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Ein Kirchgang am Morgen und eine Beichte in der Nacht.

Am Sonntagmorgen wurde den Pferden das neue Geschirr angelegt, und die Menschen zeigten sich alle in ihren besten Kleidern. In zwei Wagen fuhr die ganze Familie nach der über eine Stunde entfernten Kirche; neben Vinzenz saß die Mutter, hinter ihnen der Oheim Dekan und der Vater, Alban hatte Ameile und die kleine Amrei bei sich. Die ganze Familie außer Amrei war noch nüchtern, denn man ging heute zur Kommunion. Die Häusler, die bald da, bald dort den Wiesenweg von einsamen Gehöften herabkamen, grüßten ehrerbietig, und der Furchenbauer dankte ernst dem Gruß, der seinem geistlichen Bruder galt. Die Fußgänger schauten der stattlichen Ausfahrt noch lange verwundert nach und redeten allerlei darüber. In der Kirche verrichtete der Dekan das Meßamt und reichte den Seinen das Abendmahl.

Eine festtäglich gehobene Kirchenstimmung brachte man noch mit auf den Furchenhof zurück, und den ganzen Tag ging jedes allein und in sich gekehrt umher. Nur Alban und Ameile saßen gegen Abend still beisammen auf der Bank am Brunnen, und Ameile sah den Bruder staunend an, als er plötzlich mit tonloser Stimme sagte:

»Ameile, wenn ich sterbe, so will ich dir's gesagt haben, daß ich dem Dominik gegen vierhundert Gulden schuldig bin, und er hat nichts Schriftliches von mir.«

Ameile wollte den Bruder ob solcher Rede auslachen, aber er wehrte ihr, er sagte zwar, solche Todesgedanken seien närrisch, aber es sei ihm so schwer im Herzen, und er habe sich nun doch erleichtert, daß noch jemand von seiner Schuld an Dominik wisse, er wolle das auch der Mutter mitteilen.

Woher kam Alban diese Todesahnung? Ein Volksglaube sagt: wer ein umwandelndes Gespenst, einen Geist erlöst, muß bald sterben. Hat Alban den Geist der Gerechtigkeit erlöst, und muß er darob sterben? Ist es ein notwendiges Gesetz der Menschengeschichte im großen wie im kleinen Leben, daß die einseitig hingegebenen Vertreter eines unterdrückten Rechtsgedankens auch dessen Märtyrer werden müssen? . . .

Am Abend wallfahrteten alle Hausbewohner nach dem »Käppele«, der Dekan sprach dort den üblichen Abendsegen.

Der Gipsmüller mit seinen Töchtern war auch herbeigekommen, und nun war große Familienzusammenkunft in der Stube. Ein jedes lauschte nur auf die Worte des Dekans, der, dem Scherze nicht abhold, manchmal auch ein kleines Späßchen zum besten gab, worüber man bescheiden zu lachen wagte; in der Regel aber führte er ernste Rede, und immer wieder wußte er Beispiele beizubringen, wie Besonnenheit und Mäßigung die Tugenden seien, die ewig in Ehren gehalten werden müssen. Jedes war zufrieden mit diesen Mahnungen, denn jedes schob dem andern die Betätigung zu und glaubte selbst deren nicht zu bedürfen.

Der Dekan kannte die alte Geschichte der Familie und wußte besonders viel zu erzählen von jenem Urahn, der auch Alban hieß und der durch Klugheit und Nachgiebigkeit den Hellberger Hof und den Kandelhof – so hieß ehedem das Furchengut – miteinander vereinigte. Dieser Urahn hatte am Michelstag einen mit zwei Pferden bespannten Pflug rings um das Gut geführt und hatte dabei stets die Sonne im Angesicht, und ohne zu rasten kam er erst mit sinkender Nacht wieder auf der Ausgangsstelle an. Von jener Zeit hatte das Gut den Beinamen: von der langen Furche.

Der Dekan erzählte noch, daß das Geschlecht der Feilenhauer vor Zeiten Feigenhauer geheißen habe und adelig gewesen sei.

Der alte Furchenbauer schmunzelte, aber zum Staunen aller sagte Alban:

»Und die Vorfahren dieser Adeligen sind doch auch wieder Bürgerliche gewesen; drum bleiben wir gleich dabei.«

Man ging früh auseinander, denn man wollte morgen mit Tagesanbruch den Feldumgang halten. Der Gipsmüller hatte Abhaltungen, wegen deren er nicht dabei sein könne, versprach aber am Abend zur Abteilung wiederzukommen.

Als Alban dem Oheim Dekan die Hand reichte und ihm eine »ruhsame Nacht« wünschte, erschrak er fast, da der Geistliche vor allen ohne Scheu sagte:

»Nun schlaf heut noch gut und mach dich recht rein im Gewissen, denn morgen nacht gehst du als Furchenbauer zu Bett.«

War der Ohm Dekan auf seiner Seite? Das hatte er nimmer gedacht. Heute zum erstenmal ging Alban nicht nach dem Hellberg, und doch fand er lange keine Ruhe. In stiller Nacht kam die Versuchung über ihn. Er war der Erstgeborene, er trat in den Erbgang: warum sollte es ein Unrecht sein, wenn er den Hof zu geringem Preis annahm und sich erlabte am reichen übermächtigen Besitz? Er konnte den Geschwistern später schenken, was er wollte. Er nahm sich fest vor, das zu thun, er feilschte mit sich selber über die Summen, die er dafür festsetzen wollte, er konnte nicht einig mit sich werden und blieb am Ende dabei, Zeit und Maß seiner Leistungen an die Geschwister nach seinem Gutdünken und nach dem Erträgnis guter Jahrgänge zu bestimmen. Dabei wollte er bleiben und ruhig schlafen, aber er fand keine Ruhe, und plötzlich sprang er aus dem Bett, faßte das Gesangbuch, das er noch vom Kirchgange bei sich hatte, und es in beiden Händen haltend, sprach er laut: »Vor Gott und meinem eigenen Gewissen schwör ich's: ich will kein unrecht Gut. Ich gebe meinen Geschwistern den vollen Teil des Erbes, den ganzen, ohne Vorbehalt und vor aller Welt. Du, o Gott, allein hörst mich und mein eigenes Ohr! Höre mich nicht mehr und mein Ohr vernehme meine Stimme nicht mehr, wenn ich diesem Schwur nur einen Augenblick untreu werde . . .«

Jetzt erst fand Alban den Schlaf, der ihn Hoffnung und Qual vergessen machte.

Während Alban nach dem Selbstgelöbnis die ersehnte Ruhe fand, war drin im Hause heftige Zwiesprache und Unruhe.

Der Dekan schlief im Leibgedingstüble der verstorbenen Eltern. Als ihn der Furchenbauer dahin geleitete, sagte er:

»Das versteh' ich nicht. Der Herr Dekan – der Furchenbauer redete mit seinem Bruder stets in der dritten Person – spricht von Frieden und Verträglichkeit und hetzt das eigene Kind gegen den Vater auf.«

»Wie thu' ich denn das?«

»In meinem Verstand heißt das aufgehetzt, wenn man dem Alban sagt, er sei der Lehnhold, und er sei morgen nacht Furchenbauer, und das wird er mit meinem Willen nie, und ich habe dem Herrn Dekan schon gesagt, warum ich den Vinzenz einsetzen muß.«

»Die Sünde an dem einen wird dadurch nicht gut gemacht, daß man eine Sünde an dem andern thut.«

»So soll ich also meineidig werden?«

»Davor bewahre uns Gott. Für ein ungerechtes Versprechen kann der Buße thun, der es gegeben hat. Der Alban soll dann etwas mehr hergeben, daß du dem Vinzenz eine Versorgung kaufen kannst.«

»Nein, nie, nie; der Alban kriegt meinen Hof nicht, der ist vom Hirzenbauer und von denen, die nichts als teilen wollen, angesteckt; der thät' den Hof, den wir von unsern Ureltern her haben, unter seine Kinder teilen.«

»Drum komm ihm zuvor und teil selbst.«

»Das kann der Dekan nicht ernst meinen, er ist ja keiner von den Revoluzern nie gewesen. Das wär' ja gegen alle rechtschaffene Ordnung.«

»Setz dich, ich will dir was erzählen,« sagte der Dekan und setzte sich selbst nieder. »Hör zu: Vor Jahren ist ein Mann zu einem Pfarrer in die Beichte gekommen, der nicht aus seinem Ort war, die Stimme war kräftig, etwas stolz im Ton, und viele Jahre ist der Mann immer wieder gekommen und hat immer dasselbe gebeichtet: ›Ich leb' mit meiner Frau in Fried' und Einigkeit, aber wenn sie mir das glückseligste Geheimnis anvertraut, gehen wir immer beide umher wie zwei junge Leute, die sich verfehlt haben, und ich wünsche den Tod des Kindes, noch bevor es geboren ist, und wenn es geboren ist und größer geworden, da zerreißt es mir das Herz, weil ich nicht weiß. welches Kind mir am wenigsten wehe thäte, wenn es stürbe. Mein Weib findet sich bälder darein, sie nimmt es als eine Schickung Gottes auf sich, mich aber verläßt der Gedanke nicht, und ich kann nicht ruhen und nicht rasten, und ich habe Gott gebeten, er soll mir die große Kinderzahl abnehmen, und es ist geschehen, und jetzt ist doch mein Herz schwer ob dieser Sünde.‹ – ›Und warum hast du einem jungen Leben den Tod gewünscht? – ›Damit das Erbe nicht zu klein werde.‹ Dreimal kam der Mann in derselben Zerknirschung ob derselben Sünde, und dreimal erhielt er die Absolution. Als er das vierte Mal kam, wurde sie ihm verweigert, und er kam nicht wieder; er suchte sich wohl einen andern Beichtiger. Und diese Todesschuld hat der Mann auf sich, weil er im Stolze heischte, daß seine Nachkommen groß und reich seien. Und dieser Mann – bist du –«

Wie vom Blitz getroffen, fuhr der Bauer empor, da der Dekan sich plötzlich erhoben hatte und seine Hand mit schwerem Schlag ihm auf die Schulter legte. Schnell aber ermannte er sich, und allen Respekt beiseite setzend, rief er:

»Ist das recht, daß du ein Beichtgeheimnis so verratest?«

»Mit dir allein darf ich so reden, und ich muß es – weil du noch in der alten Sünde bist. Du willst das eine Kind am Lebensgute töten, um das andre damit zu bereichern. Folgtest du dem Zwange des Erbganges, du könntest dich vielleicht freisprechen, die Schuld liegt hinter dir in alten Zeiten. Jetzt aber willst du neues Unrecht pflanzen. Das dulde ich nicht. Ich ziehe meine Hand ab von deinem Thun. Entweder setzest du Alban ein, oder du teilst. Bleibst du bei deinem Vorhaben, so schüttle ich den Staub von den Füßen und ziehe wieder dahin, von wannen ich gekommen.«

Der Furchenbauer hatte noch allerlei Einwände, und besonders über einen wurde der Dekan aufs äußerste aufgebracht, indem der Bauer erklärte, daß er am Tode der Kinder unschuldig sei, und dabei das Sprichwort anführte: »Man trägt mehr Kälberhäute auf den Markt als Ochsenhäute.« (Es sterben mehr Kinder als erwachsene Menschen.) Der allezeit so milde Dekan geriet dabei in solche Heftigkeit und stellte dem Bruder seine Vergangenheit in so greller Weise dar, daß er dadurch die erschütternde Macht, die er bis jetzt geübt hatte, fast ganz einbüßte. Er lernte eine seltsame Verhärtung des Gemütes kennen, indem der Bauer sagte: »Und wenn's so ist, und sei's meinetwegen, und hab' ich meine Seele verdorben und meine Seligkeit in die Höll' geworfen, so will ich's wenigstens hier auch 'nausführen und soll wenigstens nicht alles umsonst gewesen sein.«

Der Dekan faßte nochmals in neu gesammelter Ruhe alle die sittlichen Bedingungen zusammen, die hier in Frage stehen, dann ging er auf die praktischen Bedenken über. Der Furchenbauer beharrte dabei, daß er auch ohne die Beschädigung des Vinzenz diesen doch einsetzen würde, denn Alban sei von Haus aus begabter und könne sich leicht forthelfen. Als ihm aber der Bruder erklärte, wie es gegen alles Recht und Herkommen sei, daß ein Beschädigter Lehnhold werde, das geschehe nie, so wenig ein mangelhafter Mensch eine Krone erben dürfe – da stutzte der Furchenbauer. Endlich preßte er das Geständnis hervor, er möchte wohl nachgeben und Alban einsetzen, aber Vinzenz habe ihn in der Hand und werde seine letzten Lebenstage noch der Schande preisgeben. An diesen Ausspruch hielt sich nun der Dekan und redete dem Bruder noch in mildester Weise zu.

Mitternacht war längst vorüber, als der Furchenbauer, innerlich geknickt und zerbrochen, seiner Schlafkammer zuwankte; er wußte nicht mehr, was er thun sollte. Als er aber am Morgen erwachte, knirschte er vor sich hin: »Und doch muß es bleiben, wie ich will, und wenn unser Herrgott einen Evangelisten schickt, der kann das nicht ändern. Das ist die alte Satzung, die gilt in Ewigkeit.«

Wie ganz anders erwachte Alban. Eine innere Beseligung durchströmte sein ganzes Sein, und er trat in die gewohnte Welt mit geweihtem prophetengleich geklärtem Herzen.


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