Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es summt und schwirrt in der mitternächtigen Luft. Horch! rasche Rossestritte aus der Ferne, sie kommen näher! Hei! da springt ein Reiter auf sattellosem Pferde daher und ruft: »Feuerjo! Feuerjo! Hilfe! Feuerjo!« – Er reitet gerade der Kirche zu, und bald klingt es vom Turme, es läutet Sturm.
Wie schwer ist's, mitten in der Erntezeit sich aus dem besten Schlaf zu erheben; die Menschen können nicht aufkommen, sie liegen fast wie die Halme draußen im Feld, die sie mit emsiger Hand geschnitten. Aber es muß sein. Die Burschen, die Pferde im Stall haben, sind am flinksten; jeder will den Preis gewinnen, der seit alten Zeiten darauf gesetzt ist, wer am ersten mit angeschirrtem Gespann sich am Spritzenhäuschen einfindet. Da und dort erscheint Licht in den Stuben, öffnet sich ein Fenster, Thüren gehen auf, und die Mannen ziehen eilig erst auf der Straße die Jacken an. Als man am Rathaus versammelt ist, heißt es allgemein: »Wo brennt's?« – »In Eibingen!« – Frag' und Antwort war kaum nötig, denn dort hinter dem dunkeln Tannenwald stand der ganze Himmel angeglüht, still gleich dem Abendrot, und nur bisweilen schoß ein Sprühregen von Funken empor, wie wenn ein mächtiger Luftzug durch einen Hochofen geht.
Die Nacht ist so still und lau, die Sterne glitzern so ruhig auf die Erde nieder, sie kümmern sich wohl nichts darum, ob ein Menschenkind da unten verkommt oder vergeht. –
Die Spritze ist angespannt, die Feuereimer sind aufgereiht, zwei Fackeln sind entzündet, die Fackelträger stehen bereits hüben und drüben und halten sich an dem Messingspund; wer nur noch einen Griff, eine Hand breit Platz gewinnen kann, um zu stehen und zu fassen, schwingt sich hinauf, man sieht kaum mehr ein Stückchen von der rot angestrichenen Spritze.
»Noch ein Gespann vor, zwei Pferde können nicht alles ziehen!«
»Thut die Fackeln weg!«
»Nein, es ist alter Brauch!«
»Fahrt zu, in Gottes Namen!«
So scholl die laute Rede hin und her.
Jetzt rollte das schwere Gefährt das Dorf hinaus an den schlafenden Feldern und Wiesen vorbei. Die Obstbäume am Wege mit ihren Stützen tanzen lustig vorüber im flackernden Licht, und jetzt dröhnt es durch den Wald; vom Licht und Lärm geweckt erwachen die Vögel aus ihrem Schlummer und fliegen scheu umher und können sich kaum mehr zurückfinden ins warme Nest. Jetzt endet der Wald, da drunten im Thal liegt das Dorf tageshell, und es ist ein Schreien und Sturmgeläute, als ob die Flamme dort Stimme gewonnen hätte.
Seht! Steht nicht dort am Waldesrand eine weiße Geistergestalt und hält etwas Dunkles an der Brust? Vernehmt ihr nicht einen Laut, einen schrillen Saitenklang? Die Räder rasseln, man kann nichts Deutliches vernehmen – vorbei, eilt, rettet!
Da kommen Leute aus dem Dorfe, die ihre Habe flüchten, Kinder in bloßen Hemden mit nackten Füßen, sie tragen Betten, Zinn- und Kupfergeschirr. Ist's denn so weit, oder hat ein grauser Schreck alles ergriffen?
»Wo brennt's?«
»Beim Geigerlex.«
Und rascher trieb der Fuhrmann die Pferde, und ein jeder reckt sich, um doppelt zu helfen.
Als man sich der Brandstätte nahte, sah man bald, das brennende Haus war nicht mehr zu retten; alle Wasserstrahle waren nur auf die angebauten Häuser gerichtet, um diese vor den gierig leckenden Flammen zu wahren.
Man war eben damit beschäftigt, ein Pferd, zwei Kühe und ein Rind aus dem Stall zu retten; scheu gemacht durch das Feuer, wollten die Tiere nicht vom Platz, bis man ihnen die Augen verband und sie so durch Schläge endlich hinaustrieb.
»Wo ist der Geigerlex?« hieß es von allen Seiten.
»Er ist im Bett verbrannt,« berichteten die einen.
»Er ist entflohen,« berichteten andre. Niemand wußte Sicheres.
Er hatte weder Kind noch Verwandte, und doch trauerte alles um ihn, und die aus den Nachbardörfern gekommen waren, schalten die Einheimischen, daß sie nicht vor allem über das Los des Unglücklichen sich Gewißheit verschafft hatten. Bald hieß es, man habe ihn beim Schmied Urban in der Scheune gesehen, bald wieder, er sitze droben in der Kirche und heule und jammere; das sei das erste Mal, daß er ohne Geige und nur zum Beten dorthin gekommen sei; – aber man fand ihn nicht da und fand ihn nicht dort, und nun hieß es wieder, er sei in dem Hause verbrannt, man habe sein Winseln und Klagen vernommen, aber es sei zu spät gewesen, ihn zu retten, denn schon schlug die Flamme zum Dach hinaus und spritzte das Glas der Fensterscheiben bis an die Häuser auf der andern Seite der Straße.
Als es mählich zu dämmern begann, waren die angrenzenden Gebäude gerettet. Man ließ nun das Feuer auf seiner ursprünglichen Stätte gewähren, alles schickte sich zur Heimkehr an.
Da kam vom Berg herab, just wie aus dem Morgenrot heraus, ein seltsamer Aufzug. Auf einem zweirädrigen Karren, an den zwei Ochsen gespannt waren, saß eine hagere Gestalt, nur mit dem Hemd angethan, und halb mit einer Pferdedecke zugedeckt; der Morgenwind spielte in den langen weißen Locken des Alten, dessen lustiges Gesicht von einem kurzen struppigen und schneeweißen Bart eingerahmt war. In den Händen hielt er Geige und Fiedelbogen. Es war der Geigerlex. Junge Burschen hatten ihn am Saum des Waldes gefunden, dort wo ihn die Fahrenden im raschen Fluge bei der Fahrt fast als eine Geistererscheinung gesehen, dort stand er, nur mit dem Hemde angethan, und hielt seine Geige mit beiden Armen an die Brust gedrückt.
Als er sich jetzt dem Dorfe nahte, nahm er Geige und Fiedelbogen auf und spielte seinen Lieblingswalzer nach dem bekannten Liede: »Heut bin ich wieder kreuzwohlauf« u. s. w.
Alles schaute nach dem seltsamen Mann und grüßte ihn, wie wenn er von den Verstorbenen wieder erstanden wäre.
»Gebt mir was zu trinken!« rief er den ersten zu, die ihm die Hand reichten – »ich hab' so einen mächtigen Durst.«
Man brachte ihm ein Glas Wasser. »Pfui!« rief der Alte, »das wäre eine Sünde, so einen prächtigen Durst, wie ich habe, mit Wasser zu löschen – Wein her! Oder hat der verfluchte rote Hahn auch meinen Wein ausgesoffen?«
Und wieder fing er an, lustig zu geigen,. bis man vor der Brandstätte ankam.
»Das sieht ja aus wie der Tanzboden den Tag nach der Kirchweih,« sagte er endlich, stieg ab und ging in des Nachbars Haus.
Alles drängte sich zu dem Alten und umringte ihn mit Trostworten und mit dem Versprechen, ihm alle Hilfe zum Wiederaufbau des Hauses zu leisten.
»Nein, nein,« beschwichtigte er, »es ist recht so, mir gehört kein Haus, ich gehöre zum Spatzengeschlecht, das baut sich kein Nest und hat kein eigenes und huscht nur manchmal ein bei den Pfahlbürgern, den Schwalben. Für ein paar Jahre, die ich noch Urlaub habe, bis ich in unsres Herrgotts Hofkapelle oder in die Regimentsmusik bei seinen Leibgarden-Engeln eingereiht werde, finde ich schon überall Quartier. Jetzt kann ich wieder auf einen Baum steigen und zur Welt hinunter rufen: ›Von dir da unten ist nichts mein!‹ – Es war doch unrecht, daß ich ein Eigentum gehabt habe, außer meiner herzliebsten Frau Figeline.«
Es ließ sich dem seltsamen Mann nichts einwenden, und die Auswärtigen kehrten heim mit dem beruhigenden Gefühl, daß der Geigerlex noch da sei. Er gehörte notwendig in die ganze Gegend, – sie wäre verschändet gewesen, wenn er fehlte, fast wie wenn man die weithin sichtbare Linde auf der Landecker Höhe unversehens über Nacht niedergeworfen hätte.
Der alte Geigerlex freute sich gar sonderlich, als ihm der reiche Schmied Kaspar einen alten Rock schenkte, der Kehreiner Joseph ein Paar Hosen, und andre andres. »Jetzt trage ich das ganze Dorf auf dem Leib,« sagte er und gab jedem Kleidungsstück den Namen des Gebers. »So ein Rock, den einem ein andrer vorher lind getragen hat, sitzt gar geschmeidig, man steckt in einer fremden Menschenhaut. Mir war's allemal wind und weh, wenn ich einen neuen Rock bekommen hab', und ihr wißt, ich bin allemal in die Kirche gegangen und hab' die Aermel in das herabtropfende Wachs von den heiligen Kerzen gedrückt und hab' g'sagt: ›So, Rock, jetzt bist du mein; bisher bin ich dein g'wesen.‹ Das spar' ich jetzt bei euren Kleidern, die habt ihr schon mit allerlei Speis' und Trank genährt. Ich bin jetzt ein neugeborenes Kind, und dem schenkt man die Kleidchen, die man ihm nicht angemessen. Ich bin neugeboren.«
In der That schien das bei dem Alten der Fall; seine frühere tolle Laune, die seit einiger Zeit eingeschlummert schien, jauchzte wieder laut auf.
Als ein Mann hereintrat, der zum Löschen des Brandes gekommen war und, weil er einmal im Geschäfte begriffen, auch innerlich einen Brand gelöscht hatte, und zwar, wie sich ganz deutlich zeigte, mehr als nötig – da schrie der Geigerlex: »Ich beneide nur den Kerl um seinen schönen Rausch.«
Alles lachte. – Das Lachen und Spaßen ward indes unterbrochen, denn der Amtmann mit seinem Aktuarius kam, um über die Entstehung des Feuers und den angerichteten Schaden ein Protokoll aufzunehmen.
Der Geigerlex gestand sein Vergehen offenherzig ein. Er hatte die seltsame Eigenheit, daß er fast in jeder Tasche ein Schächtelchen mit Reibzündhölzchen trug, um nie fehlzugreifen, wenn er seine Pfeife anzünden wollte. Wenn man ihn besuchte, und wenn er wohin kam, spielte er immer damit, daß er eins der Hölzchen rasch entzündete. Oft und oft sagte er dabei: »Es ist doch schändlich, daß das erst jetzt aufkommt, wo ich bald abkratzen muß. Schaut, wie das geht, wie der Blitz. Wenn ich's zusammenrechne, hab' ich Jahre Zeit verloren mit dem Feuerschlagen; der Alte da oben muß mir dafür zehn Jahre Zulag geben zu den siebzig Jahren, die mir gehören.«
Aus dieser fast kindischen Spielerei war aller Wahrscheinlichkeit nach der Brand entstanden, es ließ sich aber nichts beweisen, und der Amtmann sagte zuletzt: »Es ist nur gut, Ihr seid eigentlich der letzte Spielmann; in unsrer Zeit voll griesgrämiger Wichtigthuerei seid Ihr ein Ueberrest aus der vergangenen lustig sorglosen Welt, es wäre schade, wenn Ihr so jämmerlich umgekommen wäret.«
»Und bei meinem gesunden Durst verbrennen, das wäre gar zu dumm! Herr Amtmann, ich hätte sollen Pfarrer werden, ich hätte den Menschen gepredigt: ›Macht euch nichts aus dem Leben, und es kann euch nichts anhaben; schaut euch alles wie eine Narretei an, und ihr seid die Gescheitesten; und gibt's noch auf der andern Welt eine Nachkirchweihe, so tanzen wir sie auch mit!‹ Wenn die Welt immer lustig wär', nichts thät', als arbeiten und tanzen, da brauchte man keine Schullehrer, nicht schreiben und lesen lernen, keine Pfarrer, und – mit Verlaub zu sagen, auch keine Beamte. – Die ganze Welt ist eine große Geige, die Saiten sind aufgespannt, der lustige Herrgott verstünde es schon, darauf zu spielen, aber er muß immer an den Schrauben am Hals – das sind die Herren Pfarrer und Beamten – drehen und drücken, und es ist alles nichts als ein Probieren und Stimmen, und der Tanz will nie losgehen.«
Solcherlei Rede führte der Geigerlex, und der Amtmann nahm wohlwollend Abschied von ihm; denn auch er kannte die Lehensgeschichte des seltsamen Mannes.
Es sind jetzt nahezu dreißig Jahre, seit der Geigerlex im Dorf ist, gerade so lange, als die neue Kirche eingeweiht wurde. Damals kam er in das Dorf und spielte drei Tage und drei Nächte, nur einige Morgenstunden ausgesetzt, fast unaufhörlich die tollsten Weisen. Abergläubische Leute munkelten, das müsse der Teufel sein, der so viel Uebermut aus dem Instrumente zu locken vermag, der niemand ruhen und rasten ließ, wer ihm zuhörte, wie er selbst kaum der Ruhe zu bedürfen schien. – Er aß während dieser ganzen Zeit kaum einen Bissen und trank nur, aber in mächtigen Zügen, während der Pausen. Manchmal war's, als bewegte er sich gar nicht, er legte nur den Fiedelbogen auf die Saiten, und helle Töne sprangen daraus hervor, der Fiedelbogen hüpfte fast von selbst in kurzen Sätzen auf und nieder.
Hei! was war das ein Rasen und Springen auf dem großen Tanzboden in der Sonne!
Einmal während einer Pause rief die Wirtin, eine behagliche runde Witwe: »Spielmann! halt doch einmal ein, alles Vieh im Dorf verklagt dich und muß fast verkommen, die Burschen und Mädchen gehen nicht heim zum Füttern. – Wenn du's nicht wegen der Menschen thust, wegen des lieben Viehes halt doch ein!«
»Recht so,« rief der Geigerlex, »da könnt Ihr's sehen, wie der Mensch das edelste Wesen auf der Erde ist, der Mensch allein kann tanzen, paarweise tanzen. Wirtin, wenn du einen Tanz mit mir machst, dann hör' ich eine Stunde auf.«
Er stieg von dem Tisch herunter. Alles drang in die Wirtin, bis sie nachgab. Sie mußte ihn um die Hüfte fassen; er aber hielt seine Geige, entlockte ihr noch nie gehörte Töne, und in solch seltsamer Stellung, spielend und tanzend, drehten sie sich im Kreise, und zuletzt hörte er wie mit einem hellen Jauchzen auf, umfaßte die Wirtin und gab ihr einen herzhaften Kuß. – Er erhielt dafür einen ebenso herzhaften Schlag auf den Backen. Das eine wie das andre geschah indes in Frieden und Lustbarkeit.
Von jener Zeit an blieb der Geigerlex im Hause der Sonnenwirtin. Er nistete sich dort ein, und wenn eine Lustbarkeit in der Umgegend war, spielte er auf, kehrte aber regelmäßig immer wieder zurück, und es war weit und breit kein Dorf und kein Haus, in dem mehr getanzt wurde, als bei der runden Sonnenwirtin.
Der Geigerlex benahm sich im Hause als dazu gehörig, er bediente die Gäste (denn zur Feldarbeit kam er nie), unterhielt alle Ankommenden, machte bisweilen ein Kartenspiel und wußte den neu angekommenen Wein trefflich zu loben. »Wir haben wieder einen frischen Tropfen; verschmeckt ihn nur, in dem Wein da ist Musik drin!« Ueber alles, was das Wirtshaus betraf, sprach er mit der Redeweise »Wir«. »Wir liegen auf der Straß',« – »man muß über uns stolpern,« – »wir haben den besten Keller« u. s. w.
Der Jahrestag der Kircheneinweihung kam wieder, und der Geigerlex war noch immer da!
»Heut ist mein Purzeltag, heut bin ich hier auf die Welt kommen!« – so rief er, und seine Geige war lustiger als je.
Man konnte sich im Dorf und in der ganzen Gegend das Wirtshaus »zur Sonne« gar nicht mehr denken ohne den Geigerlex. Die Wirtin aber dachte sich's doch vielleicht anders. – Als der zweite Jahrestag der Kirchweih vorüber war, faßte sie sich ein Herz und sagte: »Lex, du bist mir lieb und wert; du bezahlst, was du verzehrst; aber möchtest du nicht auch wieder einmal probieren, wie sich's unter einem andern Dach haust? Wie meinst?«
»Mir gefällt's bei uns! Wer gut sitzt, soll nicht rücken, sagt man im Sprichwort.«
Die Wirtin schwieg.
Wieder vergingen einige Wochen, da begann sie abermals: »Lex, nicht wahr, du meinst's gut mit mir?«
»Rechtschaffen gut.«
»Hör', es ist nur wegen der Leut', ich leg' dir nichts in den Weg, aber weißt, es ist ein Gerede. Du kannst ja wiederkommen, nach ein paar Monaten. Wenn du wiederkommst, steht dir mein Haus offen.«
»Ich geh' nicht weg, da brauch' ich nicht wiederkommen.«
»Mach' jetzt keine Späß', du mußt fort.«
»Ja, zwingen kannst du mich. Geh nauf in meine Kammer, pack meine Sachen in einen Bündel und wirf sie auf die Straße. Anders kriegst du mich nicht vom Fleck.«
»Du bist ein Teufelsbursch. Was soll ich denn mit dir anfangen?«
»Heirat' mich.«
Er erhielt wieder einen Schlag auf den Backen, aber diesmal viel sanfter als bei der ersten Kirchweih.
Als die Wirtin den Rücken wendete, nahm er die Geige und spielte hell auf.
In kürzeren Zwischenräumen versuchte es nun die Wirtin, den Lex zum Fortgehen zu bewegen, aber seine beständige Antwort war: »Heirat' mich.«
Einstmals sprach sie mit ihm, daß ihn wohl die Polizei nicht mehr dulde, er habe ja eigentlich keinen rechten Ausweisschein u. dergl. Drauf antwortete Lex keine Silbe, setzte den Hut auf die linke Seite, pfiff ein lustiges Lied und ging nach dem zwei Stunden entfernten Schlosse des Grafen. Das Dorf gehörte damals noch dem reichsunmittelbaren Grafen von S.
Am Abend, als die Wirtin in der Küche am Herd stand und ihre Wangen erglänzten im Widerschein des Feuers auf dem Herd, trat Lex, ohne eine Miene zu verziehen, vor sie hin, überreichte ihr ein Papier und sagte: »So, da hast du unsre Heiratsbewilligung, der Graf dispensiert uns noch von jedem Aufgebot, heut ist Freitag, übermorgen ist unsre Hochzeit.«
»Was? du Schelm wirst doch nicht –«
»Herr Lehrer!« rief Lex dem eben an der Küche Vorübergehenden zu, »kommet herein und leset vor!«
Er hielt die Wirtin am Arm fest, während der Lehrer las und am Ende seinen Glückwunsch aussprach.
»Nun, meinetwegen!« sagte die Wirtin endlich, »du bist mir schon lang recht, aber es war nur auch wegen dem Gerede und dem Gelauf.«
»Also übermorgen?«
»Ja, du Schelm« . . .
Das war nun ein lustiger Aufzug, als am Sonntag der Geigerlex, genannt Alexis Grubenmüller, sich selber den Hochzeitsreigen aufspielte, geigend neben seiner Braut zur Kirche ging und die Geige erst am Taufbecken ablegte, auf dem Heimweg aber wieder so lustig geigte, daß allen Leuten das Herz im Leibe lachte.
Von dazumal also ist der Geigerlex im Dorf, und das heißt so viel als: die Lustigkeit lebt darin.
Seit mehreren Jahren aber ist er manchmal auch trübselig, denn die hohe Kirchen- und Staatspolizei hat verordnet, daß ohne obrigkeitliche Erlaubnis nicht mehr getanzt werden darf. – Auch haben die Trompeten und Blasinstrumente die Geige verdrängt, und so spielte unser Lex nur noch den Kindern unter der Dorflinde seine lustigen Weisen vor, bis auch dies das hochlöbliche Pfarramt als schulpolizeiwidrig untersagte. Vor drei Jahren ist dem Lex noch gar seine Frau gestorben, mit der er immer in Scherz und Heiterkeit gelebt.
So trotzig keck auch der Geigerlex anfangs sein Schicksal aufgenommen hatte, so ward es ihm doch jetzt manchmal schwer, mehr als er gestand.
»Der Mensch sollte nicht so alt werden,« war das einzige, was er manchmal sagte, und das war nur ein Aufschrei aus einer großen inneren Gedankenreihe, in der er es wohl erkannte, daß zum lustigen Leben eines fahrenden Musikanten auch ein junger Leib gehört.
»Das Heu wächst nicht mehr so weich wie vor dreißig Jahren!« pflegte er oft zu behaupten, wenn er sich in Scheunen gebettet hatte.
Der junge Amtmann, der ein besonderes Wohlwollen für den Geigerlex hatte, war indes darauf bedacht, ihm sorgenfreie Tage zu sichern. Die nicht unbedeutende Summe, mit welcher das Haus in der allgemeinen Landesfeuerkasse versichert war, wurde statutenmäßig nur dann voll ausbezahlt, wenn ein anderes Haus an der Brandstelle aufgerichtet wurde. Die Gemeinde, die sich schon lang nach einem Bauplatz zum neuen Schulhaus in der Mitte des Dorfes umthat, kaufte nun, auf Betreiben des Amtmanns, dem Geigerlex die Brandstätte mit allem darauf Haftenden ab. Der Alte aber wollte kein Geld, und so ward ihm eine wohlausreichende Jahresrente bis zu seinem Tod ausgesetzt. Das war nun gerade so nach seinem Geschmack. Er erlustigte sich viel damit, wie er sich selbst aufzehre und das Glas voll austrinke, daß auch kein Tropfen mehr darin sei.
Auch ward es ihm nun wieder nachgesehen, daß er den Kindern unter der Dorflinde an Sommerabenden vorgeigen durfte. So lebte er nun aufs neue frisch auf, und manchmal erblitzte wieder sein alter Uebermut.
Als man im Sommer darauf das neue Schulhaus zu bauen begann, da war er beständig wie zauberisch dorthin gebannt. Er saß auf dem Bauholz, auf den Steinen und sah mit beständiger Aufmerksamkeit zu: hacken, graben und hämmern. Mit dem frühesten Morgen. sobald die Bauleute auf ihrer Arbeitsstätte erschienen, war der Geigerlex schon da. Wenn die Werkleute nach drei Stunden Arbeit ihr Frühstück verzehrten, und wenn sie am Mittag eine Stunde Rast machten und die Kinder und Weiber ihnen das Essen brachten, da saß der Geigerlex immer unter den Ruhenden und Genießenden und machte ihnen »Tafelmusik«, wie er's nannte. Viele aus dem Dorf sammelten sich dazu, und so ward der ganze Bau eine sommerlange einzige Lustbarkeit.
Der Geigerlex sagte oft, jetzt sehe er erst recht, wie er so viel zu thun gehabt habe; er hätte sollen überall sein, meinte er, wo fröhliche Menschen rasten; die Musik könnte den magern Kartoffelbrei zum schmackhaftesten Leckerbissen machen . . .
Noch ein schöner Ehrentag sollte dem Geigerlex aufgehen, es war der Tag, als der geschmückte Maien auf den fertigen Giebel des neuen Schulhauses gesteckt wurde. Die Zimmerleute kamen, sonntäglich angethan, mit einer Musikbande vorauf, um ihren Bauherrn, den Geigerlex, abzuholen. Er war den ganzen Tag über so voll Uebermut, wie in seinen besten Jahren, er sang, trank und geigte bis in die tiefe Nacht hinein, und am Morgen fand mau ihn, den Fiedelbogen in der Hand, auf seinem Bette tot . . .
Manche Leute wollen in stiller Nacht, wenn es zwölf Uhr schlägt, im Schulhaus ein Klingen hören wie die zartesten Geigentöne. Einige sagen, es sei das Instrument des Geigerlex, das, dem Schulhause vererbt, allein spiele. Andere wollen gar die Töne, die der Geigerlex beim Bau in Holz und Stein hineingespielt hat, in der Nacht herausklingen hören. Jedenfalls werden die Kinder nach allen neuen rationellen Methoden in einem Haus unterrichtet, das von der Sage umschwebt ist.