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Erstes Kapitel

John Oliver photographierte den nordwestlichen Teil des Sternenhimmels. Er arbeitete daran seit elf Uhr abends, und es war eine mühselige Arbeit, die den jungen Assistenten der Pasadena-Sternwarte über alle Maßen verdroß. Denn draußen, jenseits der großen stillen Kuppel, aus der das Fernrohr wie ein Geschütz hervorstand, ging eine laue bewegende Nacht um, und John Oliver dachte mehr an Gloria, die Rotblonde, als an seine wissenschaftlichen Himmelsuntersuchungen. Sein Blut ging laut, er fluchte vor sich hin.

Die Einsamkeit in der Beobachtungskuppel war vollkommen. John Oliver war allein mit sich und den Myriaden Sternen, die er, mechanisch die Platten wechselnd, Stunde um Stunde aufnahm. Morgen vormittag würde man auf ihnen Hunderttausende winzig kleiner weißer Punkte sehen, und auf Wochen hinaus würden die Assistenten der Sternwarte über diese Aufnahmen sich beugen und sie peinlich genau vergleichen mit den älteren Aufnahmen. Endlich würden sie einen Bericht schreiben mit dem Schlußsatz: Am nordwestlichen Himmel nichts Neues, und dann würde die Schinderei an einem anderen Teile wieder angehen. Bestandsaufnahme des Weltalls! John Oliver verfluchte sie aus tiefstem Herzen. Er war durchaus nicht in der Stimmung, sich dem Zauber der gestirnten Unendlichkeit hinzugeben, und das leise Schnurren des Uhrwerks, das das Fernrohr, entsprechend der Winkelgeschwindigkeit der Erde, vorantrieb, damit es immer auf denselben Himmelsteil gerichtet bliebe, machte ihn vollends nervös.

Dann aber, als es gegen vier Uhr morgens ging und sich im Osten schon ein kaum merklicher grüner Schein in das samtene Blaudunkel der Nacht zu mischen begann, schob John die letzte Platte in den Aufnahmeapparat, ließ er zum letzten Male den Auslöser einschnappen. Er packte die Platten zusammen und legte sich, wie er am Apparat gesessen hatte, in Hemd und Hose und weichen Leinenschuhen auf das Feldbett. Er schlief sofort ein, in seinen Träumen tanzte Gloria, die Rotblonde, am Strande Kaliforniens, und ein glühender weißer Schein, der von irgendwoher ihren Körper umleuchtete, ließ ihr Haar feurig aufglühen. John Oliver seufzte tief auf, und sein nettes Jungengesicht bekam einen sehr kummervollen Ausdruck.

Gegen acht Uhr erwachte er. Er schnupperte in den warmen, aprikosenfarbenen Tag, wusch sich, lieferte seine Aufnahmen dem Faktotum der Sternwarte ab und fuhr nach Hause. Dann telephonierte er lange und glücklich mit Gloria.

Seine Wirtin brachte ihm Tee, Grapefruits und Toast.

John Oliver frühstückte lange, rauchte und träumte vor sich hin.

Vor sich sah er Zahlenreihen, lange, verwickelte, schwierige Gleichungen, Kurven und Integrale.

Als er gegen Mittag wieder in die Sternwarte fahren wollte, läutete das Telephon. Gloria, dachte er, aber es war die Pasadena-Sternwarte. Es war Professor Higgins selbst, und seine Stimme war ein wenig erregt. »Kommen Sie sofort heraus«, sagte er. »Zu mir in mein Privatzimmer.«

Johns Stimmung war mit einem Schlage dahin. Was mochte Higgins wollen? Viele kleine Sünden fielen dem netten jungen Manne ein. Hatte er gar die Aufnahmen verpatzt? Mußte er sie diese Nacht wiederholen? Als er seinen Wagen startete, ließ er schrecklich das Getriebe knirschen, es tat ihm selber weh, aber er war trotzig und ärgerlich, und hatte im Augenblick niemanden als den Wagen, dem er wehtun konnte. Als er aber vor Higgins stand, war alles ganz anders. Da lagen seine Aufnahmen, und sie waren gestochen scharf und schön. Die eine, die letzte, die er gemacht, war beiseite gelegt, auf ihr war ein kleiner schwarzer Pfeil gezeichnet, eine ältere Aufnahme lag daneben.

»Schauen Sie sich das an, lieber Oliver«, sagte Higgins.

Lieber Oliver, dachte John, also habe ich nichts ausgefressen, im Gegenteil. Er sah sich die beiden Aufnahmen an. Er blickte sie flüchtig an, dann ging er an das Fenster, wo überhell die kalifornische Sonne hereinkam, starrte lange die beiden Bilder an.

Als er wieder aufblickte, sah er Higgins gerade ins Gesicht.

»Das ist ein neuer Stern«, sagte er leise.

»Ja«, erwiderte Higgins. »Und Sie haben ihn entdeckt. Ich gratuliere Ihnen. Ich glaube nicht, daß ein Fehler vorliegen kann. Photographieren Sie aber sicherheitshalber das Planquadrat heute nacht noch einmal. Vielleicht«, und jetzt lächelte Higgins, »daß er schon eine Größenklasse zugenommen hat oder zwei. Novae wachsen ja schnell, wir wollen sie vorläufig Nova Oliver nennen. Ist es Ihnen recht?«

Oliver wurde rot. Er stotterte ein wenig und sagte dann: »Herr Professor, da ich ganz unschuldig bin, daß der Stern da auf der Platte ist, denn, nicht wahr, zufällig hätten ja auch Bobby Stright oder Gerald Lowen gestern Nacht Photographierdienst haben können – möchten Sie nicht, ich meine, wenn es Ihnen nichts ausmacht –, es wäre vielleicht nett – –«

Higgins lachte. »Na, reden Sie schon, Sie tun ja wie ein Primaner.«

»Ich meine, ob die Nova nicht Gloria heißen könnte?«

Der Professor lachte, Oliver sah angestrengt in die linke Ecke und knackte mit den Fingern.

»Also gut«, meinte Higgins. »Photographieren Sie heute Nacht noch einmal, und wenn die Gloria dann noch da ist, so funken Sie den neuen Stern in Ihrem Leben in alle Welt. Nova Gloria. Hoffentlich verdient der Stern den schönen Namen. Und grüßen Sie die Dame von mir. Heute nachmittag haben Sie frei, Mister Oliver.« Eine Viertelstunde später war John bei Gloria.

* * *

Vorerst war die Nova Gloria eine Angelegenheit der Sternwarten. Überall saßen die Astronomen an dem größten und besten Fernrohren. In einigen Fachblättern erschienen Mitteilungen, daß der neue Stern, der langsam an Größe zunahm, eine äußerst rasche Bewegung besitze. Hunderte von Männern saßen überall auf der Erde über ihre Rechenschieber und Logarithmentafeln gebeugt und rechneten. Aber die Bahn der Nova ließ sich nicht bestimmen. Für einen Planeten der Sonne stand die Gloria viel zu weit entfernt; ein Fixstern war sie sicherlich nicht. Ein Komet? Kometen tauchten nicht in dieser Weise in der Tiefe des Weltalls auf. Ein Irrstern, das schien die beste Bezeichnung. Aber desto rätselhafter wurde der Lauf des Gestirns. Schien er erst zwischen fernen Fixsternen dahin zu eilen, etwa parallel zur Richtung des Sonnensystems im Weltall, so sah es in den nächsten Wochen so aus, als stünde er still. Nur seine Leuchtkraft nahm zu. Sie stieg ständig, und es war fast auszurechnen, an welchem Tage sie die erste Größenklasse erreichen würde. Nichts, aber auch gar nichts war daraus für die wirkliche Bahn dieser Gloria abzunehmen. Die Zeitungen brachten ein paar kurze Mitteilungen. Der neue Stern war schon in kleineren Fernrohren zu beobachten. Die Astronomen gerieten langsam in Verzweiflung. Gloria schien alle Rechenkunst dreier Jahrhunderte zur Ohnmacht zu verdammen.

* * *

Gerdis sah Peter jetzt tagelang nicht. Der neue Stern hatte auch ihn gefangen. Wenn er spät am Abend aus der Sternwarte in sein kleines Häuschen kam, das er vor einem Jahr vor Potsdam, am Jungfernsee sich aufgebaut hatte – als er dritter Assistent wurde und Gerdis, die Dunkle mit den hellgrauen Augen, heiraten konnte –, dann aß er nur flüchtig ein paar Bissen – er, der sonst das stille, geruhsame Abendessen so liebte, mit Gerdis, die ein Kind von ihm trug, sein Kind, seinen kleinen Peter. War ein Zweifel, daß es ein Peter werden würde? Schon vor einem Monat hatte er spielerisch eines Abends seiner Frau aus den Sternen vorgerechnet, Astronom und Astrologe gleich dem großen Kepler, wie er lachend gestanden hatte. Gerdis vertraute aber lieber ihren einsamen Träumen, in denen sie Wälder und Wiesen sah, übersät mit tausend weißen Blüten und inmitten dieser weißen Blüten spielte ein Mädchen. Damals kam die erste Kunde von Pasadena über die Nova Gloria.

»Gloria soll sie heißen«, flüsterte Gerdis. Sie flüsterte es so leise, daß Peter es nicht hörte und nicht verstand.

Seit diesem Tage begann Peter zu rechnen, und Gerdis stand am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Groß war das Schweigen rundum, nur in der Ferne brauste in fahlem Lichtschein Berlin. Gerdis hob das Fernrohr in des Himmels nachtdunkle Weite, Gloria zu suchen. Wenn sie den gelb leuchtenden Stern im Glase aufleuchten sah, fühlte sie sich sehr schwach.

Peter aber rechnete, er bedeckte Seite um Seite des großen weißen Papiers, das er liebte, mit Zahlen und Buchstaben. Wenn aber der Morgen hereinsah durch die geöffneten Fenster, dann lehnte er den blassen, schmalen Kopf ans Fensterkreuz, die Zahlenreihen verblichen – er fand keine Lösung.

Dann, eines Tages, am Morgen, spürte Gerdis das erste Leben in ihrem Leib, es war ein jäher, zufälliger Schlag, ein kleiner Riß, ein Zucken nur, und doch wußte sie sogleich, was geschehen war. Sie wurde ganz still, sie schloß die Augen und lauschte in sich hinein. Leise strich sie mit ihren schlanken, ringlosen Händen über den Leib, aber es blieb alles stumm, der leise Schlag wiederholte sich nicht. Dann aber sah, geschlossenen Auges, Gerdis ein zartes, helles Leuchten, das wurde heller und heller, und wurde gleißend weiß und groß und kam immer schneller auf sie zu, bis sie ganz in seinem Glanze stand.

Weiter sah sie nichts, nur ein rosa Schein blieb für Sekunden zurück, als das Gleißen verging, dann losch auch dies aus, und eine helle silberne Graue, leer und sehr mild, blieb zurück.

Da ging Gerdis zu ihrem Manne, sie legte ihr Gesicht an sein heißes, nachtdurchrechnetes und flüsterte: »Gloria kommt zu uns.«

* * *

An diesem Tage begann der dritte Assistent der Sternwarte Potsdam, Peter Kagemann, seine Berechnungen auf einer völlig neuen Grundlage. Er ließ die Bahnelemente, die sich aus den Tausenden von Aufnahmen ergaben, die inzwischen von der Nova gemacht worden waren, völlig beiseite. Es war hoffnungslos, aus ihnen eine Parallaxe abzuleiten. Kagemann begann die Helligkeitszunahme mit der Geschwindigkeit des Gestirns in Verbindung zu setzen. Als es Nachmittag wurde, begann sein Gesicht wie im Fieber zu glühen. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß, er raffte seine Papiere zusammen, es fehlte nur noch eine einzige Zeile, aber diese Zeile war die Entscheidung, er trug sie in seinem Kopf, es war ihm, als wäre sie mit glühenden Buchstaben dort eingegraben, er wagte es nicht, sie niederzuschreiben und sie so auszulöschen aus seinen bewegten Nerven.

Warum auch sollte er, der jüngste Assistent die Lösung finden, um die sich die berühmtesten Astronomen der Welt seit Wochen vergeblich abrangen? Und dazu diese Lösung? Mußte er nicht sofort zu seinem Direktor fahren? Mußte er nicht alle Mitarbeiter bis zum jüngsten Gehilfen aufrufen?

Er war verwirrt. Er lief den Brauhausberg hinunter, Potsdam zu, er stieg in einen Zug und fand sich erst wieder, als der Lärm Berlins ihn umbrauste. Am Kurfürstendamm setzte er sich in eines der Cafés, die zur Straße hin mit kleinen, tischbestandenen Gärten sich öffnen. Mechanisch bestellte er einen Kaffee und begann noch einmal die Rechnung zu überprüfen. Aber unmerklich ihm selbst begann er bereits, die Zahlenreihen auf Eleganz hin durchzuprüfen, er strich hin und wieder ganze Absätze und schrieb statt ihrer wenige, mit überraschenden Wendungen ausgefüllte Gleichungen. Dann aber, als er wieder an die entscheidenden Formeln kam, sprang ihn abermals die Furcht an und das Entsetzen, er legte den Bleistift neben sich und starrte auf die beiden letzten Seiten, die unbestreitbar in ihrem nüchternen und doch so furchtbaren Ergebnis waren. Auch jetzt fand er nicht den Mut, die letzte Zeile niederzuschreiben.

Wie sagte Gerdis? »Gloria kommt zu uns.« Peter Kagemann lachte bitter auf. Wahrscheinlich waren alle seine Voraussetzungen falsch, die ersten Standorte machten Schwierigkeiten, er hatte in der Eile nicht die ersten Aufnahmen noch einmal auf dem Negativ ausgemessen.

Eigentlich müßte er Gerdis anrufen, fiel ihm ein. Eigentlich müßte er nach Potsdam zurück, sofort und unverzüglich, man würde ihn schon vermissen, er war ohne Urlaub weggelaufen, einfach weggelaufen. Peter schob die Seiten Papier zusammen und steckte sie in die Tasche. Er rührte in seinem kalt gewordenen Kaffee, es fiel ihm auf, daß es dunkel wurde.

Die Zeitungshändler schrien die neuesten Nachrichten aus: Stern Gloria bald mit bloßem Auge zu sehen! – In unmittelbarer Nähe der Sonne? – Neue Spektrallinien auf der Gloria! – Unbekannte Stoffe auf dem Irrstern!

Politik schien es nicht mehr zu geben. Peter Kagemann erschrak. Seit Tagen hatte er keine Zeitungen mehr gesehen, hatte er überhaupt nichts mehr gelesen als Zahlen und Buchstaben und mathematische Zeichen. Er winkte einen der Händler heran und kaufte alle Zeitungen auf, die der Mann anzubieten hatte: Das ›Berliner Wort‹ und die ›Neuesten Nachrichten‹, den ›Abend‹ und die ›Neuigkeiten‹. Welche Seite er auch aufschlug – überall standen lange Meldungen über den neuen Stern. Sie waren albern, sie waren dumm und wissenschaftlich geradezu unsinnig – aber sie warfen Peter doch in einen Zustand wilder Erregung. So also stand es? Die ganze Welt sprach schon davon, erregte sich, machte aus der Nova einen Nervenkitzel? Die Zeilenschreiber gaben die wildesten Losungen aus, vielleicht dichtete eben jemand schon einen neuen Schlager auf Gloria. Und er hockte in seinem Arbeitszimmer und rechnete und rechnete und – – trug die Lösung des Geheimnisses hier in der Tasche! Ihn fröstelte. Er kam nicht auf den Gedanken, nun eine Taxe zu nehmen und zu dem Chefredakteur der größten Berliner Sensationszeitung zu fahren und seine Berechnungen für einige tausend Mark zu verkaufen nein, auf solche Einfälle kam der kleine junge Assistent selbstverständlich nicht. Er versteckte nur seine Berechnungen sorgfältig in der innersten Tasche seines Rockes und stürmte zum Bahnhof. Nach Potsdam, ins Observatorium, zu Professor Vanderstraten, das war das einzige, was er noch dachte.

Den Kaffee vergaß er zu bezahlen.

An der Ecke Uhlandstraße und Kurfürstendamm rannte er einen großen breitschultrigen Herrn über den Haufen. Er sah kurz auf, wollte sich entschuldigen und weiterhaften, aber der andere hielt ihn auf. »Na, na«, schmunzelte er, »begrüßt man so seine alten Freunde?«

Kagemann stutzte. Nun sah er sich den fremden genauer an, schaute verwundert in zwei unwahrscheinlich blaue strahlende Augen, auf einen festen, gescheiten Mund – eine gerade, fast zu harte Nase –, und nun erst wußte er, wen er da eben angerannt hatte: Werner Erlinspiel, den Kameraden von der Schule und aus den ersten Semestern in Freiburg, der dann plötzlich verloren gegangen war, irgendwo in der Welt. Manchmal kamen Kartengrüße von ihm, aus China, aus Brasilien, aus New York, dann blieben auch sie aus. In den letzten zwei Jahren hatte Peter Kagemann von Werner Erlinspiel nichts mehr gehört.

»Weißt du«, sagte Peter, und er sagte es ganz zaghaft, »ich bin ein bißchen durcheinander.«

»Das merke ich«, lachte Erlinspiel, und schaute besorgt auf Peter Kagemann hinunter. Er mußte meistens herunterblicken, der Werner Erlinspiel, wenn er jemandem ins Gesicht sehen wollte. Mit seiner Ein-Meter-zweiundneunzig-Größe, seinen breiten, kräftigen Schultern, dem wehenden blonden Haar und der sportlichen Straffheit seines Körpers, dem man das Umgetriebensein in vielen Erdteilen anspürte, war er verkörperte männliche Kraft.

Schon in der Schule war er so stark und sicher, dachte Peter flüchtig. Er spürte plötzlich das Verlangen, mit diesem Erlinspiel über die ganze schreckliche Geschichte zu reden, über Gloria und seine Berechnungen. Der da, der ihn so besorgt ansah, würde schon etwas Gescheites daraus machen können.

»Hast du heute abend etwas vor?« fragte er.

»Nein«, sagte Erlinspiel, »aber mit dir stimmt doch irgend etwas nicht. Hast du Liebeskummer?«

»Nein, nein«, wehrte Peter erschrocken ab. »Aber vielleicht kannst du mit nach Potsdam kommen. Ich möchte über Gloria mit dir reden.«

»Also doch Liebeskummer«, lachte Werner. »Du wirst auch nie vernünftig werden, Peter.«

Peter wurde bis unter die Haarwurzeln rot. »Aber nein«, stammelte er, »doch nicht eine Frau. Übrigens bin ich verheiratet seit einem Jahr. Und Gerdis bekommt ein Kind. Denke mal. Du kennst sie auch.«

Erlinspiel dachte nach. »Gerdis? Mit der wir als Primaner eisgelaufen sind? Die mit den grauen Augen und den vielen Ahnungen?«

»Ja, ja, siehst du, du erinnerst dich«, frohlockte Peter. »Sie freut sich sicher, wenn du kommst.«

Als ich damals meinen ersten Wagen an den Baum knallte, hatte sie es vorher schon gesehen, dachte Erlinspiel. Und nachher, daß ich weit weg gehen würde, auch. Die dunkle Gerdis, die also hat Peter geheiratet. Laut sagte er: »Gern. Aber was um Gotteswillen ist nun mit Gloria los?«

»Ich weiß«, flüsterte Peter, »ich weiß, wohin sie läuft …«

»Oh, Gott«, stöhnte Erlinspiel, »kannst du dich nicht etwas weniger sybillisch ausdrücken? Ich begreife gar nichts. Das geht es dich denn an, wohin diese verdammte Gloria läuft? Ist sie wenigstens hübsch?«

Peter sah Erbarmung heischend zu Werner empor. »Begreifst du denn nicht«, sagte er nahe an seinem Ohr, und mußte sich auf die Zehenspitzen recken dazu, »begreifst du denn nicht, ich weiß die Bahn der Nova Gloria, seit sechs Stunden weiß ich es, ich, der dritte Assistent an der Sternwarte zu Potsdam, ich, Peter Kagemann, daß die Nova Gloria … eine Bahn beschreibt … die die …«

»Die … die …« echote Erlinspiel. »Alter Junge, spiel doch nicht so den Geheimnisvollen. Ist doch ganz schnuppe, wohin der olle Stern saust. Die Zeitungen sind schon ganz verrückt, und jetzt fängst du auch noch an.«

Er sah Peter prüfend an. Er wollte noch weiter sprechen, aber Peters Gesicht war so voller Schrecken, so abwesend und leidend, und gar nicht voll Stolz und Frohsein über die geglückte Berechnung, daß Werner es aufgab, zu spotten.

Rund um die beiden floß der abendliche Verkehr der Weltstadt brausend dahin, Lichtreklamen zuckten auf und erloschen und glühten von neuem auf, in den erleuchteten Schaufenstern standen prächtig herausgestellt, verlockend Mäntel und Anzüge, Parfüms und Badeanzüge, Schlipse und Hüte, Schuhe und Naschwerk, das modische Allerlei der Dame und die eleganten Neuheiten für den Herrn, funkelten Brillanten und Goldketten, Ähren und leichterer Schmuck. Von irgendwoher kamen Geigenklänge, Autos schnurrten vorbei, Autobusse schnaubten vorüber, eine fröhliche Menge flutete auf und ab. Mädchenaugen sahen prüfend den jungen Männern ins Gesicht, Männer schauten den Frauen nach. Der Sommer begann in Berlin.

Es war ein Rauschen und Brausen in der Luft, zusammengewoben aus Millionen Einzelgeräuschen, wie Brandungsfontainen hoben sich die Rufe der Zeitungsverkäufer daraus hervor.

Die Verkehrsampeln leuchteten rot, gelb und grün.

Eine erste Kühle strich die breite Straße hinunter.

Da flüsterte Peter Kagemann Werner Erlinspiel das Geheimnis zu.

* * *

Werner stand da und sah den Kurfürstendamm hinunter. Aber es war klar, daß er nichts wahrnahm von dem Getriebe um ihn her. Peter sah ängstlich zu ihm auf. Es war nicht zu sehen, welchen Eindruck seine Mitteilung auf Werner gemacht hatte. Schließlich fragte Werner: »Und du glaubst, daß deine Rechnung richtig ist?«

»Ja«, flüsterte Peter heiser, »und die Spektrallinien verschieben sich auch …«

Einen Augenblick schwieg Werner. »Dann wollen wir zu dir fahren«, sagte er. »Ich habe meinen Vagen da, während der Fahrt erzählst du mir mehr.«

Sie brausten der Havel entgegen. Kurz vor der Brücke stoppte Werner noch einmal den Vagen und verschwand in einem Blumengeschäft. Mit einem Arm voll tiefdunkler roter Rosen kam er wieder zurück. Er legte den Strauß vorsichtig auf den Rücksitz. Dann schnurrte der Vagen die Straße weiter hinunter.

»Und nun berichte«, sagte Werner und trat den Gashebel voll durch. Die Villen am Straßenrande wischten vorbei, der Wind sprang die Stirnen der Männer an.

Und Peter begann.

»Du weißt, daß der Stern zuerst Ende Februar in Pasadena entdeckt wurde, von John Oliver. Bald danach wurde er vom Mount Wilson bestätigt, dann auch von uns photographiert. Er durchquerte das Sternbild der Cassiopeja, trat in die Leier über und wird dort in wenigen Tagen als Stern erster Größe strahlen. Seine Bahn war nicht zu berechnen. Er trotzte allen Anstrengungen, sein Geheimnis zu ergründen. Er fügte sich dem Weltsystem nicht ein. Deutlich wurde nur, daß Gloria, wie der neue Stern von den Leuten von Pasadena getauft wurde, sich nicht in das bekannte Weltsystem einordnen ließ. Er schien nach eigenen, unbekannten Gesetzen durch das All zu irren. Weder seine Bahn, noch seine Entfernung von der Erde sind bekannt, oder besser gesagt – sie waren es.« Peter lächelte trübe.

Werner ging rasch in die Kurve. Die Räder schrien leicht auf.

»Zu vermuten war lediglich«, nahm Peter seinen kurz unterbrochenen Bericht wieder auf, »daß er in großer Nähe unseres Sonnensystems sich befinden mußte, was man astronomisch so unmittelbare Nähe nennt. Aber unsere Sonne schien ihn nicht zu beeinflussen. Sein Spektrum wies unbekannte Linien auf, sie waren noch nicht zu deuten, das einzige, was man von ihnen sagen kann, ist, daß sie weit jenseits der schwersten bisher bekannten Elemente liegen. Aber ist es überhaupt ein Stern? Ein festes Etwas von genau anzugebender Körperlichkeit? Oder sind es nur stark verdichtete glühende Gase, die auf engem Raum sich umwirbeln? Mein Direktor glaubt nach mühseligen Berechnungen an den Gashaufen, ich glaube es auch. Die Amerikaner neigen der Ansicht zu, daß es sich um einen systemfremden Stern fester Struktur handelt.«

»Vielleicht ist es ein Komet?« warf Werner ein.

»Ein Komet ist es sicher nicht. Ein Komet gehört zu unserem System. Er umkreist die Sonne, wenn er sich auch zumeist auf einer Hyperbel im All verliert. Ein Fixstern ist es selbstverständlich auch nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, wie wir allgemein von Fixsternen sprechen. Dazu ist er unserm Sonnensystem zu nah und ändert zu rasch den Platz. Er ist eben ein Fremdling, er widerspricht allen Regeln, aller Erfahrung. Und gerade das ist ja das Furchtbare daran. Seine Bahn ist ein Novum.«

Beide schwiegen. Der Motor sang leise, der Jungfernsee wurde sichtbar. Die weiten grünen Wiesen seiner Ufer waren von kleinen weißschimmernden Häuschen besetzt. Licht schien gelb aus ihnen. »An der nächsten Kreuzung mußt du links fahren«, sagte Peter.

»Und du glaubst«, fragte Werner und nahm Gas weg, »daß deine Berechnung stimmt? Ich weiß, daß das wirklich ein Novum in der Astronomie wäre. Das habe ich noch von der Schule her behalten.«

»Ich fürchte, daß ich recht habe«, antwortete Peter. Seine Stimme war sehr dunkel.

»Und auch die Richtung?«

»Auch die Richtung.«

»Weiß Gerdis schon davon?«

»Nein, nein«, rief Peter. Er wurde aufgeregt, »wir wollen ihr nichts davon sagen. Du weißt, sie erwartet ein Kind. Und sie ängstigt sich so leicht und hat dann böse Ahnungen. Wie leicht kann das ihr und dem Kinde schaden. Nein, Gerdis darf nichts von den Berechnungen erfahren.«

»Und wenn es in ein paar Tagen in den Zeitungen steht? Mit allen Einzelheiten?«

Peter schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß man das in die Zeitungen druckt.«

Sie hielten vor einem kleinen, weißgetünchten Haus, das seine Hauptfront dem See zukehrte. Es war zweigeschossig, mit einem Dach aus blauen Ziegeln und vielen Blumen vor den Fenstern. Ein einfaches, schmiedeeisernes Tor schloß einen kleinen Rasengarten mit zwei Rosenstämmen gegen die Straße zu ab.

»Hübsch hast du es hier«, sagte Werner.

»Ja, das ist unser Heim«, sagte Peter. »Es soll auch deines sein, solange du bei uns bleiben willst.«

* * *

Von dem Stern sprachen sie erst wieder nach dem Abendessen. Gerdis hatte ihr Gesicht in den Rosen vergraben, als sie Werner ihr übergab. »Wie schön«, sagte sie und Erlinspiel war hingerissen von ihrer warmen tiefen Altstimme. Merkwürdig, ihr Gesicht, ihre Augen hatte er sofort erinnert, als Peter von ihr gesprochen hatte, diese Stimme überraschte ihn, es war ihm, als hörte er sie zum ersten Male. Ihr schönes, klares Gesicht unter den dunklen glatten Haaren schien ihm sehr blaß, aber das mochte vom Kinde herkommen.

Ihre Hände waren heiß, und es fiel ihm auf, daß er eigentlich, ihrer Form nach, sie kühl zu finden gedacht hatte.

Während des Essens redeten sie fast nur von Erlinspiel und seinem Leben. Alte Erinnerungen tauchten auf, Werner erzählte lachend von dem Autounglück, das Gerdis voraussah. Schließlich habe sie ihm ja auch seine Reisen prophezeit. Ob sie sich daran noch erinnere? In Gerdis Gesicht kam ein gequälter Zug, Werner sah es genau, aber es bedrückte ihn nicht einmal. So als hätte er es nicht anders erwartet, ging er über ihr Schweigen hinweg.

Er erzählte vom plötzlichen Tode seines Vaters, der ihn aus China zurückrief, von dem Streit um die Erbschaftssteuer und um die Neuordnung der Betriebe. »Du weißt ja, daß Vater sich niemals besonders um Formalien kümmerte. Ich muß das nun leider ausbaden.«

Peter konnte sich das gut vorstellen. Der alte Erlinspiel war ein Selfmademan im wahrsten Sinne des Wortes gewesen, ein zäher Schweizer Sproß, der als junger Mann nach dem großen Kriege mit Kunstfasern und ähnlichem angefangen hatte. Er hatte aus einer kleinen Fabrik ein Riesenunternehmen hingestellt, das bald in der ganzen Welt Filialen und Handelshäuser besaß. Das Kunstprodukt hatte wieder die Naturfaser überflügelt, die Woll- und Baumwollproduzenten machten lange Gesichter und der alte Erlinspiel baute eine Fabrik nach der andern. Werner war der würdige Sohn seines Vaters. Stark, klug, mit einem ungemein feinen Witterungsvermögen für versteckte Zusammenhänge und künftige Möglichkeiten.

Zuerst waren Vater und Sohn oftmals hart aneinander geraten. Trotzköpfe sie beide. Da war der Sohn eines Tages einfach ausgerissen, war nach Amerika geflogen und hatte sich auf eigene Faust in der Welt umgetan.

Erst dringende Bitten des alten Rechtsanwalts und Freundes seines Vaters hatten ihn wieder in die Heimat zurückgebracht.

Das alles wurde nun wieder aus den Erzählungen Werner Erlinspiels lebendig. Peter fragte lebhaft dazwischen, nach vielen Einzelheiten, Gerdis hörte meist schweigend zu. Und doch schien es, als erzählte Werner das alles nur ihr.

Er war dann zu einer Aufsichtsratssitzung nach London geflogen und machte dort seine Sache gut. Er gefiel mit seiner Frische und Zielsicherheit, er setzte sich durch und wurde so, je länger je mehr, der Auslandsvertreter der Erlinspielschen Werke und der persönliche Vertreter seines Vaters.

»Ja, Frau Gerdis«, schloß er seinen Bericht, »und so bin ich heute morgen nach Berlin gefahren, und wen treffe ich da? Ihn, den Peter. Er hat mich bald über den Haufen gerannt, – und warum, bloß weil er hinter diesem verdammten Stern, Gloria, herrechnet wie der Teufel hinter der armen Seel.«

Peter machte eine müde Handbewegung. Gerdis sah stumm auf das Tischtuch. »Wollen wir nicht in mein Zimmer gehen«, meinte Peter, »eine Flasche Wein trinken?«

Sie standen alle drei gleichzeitig auf.

Noch im Hinübergehen sagte Gerdis: »Peter rechnet Tag und Nacht. Wenn er die Bahn berechnet hat …«

»Nun?« fragte Werner.

»Ich weiß nicht. Ich habe so Angst. Kann Gloria uns etwas tun?«

»Wieso?« fragte Werner, eine Spur zu rasch, zu aufgeregt.

»Sehen Sie«, klagte Gerdis, »Sie sagen es auch. Gloria ist in der Welt. Vielleicht müssen wir sterben?«

»Aber Gerdis, was für ein Unsinn«, rief Peter. »Ich weiß genau …«

In diesem Augenblicke wurde Gerdis Gesicht sehr weiß. Sie lehnte sich an den Türpfosten und sah mit weitoffenen Augen Peter an.

»Du weißt die Bahn?« fragte sie und ihre Stimme kam wie von weit her.

»Sie ist«, sagte Werner, »wenn Peters Berechnungen stimmen, eine gerade Linie …«

»Und wohin zeigt die?«

»Ich weiß es nicht«, stieß Peter hervor.

»Doch, doch«, rief die blasse Frau, ihre Augen wurden sehr starr.

»Sie kommt auf uns zu, auf uns zu, Gloria wächst, Gloria regt sich, Gloria kommt – auf – die – Erde …«

Die Männer schwiegen. Nichts war in dem Raum zu hören, als die tiefen Atemstöße der Frau.

Sag es, baten ihre Hände.

Erlinspiel faßte sich.

»Jetzt wissen es drei Menschen, Frau Gerdis«, bekannte er leise. »Die gerade Linie zeigt auf die Ebene der Erdbahn. »

»Ich habe es heute nachmittag gesehen«, sagte Gerdis. Langsam löste sich ihr Körper aus der Starre, sie lächelte, als wollte sie um Entschuldigung bitten.

Sie ging langsam auf den Tisch zu, auf dem eine Flasche Rotwein stand. Peter nahm eilends drei Gläser aus dem Regal, das hinter dem Tische stand. Gerdis schenkte ein.

Nach einer langen Weile, während der sie schweigend tranken, fragte die Frau: »Und wann – wird das sein?«

»Das weiß ich wirklich nicht«, ereiferte sich Peter, froh, wieder sprechen zu können, erklären, berichtigen, beruhigen.

»Wir machen erst selbst noch in den nächsten Nächten eine Reihe von Aufnahmen. Dann können wir sie in den nächsten Tagen auswerten und dann, immer vorausgesetzt, daß meine Berechnungen stimmen, werden wir es wissen. Aber reg dich bitte nicht auf, Liebes, bisher ist noch gar nichts sicher. Denk an die Geschichte mit dem Halleyschen Kometen. Die Welt geht so schnell nicht unter. Und es ist gar nicht sicher, ob die Erde im entscheidenden Augenblick gerade dort steht, wo die Gloria die Erdbahn kreuzt. Sieh mal, die Erdbahn hat eine Ausdehnung von …«

»Ich weiß, Peter«, unterbrach ihn Gerdis und strich ihm zart mit beiden fänden übers Haar, »ich weiß. Die Ausdehnung der Erdbahn haben wir beide ja nun oft genug durchgenommen. Ich bin beinahe selber schon ein halber Astronom geworden in den letzten Wochen. Den ganzen Tag, müssen Sie wissen«, lächelte sie zu Erlinspiel hinüber, »das heißt, wenn er überhaupt einmal da ist, – erzählt er nur noch von Erdbahnhalbmessern, Ekliptik, Parallaxen, Ausdehnung des Sonnensystems, Sternzeit und Sonnenzeit, Parallelverschiebung und Lichtjahren. Er glaubt nicht einmal ganz an sein Wissen um Gloria, und ich«, – und das Lächeln verschwand wieder aus ihrem Gesicht, die grauen Augen wurden groß und dunkel, – »ich weiß es aus meinem Glauben. Das ist der ganze Unterschied.«

»Aus welchem Glauben?« fragte Erlinspiel. Er verbarg seine Erregung, so gut es ging.

»Ich sehe das alles doch kommen«, sagte Gerdis einfach.

Eine große Stille begann.

»Aber Gerdis«, begehrte Peter hilflos auf. Aber er sprach nicht weiter.

Dann fragte Erlinspiel: »Sie sehen das alles?«

Die Frau nickte.

»Wie damals bei meinem Auto?«

Gerdis nickte noch einmal.

Da stand Werner auf.

»Dann wissen Sie es wirklich. Laß mal deinen Formelkram, Peter. Begrabe all deine astronomische Wissenschaft. Erzähl sie morgen früh deinem Professor. Laß sie heute abend beiseite. Für die nächste Viertelstunde wenigstens. Und Sie, Frau Gerdis, erzählen mir jetzt, was Sie gesehen haben.«

»Aber das ist doch Unsinn«, protestierte Peter. »Wir müssen doch erst nachprüfen …«

»Nachprüfen kannst du immer noch, du alter Rationalist. Jetzt soll uns deine Frau mal erzählen«, – er lächelte, – »wie die Sintflut aussehen soll, die uns Sünder allesamt ersäuft, oder der Höllenbrand, der uns vertilgt. Wer hat denn recht, kleine Frau, die Offenbarung Johannis oder die Edda?«

Gerdis antwortete nicht sogleich. Sie stützte den dunklen Kopf in die langen, schmalen Hände, ihre hellgrauen Augen bekamen einen starren Glanz, wie es das Meer vor einem großen Sturme hat. Der rote Wein warf den Glanz des Lichtes als leuchtenden Schimmer auf ihre blasse Stirn. Langsam zogen sich zwei schmale galten über der Nasenwurzel zusammen.

Werner Erlinspiel beobachtete dieses Schauspiel der Veränderung eines menschlichen Gesichtes. Sie kann höchstens 22 Jahre sein, dachte er hingerissen und ertappte sich bei dem Wunsche, daß dieses lautlose Verharren noch lange andauern möchte. Aber da sprach Gerdis schon.

»Es ist nicht alles ganz klar, was ich gesehen habe. Sie wissen, ich sehe diese Dinge nur bei Tage, bei hellem Sonnenschein. Gegen Mittag. Es ist irgend etwas Schreckliches, Unbekanntes, und es gleicht nicht den alten Sagen. Ich denke, daß diese Sagen nicht die Zukunft prophezeien, sondern lange Geschehenes verkünden. Ich weiß die Deutung nicht von dem, was ich gesehen habe. Da ist eine große Menge Menschen, und alle rufen und schreien und laufen durcheinander und versuchen zu flüchten, es ist als käme ein Feind, – aber es ist keiner da. Viele begehen ganz sinnlose Sachen, einige tragen Vogelbauer in den fänden, denen die Gitter fehlen, manche haben Stühle und Töpfe dabei und sehr viele sind einfach von Sinnen und verzweifelt. Es ist ein schreckliches Durcheinander, und viele werden zertreten, sie schreien alle. Man sieht es an den geöffneten Mündern, hören kann ich sie nicht. Die Gesichter werden dann plötzlich stumpf und verhungert, die Wangen fallen ein und es sind auch nur noch einzelne. Sie ziehen auf einer endlosen Landstraße dahin. Manchmal kommt eine kleine Stadt, dort sind viele Häuser eingestürzt, die Kirchtürme sind umgefallen und überall stehen die Euren offen, sie sind herausgebrochen, und die Fenster fehlen auch oder hängen ganz schief heraus. Aber sonst ist nichts Außergewöhnliches zu sehen. Aber auf allen Straßen sind keine Wagen und Automobile.«

Gerdis schwieg einen Augenblick. So ruhig und nüchtern sie ihren Bericht vorgebracht hatte, so übte er auf die beiden Männer doch eine besondere Wirkung, wenn auch auf beide in verschiedenartigem Sinne. Werner beugte sich erregt vor, versuchte in die fernsichtigen grauen Augen zu sehen, und fragte leise: »Waren Flugzeuge da? Eisenbahnen?« Peter hingegen versuchte sich zur Wehr zu setzen: »Unsinn«, stieß er hervor, »wie kannst du das alles ernst nehmen. Das sind Träume, die oft …«

Werner unterbrach ihn: »Ich weiß, jeder Mediziner würde das gleiche sagen. Oh, in welcher Weise haben doch unsere heutigen mit dem Himmel zu tun und den Sternen! Was ist denn die Gravitation anderes als der Name für ein Wunder?«

Peter schien auf die Bemerkung eingehen zu wollen, aber da sprach Gerdis weiter.

»Nein, Autos waren nicht da, und jetzt fällt es mir auf, ich habe es selbst nicht bemerkt, ich habe auch keine Eisenbahnen fahren sehen und am Himmel waren keine Flieger. Die müßten doch zuerst aufsteigen bei einer Katastrophe? Auch Schiffe waren keine da. Und ich habe deutlich das Meer gesehen.«

»Denken Sie genau nach«, drängte Erlinspiel. »Wie sah das Meer aus? Können Sie sich erinnern?«

»Ich sehe alles noch vor mir. Es war ein Ostseestrand, und er sah aus wie sonst. Auch die Buhnen waren noch da, und von ferne kam ein ganz kleines Segelboot mit weißen Segeln. Ja, ein kleines weißes Segelboot mit weißen Segeln. Aber Dampfer waren keine zu sehen. In der Bucht waren Fischerhäuser, eine ganze Zeile. Aber an der Mole, da fehlten die Richtbaken.«

»Warnemünde, Frau Gerdis, nicht wahr?« versuchte Erlinspiel.

»Das ist doch sinnlos«, ereiferte sich Peter. Da waren wir im vorigen Sommer, habe ich dir das nicht gesagt?«

Gerdis strich sich mit einer kleinen müden Bewegung über die Stirn: »Natürlich, Warnemünde, das ist der Strand und die Mole. – Danke«, setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu, so als wäre sie ein kleines Mädchen und jemand habe ihr bei einer schweren Schulaufgabe geholfen.

Peter sprang auf. »Ich halte das nicht mehr aus«, schrie er. »Da sitzt ihr beide, ernsthafte Menschen und deutet Träume, Gesichte, Unsinn, leibhaftigen Unsinn. Das alles sind doch überreizte Phantasien einer kleinen Frau, die ein Baby erwartet. Du willst mir doch nicht erzählen, daß der Großindustrielle Werner Erlinspiel im Ernst an diese Phantasien glaubt, vielleicht auch noch an Einzelheiten? Wie im Mittelalter ist das! Alle hundert Jahre geht die Welt unter, und die gläubigen Irren verkaufen alles Hab und Gut. And die Welt steht noch heute.«

»Und warum soll ich nicht an Träume glauben, Träume, die von Frau Gerdis kommen?« Werner war jetzt sehr ernst, er stand gleichfalls auf und sah auf Peter und Gerdis hinab. »Deine Rechnungen sind genau so wenig oder genau so sehr phantastisch als diese Ahnungen und Gesichte. Ich lache trotzdem nicht über deine Rechnungen, und ich lache nicht über Frau Gerdis.«

Er marschierte mit großen Schritten in dem kleinen Zimmer herum. »Seht mal, wir sind uns doch alle einig, daß irgend etwas ganz Außergewöhnliches geschieht. Auch du, Peter, bist davon überzeugt, denn sonst hättest du deine Berechnungen einfach zu Vanderstraten getragen, hättest ein Lob eingeheimst, so wie Oliver, als er den Stern zum ersten Mal aufnahm. Statt dessen bist du völlig ziellos nach Berlin gefahren. And während du die Sache mit kilometerlangen Tabellen berechnest, sieht deine Frau das Ergebnis. Ich glaube also euch beiden. Du hast recht, ich bin Großindustrieller, also ein Mann der nüchternen Überlegung, und ich habe mir allerhand Wind, östlichen und westlichen, um die Nase wehen lassen. Also sage ich: Wenn man einem einigermaßen unbekannten Geschehen gegenübersteht, – ist es dann nicht bester, sich zu rüsten? Sich Gedanken zu machen, ob man einem möglichen Verhängnis entrinnen könnte? Und wenn ja, wie man das machen kann?«

Peter antwortete nicht. Gerdis, wie aus einer langen Reihe von Träumen erwachend, sagte: »Aber der Strand war noch da.«

»Richtig«, griff Erlinspiel ein, »und nun wollen wir doch überlegen, was die Gesichte bedeuten können und was deine Berechnungen.«

Er ergriff die Karaffe mit dem roten, funkelnden Wein und schenkte die Gläser voll.

Erlinspiel sprach jetzt ganz sachlich, so als erörterte er ein technisches Projekt in einer seiner vielen Sitzungen.

Peter und Gerdis hörten schweigend zu.

»Der Strand steht also noch. Er ist sogar beinahe noch so, wie er jetzt, in dieser Minute vorhanden ist. Das heißt, daß die Welt nicht untergeht, nicht zerplatzt, nicht von Wasserfluten ersäuft wird und nicht in rasenden Feuerbränden verglüht. Die Menschenmassen, die fliehen und deren Gesichter einfallen, können hungern, auch Seuchen können sie schlagen. Aber von einer Sintflut kann die Hungersnot und können die Seuchen nicht kommen. Es würde ja schon genügen, wenn eine riesige Flutwelle weite Teile Hollands, Nordfrankreichs und Norddeutschlands überschwemmte, um Hunger und Seuchen hervorzurufen. Dann aber stünde nicht mehr die Mole von Warnemünde und nicht mehr die Brassenzeile mit den Fischerhäusern. Das ist doch klar, Peter?«

Peter knurrte, er mußte lächeln, so grotesk fand er diese Darlegungen, die trocken waren wie altes Brot. Werner fuhr fort: »Eine Flutwelle würde auch das Fehlen der Dampfer und der Verkehrsmittel erklären, mit Ausnahme der Flugzeuge. Gerade in überschwemmten Gebieten werden aber erfahrungsgemäß Flugzeuge als erste Maßnahme eingesetzt. Also fragen wir einmal andersherum: Wenn keine Flutwelle gekommen ist und auch kein Weltenbrand, wenn die Landstraßen noch stehen und manche Häuser, und die Menschen noch wandern können, es aber keinerlei Autos und Dampfer und Wagen gibt, was kann geschehen sein?«

Erlinspiel schwieg und sah Peter und Gerdis an. Gerdis würde nicht antworten, das sah er. Diese Frau sah die Dinge, aber sie zu deuten, war sie zu schwach. Peter war unmutig, vielleicht, wenn er voll Eifer und Phantasie gewesen wäre, hätte er Möglichkeiten finden können, die eine Erklärung verhießen. So beschränkte er sich auf ein gemurmeltes »Ich weiß es nicht, Werner.«

Erlinspiel blieb also die Anstrengung weiterer Überlegungen.

»Peter«, sagte er, »so kommen wir nicht weiter. Möchtest du, daß bei der Katastrophe Gerdis und das Kind zugrunde gehen, wenn wir die Hoffnung haben, vielleicht irgend etwas zu finden, das beide vor dem Tode bewahrt?«

Die drei Menschen sahen sich an. Von draußen kam das leise Schlagen des nächtlichen Sees. Cm Walter schwirrte gegen die Scheiben.

»Nein«, sagte Peter. Er stand auf und trat hinter seine Frau. Er legte ihr die Hände unendlich zart auf die Schultern. Sie legte ihre Hände auf die seinen, so verharrte sie lange Zeit. Erlinspiel sah ihre langen Wimpern, die leise zitterten, er sah ihren hellen, zarten Hals, die rührende Linie ihrer Brust. Er sah die Schlankheit ihrer Hände. Er spürte plötzlich das irrsinnige Verlangen, diese Frau vor dem Untergange zu bewahren, wenn es sein müßte und möglich wäre, sie als die einzige der ganzen Welt. Ihm war, als müsse er sie in einen Mantel hüllen und sie durch alles Leid und allen Tod, die kommen würden, hindurchtragen, an ein anderes, neues, blühendes Ufer, und dort, unter einer neuen, strahlenderen Sonne würde sie spielen, zusammen mit ihrem Kinde, – Gloria.

Er strich gewaltsam die Bilder weg, hastig trank er sein Glas aus. »Irgend etwas geschieht«, sagte er heiser. »Aber selbst wenn es so sein sollte, wie Anno tausend oder sonstwann, als die Welt untergehen sollte und dann doch nicht unterging, – Gefahr ist immer vorhanden.«

»Wieso?« fragte Gerdis; es war das erste, was sie nach der Erzählung ihrer Geschichte wieder sagte. Sie schien erfreut zu sein, daß ein Mann wie Erlinspiel ihre Ahnungen nicht einfach verlachte und darüber hinwegtrank.

»In ein paar Tagen wird Peter ausgerechnet haben, ob dieser Stern oder Komet oder diese Gaswolke, oder was die Nova Gloria nun auch sein mag, die Erde trifft oder nicht. Vielleicht rammt sie einen Nachbarplaneten, vielleicht schießt sie nahe an uns vorbei, vielleicht zerspringt sie vorher oder rast wieder in das Weltall hinaus. Aber wie Peter das in ein paar Tagen weiß, so wird es in ein paar Tagen die ganze Welt wissen, ahnen, vermuten, befürchten, – und das ist ja gerade die erste Gefahr: die Furcht, die Angst, die Panik. Ja, allein diese Angst könnte schon hinreichen, um Gerdis Ahnungen wahr zu machen, sinnlos flüchtende, hungernde Menschen, dem Weltuntergangstaumel geweiht, betend, fluchend, verkommend, verzückt. Allerdings, alle Ahnungen sind damit nicht zu erklären, aber vieles davon. Der Mangel an Verkehrsmitteln bleibt immer noch rätselhaft. Dennoch, Peter, tu mir den einen Gefallen, und bitte auch Professor Vanderstraten morgen darum: galtet die Berechnungen geheim. Ich denke, Vanderstraten wird dir sowieso den großen Diensteid auf Verschwiegenheit abnehmen, wenn du mit deinen Tabellen anrückst. Aber wenn er es nicht tut, bitte ihn darum! vielleicht sperrt man uns beide, Gerdis und mich, sogar ein, wenn man erfährt, was wir wissen, schlimmer noch, daß wir es wissen.«

Peter war überaus bestürzt. Er, der Rechner, der Astronom, der Wissenschaftler, hatte diese Folgen nicht einmal für denkmöglich gehalten. Aber nun, im Innersten angerührt, dachte er rasch und genau. Er sah noch immer nicht die Gewißheit vor sich, daß die Gesichte Gerdis eintreffen könnten, aber er sah das Naheliegende: die Panik einer geängstigten Bevölkerung, die durch Pressenachrichten, Vermutungen und blinde Furcht zu schrecklichen Dingen getrieben werden konnte.

»Vielleicht«, sagte er, »wird mein Diensteid nicht mehr genügen. Vielleicht wird man eine Art Quarantäne über die Wissenden verhängen, uns in dem Observatorium behalten. Schlafräume sind ja da, Feldbetten und auch eine Kantine. Was dann?«

Gerdis sah vor sich hin. »Du sollst nicht weggehen«, sagte sie leise.

»Aber Kind«, tröstete sie Peter, »man muß doch an alles denken.«

Erlinspiel mußte wider Willen lachen.

»Entschuldigt, Kinder«, meinte er, »aber es ist heiter, wenn Peter an alles denkt, – nachdem er zuerst an gar nichts denken wollte.«

Peter schwieg verletzt.

Gerdis stand auf.

»Werner hat recht«, sagte sie. »Und ich fürchte mich.«

Erlinspiel bemerkte wohl, daß sie nicht mehr Herr Erlinspiel zu ihm sagte. Auch nicht mehr Herr Werner. Peter starrte vor sich hin.

»Mir müssen etwas verabreden«, meinte Gerdis lebhaft. Sie war wie umgewandelt. Aus der stillen, dunklen Gerdis wurde eine zielklare, rasche Frau. »Zunächst packe ich dir auf alle Fälle einen Koffer, damit du in der Sternwarte alles hast, was du brauchst. Und ich komme jeden Tag dich besuchen. Ob ich nicht überhaupt mitgehen kann?«

Erlinspiel mußte wieder lachen, aber diesmal war es ein heiteres freundliches Lachen. Niemand auch war mehr verletzt.

»Ich bin geschlagen«, erklärte Peter. »Also schau, Gerdis, so schnell wird das ja nicht gehen. Vielleicht werde ich auch nicht bei dem großen Fernrohr eingesperrt, bis alles vorüber ist. Mitkommen kannst du aber sicher nicht, und zum Kofferpacken bleibt noch immer Zeit.«

»Und was mache ich, wenn du nicht da bist?« klagte Gerdis. »Ich weiß, ich werde jeden Tag die schrecklichen Dinge sehen, und ich weiß nicht, ob Gloria nahe ist, ob sie kommt, rasend schnell kommt, und wann, wann das Entsetzliche geschieht.« Sie zitterte wieder.

Erlinspiel kam um den Tisch herum, er nahm ihre Hand, sah ihr ruhig in die grauen Augen, die den Schrecken langsam unter seinem Blicke verloren, und sagte: »Ich werde immer bei Ihnen sein, Frau Gerdis. Und ich werde Sie behüten, vor allem, vor dem ich Sie behüten kann. Venn Peter Stubenarrest bekommt, wird man uns auch nicht mehr mit ihm Zusammenlassen. Dir wollen also uns verabreden, wie wir uns verständigen. So ist das dann: Ich kümmere mich um deine Frau, und du, Peter, alter Freund, kümmerst dich um Gloria. Und wir lassen voneinander hören.« Alle drei lachten leise. Peter gab Erlinspiel die Hand.

»Ich kann dir leicht schreiben«, meinte Gerdis. »Aber deine Briefe wird man zensieren. Und wenn du etwas von Gloria schreibst, wird man den Brief mir nicht geben.«

»Wir müssen eine Geheimschrift ausmachen«, überlegte Peter. Werner lachte. »Die dein Direktor natürlich nicht bemerkt, was? Oh Gott, diese Kindsköpfe von Astronomen. Erst rufen sie das Verhängnis herbei und dann machen sie Geheimschriften. Aber Scherz beiseite, erinnerst du dich an unser System aus der Schule mit den Vokalen und Zahlen?«

»Ja, ja«, rief Peter, »und das sind dann richtige Briefe und kein Mensch merkt etwas. Das ist gut, das ist ausgezeichnet.«

»Du tust ja gerade, als wärest du schon verhaftet«, meinte Gerdis.

Jetzt ging das Gespräch schnell. Die drei Menschen waren wie Kinder. Sie schmiedeten eine Verschwörung, eine Verschwörung sich zu retten und Vanderstraten zu überlisten, sie spielten um hohen Einsatz, um das Leben einer geliebten Frau und eines ungeborenen Kindes, sie spielten um die Zukunft der Welt.

Aber sie spielten, und das war verheißungsvoll.

Nach einer halben Stunde war alles besprochen.

Werner faßte noch einmal zusammen, ehe er ging: »Ich bringe also deine Frau in Sicherheit, – wenn nachher alles ausgeht, wie das Hornberger Schießen, desto besser. Wir haben Gott sei Dank Zeit, alles vorzubereiten. Du gibst Nachricht, sobald als möglich, wenn du weißt, wann die Sache losgeht. Tag und Stunde. Und inzwischen denke ich nach, was wohl alles geschehen kann, wenn Gloria die alte Erde trifft. Und Frau Gerdis: Sagen Sie mir sofort, wenn Sie wieder etwas sehen. Das ist wichtig, sehr, sehr wichtig. Rufen Sie mich im Hotel an, 73 68 89. Wir treffen uns morgen abend wieder. Denn«, und Werner Erlinspiel beugte sich über die lange schmale Hand, »seit meinem Autounfall glaube ich an Ihre Ahnungen …«

Er stieg in seinen Wagen. »Zurück ließ er zwei Menschen, schwankend zwischen einer Vielfalt von Gefühlen.

* * *

Der Wagen schoß die breite Straße nach Berlin hinein. Es war ein Uhr Nachts. Eine schimmernde rote Lichtwolke stand über der Stadt. Es war warm, Blumenduft lag, von den Vorgärten der Landhäuser her, über den Straßen. Werner dachte während der schnellen Fahrt an den unbekannten Tag. Es konnte eine Hitzewelle kommen, es konnten unbekannte Strahlen die Erde verheeren. Es konnten Gaswolken über sie hingehen, und es konnten Millionen Sterntrümmer herniederbrechen. Es konnte die Luft sich verändern, das Wasser sich ändern, es konnten Erdbeben losrasen, Vulkane sich in ungeahnter Heftigkeit entladen. Das Erdinnere konnte hervorbrechen. Oder vielleicht Eis und Hagel die Felder verwüsten. Was aber war mit Frau Gerdis Gesichten? Nichts von allem paßte zu ihnen. Werner trat den Gashebel noch mehr durch, der Wagen flog nach vorn wie ein Fisch. Er schnellte in jagenden Sprüngen die Straße entlang. Immer aber vor ihm zog das Gesicht her mit den dunklen Haaren und der blassen Stirn, den hellgrauen, großen Augen, Gerdis, die dunkle Gerdis.

Werner stöhnte. Trotzdem dachte er scharf und genau.

Als er in Berlin vor dem Hotel den Wagen bremste, glaubte er, eine Lösung gefunden zu haben. Sein Gesicht entspannte sich. Er lächelte.

Gerdis Augen folgten ihm in den Schlaf.


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