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Um die verschiedenen Ereignisse dieser Geschichte, vergleichbar den Strahlen, die schließlich auf einen Punkt convergiren, oder den Quellen des Gebirges, die sich zu einem Flusse vereinigen, gleichmäßig weiter zu führen, ist es nothwendig, daß wir die Scene bald hierhin bald dorthin verlegen. Aus demselben Grunde sind wir auch genöthigt, New-York hier zu verlassen und den Leser zu ersuchen, uns wieder nach dem Süden zu begleiten.
Wir führen ihn noch einmal nach Leesburg, der vom gelben Fieber heimgesuchten und durch einen Militair-Cordon abgesperrten Stadt Virginiens, in welcher der Dr. Blackburn seinen Wohnsitz hatte, und in deren Nähe sich das Lazareth für Gelbefieberkranke der Armee befand.
Wir suchen dieselbe Straße aus, welche damals Booth und Atzerott fuhren, um zu der Wohnung des Arztes zu gelangen, und treten in dasselbe Haus, vor welchem damals Mr. Atzerott das Fuhrwerk angehalten hatte, aufmerksam gemacht durch die Erscheinung eines jungen Mädchens vor einem der Fenster im zweiten Stocke.
Atzerott hatte sich damals nicht getäuscht, das schöne Mädchen, welches er am Fenster sah, war in der That Esther, die nach ihrer Flucht aus dem Hotel der Miß Brown hier in Leesburg, und zwar in dem Hause einer früheren Leidensgefährtin, einer freigelassenen Mulattin mit Namen Sarah, eine Zuflucht gefunden hatte. Sarah war mit einem freigelassenen Mulatten, Jack Hopkins, verheirathet, der das Gewerbe eines Schneiders betrieb.
Esther hatte noch keine Ahnung von dem Opfer, welches Emmy ihr gebracht, sie wußte noch nichts von ihrer Freilassung und von der Bedingung, unter welcher dieselbe erfolgt war, sie hielt sich deshalb noch immer verborgen und lebte in der beständigen Furcht, entdeckt zu werden. Sarah tröstete sie zwar mit der Versicherung, daß sie hier in Leesburg so sicher sei, wie nur irgend wo, denn erstlich würde sie hier Niemand suchen, und zweitens würde von ihren Verfolgern Niemand in diese Gegend zu kommen wagen. Sie hatte sich eine Zeit lang dabei beruhigt, seit sie aber vom Fenster aus die beiden Männer erkannt hatte, war ihre Angst vor Entdeckung mit erneuter Heftigkeit zurückgekehrt. – War sie erkannt worden, so konnte sie nicht zweifeln, daß sie auch verrathen sei, denn sie kannte die Habgier Atzerott's und wußte, daß er sein Geheimniß für eine Belohnung sicher an Breckenridge verrathen würde.
Der Gedanke, von diesem Orte weiter zu fliehen, hatte sich um so mehr ihr aufgedrängt, als die Vermögensverhältnisse Jack Hopkin's äußerst dürftige waren. Seit die Seuche in Leesburg hauste, ruhte die Arbeit gänzlich, und die Armuth nahm täglich zu. Dieser letzte Grund war aber seit einigen Tagen nicht mehr vorhanden, denn Mr. Hopkins bekam so viel Arbeit, daß er nicht so viel Arbeiter finden konnte, als er bedurfte. Die Stoffe zu den feinsten Anzügen wurden fuhrenweise vor sein Haus gefahren, um zu Anzügen verarbeitet zu werden, außerdem aber erhielt er ganze Sendungen von fertigen Kleidern, die in den Werkstätten der ersten Schneider in Richmond oder Charlestown gefertigt waren, und sie übertrafen an Eleganz und Geschmack Alles, was Hopkins in der Art je gesehen hatte.
Da waren Fracks und Beinkleider von den feinsten niederländischen Tuchen. Westen von Cashimir und Sammet. Uniformröcke mit echten Gold- und Silberstickereien; aber – was Mr. Hopkins sich nicht erklären konnte – es waren nicht Uniformen der conföderirten Armee, sondern der Unionisten; dann Schlafröcke von echtem Sammet, Shawls und Mantillen und anderer Damenputz – kurz eine Auswahl von Kleidern, wie sie nur in den elegantesten Läden der luxuriösesten Stadt zu finden sind. Die fertigen Kleider hatte Mr. Hopkins nur aufzubügeln und sauber zu verpacken.
Wer aber war der Besteller aller dieser Schätze? – Das war für Mr. Hopkins auch ein Räthsel. – Die Stoffe, die er selber zu verarbeiten hatte, wurden von Mr. Blackburn geschickt, die fertigen Kleider kamen aus dem Lazareth, und die Rechnungen wurden mit Wechseln von Mr. Sanders bezahlt.
Esther machte sich dadurch nützlich, daß sie ihrem Wirthe half, entweder beim Verpacken oder beim Nähen namentlich an Damen-Garderobe-Artikeln.
Sie saß auch heute in ihrem einfachen, aber sauberen Stübchen und nähte an einer Mantille. Die anstrengende Arbeit und das schlechte Licht hatten ihre Augen geröthet, denn seit man sie am Fenster gesehen hatte, vermied sie es, sich mit ihrer Arbeit nahe an dasselbe zu setzen. So sehr auch die Arbeit ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, so konnte man doch an dem wechselnden Ausdruck ihres Gesichts wahrnehmen, daß ihre Gedanken sich mit etwas anderem als der Näharbeit beschäftigten. Vielleicht dachte sie einen Plan zur Flucht auf, vielleicht grübelte sie nach, für was wohl alle diese Kleider bestimmt waren, und wie es zuging, daß die fertigen Kleider gerade aus dem Lazareth kamen, und weshalb die von Hopkins gefertigten Kleider erst nach dem Lazareth gebracht wurden und dann erst zurückkamen, um verpackt zu werden.
Da störte sie ein Klopfen in ihren Gedanken.
Erschrocken fuhr sie empor, und hielt erbleichend die Arbeit in den zitternden Händen, aber sie antwortete nicht, noch ging sie, die Thür, die inwendig verschlossen war, zu öffnen.
Da wiederholte sich das Klopfen und eine Stimme wurde zugleich hörbar, welche halb unterdrückt durch das Schlüsselloch rief:
»Machen Sie auf, Miß Esther, ich bin's – Scipio.«
Der Ausdruck des Schreckens schwand schnell von dem Antlitz des schönen Mädchens, um dem der freudigen Ueberraschung Platz zu machen. Schnell öffnete sie die Thür.
Der Eintretende war derselbe Neger, dessen unsere Geschichte schon zweimal Erwähnung gethan, das erste Mal im Gelbefieber-Lazareth, das andere Mal im Walde beim nächtlichen Negermeeting, wo er sich das Versehen hatte zu Schulden kommen lassen, Frederic Seward's Frost als ein Symptom des gelben Fiebers zu erklären, und wo er über seine Abenteuer im Lazareth Bericht erstattete.
Scipio grüßte die Ouadroone mit großer Ehrerbietung und wollte etwas zu seiner Entschuldigung sagen, daß er sie überrascht habe. Esther ließ ihn aber nicht zu Worte kommen, sondern unterbrach ihn mit der Frage:
»Du hast meinen Bruder gesehen, Scipio?«
»Gesehen und gesprochen,« war die Antwort.
»So erzähle geschwinde, wann und wo sahst Du ihn?«
»Vorgestern Nacht. Ich hatte gestern einen freien Tag und darum Zeit mich zur Versammlung zu begeben, welche Ihr Bruder anberaumt hatte.«
»Sagtest Du, daß ich hier sei, Scipio?«
»Ich kam leider nicht dazu, Miß. – Mr. Edward kam erst sehr spät und als ich daran war, mit ihm zu sprechen, da setzte uns der kleine Noddy plötzlich in Alarm mit der Nachricht, daß wir entdeckt waren.«
»War dem so?«
»Allerdings. Es war eine Anzahl Reiter von der Besatzung des Gefängnisses bei Millen. Die Feuer, welche wir angezündet, hatten uns verrathen.«
»Nun, und seid Ihr Alle glücklich entkommen?«
»Versteht sich von selbst,« versetzte Scipio spöttisch grinsend.
»Die Nigger sind für die Weißen zu schlau – die Feuer wurden schnell ausgelöscht und die Nigger schlüpften in die Gebüsche und verschwanden in der Dunkelheit. Mr. Edward und sein Begleiter schwangen sich auf ihre Pferde und jagten durch die dichtesten und dunkelsten Waldwege davon.
»Edward und sein Begleiter, sagst Du? – Wer war sein Begleiter?«
»Ein junger Gentleman, den wir nicht kennen. Aber Mr. Edward sagte, daß wir ihn schützen sollten und verpflegen wie ihn selbst.« '
»Ha, wenn meine Hoffnung mich nicht täuschte!« flüsterte Esther. – »Wie sah er aus?« fragte sie hastig den Neger.
»Sehr blaß und sehr leidend, Miß; halb verhungert, dabei fror er, als hätte er einen Anfall vom gelben Fieber.«
»Hatte er schöne, sanfte blaue Augen?«
Scipio lächelte.
»Bedenken Sie, Miß, daß es dunkle Nacht war, und daß man Mühe hatte, zu erkennen, daß er überhaupt Augen hatte; welche Farbe sie hatten, das habe ich also nicht sehen können.«
»Trug er einen Schnurrbart?«
»Ja, er hatte einen kleinen dunkeln Schnurbart.«
»Und braunes Haar?«
»Und braunes Haar, Miß.«
»So ist er es; ich täusche mich nicht – Gott sei gelobt, daß er gerettet ist. Höre, Scipio,« fügte sie, aus dem Sinnen, in welchem Sie sich auf einige Minuten verlor, plötzlich auffahrend hinzu. »Ich muß fort von hier, muß zu meinem Bruder. Hilf mir, bester Scipio, Du weißt, daß ich Dich belohnen kann, und wenn ich es nicht kann, so wird es Miß Brown thun.«
Der Neger machte eine abwehrende Bewegung und rieb sich dann mit der flachen Hand die Stirn.
»Was die Belohnung betrifft, so weiß ich, daß Sie Geld haben können, so viel Sie wollen, sobald nur Miß Brown Ihren Aufenthalt kennt; ich will aber kein Geld von Ihnen, wenn ich Ihnen hinaushelfen kann, so thue ich es ohne eine Belohnung zu erwarten, jedoch ich fürchte ...«
»Was fürchtest Du?«
»Es wird nicht gehen. – Sehen Sie, als Sie hinein kamen, war die Controle noch nicht so streng; außerdem haben sie auch vielmehr auf die Hinausgehenden ein Auge als auf die Hineingehenden.«
»Es muß gehen, Scipio. Besinne Dich.«
Scipio rieb sich noch immer bald die runde Stirn bald seinen schwarzen Wollkopf, aber es ließ sich lange kein gescheiter Einfall dadurch hervorlockten. Endlich dämmerte doch ein Gedanke in ihm auf, was er durch lebhaftes Rollen der Augen und allerlei Grimassen, die unter andern Umständen lächerlich gewesen sein würden, kundgab.
»Nicht wahr, Scipio, es geht?« rief Esther. »Ich sehe es Deinem Gesichte an, daß Du ein Mittel gefunden hast.«
»Meiner Seel, Miß, ich glaube, ich habe ein Mittel gefunden.«
»Nun? heraus damit, Du siehst, wie ich vor Verlangen brenne, Deinen Plan kennen zu lernen.«
»Wir erwarten dieser Tage wieder eine Sendung Tuch und Kleider. Die Wagen haben ganz geräumige, dicht verschlossene Kasten hinten, wie die Packetbehälter bei Postwagen. Es sind Nigger von Mr. Sanders, welche die Wagen führen, ich werde es einzurichten suchen, daß einer der Kasten unverschlossen bleibt. Sie halten sich draußen in der Nähe der Lustgarten auf. Ich werde mit einem der Nigger sprechen, daß er an der Stelle, die ich Ihnen noch näher bezeichnen muß, still hält, Sie steigen dann hinten hinauf und fahren ungenirt an den Wachen vorbei. Die Wagen nehmen die Richtung nach Sandersford, und der Nigger, der Sie fährt, wird Ihnen sagen, welchen Weg durch den Wald von Sandersford Sie einzuschlagen haben, um Ihren Bruder zu treffen.«
»Bravo, Scipio, das ist eine gute Idee. Wann kommen die Wagen mit den Kleidern?«
»In diesen Tagen, Miß. – Ich sage Ihnen dann noch genauen Bescheid.«
»Ich danke, Scipio. – Ah, bleib noch einen Moment,« fügte sie hinzu, als Scipio die Thür wieder aufschloß und bereits die Klinke wieder in der Hand hatte. »Ich wollte Dich noch etwas fragen.«
»Was, Miß Esther? – Fragen Sie, aber bedenken Sie, daß bald die Besuchsstunde des Dr. Blackburn ist, und da muß ich im Lazareth sein.«
»Ich will Dich nicht lange aufhalten, Scipio. Ich wollte Dich nur fragen, ob Du mir vielleicht sagen kannst, was es mit den schönen Kleidern für ein Bewandniß hat, die wir aus dem Lazareth bekommen. Weshalb werden die immer erst nach dem Lazareth gebracht und ebenso die von Hopkins angefertigt werden. Was geschieht dort im Lazareth mit den Kleidern, und welche Bestimmung haben dieselben? Dein Scharfsinn ist sicherlich doch diesem räthselhaften Verfahren bereits auf die Spur gekommen?«
Scipio ließ die Thürklinke, die er bereits gefaßt hatte, wieder los und näherte sich, den Finger an den Lippen, mit wichtiger Miene der jungen Dame.
»Ja, Miß, das habe ich herausgekriegt. Schade, daß ich es nicht schon gestern wußte, ich hätte es dann Mr. Edward gesagt. Aber während meiner Abwesenheit sind erst die Fuhren gekommen.«
»Nun, und was hat es für eine Bewandniß?«
»Das will ich Ihnen sagen, Miß,« fuhr er in geheimnißvollem Ton fort. »Die Kleider werden in's Zelt No. 11 gebracht, wissen Sie, wo die Todten so lange hingelegt werden bis sie aufgeladen werden.«
»Nun ja, aber welchen Zweck kann das haben?«
»Warten Sie, Sie werden es gleich begreifen – da geht Mr. Blackburn hinein, von Niemandem begleitet, es darf ihn auch Niemand stören. Aber ich habe ihn doch belauscht. Was meinen Sie wohl, was er in dem Zelt No. 11 oft stundenlang allein macht?
»Ich habe keine Ahnung.«
»Nun, er nimmt eine Lanzette, schneidet damit einem Todten eine Wunde und wischt mit den schönen neuen Kleidern die Flüssigkeit, die aus der Wunde fließt, auf. – Ahnen Sie es nun?«
»Himmel, die Kleider werden vergiftet! – – Nein, nein, das wäre zu scheußlich, Scipio, Du täuschest Dich.«
»Ich täusche mich nicht, Miß. – Ich will Ihnen auch sagen, was mit den Kleidern geschehen wird. Man wird sie nach dem Norden schicken, um dort das gelbe Fieber zu verbreiten. Ich habe gehört, daß vor 8 Tagen ein Herr, der schon mal hier war, zu Mr. Blackburn sagte: er hätte mit den Frauenkleidern, die vergiftet wären, einen Versuch zu Elmira angestellt und der wäre geglückt.«
»Unglaublich, Scipio, wer war dieses Scheusal?«
Esther stieß, als sie diese Worte kaum gesprochen, einen Schrei aus, denn ohne anzuklopfen, war zu ihrer größten Bestürzung ein Mann zu der von Scipio offen gelassenen Thür hinein getreten, den sie nur zu wohl kannte. Der Neger wandte sich schnell nach dem Gegenstande von Esthers Ueberraschung um und blickte in Atzerott's höhnisches Gesicht, was ihn indessen nicht im Mindesten frappirte, denn ganz gelassen beantwortete er die letzte Frage des jungen Mädchens mit den Worten:
»Dieser hier war es.«
»Hinaus, schwarzer Teufel,« sagte Atzerott mit einem Seitenblick, der Verachtung und Ekel ausdrücken sollte. – »Hinaus, ich habe mit der Miß ein Wort unter vier Augen zu reden.«
Esther gehörte nicht zu den Naturen, die sich durch einen jähen Schreck oder die Gegenwart einer Gefahr sofort zu Boden werfen lassen. Gerade der entscheidende Moment spannte die Energie ihres Willens und die Festigkeit ihres Charakters zu doppelter Stärke an und waffnete sie mit dem Muthe, der Gefahr zu begegnen. Sie erholte sich auch jetzt von ihrem Schrecken schnell und trat dem Eindringling festen Schrittes und finstern Blickes entgegen:
»Was wollen Sie, Sir?« fragte sie in strengem Tone. – »Wie können Sie wagen, ohne Aufforderung in das Zimmer eines Mädchens zu treten? – Kennen Sie so wenig die guten Sitten?«
»Papperlapapp. Ereifern Sie sich nicht, schöne Miß,« entgegnete er höhnisch. »Oder wissen Sie nicht, was Ihrer jetzt wartet, da ich Sie gesehen?«
»Ich weiß, daß Sie zu allem Schlechten, auch zu feiger Angeberei fähig sind. – Gehen Sie hinaus und thun Sie, was Ihre niedrige Denkungsweise Sie thun heißt.«
Sie imponirte durch ihre Festigkeit offenbar dem rohen Gesellen. Er hatte geglaubt, sie durch sein Erscheinen in Angst und Verzweiflung zu versetzen, und hatte gemeint, daß sie auf den Knien ihn anflehen werde, sie nicht zu verrathen, allein, daß sie ihn hinauswerfen werde, wie einen in Ungnade gefallenen Knecht, das war ihm überraschend und in einem bedeutend herabgestimmten Tone fuhr er fort:
»Sie scheinen mich für Ihren Feind zu halten, Miß Esther, allein ich komme in nichts weniger als feindlicher Absicht. Ich hatte vielmehr den besten Willen, Ihnen meinen Schutz anzubieten und Sie in Sicherheit zu bringen, wohin Sie gebracht zu sein wünschen. Sie hätten mich nur erst anhören sollen, ehe Sie mich so anfuhren.«
Der höflich freundliche Ton, den er annahm und der Inhalt seiner Worte machten sie einen Augenblick stutzig. Sollte sie ihm doch Unrecht gethan haben? ... Sollte er wirklich in der wohlwollenden Absicht gekommen sein, die er vorgab? – In ihrem Herzen bat sie ihn schon um Verzeihung für ihre Härte. – Zu fürchten hatte sie von ihm nichts, denn wie schon ihr Wirth ihr gesagt, würde sich sobald Keiner herwagen nach Leesburg, um sie abzuholen, und bis zum Ende der Seuche war noch lange hin, bis dahin war sie schon mit Scipio's Hilfe in Sicherheit; doch aber gebot ihr die Klugheit, eine ihr so uneigennützig angebotene Hilfe, und eine so wirksame Hilfe, wie dieser Mann sie zu gewähren im Stande war, wenn sie aufrichtig gemeint war, nicht von der Hand zu weisen.
Sie beschloß daher vor allen Dingen, sich zu überzeugen, ob seine Worte Wahrheit seien. Zwar nicht mit Härte, aber doch mit Ernst und halb mißtrauischem Blicke that sie die Frage:
»Und was hat Sie bewogen, mir diese Hilfe anzubieten, Mr. Atzerott? Nach Allem, was ich von Ihnen gesehen und gehört habe, müssen mich Ihre Worte befremden.«
»Mich leitet nichts, als meine Verehrung für Sie, Miß Esther.«
»Und worin wird die Hilfe und der Schutz bestehen, die Sie versprechen?«
»Sie werden begreiflich finden, daß ich so etwas nur Ihnen allein sagen kann. Schicken Sie Ihren schwarzen »Kollegen« – er betonte sarkastisch das Wort – »hinaus und ich bin bereit, Ihnen eine völlig befriedigende Antwort zu geben.«
Esther gab dem Neger einen Wink, der diesen nicht nur bedeutete, sie allein zu lassen, sondern ihn zugleich ersuchte, sich nicht zu weit von der Thür zu entfernen. Scipio nickte zum Zeichen, daß er den ganzen Inhalt dieses Winkes verstanden habe, und ging zur Thür hinaus, legte aber vorsichtig das Ohr an's Schlüsselloch.
»Nun sprechen Sie, Sir, worin soll Ihre· Hilfe bestehen?« fragte Esther.
»Darin, Miß, daß ich Ihnen diesen Paß hier einhändige, der auf den Namen der Miß Surratt lautet, und es wird Ihnen freistehen, auf denselben zu reisen, wohin Sie wollen.«
»Gut, ich nehme das Anerbieten an. Geben Sie her.«
Esther streckte schon die Hand nach dem Papiere aus, welches Atzerott in der Hand hielt. Dieser aber zog seine Hand zurück.
»Das ist dasjenige, was ich zu leisten im Stande bin,« sagte er mit rohem Lachen. »Nun lassen Sie erst hören, welche Gegenleistung Sie mir bieten.«
»Gegenleistung?« wiederholte Esther, und ihre Stirn umwölkte sich wieder. – »Was Sie fordern, jede Summe wird Ihnen Miß Brown in Richmond zahlen.«
»Ich sprach nicht von Miß Brown, sondern von Ihnen, – welche Gegenleistung bieten Sie mir? Sie werden zugeben, daß der Preis für diese Gefälligkeit kein geringer sein darf.«
»Was für einen Preis könnten Sie von mir verlangen?«
»Oh, Sie wollen mich nicht verstehen,« lächelte Atzerott und recitirte aus einem gemeinen Liede die Verse:
»Du fragst, mein holdes Liebchen,
Was meiner Lieb' Begehr?
Wie kannst Du da noch fragen? –
Ein Kuß und noch was mehr!«
Er hatte sich während dessen dem jungen Mädchen genähert, sein Auge funkelte in thierischer Lüsternheit, und er versuchte, ihre Taille zu umfassen.
»Zurück, widerliches Ungeheuer!« rief Esther ihn von sich stoßend. »Also darauf läuft Ihre Absicht hinaus? – Was ließ sich wohl anderes von Ihnen erwarten?!«
»Sie wollen nicht, holdes Schätzchen? – Sie wollen die Spröde spielen? Oh, hüten Sie sich. Sie wissen, es kostet mir ein Wort, so vergeht keine Woche, und Sie sind wieder wohlbehalten unter Mr. Breckenridge's Dach und erfreuen sich des Rachgefühls der neunschwänzigen Katze.
»Ich habe Ihnen gesagt, thun Sie, was Sie wollen. Und hätte ich die Wahl, mich auch nur von Ihnen berühren zu lassen oder auf der Folter zu sterben, ich würde das Letztere wählen. Zurück! sage ich, oder ich stoße Sie hinaus wie einen Hund.«
»Hollah, mein Täubchen,« spottete Atzerott. »Sträube Dich nicht. – Was Du mir jetzt verweigerst, Du Niggerbastard, das wird mir sicher als Vergünstigung zu Theil, wenn Du erst Mr. Tucker's Maitresse bist, und daß Du das wirst, besiegele ich mit diesem Kuß!«
Er stürzte auf sie zu und wollte sie gewaltsam in seine Arme schließen – eine schallende Ohrfeige strafte den frechen Angreifer.
Dies schien das Signal für Scipio zu sein, denn in demselben Augenblicke öffnete er die Thür, und noch ehe Atzerott einen zweiten Angriff ausführen konnte, stand der Neger zwischen ihm und Esther.
»Weg da!« schrie Atzerott in Wuth gesetzt, »oder ich erwürge Dich!«
»Kommen Sie mir nicht nahe, Massah!« warnte ihn Scipio.
»Es wäre gefährlich.«
»Weg da, sage ich, daß ich die Dirne züchtige, die Niggerin, die es wagt, ihre Hand an den zu legen, der sie zertreten kann wie einen Wurm.«
»Und ich sage Ihnen, bleiben Sie da, es wäre sonst gefährlich,« wiederholte Scipio.
Die Aufregung hatte Esther »so erschöpft, daß sie auf einen Stuhl sank und ihre Hand auf die krampfhaft keuchende Brust drücken mußte, gleichsam um den Sturm zu hemmen, der in ihr tobte. Scipio hatte sich vor sie hingestellt und streckte Atzerott beide Arme entgegen.
»Ich sage Ihnen zum dritten Male, Sir,« sagte er sehr gelassen, aber mit anscheinend großem Ernste, »es wäre gefährlich für Sie, wenn Sie sich mir zu nahen wagten.«
»Du mir gefährlich?« höhnte Atzerott und stieß mit dem Fuße nach dem Schwarzen.
Scipio ergriff mit Gewandtheit und Geistesgegenwart den Fuß und hielt ihn fest, wodurch Atzerott gezwungen war, in einer höchst lächerlichen Weise zu balanciren, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während seine Wuth zugleich den äußersten Gipfel erreichte. Mit der größten Ruhe blickte Scipio dem Wüthenden in's Gesicht und sagte grinsend:
»Herr, wenn Sie noch einmal stoßen, oder es wagen, dieser Dame auch nur einen Schritt näher zu kommen, so ist es um Ihr Leben geschehen. Sie wissen, ich bin Krankenwärter im Lazareth drüben, in diesen Kleidern trage ich gewöhnlich die Todten fort. Ich brauche Sie also blos einmal herzhaft zu umarmen, und Sie haben das gelbe Fieber weg.«
Damit ließ er das Bein los. Seine Rede hatte auf Atzerott einen solchen Eindruck gemacht, daß dieser entsetzt einen Schritt zurücktrat. Scipio that einen Schritt vorwärts. Wüthend holte Atzerott mit der Faust nach ihm aus. Scipio aber breitete kaltblütig seine Arme aus, als ob er ihn in dieselben zu schließen beabsichtige. Das wirkte wieder; Atzerott ging abermals einen Schritt zurück und Scipio einen Schritt vorwärts.
So ging es bis zur· Thür. Atzerott's Furcht vor dem gelben Fieber war größer als seine Wuth. Mit einem gräßlichen Fluche und dem Schwur, sich zu rächen, schlug er die Thür hinter sich zu.