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Es steht ein Haus an der Bergeshalde, die Morgensonne ruht lange darauf, und wer auf das Haus schaut, dessen Auge erglänzt in Freude; denn der Blick sagt: hier wohnen glückliche Menschen, Menschen eigener Art, sie haben lange, haben schwer ringen müssen, bis sie das Glück aus sich gefunden; sie haben im Vorhofe des Todes gestanden und sind neu auferstanden. . . .
Da kommt die Frau, sie hat ein jugendlich schönes, hellfarbiges Antlitz, aber ihr Haar ist schneeweiß; sie lächelt einer Alten zu, die im Garten arbeitet und den Kindern zuruft, nicht so zu tollen.
»Komm noch herein, Franzl, und ihr Kinder auch. Der Wilhelm geht jetzt in die Fremde,« sagt die junge Frau mit den weißen Haaren; die Alte begleitet sie, sie ist tief gekrümmt und nimmt schon jetzt die Schürze in die Hand für die kommenden Thränen.
Nach einer Weile tritt aus dem Hause der Mann mit einem jungen Burschen, der ein Ränzchen auf dem Rücken trägt, und er sagt: »Wilhelm, hier sag der Mutter Ade und halt dich so, daß du nichts thust, wobei du nicht denken kannst: mein Vater und meine Mutter dürfen's wissen. Dann kannst du, will's Gott, wieder froh über diese Schwelle treten.«
Die junge Frau mit dem schneeweißen Haare umhalst den frischen Jüngling und ruft schluchzend: »Ich habe dir nichts mehr zu sagen, der Vater hat dir alles gesagt. Und wenn du ein Pflänzchen Edelweiß auf den Schweizerbergen findest, bring's heim.«
Der Wanderbursche zieht von dannen, die Geschwister rufen ihm nach: »Ade, Wilhelm! Ade! Ade!« Sie spielen mit dem Worte Ade und wollen gar nicht aufhören.
Der Vater ruft zurück: »Mutter, ich begleite den Wilhelm und den Lorenz nur bis zur Gemarkung, der Pilgrim geht mit ihnen bis zum ersten Nachtlager. Ich bin bald wieder da.«
»Ist recht, aber übereil dich nicht und laß dir den Abschied nicht so zu Herzen gehen. Und sag der Fallerin, sie soll zu uns zu Mittag kommen und das Lisle auch mitbringen.«
Der Vater geht mit dem Sohne davon, und die junge Frau sagt zu der Alten: »Mir ist es ein Trost, daß der Faller-Lorenz mit unserm Wilhelm auf die Wanderschaft geht. . . .«
Wir können erzählen, warum die junge Mutter mit dem Greisenhaare von ihrem in die Fremde ziehenden Sohne ein Pflänzchen Edelweiß wünscht.
Es ist eine schwere, herbe, ja, fast unbarmherzige Geschichte, aber die Sonne der Liebe dringt endlich hellleuchtend durch.