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Der Tag graute kaum, als Alban einen der Fuchsen gesattelt aus dem Stall zog, er schwang sich behend auf und ritt im Nebel zum Thor hinaus und davon. Ohne Aufenthalt wie ein Feuerbote jagte er im raschen Galopp dahin, und er war in der That ein Feuerbote, er wollte in der Stadt Schutzmittel suchen gegen den Brand, der in seinem elterlichen Hause entflammt war. In der Stadt angekommen und ganz brennend vor Zorn befiel ihn doch noch einmal Bangigkeit darüber, daß er einen Familienzwist vor die Gerichte bringen sollte; die alte strenge Zucht war doch noch mächtiger in ihm, als er geahnt hatte. Er glaubte sein Auge nicht aufschlagen zu können vor dem Richter, dem er die Sache vorbringe. Der Kreuzwirt, noch ein standfester Republikaner, dessen Wirtschaft darum auch von vielen, die es mit dem Amte nicht verderben wollten, gemieden wurde, galt für einen klugen Advokatenkopf, und ihm entdeckte sich nun Alban zuerst, ohne ihm jedoch alles und namentlich die letzte Mißhandlung zu sagen. Der Kreuzwirt erklärte, daß Alban nichts anfangen könne, so lange der Vater lebte; man könne ihn nicht zwingen, sein Gut abzugeben auf diese oder andre Weise; er traute sich indes doch nicht ganz und riet Alban, nach der nächsten Stadt zu reiten, wo der Sohn des Hirzenbauern als Rechtsanwalt wohne. Alban schien das nicht genehm. Er ging aus und stand geraume Zeit vor dem Oberamtsgericht, ohne sich entscheiden zu können, ob er hineingehen solle oder nicht. Da sah er in der Oberamtei eine Frauengestalt am Fenster, er grüßte hinauf, man dankte freundlich. Alban ging hinauf zur Frau Oberamtmännin. Sie öffnete selbst den Treppenverschlag und hieß ihn eintreten; sie fragte ihn nach Ameile, nach dem Vater, nach Dominik und seinem eigenen Befinden. Alban gab anfangs nur stotternde und oberflächliche Auskunft. Sein Blick schweifte wie verloren in der Stube umher. Ist denn dieses Haus auf derselben Erde, auf der sein väterliches stand? Wie ist hier alles so geregelt, so fein, wie spricht aus allem eine Ruhe; und doch ist das nur ein Stockwerk höher über den Stuben, wo die gräßlichsten Händel, Mord und Totschlag, Raub und Betrug verhandelt werden. Und dazu diese begütigende Stimme der Frau. Alban hatte ein solches von Bildung und zarter Sitte erfülltes Hauswesen schon einmal kennen gelernt im Hause des Direktors der Ackerbauschule, aber jetzt erschien ihm alles wieder so fremd, so traumhaft schön.
Die Oberamtmännin verstand es, seine Gedanken zu sammeln, und mit einer wie elegisch gebrochenen Stimme erzählte ihr nun Alban alles. Sie stand oft unwillkürlich auf, wenn er ihr eine Herbheit berichtete, setzte sich aber schnell wieder und bat Alban fortzufahren. Zuletzt sagte sie ihm, daß ihr Mann morgen nach Reichenbach müsse, sie werde vielleicht mitkommen und ihn wo möglich bewegen, daß er auf den Furchenhof fahre und dann solle alles rein freundschaftlich ohne den Amtsweg geschlichtet werden, denn das stehe fest, Alban könne nicht mehr bei seinem Vater bleiben. Während dieser noch herzlich dankte für die getreue Annahme, kam ein Dienstmädchen und meldete Dominik. Die Frau Oberamtmännin hieß ihn eintreten.
»So? Da treff' ich dich?« sagte Dominik zu Alban und richtete einen Gruß von Ameile an die Oberamtmännin aus, mit der Bitte, sie möge so bald als möglich auf den Furchenhof kommen, der Vater habe Respekt vor ihr, und sie könne viel machen. Die Oberamtmännin gab nun feste Zusage, und auf dem Weg nach dem Wirtshause sagte Dominik zu Alban:
»Dein Vater hat mich dir nachgeschickt, du sollst ja nicht vor Gericht gehen. Er will alles thun.«
»Will er teilen?«
»Das glaub' ich nicht, aber sonst Erkleckliches, und wenn du nachgibst, ist's mein Glück auch.«
»Ich geh' nicht um ein Haarbreit ab von dem, was ich gesagt hab',« erwiderte Alban, ohne auf das letzte zu hören, und im Zorn rief Dominik:
»Es ist doch so. Du bist grad wie dein Vater, grad so unbändig.«
»Meinetwegen, und es wird sich zeigen, wer stärker ist.«
Im Kreuz traf man den Klein-Rotteck. Alban bat ihn, doch auch morgen früh auf den Furchenhof zu kommen und ihm beizustehen. Der Klein-Rotteck lehnte entschieden ab, er mische sich nicht in fremde Händel, da putze sich jedes an einem ab. Auf des Dominik Zureden und auf dessen leisen Zusatz, daß er ihm zulieb kommen möge, zumal er es ihm ja versprochen habe, ihm beizustehen, sagte endlich der Klein-Rotteck mit einem Handschlag zu.
Der Hirzenbauer war sehr betrübt, obgleich er heute einen Prozeß gewonnen hatte. Seine Ortseinwohner hatten ihn wirklich verklagt, weil er sein Gut geteilt hatte, kein Advokat aus der Nachbarschaft hatte sich dazu hergegeben, den Klägern eine Eingabe zu machen, sie hatten aber einen Winkeladvokaten, einen sogenannten Entenmaier gefunden, der ihnen die Sache als sehr bedeutsam und erfolgreich darstellte; ja, er hatte behauptet, die Advokaten hätten nur deshalb keine Klagschrift gemacht, weil sie alle Parteigenossen des Klein-Rotteck seien. Nun hatte der Klein-Rotteck heute den Prozeß in erster Instanz gewonnen, aber das sah er, er hatte keine Nachbarn mehr, das sind lauter Feinde, ja, sie denunzierten jetzt bei Gericht, was er im Jahr 1848 gesprochen, und wäre der Richter nicht doch noch wohlwollend gewesen, er hätte einen neuen Strick für ihn drehen können.
Alban und Dominik ritten miteinander heimwärts, Alban war wild und voll Jähzorn, und Dominik erkannte wieder, daß solch ein reicher Bauernsohn ganz anders geartet ist als ein armer Knecht; solch ein Haussohn ist nicht so leicht zufrieden gestellt und vergibt nicht so schnell. Er erzählte Alban, um ihn zu beruhigen, daß der Vater ihn ja auch dreimal mit Schande aus dem Hause gewiesen habe, und er sei doch geblieben, aus Anhänglichkeit, und um Frieden zu stiften. Diese Mitteilung machte aber die verkehrte Wirkung, denn Alban sagte:
»Das beweist eben wieder, daß du kein' Ehr' im Leib hast.«
Es war schon Nacht, als man am Hellberg ankam, vom Hause schimmerte Licht, und die Klarinette der Obedfüchti tönte ins Thal. Alban stieg ab und befahl Dominik, das ledige Pferd an der Hand heimzuführen. Dominik riet ihm, jetzt zu den Eltern nach Hause zu gehen, die seiner sehnsüchtig harrten, aber Alban erwiderte:
»Ich bin drei, ja vier Tage sind's, nicht dort gewesen. Ich muß wieder hin.«
Raschen Schrittes sprang er den Berg hinan. Die Obedfüchti spielte sich allein etwas vor in ihrer zerfallenen Behausung. Ein Hund schlug auf Alban an. Was ist das? Das ist ja der Greif. Wie kommt der daher? Alban eilte die Treppe hinan, Vreni kam ihm entgegen.
»Geh nicht hinein,« sagte sie.
»Warum? Wer ist da?«
»Dein Vinzenz.«
»Was will er?«
»Nur Gutes. Er hat dem Vater auch vierhundert Gulden versprochen, daß er mit uns kann, wenn du mit mir auswandern willst. Alban, jetzt werden wir ja glücklicher, als wir's je gedacht haben. Jetzt leg' deinen Stolz ab, und es ist alles gut.«
»Für deinen Vater sorg' ich und nicht mein Bruder. Er hat nicht mehr als ich auch. Ich und die Meinigen, wir nehmen nichts geschenkt. Laß mich.«
Er riß sich von Vreni los und stürmte in die Stube. Vinzenz zuckte zusammen, als er ihn sah.
»Du hast nichts da zu schaffen. Marschier' dich,« gebot Alban.
»Das Haus ist mein,« entgegnete Vinzenz, »und ich kann dich 'nausjagen.«
Der Nagelschmied stellte sich vor Alban, und Vinzenz verließ die Stube.
Der Nagelschmied redete nun dem Alban gütlich zu, und dieser sagte endlich, er müsse seinem Bruder nach und noch einmal im guten mit ihm reden. Er eilte von dannen und rief seinen Namen. Unweit des Felsens, dort, wo sie vorgestern am letzten Marksteine gesessen, von dorther hörte Alban das Bellen eines Hundes, und eine Stimme rief: »Fass' ihn!« Der Greif sprang wie ein Tiger an Alban empor, aber dieser kam ihm zuvor, faßte ihn am Genick und schleuderte ihn in die Schlucht.
»Du hetzest den Hund auf mich!« schrie Alban, rannte nach seinem Bruder, packte ihn, und stumm rangen die beiden miteinander; da polterte es, es war kein Geländer da, und fest einander umklammernd, stürzten die beiden den Felsen hinab, und der Bach spritzte auf.