Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel. Schränke und Augen werden aufgemacht.

»Grüß' Gott, Franzl! Ei, du läßt dich auch einmal sehen? Das ist schön, das freut mich.« So wurde Franzl von der Löwenwirtin angeredet, als sie in die Wirtsstube trat.

»Mit Verlaub, habt Ihr nicht nach mir geschickt? Mein Bruder soll ja da sein,« brachte Franzl stotternd hervor.

Die Löwenwirtin wußte von nichts. Der Bruder war allerdings dagewesen, war aber schon lange wieder fort. Die Löwenwirtin hatte dem Hausknecht nur Auftrag gegeben, bei Gelegenheit einmal der Franzl Botschaft zu bringen; von heute wußte sie nichts.

Franzl bat um Verleihung, wollte gleich wieder umkehren, sie kam sich unendlich überflüssig vor hier; das schien der Löwenwirtin zu genügen. Die einfältige Magd durfte nichts merken, mußte glückselig sein, daß man ein paar Minuten sich mit ihr abgab. So war's am besten, sie zu tausend Dank zu verpflichten, statt ihr einen schuldig zu werden. Franzl wurde nun, da sie einmal da war, genötigt, in das Familienstüble zu treten; dort ein wenig zu warten, bis die Vielbeschäftigte zu ihr käme. Franzl wagte es nicht, sich hier auf einen Stuhl zu setzen, und blieb an der Thür stehen und starrte nur immer die großen Schränke an, die bis zur Decke hinausreichten.

Endlich kam die Löwenwirtin und sagte, sich die Kleider glatt streichend: »So, jetzt hab' ich alles abgeschüttelt, jetzt will ich auch einmal eine gute Stunde mit einer alten Freundin haben. Was hat man denn sonst auf der Welt, wenn man auch noch so viel hat?«

Franzl fühlte sich hochbegnadigt. Sie mußte sich zur Löwenwirtin setzen, ganz nahe, aufs Sofa, und eine Magd brachte Kaffee mit Backwerk.

Franzl zierte sich, wie sich's gebührt, und noch etwas mehr, und wollte mit aller Gewalt den Rahm, den ihr die Löwenwirtin ganz eingeschenkt hatte, in die Tasse der Löwenwirtin schütten, bis diese sagte: »Ich werde bös, wenn du mit mir Umstände machst.«

Bei der zweiten Tasse mußte Franzl erzählen, wie es denn oben aussehe, und sie berichtete, daß Lenz so fleißig sei, wie wenn er kein Brot im Haus hätte, und es sei doch alles gespickt voll. Er gehe fast gar nicht aus dem Haus, nur manchmal zum Faller, dem er sein Haus einrichten helfe, für dessen Ankauf er sich verbürgt habe, und er habe dem Faller ein aufgerichtetes Bett und der alten Fallerin das Sonntagsgewand seiner Mutter geschenkt. Wenn der nicht bald jemand bekäme, der ihm die Schlüssel abnehme, der schenke alles weg; aber für sich selber spare und geize er überaus. Er raucht nicht, er schnupft nicht, er trinkt nicht: und spielt nicht, er braucht für sich gar nichts, belobigte Franzl.

Nachdem die Löwenwirtin wieder die Knuslinger, die alles verstehen, sattsam gerühmt hatte, fügte sie beiläufig an: »Denk einmal, gute Franzl, sagt man, dein Herr – was, dein Herr? dein Haussohn will des Doktors Kräutles-Mamsell heiraten. Ist etwas an dem?«

»Ja wohl.«

»So?«

»Heißt das, es ist nichts, mein' ich. Der Pilgrim hat ihm freilich zugeredet, er soll, aber er will nicht, und ich glaub', sie sind bös deswegen.«

»So? Das ist anders. Ich sag's immer: Der Lenz weiß, was er will. Da ist viel besser, er thut, was du meinst, er heiratet des Vogtsbauern Kathrine.«

»Siehst du?« triumphierte Franzl und lächelte in die Luft hinein und nickte, wie wenn Lenz vor ihr stände. »Siehst du? sagt's die gescheite Löwenwirtin auch, daß ich recht habe. Siehst du? Und meinst du immer, sie wäre zu stotzig für dich, und man brächte nichts aus ihr heraus. Ich will's ihm sagen, daß Ihr auch dazu ratet. Das wird mir helfen. Ich hab' mich schon lang nach einer Hilfe umgesehen.«

»Nein, Franzl, Gott behüte! Von mir redest du kein Wort, wenn du heimkommst; aber recht hat er, des Vogtsbauern Kathrine paßt nicht für so einen feinen Menschen, da muß es was ganz Apartes sein.«

»Ja, lieber Gott, wo findet sich das?«

»Ei, guten Tag, Franzl!« sagte das plötzlich eintretende Annele. »Das ist schön, daß du auch einmal da bist. Bleib nur sitzen. Wenn man dich so sieht, meint man, du wärst eine Bäurin von einem großen Hof, und verstehen thätest du alles so gut wie eine. Trink nur, dein Kaffee wird dir kalt. Ist er auch süß genug?«

»O, mehr als genug!« und die Worte Anneles thaten ganze Zuckerhüte hinein.

»Ich möchte auch gern dableiben und ein gescheit Wort von dir hören, aber ich muß in die Wirtsstube. Eins muß da sein. Komm nur bald wieder. Dann bleibst du aber bei mir.«

»O, was ist das ein liebs, liebs Mädle!« lobpreiste Franzl hinter dem weggegangenen Annele. »Ihr habt doch das Himmelreich auf Erden!«

»Man hat auch seine Sorgen. Es ist unser letztes Kind, aber doch denkt man: wenn sie nur schon versorgt wäre!«

Franzl machte große Augen, dann lächelte sie blöd erstaunt, sie wagte aber kein Wort zu sprechen.

Die Löwenwirtin zupfte sich mehrmals an der Nase und lachte ganz elstermäßig; Franzl hielt es für ihre Pflicht, auch zu lachen. Sie weiß auch, was sich schickt auf einem Kaffeebesuch; ja, eines von Knuslingen kann man hinstellen, wo man will, es weiß sich zu helfen. Die Löwenwirtin wußte sich aber nicht zu helfen, so gescheit sie auch war, oder doch, das ist gut.

»Sag, Franzl, bist du Liebhaber, schönes Weißzeug zu sehen?«

»O lieber Gott! das ist ja meine einzige Freude. Wenn ich reich wäre, sieben Kasten voll schönster Leinen müßte ich haben. Die Gewichtlesfrau von Knuslingen, die hat –«

»Da schau einmal,« sagte die Löwenwirtin, die Flügelthüren eines großen Schrankes öffnend, wo in blauen, roten und grünen Seidenbändern alles zu Dutzenden aufgeschichtet war, bis zur Decke hinauf.

»Ist das für die Wirtschaft?« fragte Franzl, als sie sich von Ausrufungen der Bewunderung erholt hatte.

»Gott bewahre! Das ist die Aussteuer von meinem Annele. Von ihrem siebenten Jahr an habe ich so zurückgelegt, bei allen meinen drei Töchtern. Man kann bei so einem Mädle nicht wissen, wie's plötzlich kommt, da brauch' ich nicht mehr zum Weber und nicht mehr zur Näherin. Ich möcht' nur, daß auch einmal eine Aussteuer von einem Kind im Ort bliebe und daß wir auch ein Kind bei uns behielten. Es geht meinen Kindern draußen, gottlob, gut! mehr als gut, aber gut sehen ist besser als gut hören.«

Ueber Franzl kam's wie eine Offenbarung, der Schrank mit all dem Leinenzeug tanzte vor ihr, und die blauen und roten und grünen und gelben Bänder schmolzen in einen Regenbogen zusammen. »Frau Löwenwirtin, darf ich was sagen? Wenn's unverschämt ist, bitt' ich tausendmal um Verzeihung. O, lieber Gott, wo das ist, was muß da sonst noch sein! Wie wär's? Darf ich's sagen . . . Wenn mein Lenz . . .?«

»Ich sag' nichts, ich bin die Mutter, und mein Kind ist so, daß man ihm nachfragen kann. Verstehst du? Ich mein' . . . ich weiß nicht –«

»O, das ist genug, himmelgenug! O, lieber Gott! Ich flieg' heim, ich hab' ihn auf den Armen getragen, ich trag' ihn wieder, daher; aber er wird springen, über sieben Hecken, über alle Häuser. Frau Löwenwirtin, ich bin dumm, ganz einfältig, nehmt mir's nicht übel.«

»Was? Du einfältig? Du kannst ja einem den hintersten Gedanken aus der Seele ziehen. Du kannst sieben Ratsherren in die Tasche stecken! Aber schau, Franzl, wir sind da ganz allein bei einander, zwei gute Freunde, vor Gott; ich hab' dir nichts gesagt, du hast das selber ausfindig gemacht. Mein Mann will natürlich höher hinaus. Ich will aber auch ein Kind im Ort haben, wenn's Gottes Wille ist. Ich sag' dir ehrlich, ich kann nicht falsch sein und nichts verleugnen, ich werfe deinen Antrag nicht weg.«

»Das ist genug. Ich will zeigen, daß wir Knuslinger nicht umsonst den Namen haben!«

»Ja, wie willst du's denn nun machen?«

»Hoho!« rief Franzl sehr entschieden und that dabei sehr pfiffig. »Das wird schnell gehen. All sein Handwerkszeug reiß' ich ihm aus der Hand und jag' ihn fort. Noch heut muß er da sein. Stehet ihm aber auch bei, er ist unter Fremden ein bißle scheuch –«

Die Löwenwirtin beruhigte die entflammte Franzl, die bald aufstand, bald sich niedersetzte, bald die Hände zum Himmel erhob, bald sie still faltete. Sie empfahl ihr, ja ihre Klugheit zu beweisen und nichts zu verraten, daß die Mutter Anneles ihm hold sei. Sie gab ihr noch die weise Lehre, hauptsächlich auf die andern bös zu reden, das heißt: Lenz vor ihnen zu warnen und das Annele kaum zu erwähnen; »denn,« schloß die Löwenwirtin, »so etwas muß man zimpfer anfassen, und man sagt im Sprichwort: Man darf auf einen Blitz nicht mit Fingern deuten.«

Franzl wollte immer gehen und ging doch nicht. Endlich hatte sie die Thür in der Hand, sie grüßte noch den großen Schrank, und ihr Blick sagte: du bist bald bei uns. Sie nickte zu jedem Stück Hausrat: das ist jetzt alles unser, und ich bin's, die's bringt. Und heimwärts ging's, als ob all das Weißzeug zu Segeln geworden wäre und sie im scharfen Herbstwinde den Berg hinauftrüge.

Annele sagte aber hinter dem Schenktisch zur Mutter: »Mutter, warum zeiselt Ihr die alte dumme Kuh so ins Haus? Wenn je etwas daraus wird, soll man der dann den Hof machen, und thut man's nicht, schreit sie über Undank. Und was pressiert es denn so?«

»Stell dich nicht so, wie wenn du von nichts wüßtest. Es ist gut und nötig, daß du bald versorgt bist.«

»Ich stell' mich nicht und weiß nichts. Ihr habt ja früher nichts vom Lenz wissen wollen; warum wollet Ihr jetzt?«

Die Mutter sah Annele groß an. Sollte die Schnabelschnelle wirklich nichts wissen? Sie sagte nur: »Jetzt ist's anders, jetzt ist der Lenz allein und hat ein volles Haus. Zu einer Schwiegermutter hätte ich dich nicht gegeben.« Sie verließ die Stube und dachte: Thust du falsch gegen mich, thu' ich's auch gegen dich.

Auf der Morgenhalde ging Franzl immer umher und lächelte, und mit lächelndem Mund schimpfte sie auf alle Mädchen, auf des Doktors, auf des Vogtsbauern Kathrine; Annele erwähnte sie nicht, sprach aber geheimnisvoll von Weißzeugbergen und rechten Leuten. Lenz glaubte, daß die Alte in ihrer Einsamkeit verwirrt zu werden beginne; sie that aber ruhig ihre Arbeit und war lustiger als je, und ebenso in sich begnügt war er selbst bei der Arbeit und kam lange nicht ins Dorf.


 << zurück weiter >>