu gehen.
»Nein, nein,« erwiderte dieser, »ruhen Sie immerhin noch einige Minuten, wir haben noch einen weiten Weg bis nach dem Walde von Sandersford und dürfen unterwegs nur kurze Zeit rasten. Ihre Rettung hängt also gar sehr von dem Wiedergewinnen Ihrer Kräfte ab. – Sie frieren Sir; der Abend ist kühl und Ihre Bekleidung wie die aller Ihrer Leidensgenossen eine sehr mangelhafte. Ich habe daran gedacht und Ihnen einen Rock und einen Mantel mitgebracht. Ist's Ihnen gefällig, die Kleider anzulegen?«
Der Mann wurde dem Flüchtling immer räthselhafter. Mit Erstaunen blickte er ihn an.
»Sie haben mich also, wie es scheint, erwartet?« fragte er. »Sie haben für Speise und Kleidung gesorgt; Sie versprechen, meiner Flucht auch ferner behülflich zu sein. – Sagen Sie mir, Sir, was hat mir diese Ihre edle Theilnahme verschafft? Wer sind Sie, großmüthiger Freund? Nennen Sie mir Ihren Namen, damit ich Ihnen einst danken kann, wenn es mir gelingen sollte, dem Tode zu entrinnen. – Schreiben Sie es den Leiden zu, die ich durchgemacht habe, wenn mein Gedächtniß so geschwächt ist, daß ich Sie nicht wiedererkenne. Vielleicht sehe ich in Ihnen einen lieben Freund aus glücklicheren Tagen, auf dessen Züge sich aber mein erschlaffter Geist nicht zu besinnen vermag.«
Der Fremde schüttelte den Kopf.
»Nein, Sir, Ihr Gedächtniß trägt die Schuld nicht. Sie kennen mich sicher nicht.«
»Aber Sie kennen mich?«
»Ich sah Sie nie.« "
»So hörten Sie meinen Namen?«
»Nein, ich kenne auch Ihren Namen nicht.«
»Sie setzen mich immer mehr in Erstaunen, Sir. – So sagen Sie mir, was bewog Sie, sich meiner mit solcher Güte anzunehmen und sich selbst dabei großen Gefahren auszusetzen?«
»Theils die Pflicht der Dankbarkeit, theils die Liebe zu meiner Schwester.«
»Sie sprechen in Räthseln, Sir. Wer ist Ihre Schwester, wer sind Sie selber?«
»Mein Name ist Edward Brown, Sir. Sie haben mir das Leben gerettet und meiner Schwester auch.«
Frederic Seward strengte sein Gedächtniß vergeblich an, sich auf das Factum zu besinnen.
»Das Leben gerettet?« widerholte er. »Bei welcher Gelegenheit sollte das geschehen sein?«
»Erinnern Sie sich nicht, daß Sie auf Veranlassung meiner Schwester, Esther Brown, meinen Namen auf ein Blatt Papier schrieben?«
Esther's Name wirkte wie ein Lichtstrahl auf die Dunkelheit seiner Seele. Schnell tauchten alle Erinnerungen in ihm auf. Esther war es also wieder, die ihm die Hilfe sandte. –
Die Verständigung mit dem jungen Quadroonen war schnell geschehen, und Frederic lebte für einen Augenblick in dem beseligenden Gefühle, die Liebe des herrlichsten Mädchens zu besitzen und der frohen Hoffnung, sie bald, bald in seine Arme zu schließen. Die gegenwärtige Gefahr und Alles was ihm auf seiner Flucht bevorstand, hatte er völlig vergessen. All sein Denken und Fühlen war nur bei ihr. Doch der süße Traum des nahen Glücks sollte bald gestört werden.
»Wo ist Esther?« diese Frage lag sehr nahe und doch scheute er sich, sie zu thun. War es ihr geglückt, zu entkommen? – Es schien so, denn er hatte sie ja seitdem gesehen, sie hatte ihn in der Verkleidung einer Händlerin aufgesucht im Gefängnisse und hatte ihm schon damals durch jenes Papier, das sie in seine Hand zu bringen wußte, gesagt, daß für seine Befreiung gearbeitet werden solle. – Aber war sie nicht seitdem wieder eingefangen? Sollte er sie noch einmal in White-House aufsuchen?« –
Mit banger Erwartung sah er Edward's Antwort entgegen.
Dieser machte ein sehr trauriges Gesicht bei der Frage. Seine Stirn furchte sich sorgenvoll als er antwortete:
»Wo sie ist? Ich weiß es nicht. Durch ein großes Opfer einer mir theuern Person wurde ihre Freilassung erkauft, aber als ihr Freibrief von Breckenridge anlangte, war sie bereits verschwunden, völlig verschwunden und Niemand weiß, wo sie ist. Keiner der Neger, die mir von allen Theilen des Landes Kunde bringen, weiß etwas von ihr. – Ob es ihr gelungen ist, die Staaten der Union zu erreichen, ob ihr irgend ein Unheil zugestoßen ist? – ich weiß es nicht.«
Frederic ließ niedergeschlagen sein Haupt sinken; sein Schmerz fand keine Worte. Traurig sinnend saß er da und hätte noch lange so da gesessen, hätte nicht Edward daran erinnert, daß es jetzt Zeit sei, aufzubrechen.
»Haben Sie irgend einen Zufluchtsort, wo Sie einige Zeit sicher zu sein glauben?« fragte er.
Frederic meinte, daß er in Richmond Freunde habe, die ihn gern bei sich verbergen würden.
»Nach Richmond können Sie jetzt nicht gehen. Alle Wege sind von Lee's Truppen besetzt,« erwiderte der junge Quadroone. »Da wird Ihnen also weiter nichts übrig bleiben, als so lange bei mir und unter meinem Schutze zu verweilen, bis sich eine Gelegenheit findet das Lager der Unionisten zu erreichen. – Fühlen Sie sich jetzt kräftig genug, aufzubrechen?«
»Vollkommen!« versicherte Frederic und bestätigte diese Versicherung dadurch, daß er aufsprang und einige Schritte vorwärts that.
»Nicht zu Fuß, Sir!« rief Edward. »Ich habe dort Pferde für uns.«
Er deutete auf einen an dem Grasplatze stehenden Baum, an welchem Frederic zu seinem Erstaunen zwei Pferde, gesattelt und gezäumt, angebunden sah. –
Sie ritten die engsten und verborgensten Wege des Waldes in scharfem Trabe vorwärts, während länger als zwei Stunden sprach Keiner von ihnen ein Wort. Der Wald schien immer dichter und immer wilder zu werden, und Frederic hatte Noth, seinem Führer durch den mühevollen Weg zwischen den uralten Stämmen riesiger Cedernbäume hindurch zu folgen.
Die Pferde waren mit« Schaum bedeckt und Frederic's nothdürftig wiedergewonnene Kräfte begannen bereits wieder nachzulassen, da endlich hielt sein Führer an.
»Wir sind am Ziele,« sagte er und deutete mit der Hand auf einen Schein von hellen Feuern, der durch das dichte Unterholz drang. »Erstaunen Sie nicht über das, was Sie hier sehen werden. Es sind große Dinge im Werke; ich hoffe, daß ich Ihre Verschwiegenheit verbürgen kann.«
Ohne eine Antwort abzuwarten gab er seinem Pferde die Sporen. Frederic folgte seinem Beispiele. Die Aeste des Strauchwerks rauschten während sie hindurchstrichen und nach wenigen Sekunden befanden sie sich mitten auf einem geräumigen, grasbedeckten Platze.
Der Anblick, der sich dem jungen Offizier darbot, war in der That derart, wie er ihn noch nie gehabt, doch zügelte er, dem Rathe seines Freundes folgend, einen Ausruf des Erstaunens.
In der Mitte des Platzes brannten mehrere helle Feuer die gegen die Dunkelheit der Nacht und die Umgebung des schwarzen Laubes der Eichen in grotesker Weise abstachen. Eine lebhafte Phantasie mochte sich daraus leicht eine Hexenküche des Faust oder eine Wolfsschlucht des Freischütz oder sonst irgend eine von unheimlichen und schrecklichen Gestalten bevölkerte Scene bilden, eine Vorstellung, mit welcher die schwarzen Gestalten mit den weißen Zähnen, den weißen Augäpfeln und den purpurrothen Lippen, die im Schein des Feuers magisch beleuchtet waren, durchaus im Einklang standen.
Der Totaleindruck dieser nächtlichen Scenerie verlor seine Schrecken und sein Grauen allerdings dadurch, daß sich bald herausstellte, daß die schwarzen Gestalten, welche rauchend und trinkend oder tanzend und singend sich um die Feuer gruppirt hatten, nicht der Unterwelt angehörten, sondern einfach Neger waren, welche hier eine nächtliche Zusammenkunft hielten.
Ein donnernder Jubelruf empfing Edward Brown, als er durch das Gebüsch in den Kreis ritt.
Edward erwiderte diese Begrüßung mit Herzlichkeit, ohne indessen den Ernst und die Würde seines Benehmens außer Acht zu setzen.
Ein Neger sprang· hinzu und nahm ihm sein Pferd ab, befreite dasselbe von seinem Zaum und ließ es auf dem Platze grasen.
»Hilf dem Herrn da vom Pferde,« sagte er zu einem andern Neger und deutete auf Frederic, der zweifelhaft schien, wie er sich zu verhalten habe.
Erst jetzt bemerkten die Andern, daß Edward nicht allein kam.
»Wen bringst Du denn da mit Dir?" fragte ein riesiger Neger von wildem Aussehen und finster rollenden Augen in murrendem Ton. – »Was soll ein Weißer hier unter uns? Du weißt, wir hassen die Weißen, und sie hassen uns. Oder willst Du, daß wir verrathen sind, noch ehe wir Einem von unsern Feinden ein Haar gekrümmt haben?«
»Still, Rogue,« befahl Edward streng, »der Mann, den ich mit herbringe, ist ein so guter Freund von uns und unsrer Sache wie Du. Der Gentlemen, den Ihr hier seht, ist mein Freund, er ist keiner von unsern Peinigern, sondern ein Offizier der Unionsarmee und schon das ist Grund genug, ihn bei uns willkommen zu heißen. Er ist aus dem Pestgefängniß von Millen entflohen, und darum ist es unsere Pflicht ihn zu schützen.«
»Ah, er ist vom Norden!« brummte Rogue, »das ist etwas Anders, und ist sein Glück.«
»Er kommt von Millen!« widerholte eine hübsche, vollbusige Negerin in mitleidigem Ton und trat zu ihm heran.
»Wie bleich er aussieht!« seufzte eine alte Frau.
»Und wie mager er ist!« fügte die Vollbusige hinzu.
»Wollen Sie essen, Sir?« fragte eine Mulattin. »Hier ist eine Hammelrippe und ein wenig Fisch, den ich für Mr. Edward mitbrachte. Essen Sie; Sie sehen so verhungert aus.«
»Nehmen Sie einen Schluck Rum, Massah,« schlug ein Neger vor und reichte ihm seine Flasche. »Sie scheinen zu frieren.«
»Er friert?« rief ein Neger, der jenseit am Feuer lag, sich plötzlich erhebend; »dann hat er das gelbe Fieber!«
»Dummkopf!« versetzte ein Anderer; »es mag bei Euch in Leesburg so sein, daß, wenn Einer friert, er das gelbe Fieber hat, aber hier nicht. – Nehmen Sie einen Schluck Rum, Herr, dann wird Ihnen warm sein.« –
Wenn auch alle diese Zeichen der Aufmerksamkeit in ziemlich derber und ungeschickter Weise gegeben wurden, und keineswegs in der geläufigen Sprache, deren wir uns hier bedient haben, sondern vielmehr in dem gebrochenen Englisch, wie es Neger gewöhnlich sprechen, ausgedrückt wurden, so waren sie doch aufrichtig und rührend und für Frederic um so wohlthuender, als er seit langer Zeit kein Wort des Mitgefühls oder der Theilnahme gehört hatte. Er dankte mit Herzlichkeit und Wärme und ließ es sich gefallen, als er sich auf Edwards Aufforderung auf dem Rasen gelagert hatte, daß ihn die Alte und die Vollbusige mit Speisen und Trank versorgten und ihm aufwarteten, als wäre er ein kleines Kind.
Die lärmende Unterhaltung der·Neger war bereits in dem Moment verstummt, als sie des jungen Quadroonen ansichtig wurden, sie hatten sich allmählig in einem dichten Kreise um den jungen Mann versammelt. Frederic Seward und die Negerinnen, die sich seiner Pflege gewidmet hatten, befanden sich außerhalb desselben.
»Was zunächst diesen Herrn betrifft,« nahm Edward das Wort, »so verlange ich, daß Ihr ihn verpflegt und beschützt wie mich selbst, so lange er unter uns ist. Wollt Ihr das?«
Alle gaben einstimmig ihre Bereitwilligkeit zu erkennen.
»Gut«, fuhr der Quadroone fort, »so können wir zu unsern Geschäften übergehen. Zunächst laßt hören, wie unsere Angelegenheit in den einzeln Districten steht.«
Ein Dutzend Stimmen suchten sich einander zu überschreien, wovon die Folge war, daß man Keinen verstehen konnte.
»Stille bis ich Euch zum Reden auffordere!« rief Edward in befehlendem Tone.
Frederic konnte nicht umhin zu bewundern, wie das ernste würdevolle Benehmen des jungen Mannes und die edle Haltung, in welcher er dieser eigenthümlichen Versammlung gegenüberstand, diese wilden Gemüther zu zügeln vermochte. Diese Menschen, die sich weder vor der Peitsche noch vor der Folter fürchteten, die sich weder durch Ketten noch durch harte Arbeit bändigen ließen, sie gehorchten dem Jüngling, der ein Sklave war, wie sie selber, wie einem höheren Wesen, zu dem sie mit Verehrung und Bewunderung emporblickten.
»Sind Nachrichten aus Sandersford da?« fragte Edward.
»Hier!« rief ein Schwarzer vortretend.
»Nun, wie steht es, Joë; seid Ihr einig, mit uns gemeinschaftlich zu handeln?«
»Wir in Sandersford möchten wohl,« antwortete Joë; »aber die Nigger der Nachbarsfarmen fürchten sich, da sich viel Militair in der Nähe befindet. Mr. Sanders hat von einem beabsichtigten Aufstande keine Mang; er denkt, wenn er uns gehörig unter der Peitsche hält, so denkst wir nicht daran, uns zu empören.«
»Er scheint sich darin nicht zu täuschen,« entgegnete Edward stirnrunzelnd. »Ich höre schon, Ihr fürchtet das Militair so gut wie die aus der Nachbarschaft. Ihr seid feige Memmen und werdet das Nachsehen haben, wenn wir im Triumph als freie Männer ausziehen. – Ist einer von White-House da?«
Niemand antwortete.
»Die Nigger von White-House haben auch keinen Muth. – Seit der brave Pet nicht mehr dort ist, wagt sich Niemand mehr hinaus zu unserm Meeting. – Wie steht es in Kentucky?«
Der breitschultrige Rogue trat vor und rief mit dämonischer Freude in seinem wilden Gesicht:
»Wir sind Alle einig und warten nur auf das Zeichen von Dir, um Mr. Cleary und Alles was ihm gleicht zum Teufel zu schicken.«
»Der Tag der Rache ist nahe,« antwortete Edward feierlich. »Das Zeichen, auf das Ihr wartet, werde ich geben, sobald unsere Macht stark genug ist, den Henkern die Spitze zu bieten. – Weiß Jemand, wie es meinem Kinde geht?«
»Meine Frau Janita nährt es,« antwortete Rogue. »Es geht dem Kinde wohl, und Cleary interessirt sich sehr für sein Gedeihen. Es wird nicht in den Negerhütten aufgezogen, sondern bei ihm im Schloß. Vielleicht,« fügte er sarkastisch hinzu, »erzieht er den Buben so sorgfältig, um einmal ein gutes Stück Geld dafür zu lösen.«
Edward antwortete nicht auf die Bemerkung; wenigstens hörte es Niemand, als er vor sich hinsagte:
»Ich werde ihm die Menschlichkeit lohnen, die er meinem Kinde erwiesen.« – Dann fuhr er laut fort: »Ist sonst noch etwas Neues zu berichten?«
»Ich habe eine Beobachtung gemacht, die mir merkwürdig scheint,« antwortete der Neger,« der vorhin bei Frederic Seward auf das gelbe Fieber diagnosticirt hatte. »Sie wissen, Mr. Edward, daß ich im Lazareth zu Leesburg Gehülfe des Mr. Blackburn bin? » Es sind jetzt gerade 8 Tage her. Da kamen zwei fremde Herren zu uns und besahen das Lazareth. Dr. Blackburn schickte aus dem einen Zelt alle Wärter hinaus, mich auch. Ich aber sah durch ein Loch im Zelt, wie er Einem Gestorbenen einen Schnitt in die Schulter machte und die herausfließende Flüssigkeit mit der Jacke Silas Brewers abwischte. Als der Kerl darauf die Jacke anzog, so währte es keine halbe Stunde, da hatte er das gelbe Fieber.«
Ein Murrmeln des Unwillens lief durch die Menge.
»Das ist noch nicht Alles,« fuhr der Lazarethwärter fort. Am andern Tage kamen schöne Kleider an, Damenkleider und Kinderkleider. Ich entsinne mich genau, wie die Frauenkleider aussahen; es war ein schwarzseidener Paletot mit Schnüren vorn und auf den Schultern, die immer kreuzweis geschlungen waren; ein roth und blau karirtes Halsband und ein schwarz und weiß gewürfeltes seidenes Kleid. Mit diesen Kleidern machte es der Doktor ebenso. Er schnitt in das Fleisch eines Todten und wischte mit den schönen neuen Kleidern die Flüssigkeit auf. Was mir aber noch unbegreiflicher ist, diese beiden fremden Herren haben diese Kleider mit sich genommen, als sie abreisten.«
»Das ist in der That räthselhaft!« versetzte Edward nachdenklich. – »Wie? sollte man beabsichtigen ... doch nein, das wäre zu teuflisch.« –
Die Verhandlungen der Versammlung wurden in diesem Augenblick plötzlich unterbrochen dadurch, daß ein Negerknabe, der in athemloser Eile aus dem Walde hervorkam, mit gellender Stimme den Versammelten zurief:
»Rettet Euch, flieht! – Ihr seid entdeckt!«
»Was zum Teufel, Du hier, Noddy?« rief Rogue verwundert. »Wie kommst Du hierher? Woher weißt Du unsern Versteck?«
»Flieht, oder Ihr seid verloren!« wiederholte der Knabe mit sichtlicher Angst in seinen Zügen.