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Dreiundvierzigstes Kapitel.
Zum Empfang des Wüstlings

Die Gemächer im Venusschloß waren mit einer für die Wollust geschaffenen Ueppigkeit eingerichtet. Es hatte Mr. Tucker gefallen, sich diesen Liebestempel zu bauen, um unbelästigt durch die Blicke Unberufener, selbst durch die unbequeme Aufmerksamkeit der Dienerschaft in seinem Palast, sich den ihm mehr und mehr ungewohnt werdenden Genüssen der Liebe hinzugeben.

Aber – welches Verbrechen in dieser vornehmen Passion! – Er bediente sich zu den Opfern seiner Lust junger Mädchen, die er entweder gewaltsam entführen ließ, oder die, gelockt durch die gebotenen Schätze, Ruf, Eltern, Verwandte freiwillig im Stiche ließen. Und diese unglücklichen oder leichtfertigen Wesen lebten hier in einem Hause, das für sie nur ein goldner Käfig war, den sie entweder entehrt und schmachbeladen, oder garnicht verließen. – Denn durfte Mr. Tucker es wagen, ein geraubtes Mädchen den Ihrigen zurückzuschicken? – Nein, sein Haushofmeister trug schon Sorge, daß diese Zeugen des Verbrechens, wenn sein Gebieter ihrer überdrüssig war, unschädlich gemacht wurden.

Die Mulattin, welche hier die doppelte Function einer Haushälterin und Kupplerin bekleidete, hatte ehemals selbst den Vorzug einer Geliebten Mr. Tucker's genossen, allein jetzt, da ihre Schönheit verblichen war, war sie zu der Stellung degradirt, in welcher wir sie kennen gelernt haben. Das Mittel, durch welches Mr. Tucker sie zwang, ihre Aufgabe zu erfüllen, war ein äußerst einfaches; Camilla war ihre Tochter, und sie liebte dieselbe über Alles und wäre gestorben bei der Aussicht, daß dies schöne Mädchen das Schicksal anderer Schwarzen, deren grausame Behandlung und schwere Arbeit theilen müßte. Nun benutzte Tucker diese Liebe als Zwangsmittel für sie. Er drohte ihr, Camilla an einen der grausamsten Sklavenhalter zu verkaufen, wenn sie ihm je Gelegenheit zur Unzufriedenheit gäbe.

Es war an dem Abend des Maskenballes, als in der besagten Weise O'Brien in das Venusschloß geschickt wurde, um mit Deborah Esther's wegen zu sprechen. Sie war allein, denn Camilla war bereits nach dem Ritterhause gebracht worden. Sie hörte die Glocke und öffnete die Fallthür, welche zur Treppe führte, die O'Brien hinaufkommen mußte.

»Nun, hat unser Vogel sich noch nicht an seinen Käfig gewöhnt?« fragte er, nachdem er an der Seite der Matrone Platz genommen hatte.

Die Frau verzog ihr gelbes Gesicht zu einem widerlichen Lächeln, zuckte mit den Achseln und erwiderte:

»Sie weigert sich immer noch hartnäckig, Jemanden bei sich zu sehen, aber ich hoffe, wenn ein Mann wie Sie, Mr. O'Brien, seinen Einfluß geltend macht, wird das Vögelchen schon kirre werden.«

»Keine Redensarten, Deborah;« erwiderte er, »man wird sie zwingen müssen ...«

»Aber soviel sage ich Ihnen, Mr. O'Brien, daß sie verteufelt halsstarrig ist.«

O'Brien lachte.

»Lachen Sie nicht darüber,« fuhr die Mulattin fort. »Ich sage Ihnen, von all den Mädchen, die ich hier schon unter meinem Schutze hatte, hat mir keine so viel zu schaffen gemacht, wie dieses Jüngferchen.«

»Ja dem Falle müßte man die Mittel der Sanftmuth mit denen der Strenge vertauschen,« meinte·O'Brien.

»Das ist Alles egal,« versetzte das Weib. »Wie ich Ihnen sagte, anfangs weigerte sie sich, irgend welche Nahrung zu sich zu nehmen, dann aber hat sie es nicht länger aushalten können, sie hat etwas zu sich genommen, wenn auch so wenig, daß ich kaum begreife, wie sie dabei noch leben kann. – Das Schlimmste·aber ist dies: als ich ihr von Mr. Tucker erzählte, und daß er sie zu seiner Maitresse machen wolle, da nahm sie das Tischmesser und erklärte mir, sie würde sich damit todtstechen, wenn ihr Jemand nahe käme. Ich habe vergeblich versucht, sie zu besänftigen, es ist mir nicht gelungen, ihr das Messer wieder abzunehmen, sie trägt es beständig bei sich.«

»Aber Frau!« sagte O'Brien bedenklich; »da hätten Sie ihr doch während des Schlafes das Messer wegnehmen sollen.«

»Ja, schläft sie denn?«« vertheidigte sich Deborah. »Ihr Schlaf ist gar nicht zu rechnen. Das Bett hat sie noch nicht berührt seit den 8 Tagen, wo sie hier ist. Sie setzt sich völlig angekleidet auf einen Stuhl und bei Gott, ich glaube, sie hat noch keine Sekunde seit der ganzen Zeit geschlafen; zu welcher Tages- und Nachtzeit ich auch zu ihr gekommen bin, jedesmal ist sie aufgesprungen, als ob ich sie ermorden wollte.«

»Hm, das ist bedenklich,« meinte O'Brien. »Da müssen wir andere Mittel ersinnen. Mr. Tucker fühlt sich heute gerade bei Laune und hat für diese Nacht, wenn er vom Ball kommt, seinen Besuch zugesagt. – Wir sind beide schlecht daran, wenn er nicht Alles nach Wunsch findet, am wenigsten wird er sich auf Widerspenstigkeit einlassen. Darum sage ich, diesele muß besiegt werden; – das Mädchen muß bis zu der Zeit, da er kommt, andern Sinnes sein, oder – schlafen!«

»Ja, wollen Sie sich auf ihr Zimmer begeben, Sir, und selbst versuchen, was sich thun läßt«, fragte die Matrone. »Dann bitte. ...«

»Jetzt noch nicht,« erwiderte O'Brien. »Mr. Tucker wird etwa um ein oder zwei Uhr hier sein. Richten Sie es so ein, daß Esther ihr Nachtessen nach Mitternacht erhält, ich werde dann wieder kommen und mit Ihnen gemeinschaftlich versuchen, ihre Widerspenstigkeit zu besiegen.«

*

Als Esther an jenem Abende, da sie in das Haus gebracht war, der Gesellschaft Tucker's entfloh und sich in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, warf sie sich auf einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen, und ein Thränenstrom machte ihrem verzweifelten Herzen Luft.

»O, Emmy, Emmy«, rief sie, »dahin ist es mit mir gekommen! – Ich soll jetzt das verworfene Geschöpf werden, das zu sein ich mich so lange gesträubt – unwerth Deiner, unwerth – seiner!«

Nachdem unter Weinen und Klagen einige Stunden verstrichen waren, öffnete sich eine Thür, und die Matrone zeigte sich auf der Schwelle. ·

Geängstet sprang sie empor und starrte die Frau an.

»Ruhig mein Täubchen,« redete diese ihr zu. »Sie befinden sich in guten Händen. Sie sind in dem Hause eines Mannes, welcher Sie liebt, und ich denke, Sie können mit Ihrem Zimmer zufrieden sein.«

Unwillkürlich blickte Esther um sich. Ihr Blick traf auf die Gemälde, welche über ihrem Bette hingen, Scenen darstellend, welche geeignet waren, von vornherein das Gemüth eines unschuldigen Mädchens zu vergiften. Die Mythologie war darin zudem schimpflichen Zweck die Phantasie zu reizen und unreine Lüste zu erwecken, herabgewürdigt.

Voll Abscheu wandte sie ihre Augen von den Gemälden, und ein flammender Zornesblick traf die Frau, welche, sie aufmerksam betrachtend, vor ihr stand. Mit einem plötzlichen Entschlusse sprang sie aus ihre Wächterin zu, stieß diese zurück und floh nach der Thür zu.

Die Negerin sah sie anfangs erstaunt an, dann aber malte sich auf ihrem Gesicht ein Zug höhnischer Freude, der schließlich einem Hohnlachen Platz machte. Die alte Kupplerin hatte gut lachen, denn die Thür, nach welcher Esther griff, war verschlossen, und die Unglückliche befand sich rettungslos in den Krallen des Raubvogels.

Die Angst des jungen Mädchens war entsetzlich. Sie rannte in ihrem prächtig ausgestatteten Käfig hin und her, versuchte· die Fenster zu öffnen, – vergebens: es befanden sich Traillen davor; versuchte die Thür mit Gewalt zu sprengen, – vergebens: dazu gehörte mehr als die Kraft eines Mädchens; versuchte ihre Kerkermeisterin durch die herzzerreißendsten Bitten zu rühren, – vergebens: das versteinerte Herz konnte nicht erweicht werden!

Ihr Zustand glich dem Wahnsinn und ihr Körper drohte der Erschütterung ihres Gemüthes zu erliegen. Schon bebte und wankte sie bei jedem Schritte, so daß die Alte fürchtete, sie werde von einer Ohnmacht befallen werden, und sich entfernte um die nöthigen Belebungsmittel herbeizuholen; aber die Todesangst verlieh Esther Kraft, um sich aufrecht zu erhalten und ihre bedrohte Tugend mit dem Leben vertheidigen zu können.

Als die Alte zurückkehrte und sich überzeugt hatte, daß die Gefahr einer Ohnmacht vorüber sei, schickte sie sich an, ein höchst einladend zubereitetes Mahl zu serviren, indem sie Esther anredete:

»Hier mein Täubchen, nehmen Sie, da ist eine gefüllte Taube, auch ein wenig Ragout und die schönste Pastete, die man in der Stadt erhält. Wünschen Sie auch ein Stück Seefisch? – Er soll ganz nach Ihrem Befehl bereitet sein. Ich habe Ihnen einen Schluck spanischen Wein mitgebracht, der wird ihre Kräfte wieder beleben. Sie müssen nur Muth fassen, dann werden Sie sich bald hier wohl fühlen, Sie werden frisch und blühend aussehen, und Mr. Tucker wird seine Freude an Ihnen haben.« '

Esther rührte sich nicht. Es war ihr beim Anblick des Essens ein Gedanke aufgestiegen, der sie eifrig verfolgte.

»Ich will Hungers sterben,« dachte sie. »Ich will nichts zu mir nehmen. In wenigen Tagen bin ich todt und von der Qual befreit. O, Geliebter, wenn Du meine Angst sähest und mich retten könntest! – O, Edward, Edward, wenn Du mein Unglück kenntest. – Lieber Gott im Himmel, laß mich sterben, wenn mich diejenigen, die mich lieb haben, nicht als dieselbe wiedersehen sollten, als welche ich sie verlassen habe! – Edward, geliebter Bruder, Du bist muthig und stark; ach, ahntest Du mein Leiden, ich brauchte nicht zu sterben!«

So jammerte und klagte das geängstigte Mädchen unaufhörlich; der Morgen fand sie noch mit ihrem Schmerze ringend, und ihre eintretende Kerkermeisterin sah, daß die Speisen alle unberührt geblieben waren.

»Was soll das bedeuten, mein Schatz?« sagte sie im Tone des Vorwurfs. »Warum essen Sie nicht? Wollen Sie vom Weinen und Hungern etwa zum Skelett werden und wie ein dürres Gespenst vor Mr. Berveley Tucker erscheinen? – Ich will hoffen, daß sie heute bessern Appetit haben. Womit kann ich Ihnen aufwarten?«

»Ich will nichts essen,« erklärte Esther. »Ich will Hungers sterben.«

»Ah, mein Vögelchen, so halsstarrig sind wir?« sagte sie. »Ei, das schlagen Sie sich nur getrost aus dem Sinn. Das haben Viele gewollt, die ich hier in meiner Pflege hatte, aber die kleinen Trotzköpfchen konnten doch den Anforderungen des Magens nicht widerstehen, und so wird's mit Ihnen auch gehen. Das Einzige, was Sie davon haben werden, ist ein blasses, häßliches Gesicht, das keinem Menschen gefällt.«

Esther faßte neue Hoffnung: – Dem Menschen, der sie hier eingekerkert hielt, zu mißfallen, das wäre vielleicht ein Grund ihrer Freilassung.

Die Negerin errieth wahrscheinlich des jungen Mädchens Gedanken, denn sie fuhr fort:

»Damit ist aber noch nicht gesagt, daß er in dem Falle auf immer Verzicht leistet, Ihren hübschen Mund zu küssen und ihren hübschen Nacken zu umschlingen, nein, er wird erst abwarten, ob sie sich nicht bekehren, und – glauben Sie meiner Erfahrung, Miß – Sie werden sich bekehren; die Gefangenschaft wird Sie mürbe machen, und sollten auch Jahre darüber vergehen.«

Esther schauderte bei dem Gedanken an eine jahrelange Gefangenschaft, und ihr Vorsatz zu verhungern, ward fester.

Mehrere Tage vergingen, und noch hatte sie trotz alles Zuredens, trotz aller Verheißungen und Drohungen keinen Bissen zu sich genommen, da aber stellte sich heraus, daß die Erfahrung der alten Kupplerin sich bestätige. Vier Tage hatte das Mädchen gegen Schlaf und Hunger angekämpft, jetzt konnte sie nicht mehr: der Durst brannte ihr in der Kehle, ein Krampf durchwühlte ihren Magen, sie griff nach dem Glase und trank und griff auch zum Essen. Doch überwand sie ihre Gier so weit, daß, als sie nur zwei Bissen zu sich genommen hatte, sie dem verlockenden Mahle den Rücken drehte. In ihrer Hand aber hielt sie noch das Messer, dessen die Alte an dem Tage des Maskenballes gegen Mr. O'Brien erwähnte. Esther hatte sich fest vorgenommen, dies Messer nicht aus den Händen zu lassen und sich damit den Tod zu geben, falls ihr jeder andere Widerstand mißlänge.

Nur das Nothwendigste zu sich nehmend und fast gänzlich schlaflos – das Bette hatte sie noch nicht berührt, eben so wenig auf irgend einem der Sammetpolster Platz genommen – hatte sie abermals einige Tage in Zittern und Todesangst zugebracht. Mehr als einmal hatte sie Tuckers Stimme gehört, wie er mit der Alten und mit Camilla sprach. Er war aber nie in ihr Zimmer gekommen; von dem Negermädchen, das für sie große Theilnahme zu empfinden schien, hatte sie erfahren, daß er dringend die Zeit ersehne, da sie ihre Halsstarrigkeit, wie er es nannte, ablegen würde.

Wie sich Mr. O'Brien ausgedrückt hatte, war Mr. Tucker heute grade »bei Laune«, und hatte verlangt, von Esther empfangen zu werden. Ein solches Verlangen aber mußte bei Gefahr, in Ungnade zu fallen, erfüllt werden. Aus dem Grunde hatte O'Brien versprochen, eine Stunde vor dem Eintreffen Mr. Tucker's vom Ritterhause voraus her zu gehen um der Alten Esther's Widerstand besiegen zu helfen.

Er hielt Wort, denn nachdem Camilla ihren Tanz aufgeführt hatte und noch ehe die Finsterniß des Saales zum letzten Male dem Licht der Flammen gewichen war, entfernte er sich und begab sich in das Venusschloß.

»Haben Sie ihr ein Nachtmahl aufgetragen?« fragte er die Mulattin.

Sie bejahte diese Frage.

»Auch ein recht ausgesuchtes Mahl, das ihren Appetit reizt?«

»Ich habe es daran nicht fehlen lassen, Sir.«

»Gut, so nehmen Sie eine Flasche Wein, guten Madeira, und ein Glas. Will sie nichts davon nehmen, so müssen wir versuchen, ihr mit Gewalt ein Glas hinunter zu gießen. Der Wein wird ihr das Blut in die blassen Wangen treiben, und zwei Tropfen Opium, die wir hineinthun, werden genügen, sie in Schlaf zu bringen, und Mr. Tucker wird seine Freude an ihr haben.«

Esther hörte die Männertritte im Nebenzimmer.

»Jetzt kommt mein Peiniger,« dachte sie. »Jetzt allen Muth zusammengehalten. – Leb wohl, Geliebter; leb wohl, Edward; leb wohl, Emmy! Diese Stunde wird wohl meine letzte sein!«

Sie hatte sich, bebend vor Aufregung, auf einen Stuhl am Fenster niedergelassen.

Jetzt öffnete sich die Thür, und herein trat die Kupplerin mit einem Servirbrett, worauf eine Flasche Wein und ein Glas stand, gefolgt von Mr. O'Brien. Die Erstere setzte den Wein zu dem übrigen noch unberührten Abendessen.

O'Brien hielt eine Begrüßung für überflüssig; wie ein Pferdehändler musternd in seinen Stall tritt, wo sich ein neu erworbenes Roß befindet, so blieb er einen Augenblick vor Esther stehen. Die Furcht verließ das Mädchen. Zorn und Entrüstung flammten in ihr auf, aber die Kraft versagte ihr. Ihre Brust war wie in Eisen geschnürt, ihr Athem keuchte.

O'Brien seinerseits beachtete die Symptome ihrer Erregung sehr wenig, und als ob Esther ein Wesen ohne Empfindung, eine bloße Waare, etwa wie ein Rennpferd, sei, hielt er es nicht der Mühe werth, in seiner Rede auf ihre Gegenwart Rücksicht zu nehmen. Als er seine Musterung beendet hatte, wandte er sich, als ob Esther gar nicht da wäre, an die Alte, indem er bedächtig sein Kinn streichelte:

»Das Gesicht ist allerdings viel zu bleich, um Eindruck zu machen, allein die Figur hat noch nicht durch das Fasten gelitten, anmuthiger, jugendlicher, fleischiger Körper, wohlgebaut. – Hand untadelhaft, Taille schlank, Busen gewölbt ... Ich denke, es wird sich machen; Mr. Tucker wird zufrieden gestellt sein.«

Die alte Kupplerin antwortete mit einem stummen Nicken und einem wohlgefälligen Grinsen.

O'Brien fuhr fort:

»Haben Sie jetzt die Güte, Deborah, und fordern Sie das Püppchen da zum Essen auf. So da zu sitzen, wie ein Hospitalgespenst, wie der leibhaftige Todesengel, das geht nicht. – Munter mein Herzchen,« wandte er sich an Esther; »munter, heute Abend wirst Du die Ehre haben, Mr. Tucker bei Dir zu empfangen. Ei, da muß man lustig sein, ein recht lustiges Gesicht machen. Vor allen Dingen kommen Sie, Miß. Ich habe schon vernommen, daß Ihnen das Essen allein nicht schmeckt, Miß; – gut, ich werde Ihnen Gesellschaft leisten; ich werde mit Ihnen essen und werde Ihnen in dem feurigen Wein zutrinken, der wieder die Röthe in die hübschen Wangen treiben wird.«

Esther war außer Stande, zu antworten. Die Qual, welche sie jetzt erduldete, raubte ihr alle Kraft, sie saß nicht mehr, sie hing nur noch auf dem Stuhl. Ihre Sehnen waren schlaff und ihre Glieder schlotterten; – also was sie gefürchtet, das sollte heute eintreffen! – Kalter Schweiß rann ihr von der Stirne und ihre Brust preßte sich in Todesangst zusammen.

»Du antwortest mir ja nicht, mein Herzchen, kommst auch nicht zu mir?« fragte O'Brien verwundert. »Ich will nicht hoffen, daß Sie eigensinnig sind, Miß. Wenn Sie mit Gutem nicht wollen, so werden wir Gewalt brauchen. Ich sage Ihnen, Sie müssen von dem Wein trinken; denn Sie müssen Farbe bekommen. – Sie, beste Freundin,« fügte er hinzu, sich an die Alte wendend, »werden jetzt die Güte haben, der trotzigen Miß den Kopf zu halten, ich werde ihr dann den Wein beibringen, den Sie da eingeschenkt haben.«

»Aber das Messer, Sir!« wagte die Mulattin zu erinnern.

»Thun Sie, wie ich Ihnen befehle,« versetzte er, ohne ihre Warnung zu beachten. »Drehen Sie gefälligst erst den Schlüssel in der Thür um. So!«

Die Negerin näherte sich von hinten dem entsetzten Mädchen. Allein in dem Augenblick, wo sie ihren Kopf erfassen wollte, sammelte Esther ihre ganze noch übrige Kraft. – Einen Angstschrei ausstoßend sprang sie auf und stellte sich ihren Angreifern gegenüber, sie hatte ihre Energie keinen Augenblick verloren, aber ihrem Muthe hatte es an Kraft gefehlt. Die Angst gab ihr die Kraft zurück. Mit blitzendem Auge und drohend ihre Gegner ansehend, stand sie da, den Arm erhoben, um sich das Messer, das sie in ihrer Hand schwang, in die Brust zu stoßen.

O'Brien aber war schlau und gewandt, und noch ehe sie den Stoß vollführte, fing er ihren Arm auf und hielt ihn fest, während die Alte ihr das Messer entwand. Die Wuth und Angst des Mädchens machten sich in einem entsetzlichen Schrei Luft. Sie war jetzt verloren. Ihre durch Seelenleiden und Nahrungsmangel geschwächten Kräfte konnten nicht den Angriffen ihrer Gegner widerstehen. Sie konnte es nicht hindern, daß O'Brien sie auf einen Stuhl niederdrückte, die Negerin ihr den Kopf nach hinten beugte, und daß der Erstere ihr das Glas an die Lippen brachte.

Mit dem letzten Rest ihrer Kräfte sträubte sie sich, zu trinken.

»Nicht so ungeberdig, mein Schätzchen,« sagte O'Brien. »Halten Sie fest, Deborah, wenn sie nur einen Schluck trinkt, wird sie schon ruhiger werden.«

Esther wand sich und sträubte sich, aber sie fühlte, daß ihre Kraft jetzt zu Ende ging.

»Edward, und Du, Geliebter! Kommt Niemand, um mir zu helfen?« schrie sie verzweifelnd.

»Ja, Geliebte, ich komme!« donnerte in diesem Augenblick eine Stimme von Außen.

Mit einem furchtbaren Krach sprang die Thür auf, und die beiden Verbrecher blickten in Frederic Seward's unheilverkündendes Antlitz.


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