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Der Völkerfrühling und ein flammendes Jünglingsherz.

Zu Lichtmeß kehrte Alban wieder auf den väterlichen Hof zurück. Die Mutter hatte ihre Freude an dem schönen Burschen und betrachtete ihn oft, als wäre er ein Fremder. Die braunen Haare, die nur am ovalen Hinterkopfe ganz glatt geschoren waren, trug er auf dem breiten Oberhaupte gescheitelt. Wie leuchtete die weiße Stirne, doppelt hell über dem sonnverbrannten Antlitze mit dem braunen Schnurr- und Knebelbarte, wie glänzten die braunen Augen, die er so hoch aufschlug, daß man unter den tief hereinstehenden Brauen gar kein Augenlid sah. Er trug ein nach vorn geöffnetes kurzes graues Burgunderhemd, die sogenannte Bluse, und alle seine Bewegungen, jeder Schritt, jede Stellung und Wendung war allezeit geschlossen und mit gesammelter Kraft, alles machte den Eindruck der Frische und straffen Jugendlichkeit. Die Mutter hatte nicht allein ihre Freude an dem schönen Sohne, wer auf den Hof kam, konnte sein nicht Rühmens genug finden, und die ganze Gegend war stolz auf ihn. Die Mutter hatte es vollkommen getroffen, wenn sie nach dem landesüblichen Ausdruck sagte: »Mein Alban ist ein weidlicher Bursch,« denn mit weidlich bezeichnet man das Hurtige wie das Jugendfrische.

Begriff und Wort Jüngling sterben jetzt allmählich fast aus: Alban war noch ein Jüngling in der frischen Bedeutung des Wortes, kindlich hingebend und hell aufflammend. Er war in dem Jahre seiner Abwesenheit fast jünger geworden. Er hatte ein freies Behaben aus der Fremde mitgebracht, das aber heimatlich anmutete. Er hatte fremde Gedanken mitgebracht, wie auch fremde Lieder, die man ihm bald auf dem Hofe nachsang, aber zum Ruhme seiner Lehrer wie seines eigenen Naturells muß gesagt werden: er hatte sich in keinerlei Weise der Heimat entfremdet, sein Wesen hatte nur etwas Sonntägliches, und das paßte ganz zu dem neuen glorreichen Sonntag, der jetzt über der Welt aufgegangen war. Einstimmig wurde Alban zum Leitmann gewählt, als man, von dem noch jetzt unerklärten Franzosenlärm geschreckt, sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Auch Dominik war mit unter den Bewaffneten, der Furchenbauer hatte ihm ausdrücklich die Erlaubnis gegeben.

Wie oft stand die Mutter mit Ameile hinter dem »Käppele« und schaute nach dem Thal, wo ihr Sohn wie ein Feldherr regierte, oder sie ging gegen ihre Gewohnheit am Werktage nach dem Thal, um in der Nähe zu sehen, wie ihr Sohn kommandierte und mit Hilfe des Dominik und des Nagelschmieds, eines ehemaligen Soldaten, der als Häusler und Taglöhner auf dem Hellberge wohnte, militärische Ordnung einübte. Wenn er dann, mit der schwarzrotgoldenen Schärpe angethan, mit ihr nach Hause ging, sagte sie ihm oft: »Du könntest Offizier sein,« und dann erzählte er ihr von der Schweiz, wohin er mit dem Lehrer und den Genossen eine landwirtschaftliche Reise gemacht hatte, und wo die reichen Bauernsöhne Offiziere seien, das ganze Jahr nach Pflicht arbeiteten und nur zu den alljährlichen Uebungen einrückten. Die gute Frau ließ oft der freudige Gedanke nicht schlafen, daß ihr Alban Offizier sei.

Der Furchenbauer sah die Erwählung seines Alban doppelt gern und zog daraus manchen trostreichen Gedanken, den er aber in sich verschließen mußte.

Schon die Erwägungen, die bei der Wahl der Führer in Dörfern und Städten zu Tage kamen, zeigten eine gewisse Unentschiedenheit der Gemüter, die sich bald im großen Ganzen kenntlich und verderblich darstellte. Es herrschte die allgemeine Stimmung, daß der Nagelschmied als ehemaliger Soldat und redlicher, gescheiter Mann Führer sein sollte; man sah das wohl ein, aber man wollte doch auch wieder einen Mann von Ansehen, der auch Bedeutung hatte. Die Parteien vereinigten sich zuletzt, und um allem gerecht zu sein, wählte man keinen Hofbauern, sondern den Sohn eines solchen, und Alban war nach Stellung und Persönlichkeit dazu am geeignetsten.

Auf dem Hofe standen Knechte und Mägde oft bei einander, und der Hauptgegenstand ihres Gespräches war der Alban, wie der so gut und zutraulich gegen jedermann sei, und selbst der Kuhbub wußte Lobendes von ihm zu erzählen; Alban hatte ihm versprochen, daß er Trommler werden solle, und er übte sich einstweilen mit zwei Stöcken auf dem Melkkübel. In die Dienstleute schien ein unruhiger Geist gefahren: unversehens standen mehrere bei einander und plauderten von allerlei Abenteuerlichem, von einer ganz neuen Welt, die jetzt anfange. Auf der ersten Volksversammlung, die man erlebte und die in Wellendingen gehalten ward, hatte ein Advokat öffentlich ausgerufen: »Die ganze alte Welt wird jetzt auf den Abbruch versteigert.« Dies Wort wurde von einsamen Wanderern über Berg und Thal getragen, man glaubte daran wie an einen Bibeltext, und manche Predigt wurde darüber gehalten. Der Furchenbauer zankte oft über diese »Ständerlinge«, aber behutsam; diese Unruhe, die in alle Menschen gefahren war, deuchte ihm nicht geheuer. Es war ihm nur lieb, daß sein Sohn Anführer war, das schützte ihn gegen das Räubervolk, denn als solches betrachtete er jetzt alle Nichtbesitzenden, die sich in der That jetzt die kecksten Waldfrevel ungeahndet erlaubten, und kein Förster hatte Mut gegen sie. Dem Alban folgten die Dienstleute auf einen Augenwink und mit dem größten Eifer. Ohne besondere offizielle Erklärung wurde der Thronfolger Alban jetzt Mitregent und der Dominik, der zum Oberknecht ernannt war, erster Minister. Der Furchenbauer mußte bekennen, daß alles gut von statten ging, wenn ihm gleich die vielen freundlichen Ansprachen an Dienstleute und Taglöhner nicht gefielen; aber es war jetzt eine neue Welt. Hätte Alban jetzt das väterliche Gut von ihm verlangt, er hätte es ihm geben müssen, trotzdem er dem Vinzenz mit Handschlag versprochen, ihn einzusetzen, und darauf mit ihm das Abendmahl genommen hatte. Alban dachte an nichts weniger als an derlei Dinge. Er fühlte wohl, daß sein einäugiger Bruder, der nicht gleich ihm in der Fremde gewesen war, sich bedrückt fühlen und neidisch gegen ihn sein mußte; er behandelte ihn daher trotz seines unwirschen Gebarens mit zuvorkommender Liebe, und wo er nur konnte, stellte er ihn voran und ließ ihn Befehle erteilen. Vinzenz ließ sich das gefallen, er verschloß in sich hinein die Gedanken und Plane, daß wieder andere Zeiten kommen werden, wo der Alban froh sein werde, wenn er ihn als Verwalter oder Knecht zu sich nehme. In der Kammer, wo die beiden Brüder schliefen, herrschte Friede und Eintracht. Vinzenz sprach wenig, desto mehr aber Alban, und wenn der Vater nach seiner Gewohnheit, von der er nicht lassen konnte, manchmal an der Thür horchte, ging er kopfschüttelnd weg. Der Alban offenbarte allezeit ein so grundklares lauteres Gemüt und war dabei so geschickt und welterfahren, daß es ihm manchmal leid that, ihn nicht in das Gut einsetzen zu können; der würde einen Hof hinstellen, wie landauf und landab keiner zu sehen war. Er tröstete sich aber wieder damit, dem Alban könne es nicht fehlen, sich eine reiche Lehnbesitzerin zu holen, die fürnehmste, die er wolle; der Vinzenz aber war vom Vater verstümmelt und konnte sich ohnedies nicht selber helfen.

Jenes wonnige Beben, das damals die gedrückten Herzen in ganz Europa durchzitterte, jene freudige Ahnung, daß die Zeit der Not und der Ehrlosigkeit vorüber sei, machte sich damals auf dem Furchenhofe und in der Umgegend in eigentümlicher Weise geltend. In Wald und Feld, mit Axt und Pflug in der Hand, schaute jegliches oft plötzlich aus, als müßte ein Wunder kommen, ein neues Erlösungswerk, das auf einmal alles richte und schlichte.

Es war die Zeit der Zeichen und Wunder, alle Sehnsucht und alle Verheißung, die mehr oder minder klar in den Gemütern ruhte, sollte ihre Erfüllung finden; die Erlösung war da für die hochstehenden, die ganze Menschheitentwickelung erfahrenden Geister, wie auch für diejenigen, die in beschränkte Gesichtskreise eingeschlossen waren.

Die Hoffnung, daß eine Zeit gekommen sei, in der man seines Schweißes froh werde, bildete sich oft abenteuerlich aus. Oft wenn einer in verborgener Thalschlucht oder tief im Walde arbeiten mußte, überkam es ihn plötzlich wie ein jäher Schreck, daß er jetzt den Triumphzug versäume, der die Heerstraße dahinzieht und alles glückselig macht. Die Taglöhner sprachen oft wild durcheinander wegen Verteilung der Allmend und des Gemeindewaldes, wegen Erhöhung des Tagelohnes und Kürzung der Arbeitszeit, und mancher lang verwundene und halb vergessene Schmerz kam an den Tag. Alban sprach da und dort mit beredtem Munde und hatte einen hilfreichen Beistand an dem verständigen Nagelschmied, der mit seiner Tochter Vreni auf dem Furchenhof als Taglöhner arbeitete. Der Nagelschmied hieß nur noch so, aber er war es nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren hatte er im Sommer als Taglöhner auf den benachbarten Höfen gearbeitet und im Winter Nägel geschmiedet, wobei ihm seine Frau und seine Goldfuchsen, wie er seine Kinder mit rötlichbraunem Haare nannte, halfen, und besonders die zweitälteste Tochter Vreni zeigte eine große Kunstfertigkeit. Durch ein Verbot der Regierung wurde ihm dies Gewerbe untersagt, weil es nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht unter die freien Gewerbe gehörte. Vreni hatte das Strohflechten erlernt, und so oft sie zur Feldarbeit ging oder von derselben heimkehrte, sah man sie mit grobem Geflechte beschäftigt; zu dem feineren waren ihre Hände durch die Feldarbeit und die frühere Thätigkeit in der Werkstätte ungeschickt geworden.

Jetzt hoffte der Nagelschmied wieder sein Gewerbe aufnehmen zu dürfen, und Alban versprach, ihm zur Anschaffung des Handwerkszeuges, das er in der Not verkauft hatte, behilflich zu sein.

Auf dem Furchenhofe wurde allezeit mit doppelter Lebhaftigkeit und unter Lachen und Singen gearbeitet, jeder war lustig, ohne zu wissen, warum, und ohne weiter danach zu fragen. Im Frühling, wo gerade die härteste Notzeit ist, da die Wintervorräte aufgebraucht sind, verteilte Alban freiwillig Korn als Vorschuß unter die Taglöhner, und der alte Furchenbauer mußte ihm trotz der Widerrede recht geben; denn andere Großbauern wurden zu dem gezwungen, was er freiwillig gethan hatte, und wofür er nun Dank erhielt.

Alban und der Vater ritten einst zu der großen Versammlung in Wellendingen, die der Kandidat für die Stelle eines Reichstagsabgeordneten anberaumt hatte. Alban war auf dem Heimweg ganz erfüllt von den feurigen Worten, die er vernommen, er hatte zum erstenmal unter freiem Himmel befreiende Worte gehört und mit eingestimmt in den tausendstimmigen Jubel. Als er auf dem Heimweg sein Herz gegen den Vater ausschüttete und endlich sagte: er müsse dem Volksmann seine Stimme gehen, sagte der Vater:

»Ja, das thu' ich auch. Man muß jetzt mitthun.«

»Und ich mit,« rief Alban.

»Ja so,« fuhr der Vater fort, »du stimmst ja auch. Das hab' ich fast vergessen. Freilich, es ist ja jetzt alles gleich, Vater und Kind, und wer was hat und wer nichts hat; es ist all eins. Ich bin froh, daß ich tief in den Sechzig bin, das ist kein' Welt für mich; die Bettelleut' dürfen nicht mitreden, der Nagelschmied darf nicht mitstimmen wie ich.«

Alban schwieg, er traute sich's nicht zu, seinen Vater zu anderer Ueberzeugung zu bringen; auch war er an die natürliche und altherkömmliche Oberherrlichkeit des Vaters gewöhnt und wagte es nicht, ihm geradezu zu widersprechen.

Man würde indes dem Furchenbauer schwer unrecht thun, wenn man einen gewissen Freimut desselben in Zweifel zöge.

Der Bauer auf Einzechten – wie man die weit auseinanderliegenden geschlossenen Güter nennt – ist ein ganz anderer, als der in den Dörfern lebt. Die alles in ihr Netz spannende neue Regierungskunst, oder vielmehr Polizeikunst, hat nur eine lose Verknüpfung mit solchen einsamen Höfen, und nur selten betritt ein Diener der Obrigkeit die oft einen großen Teil des Jahres unwegsamen Pfade, welche dahin führen. Dadurch bildet sich in dem Hofbauer die eine Seite des freistaatlichen Lebens: das Gefühl der Unabhängigkeit und dessen eifersüchtige Wahrung, mächtig aus. Die Markscheide, wo die Unabhängigkeit zu Eigensucht wird, tritt nur selten zu Tage. Hat die Bureaukratie aus den Bürgern in Städten und zusammenhängenden Dörfern jeden Gemeinsinn, jede Selbstthätigkeit fürs Allgemeine allmählich gründlich ausgetrieben, so ist der einsame Bauer draußen oft gar nie dazu gekommen.

Unser Furchenbauer galt von jeher als ein Liberaler, und er war dies auch nach dem bisher gewohnten Begriff. So oft er mit den Beamten in Berührung trat, war er stolz und zäh. Wenn er aufs Amt kam, sagte sein Gang, seine Miene: »Was seid denn ihr Schreiber gegen mich? Ich bin der Furchenbauer,« und nur einmal vertraute er in sonst nie vorgekommener Offenherzigkeit dem Hirzenbauer von Nellingen einen Geheimgedanken mit den Worten: »Die Beamten haben doch weit mehr Respekt vor einem, der kein untertäniger Jamensch ist, wenn sie ihn auch nicht leiden mögen.« Dazu kam, daß trotz seines Stolzes ihm die Vertraulichkeit der angesehenen Männer aus der organisierten liberalen Partei wohlthat; er duzte sich mit mehreren Advokaten, und sogar mit dem ausgetretenen Geheimrat, der trotz seines Liberalismus doch beharrlich Geheimrat betitelt wurde. Der Furchenbauer hörte sich gern als freien Mann rühmen, der nach niemand was zu fragen habe, er sprach bei den Wahlversammlungen nie öffentlich und kaum mit einem Nachbar, aber bei der Abstimmung war er fest und sicher.

Jetzt war eine andere Zeit gekommen. Freilich war es schön, daß zwei von den Duzbrüdern des Furchenbauern jetzt Minister waren. Damit sollte aber auch die Welt zufrieden sein, und unerträglich war's, daß jetzt jeder die Keckheit hatte, auch ein Liberaler sein zu wollen; das ist doch etwas, was nur Leuten zusteht, die nach niemand was zu fragen haben, wie kommt so ein Häusler dazu? Und himmelschreiend war's, daß jetzt auch ein Kind, das noch keinen Kreuzer eigen Vermögen besaß, mitstimmen durfte wie der Vater.

Diese Wahrnehmungen machten den Furchenbauer oft unwirsch, aber er verschloß seinen Widerstreit in sich. Nur einmal gab er ihn kund, indem er Alban befahl und, als dies nichts half, ihn sogar bat, von seinem Stimmrechte keinen Gebrauch zu machen; der Alban ließ sich das nicht nehmen, er hatte von der Volksversammlung das Schlagwort mitgebracht: »Wehrpflicht, Wahlrecht«; und was er einmal in seinem Herzen aufgenommen, ließ er nicht mehr los. Alban war bei der Volkswehr, und ein Jubeltag war es für ihn, als er zum erstenmal im Leben seine Stimme abgab. Vinzenz hatte dem Vater willfahrt und darauf verzichtet.


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