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Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die Axt geht ans Leben, und die Thränen fallen aufs Brot.

Es war schwül am Tage und blieb noch schwül am Abend, als der Löwenwirt, der in offener Kalesche mit seinen beiden Fuchsen nach der Stadt gefahren war, wieder heimkehrte. Er schaute sich bei der Einfahrt ins Dorf seltsam um, rechts und links, und grüßte zuvorkommend. Gregor, der in Postillonsuniform, aber ohne Horn, ihn gefahren hatte, war bereits abgestiegen, hatte die Fuchsen bereits ausgesträngt, der Löwenwirt saß noch unbeweglich in der Kalesche. Er schaute nachdenklich das Löwenwirtshaus an und dann wieder die Kalesche und die Pferde. Als er endlich abstieg und auf dem Boden stand, seufzte er tief auf, denn er wußte, daß er zum letztenmal so gefahren war. Da ist noch alles, wie es gewesen, und nur noch ein einziger Mensch außer ihm weiß, daß es bald anders sein wird.

Mit mühsamem Schritte ging er die Treppe hinauf, oben stand die Frau und fragte ihn leise: »Wie ist's gegangen?«

»Es arrangiert sich alles,« erwiderte der Löwenwirt und ging an der Frau vorüber rasch nach der Wirtsstube, nicht, wie sonst bei der Heimkehr, zuerst in das Stüble. Er ließ sich von der Magd Hut und Stock abnehmen und setzte sich zu anwesenden Gästen. Er ließ sich auch zu essen bringen an den Fremdentisch, aber es mundete ihm heute nicht.

Die Gäste blieben bis spät in der Nacht, und er blieb bei ihnen sitzen; er sprach nicht viel, aber schon daß er bei ihnen saß, war Unterhaltung und Aufmerksamkeit genug.

Die Frau war zu Bett gegangen, und nachdem sie längst schlief, begab sich auch der Löwenwirt zur Ruhe. Ruhe fand er nicht, denn eine unsichtbare Gewalt zog ihm die Kissen unterm Kopf weg: dieses Bett, das Haus, alles das ist morgen nicht mehr dein. Vornehmlich blieben die Gedanken bei der Kalesche und den beiden Fuchsen haften. Er rieb sich hastig die Augen, denn es war ihm plötzlich, als ob die beiden Fuchsen in die Schlafkammer gekommen wären, sie strecken ihre Köpfe übers Bett, hauchen ihn heiß an aus ihren Nüstern und glotzen mit ihren großen Augen auf ihn. Der Löwenwirt beruhigte sich wieder und besonders in dem stolzen Gedanken, daß er sich mannhaft gehalten habe. Er hat seiner Frau nichts gesagt, sie soll heute noch ruhig schlafen, es ist Zeit genug, wenn sie's morgen erfährt, und zwar erst nach dem Frühstück; wenn man sich ausgeruht und gekräftigt hat und der helle Tag scheint, kann man's mit dem Schlimmsten leichter aufnehmen.

Der helle Tag erschien, der Löwenwirt war müde und bat seine Frau, einstweilen allein zu frühstücken. Endlich kam er, ließ sich's wohl schmecken, und da nun die Frau in ihn drang, doch zu berichten, wie sich alles geordnet habe, erklärte er endlich: »Frau, ich habe dir eine ruhige Nacht gelassen und einen guten Morgen, jetzt sei auch stark und nimm alles ruhig und gelassen. Eben jetzt in dieser Stunde erklärt mein Advokat in der Stadt, daß ich mich in die Gant gebe.«

Die Löwenwirtin saß eine Weile starr und stumm; endlich fragte sie: »Warum hast du mir das nicht gleich gestern nacht gesagt?«

»Weil ich's gut meine und dich die Nacht noch habe wollen ruhig schlafen lassen.«

»Gut? Du? Der einfältigste Gesell von der Welt bist du! Hättest du mir's gestern nacht gesagt, so hätte sich noch manches wegschaffen lassen, was uns für Jahre zu gute käme; heute am Tag ist's nicht mehr möglich. Wehe! wehe! zu Hilfe! zu Hilfe!« schrie die Löwenwirtin plötzlich aus der ruhigen Rede im entsetzlichen Geschrei auf und sank fast ohnmächtig auf den Stuhl. Die Mägde aus der Küche und Gregor, der Postillon, kamen in die Stube. Die Löwenwirtin erhob sich und schrie jammernd: »Du hast mir's verhehlt, du hast mir nichts gesagt, wie es mit dir steht, daß du vergantet wirst. Auf dich kommt aller Jammer und aller Fluch; ich bin unschuldig. O, ich Arme!«

Jetzt war's an dem Löwenwirt, in Ohnmacht zu sinken, wenn nicht seine starke Kraft dagegen ausgehalten hätte; die Brille fiel von der Stirn von selbst vor die Augen, damit er deutlich sehen könne, ob's denn wahr sei, was hier vorgeht: diese Frau, die nicht abgelassen hatte, bis er, der gelernte Bäcker und Bierbrauer, sich mit ihrem Bruder verband, einen großen Uhrenhandel zu treiben, und als der Schwager starb, ihn fast zwang, das Geschäft allein fortzuführen, obgleich er eigentlich nichts Rechtes davon verstand; diese Frau, die ihn immer zu neuen Unternehmungen gestachelt hatte und von allem wußte, fast besser als er selber, diese Frau hatte jetzt das Gesinde zu Zeugen gerufen, damit auf ihn allein alle Schuld und alle Schmach falle.

In dieser Minute sah der Löwenwirt, wie er im Elend war; fünfunddreißig Jahre zurück, und vorwärts – wer weiß wie viele Jahre noch! Um sich zu retten und ihn allein preiszugeben, trieb die Frau die Heuchelei bis auf die Spitze.

Die Brille war angelaufen, er sah nichts mehr; er fuhr mit einem Tuche gelassen zuerst über die Brillengläser, dann über die Augen.

In diesem Augenblick setzte sich tief in ihm ein Groll an, der nimmer wich; aber der stolze Löwenwirt blieb in seiner gewohnten Ruhe und Gelassenheit.

Als die Mägde und der Postillon die Stube verlassen hatten, sagte er: »Du mußt wissen, warum du so gethan hast, ich weiß nicht, wozu es gut ist; aber ich rede kein Wort mehr darüber.«

Und so hielt er's, er verharrte in seiner Schweigsamkeit und ließ die Frau sagen und klagen, was sie wollte. Es erlustigte ihn fast, wie das so schön thun kann vor der Welt. Er wurde jetzt fast der Weise, für den er gegolten hatte, denn bei dem ganzem Gethue seiner Frau dachte er: es ist doch wunderbar, was der Mensch nicht alles kann. – Ja, Uebung macht den Meister! –

Die unweise Welt fand sich aber nicht so geduldig in den Fall des Löwenwirts. Wie ein Donnerschlag rollte es über Berg und Thal: der Löwenwirt wird vergantet!

Es ist nicht zu glauben, es ist nicht möglich, was steht noch fest, wenn der Löwenwirt umfällt? Selbst der goldene Löwe im Schilde schien sich dagegen zu stemmen, die Angel, in der das weit hinausragende Schild hing, knarrte; aber die Gantkommission bezwingt auch Löwen und fragt nichts danach, ob sie von außen vergoldet sind. Das Schild wurde eingezogen. Der Löwe sah traurig drein, das eine Auge war von der Wand verdeckt, und das andre schien so müde zu blinzeln, wie wenn es sich vor Jammer und Schande auch schließen wollte.

Es krachte unten im Dorfe, und es krachte oben auf der Morgenhalde.

Lenz lief hinab ins Dorf und wieder den Berg hinauf. Der Löwenwirt ging noch immer gravitätisch in der großen Stube auf und ab und sagte mit Würde: »Man muß auch das ertragen als Mann.« Fast hätte er gesagt: als Ehrenmann.

Die Löwenwirtin heulte und klagte: sie habe nichts davon gewußt, und sie schwur, daß sie sich den Tod anthue.

»Schwäher,« sagte Lenz, »Schwäher, ist mein Geld auch mit verloren?«

»In dem großen Haufen kennt man das Geld nicht heraus, wem das oder das gehört,« erwiderte der Löwenwirt im Tone der Weisheit. »Ich werde mich aber arrangieren. Wenn man mir drei Jahre Zeit läßt, gebe ich fünfzig Prozent. Setz' dich. Mit den Händen in der Luft herumfuchteln, hilft da nichts. Lisabeth!« rief er in die Küche hinaus, »mein Essen!«

Die Köchin brachte ein vollständiges Mittagessen herein, der Löwenwirt that rasch die Mütze ab, setzte sie wieder auf und ließ sich behaglich in seinen Armstuhl nieder, schöpfte sich heraus und aß mit der Ruhe eines wahren Weisen. Erst beim zweiten Teller schaute er auf und sagte: »Du solltest auch hersitzen, Frau, das ist der beste Vorspann; da kommt man den steilsten Berg hinauf, wenn man ein rechtschaffen Stück Fleisch im Leib hat. Haben sie allen unsern Wein versiegelt, oder kannst du mir einen Trunk geben?«

»Es ist alles versiegelt.«

»So mach mir nachher einen guten Kaffee, der hilft auch.«

Lenz griff sich an den Kopf. Ist er denn verrückt? Wie ist denn das möglich, daß der Mann, um den jetzt in dieser Minute Hunderte am Leben verzweifeln, sich's behaglich munden läßt? Der Löwenwirt war herablassend gesprächsam und lobte Annele, daß sie nicht auch ins Haus stürme und das unnütze Gejammer vermehre. »Ja, du hast eine gewerbige gescheite Frau, das gescheiteste von meinen Kindern. Schade, daß die nicht ein Mann geworden ist, die hat einen unternehmenden Geist, die Welt wäre anders, wenn die ein Mann wäre. Schade, daß mein Annele nicht einem großen Geschäft vorstehen kann, einem großen Wirtshaus, das wäre das erste weit und breit.«

Lenz war empört über diese Ruhmredigkeiten und dieses ganze Gebaren, jetzt in dieser Stunde; aber er kämpfte es in sich nieder; und aus diesem Kampfe mit sich selbst sagte er in zagem, fast demütigem Tone: »Schwäher, so sorget nur vor allem dafür, daß der Wald hinter meinem Hause nicht geschlagen wird. Ich hörte schon den ganzen Morgen Holz darin schlagen, das darf doch nicht sein.«

Je kleinlauter Lenz das sagte, um so lärmender schrie der Löwenwirt: »Warum nicht? der den Wald hat, kann damit machen, was er will.«

»Schwäher, Ihr habt ja mir den Wald versprochen!«

»Du hast ihn ja nicht genommen; der Wald ist verkauft an den Holzhändler von Trenzlingen.«

»Und Ihr könnt ihn nicht verkaufen; der Wald ist das Dach von meinem Haus. Man darf wohl einige Stämme herausnehmen, aber nicht den ganzen Wald abtreiben. So ist es seit hundert Jahren gehalten. So hat noch mein Großvater erzählt.«

»Das geht mich nichts an. Ich habe jetzt andres zu sorgen.«

»O Himmel,« schrie Lenz weinend, »was habt Ihr mir angethan! Ihr habt mich um das Schönste auf der Welt gebracht.«

»So? Ist Geld alles? Habe nicht gewußt, daß auch bei dir das Herz im Hosensack ist.«

»O nein, Ihr habt mich darum gebracht, daß ich aufs neue Eltern haben soll.«

»Du bist groß genug, um als Waisenkind zu leben; aber ich weiß wohl, du bist einer von denen, der, wenn er schon Großvater ist, noch nach seiner Mutter schreit: Mütterle! Mütterle! dein Kind wird beleidigt! Du hast ja damals gesagt, du seist ein Mann, und was für ein Mann! Ein solcher, der eine Einung stiften kann, da soll ja, wie sie sagen, alles zusammenstehen wie ein Wald, ein Wald voll Uhrmächerle! Ha, ha! So mach jetzt deine Einung, dann bist du ja geborgen mitsamt den andern.« So sagte der Löwenwirt, man hätte gar nicht geglaubt, daß er so boshaft sein kann. Lenz war eben der einzige von seinen Gläubigern, der ihm in den Schuß lief, und auf ihn ging die ganze Ladung seines Zornes los.

Lenz war bald glühend rot, bald blaß geworden, seine Lippen bebten, und er sagte: »Schwäher, Ihr seid der Großvater von meinen Kindern, Ihr wißt, was Ihr ihnen genommen. Ich möcht' Euer Gewissen nicht haben. Aber den Wald darf man nicht schlagen. Ich lasse es auf einen Prozeß ankommen.«

»Gut. Das mach' du, wie du willst,« sagte der Löwenwirt und schenkte sich den Kaffee zum Nachtisch ein. Lenz hielt es in der Stube nicht mehr aus.

Auf der Steinbank vor dem Löwen saß eine abgehärmte Gestalt, es war der Pröbler. Er sagte jedem, der vorüberging, er warte hier auf den Amtspfleger, denn droben beim Löwenwirt sei sein bestes Werk, worin er alle seine Erfindungen angebracht, verpfändet; das dürfe nun nicht mit versteigert werden, damit es hinauskäme und alle Welt es ihm nachmache und er nichts davon habe. Die Gantkommission müsse ihm vorher ein Patent bei der Regierung auswirken, das ihn zum reichen und berühmten Manne mache. Lenz gab sich viele Mühe, den Alten zu beruhigen, er suchte ihm zu beweisen, daß er der einzige sei, an dem der Löwenwirt brav gehandelt, denn er hatte die Werke, die nicht verkäuflich waren – sie standen alle noch oben – zum vollen Preise abgenommen und den Pröbler auf dem Glauben gelassen, daß sie nur verpfändet seien. Der Pröbler war aber nicht von seinem Gedanken abzubringen, so wenig er sich von der Stelle bewegen ließ.

Lenz ging davon, er hatte genug für sich zu thun. Er eilte zum Ohm Petrowitsch. »Siehst du,« sagte dieser triumphierend, »hab' ich dir's nicht hier in meiner Stube gesagt, damals, wie ich hätt' um das Annele anhalten sollen für dich, hab' ich dir's nicht gesagt, der Löwenwirt ist sein Sammetkäpple auf dem Kopf und seine Stiefel an den Füßen schuldig? Und den dicken Bauch hat er sich von fremdem Gut angefressen.«

»Ja, ja, Ohm, Ihr habt recht, Ihr seid gescheit, aber jetzt helft mir.«

»Da ist nichts zu helfen.«

Lenz erzählte die Angelegenheit mit dem Walde. »Da läßt sich noch vielleicht was machen,« sagte Petrowitsch.

»Gottlob! Wenn ich nur den Wald kriege!«

»Davon ist keine Rede; der Wald ist verkauft: aber er darf nur durchforstet und nicht ganz geschlagen werden. Der Wald ist der Wetterschutz für dein Haus, der darf nicht umgemacht werden, mir nichts, dir nichts. Wir wollen dem Bergschinder von Trenzlingen schon den Meister zeigen.«

»Herr Gott, mein Haus!« schrie Lenz. Es war ihm, als ob es einstürze, als ob er heim müsse, es zu retten.

»Dein Haus! Jawohl, du bist aus dem Häusle,« sagte Petrowitsch und lachte dabei über seinen guten Witz. »Geh zum Schultheiß und thu Einspruch. Noch eins, Lenz; ich glaub' in meinem Leben an keinen Menschen mehr; ich hab' dir damals gesagt: deine Frau ist die einzige Gute im Hause. In den beiden andern, siehst du, habe ich mich nicht getäuscht. Sie hat's aber auch schon lang gewußt, vor Jahren hat sie's schon gewußt, und gewiß gewußt, wie's mit ihrem Vater steht. Und du warst der Notnagel, weil sie der Schwiegersohn vom Doktor nicht gewollt hat, und er hat's recht gemacht.«

»Ohm, warum sagt Ihr mir das jetzt?«

»Warum? Weil's wahr ist; ich kann dir Zeugen dafür aufrufen.«

»Warum aber jetzt?«

»Gibt's denn eine Zeit, wo man die Wahrheit nicht sagen soll? Ich hab' gemeint, du und dein Pilgrim, ihr wäret solche Tugendhelden. Ich will dir sagen, was du bist; du bist der ärmste Mensch gewesen, eh' du dein Geld verloren hast, denn du bist ein Reuling, und das ist der armütigste Mensch, da hat der Sack immer ein Loch. Ja, Reuling, merk' dir das. Du hast immer heute Reue auf das, was du gestern gethan hast, und dann denkst du: o, ich Unglückseliger! und ich hab's doch so gut gemeint! Mitleid will kein Mann, oder er ist kein Mann; um Mitleid bettelt nur ein Weib.«

»Ohm, Ihr gehet hart mit mir um.«

»Weil du zu weich mit dir umgehst. Jetzt aber sei einmal fest, laß deine Frau nichts entgelten: behandle sie sanft, denn sie ist jetzt im Elend, weit mehr als du.«

»So?«

»Ja. Dem stolzen Löwen-Annele, dem wird's jetzt schwer eingehen, wenn sie nicht mehr denken kann, es ist jedes stolz darauf, daß sie ihm guten Morgen sagt.«

»Es ist jetzt nicht mehr das Löwen-Annele, es ist meine Frau.«

»Ja, vor Gott und den Menschen; es war dein eigener freier Wille, ich habe dir abgeraten.«

Lenz eilte zum Schultheiß und traf ihn nicht zu Hause, sein Weg ging wie durch Dornen, sie rissen und zerrten an ihm; die guten Menschen waren nicht daheim, und die bösen holten hervor, was sie im geheimen gegen ihn im Sinne hatten, und plagten und höhnten ihn, eben jetzt, da er hilflos war. Er ging wieder heimwärts, rannte aber an seinem Hause vorbei nach dem Walde und befahl den Holzhauern, einzuhalten: »Es darf hier nicht geschlagen werden.«

»Bezahlst du uns den Taglohn für heute?«

»Ja.«

»Gut.« Sie nahmen ihre Aexte und gingen heim.

Zu Haus fand Lenz Annele, wie sie die Kinder an sich drückte und schrie: »O, meine armen Kinder! Ihr müßt betteln gehen, ihr armen Kinder!«

»Solange ich lebe und gesund bin, das nicht; ich bin der Mann, halte dich nur ruhig und sei gutmütig.«

»Gutmütig? Ich habe mein Lebtag nichts Böses gethan; und du irrst dich, wenn du jetzt glaubst, daß du mich unterjochen kannst, daß ich vor dir krieche, weil mein Vater das Unglück gehabt hat. Gerade nicht! Kein bißchen geb' ich nach. Jetzt ist's an dir, deine berühmte Gutmütigkeiten zeigen. Zeig jetzt, wie du deiner Frau beistehst.«

»Ich will's ja, aber wer die Hand nicht aufmacht, dem kann man nichts geben.«

»Hättest du mir nur gefolgt und den Löwen gekauft, da wären wir versorgt, und das Haus wäre nicht verfremdet. Und sag mir nur kein Wort wegen dem Geld! Da, wo du jetzt sitzest, da hast du gesessen, und da ich, und da hat das Glas gestanden, ganz nah am Rand, ich hab's noch hereingerückt; erinnerst dich? Da hab ich dir's gesagt, deutlich und ehrlich gesagt hab' ich's: ein ordentlicher Mann gibt kein Geld her, auch dem Vater nicht, so mir nichts, dir nichts.«

»Hast du denn das damals schon gewußt?«

»Ich habe gar nichts gewußt, gar nichts; ich weiß nur, was ordentlich ist, und weiter laß mich in Ruh.«

»Willst du nicht zu deiner Mutter gehen? Sie jammert gar arg.«

»Was soll ich bei ihr? Daß sie noch einmal heult, wenn ich komme? Ich soll wohl gleich hinuntergehen und mich von allen Leuten begucken und bemitleiden lassen? soll hören, wie des Doktors liebe Töchter Musik machen und lachen, wenn ich vorübergehe? Ich bin mir da oben in meiner Einsamkeit genug, ich brauche keinen Menschen.«

»Vielleicht ist's zum Guten,« tröstete Lenz, »vielleicht bist du da oben in der Einsamkeit von jetzt an glücklicher und besser bei mir. Es kann wieder kommen, es muß wieder kommen, wie's einmal war, damals, wo du gesagt hast: hier oben sind wir im Himmel und lassen die Welt da unten fuhrwerken und jagen und rennen, wie sie mag. Daran wollen wir uns halten. Wir waren einmal glückselig und werden's wieder; wenn du gut bist, kann ich so viel arbeiten als drei. Und vor mir kannst du ruhig sein: wegen dem Gelde habe ich dich nicht geheiratet.«

»Und ich habe dich auch nicht wegen dem Geld geheiratet, wär' auch nicht der Mühe wert; wenn ich auf Reichtum hätte sehen wollen, hätte ich ganz andre haben können.«

»Wir sind schon zu lange bei einander, man redet da nicht mehr von heiraten,« brach Lenz ab; »wir wollen essen.«

Bei Tische erzählte Lenz die Sache mit dem Walde, und Annele sagte: »Weißt du, was dabei herauskommt?«

»Was?«

»Nichts, als daß du den Holzhauern den Lohn bezahlen mußt.«

»Das wollen wir sehen,« sagte Lenz und ging gleich nach Tische abermals zum Schultheiß, den er in der Frühe nicht getroffen hatte.

Auf dem Wege gesellte sich ein trauriger Genosse zu ihm; leichenblaß kam Faller auf ihn zu und rief: »O, das ist entsetzlich, entsetzlich, das ist ein Blitz aus heiterem Himmel!«

Lenz sprach beruhigend; freilich sei dritthalbtausend Gulden ein schwerer Verlust, aber er werde hoffentlich doch aufrechtstehen. Er dankte dem treuen Kameraden für seine Teilnahme. Da blieb Faller stehen wie eingewurzelt. »Was? dich, dich hat er auch hineingebracht? Und mir ist er auch einunddreißig Gulden schuldig, lauter gute Uhren, ich habe wenig dabei verdient, aber ich habe es bei ihm stehen lassen wie auf der Sparkasse; um ein Ziel an meinem Haus abzuzahlen. Jetzt bin ich auf mindestens zwei Jahre zurückgeschnellt.«

Lenz ließ die Hände sinken und sagte, daß er sich nicht bei dem Kameraden aufhalten könne, er müsse zum Schultheiß.

Faller sah ihm traurig nach, er vergaß fast sein eigenes Elend über dem des Freundes.

Der Schultheiß-Doktor war von dem Schlage, der den Löwenwirt getroffen, tief gebeugt. Die Summe, die er selbst dabei verlor, war ohne Bedeutung, aber dieser Sturz war ein Unglück für das ganze Dorf, für die ganze Gegend.

Als Lenz erzählte, wie auch er betroffen sei, rief der Doktor, sich entsetzend: »Also auch dich hat er mit hineingerissen! Nun überrascht mich nichts mehr. Wie ist's nur möglich? Wie ist's nur möglich?« Nach einer Weile sagte er: »Wie trägt's deine Frau?«

»Sie schiebt alles mir zu.«

Lenz berichtete vom Wald und drang auf schleunigste Hilfe, daß nicht auch noch sein Haus allem Wetterschaden ausgesetzt sei und ihm nicht einmal plötzlich der Berg auf den Kopf rolle. Der Schultheiß-Doktor stimmte bei: »Den Wald da kahl abholzen, das verschändet unsre ganze Gegend, und vielleicht verdirbt dadurch unser bester Brunnen, der bei der Kirche, der vom Wald gespeist wird. Mindestens einen Vorstand auf dem Bergrücken müßte man stehen lassen, aber wir können nichts dagegen thun. Es ist und bleibt ein Elend, daß die Waldeigentümer alles abholzen dürfen, wie es ihnen einfällt. Sie wollen jetzt ein Gesetz dagegen machen, aber ich fürchte, es geht da auch wieder wie immer: wenn die Kuh draußen ist, macht man den Stall zu.«

»Aber, Herr Schultheiß, mich trifft das Elend zuerst. Ist da nichts zu machen?«

»Ich glaube schwerlich; es ist bei der Ablösung der Grundlasten versäumt worden – ich war damals noch nicht Schultheiß, dein Schwäher war's –, das Recht der Gemeinde und auch dein Recht zu wahren. Freilich hätte niemand da ein Haus hingebaut, wo deines steht, wenn man an dem Wald hätte den Kahlhieb machen dürfen; aber du hast kein verbrieftes Recht auf den Waldschutz. Probier's aber beim Amt, ich will dir ein Schreiben mitgeben, vielleicht können sie dort doch noch helfen.«

Lenz ist es in den Knieen; er kann kaum vom Fleck, er darf aber jetzt nichts versäumen und die Kosten nicht scheuen. Er nimmt ein Fuhrwerk und fährt nach der Stadt zu Amt.

Eine fast vergessene Gestalt zeigte sich unterdes auf der Morgenhalde, und zwar in strahlendem Putze.

Die Krämerin aus dem nächsten Dorfe, die Base Ernestine, über die Annele damals bei der ersten Ausfahrt so sehr gespottet hatte, kam auf Besuch, in einem neuen seidenen Kleid, mit einer goldenen Uhr behängt. Sie sagte, sie sei im Dorf gewesen, sie habe Geld einzukassieren gehabt, es ginge ihr gottlob sehr gut, ihr Mann mache als Vermittler bei Häuser- und Güterkauf und auch im Lumpenhandel gute Geschäfte, und er sei auch Agent für Feuer-, Hagel-, Menschen- und Viehversicherung, die schön gedruckten Tafeln hingen an allen Laden, das bringe ein schönes Stück Geld ein, und man habe gar nichts dabei zu riskieren, sie habe eben die Ausstände eingetrieben, und da habe sie es nicht übers Herz bringen können, auch nach Annele umzuschauen.

Annele dankte höflich und entschuldigte sich, daß sie keine Aufwartung machen könne. Ernestine beteuerte, daß sie nicht deswegen gekommen sei.

»Ich glaub' dir das,« sagte Annele, und diese Worte hatten viele Deutungen. Annele war fest überzeugt, daß Ernestine nur gekommen sei, um Rache an ihr zu nehmen. Annele, die sie stets gering angesehen hatte, sollte jetzt vergehen vor Neid und Aerger. Annele war indes noch Wirtstöchterlein genug, um die Boshafte mit einigen aufgewärmten höflichen Redensarten abzuspeisen; sie bewahrte dabei aber ihren Stolz – sie war die Haustochter vom Löwen, und das nur eine arme Verwandte, die einst als Magd bei ihnen gedient – sie gab Ernestine zu verstehen, daß es Geschäfte gebe, die sich nur für niedere Leute schicken, andre könnten daraus kein Geld ziehen.

Ernestine war in der That nicht ohne Schadenfreude die Morgenhalde hinaufgegangen, wenn sie gleich dabei an ihre Armtasche griff, in der sie ein Pfund gebrannten Kaffee und ein Pfund Zucker für Annele zum Mitbring hatte. Als sie aber Annele sah, verwandelte sich ihre Schadenfreude in aufrichtiges Mitleid, und als Annele sie so von oben herab behandelte, kam sie wieder in die altgewohnte Unterwürfigkeit und vergaß ihr neues seidenes Kleid und ihre goldene Uhr. Den Mitbring, den sie Annele hatte geben wollen, bot sie ihr jetzt als Probe an, damit sie auch ihre Kundschaft gewinne, und sie weinte in der That aus dem Herzen, als sie sagte: Wenn alle Menschen, die Gutthaten aus dem Löwen empfangen, sie jetzt vergelten möchten, da könnten die Eltern der Annele noch hundert Jahre vollauf davon leben. Sie setzte mit aufrichtigem Tone hinzu, daß, wenn Annele auf den Löwen geheiratet hätte, gewiß alles noch im alten guten Stand wäre.

Bei diesem Lockruf vergaß Annele allen alten Hader und alle neuen Kleider der unleidlichen Base. Es ging nun an einen Austausch von Erinnerungen an glückliche Zeiten, mit Klagen über die Gegenwart untermischt, über die falschen, undankbaren Menschen, und sie waren so einig, daß Annele und Ernestine voneinander schieden, als wären sie von Ewigkeit her die besten Freundinnen gewesen und hätten wie Schwestern miteinander gelebt.

Annele gab Ernestine noch ein Stück Weges das Geleite und beauftragte sie, ihr Mann solle ein schickliches Wirtshaus suchen, besonders wo eine gute Ausspanne ist, das sich kaufen und in die Höhe bringen ließe, und dann wollten sie ihr Haus hier auf der Morgenhalde verkaufen.

Ernestine versprach, alles zu besorgen, und bat Annele wiederholt, ja nicht zu einem andern zu schicken, wenn sie Kaufmannswaren brauche.

Als Annele wieder heimkehrte, gingen ihr mancherlei Gedanken durch den Kopf: unser Haus hat so viele Menschen versorgt und ins Glück gesetzt, und wir sollen nichts mehr sein? Sogar die einfältige Ernestine ist bei uns gewitzigt worden, daß sie jetzt einem Kaufladen vorstehen kann, und hat ihren Mann, den verkommenen Schneider, zu etwas gebracht. Sie hat früher meine abgelegten Kleider getragen, und wie kommt sie jetzt daher! Wie eine Amtmännin, und rasselt mit dem Geld in der Tasche! Und ich soll's zu nichts mehr bringen, soll da oben verdorren und soll gar von der Ernestine Wohlthaten annehmen? Denn sie hat es doch nur nicht gewagt, mir den Kaffee und Zucker zu schenken, und hat ihn als Probe dagelassen. Nein, Uhrmacherle! Ich ziehe dich anders auf, und ich setze eine Musik, die anders klingt.

Sie war nur froh, daß sie den Auftrag gegeben, ein Wirtshaus ausfindig zu machen. Wenn einmal was Bestimmtes da ist, da kann man ganz anders vorfahren.

Einstweilen hielt sie sich still und ruhig. Erst spät in der Nacht kehrte Lenz aus der Stadt zurück mit abschlägigem Bescheid. Es fand sich kein verbrieftes Recht auf den Waldschutz. Und als Lenz morgens erwachte und die Axthiebe am Berge hinter seinem Hause hörte, war's, als ginge ihm jeder Axthieb ins Mark. Ich möcht' am liebsten sterben, sagte er zu sich selbst und ging an seine Arbeit. Er war den ganzen Tag wortlos, und nur, als er am Abend das Licht in der Kammer auslöschte, sagte er laut: »Ich wollte, ich könnte auch mein Leben so auslöschen!«

Annele that, als ob sie ihn nicht hörte.

Annele hatte bisher über den so traurigen Fall keine Thräne vergossen, weder über das Los der Eltern noch über ihr eigenes. Sie hielt sich, mit Ausnahme der Klagen um die Kinder, gefaßt. Als aber am andern Morgen kein neubackenes Weißbrot mehr vom Dorfe heraufkam, als sie den gewöhnlichen Brotlaib zum Kaffee auf den Tisch legte, kugelten ihr schwere Thränen die Wangen herab und fielen auf das Brot; sie schnitt sich, ehe es Lenz sah, das thränenfeuchte Stück ab und aß es, aß es mit ihren Thränen.


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